Püttmann, Natalie: Eberhard Bosslet, Öffentliche Ordnung, Kunstverein Speyer, 1994
Insgesamt 19 Textbeiträge zu den 21 ausgestellten Skulpturen für jeden Kunststandort/Werk

Altlast I / B, 1990
Amtsgericht- Eingangshalle
Diese Druckluftarbeit Eberhard Bosslets besitzt einen ähnlich würfelförmigen Aufbau wie zum Beispiel die beiden Heizkörperobjekte in . Das ins Zentrum des Werkes gerückte, mit Druckluft gefüllte Hebekissen gibt seinen Druck an Vollgummireifen weiter, die durch gefaltete Matratzenschoner gedämpft den Druck auf die Vergitterung ableiten, welche durch vier Stahlketten zusammengehalten wird. Formal gesehen besteht eine Hintereinanderstaffelung von quadratischen Flächen, die im Gitternetz ihre Vervielfältigung erfahren, allerdings auch ihre Abwandlung im aufgeblasenen Gummikissen, das eine Überleitung zum einzig runden Zwischenstück herstellt.
Das Kissen steht wie so oft in Bosslets Werken nicht nur im Zentrum seiner Komposition, sondern es vereint auch formal die eckigen mit den runden Objektformen und stellt dadurch eine ausgewogene Einheit her. In seiner Fortsetzung stellt es auch inhaltlich einen Ausgleich zwischen Beruf und Privatem dar: das Kissen (wie die Matratzenschoner) als innenräumlicher Ausstattungsgegenstand im Unterschied zu den technisch definierten Teilen. Das Gitter nimmt scherzhaft die Tätigkeit der Richter am Amtsgericht auf, Schuldige "hinter Gitter" zu bringen. Es wurde in dieser Ausstellung in keiner anderen Arbeit verwendet und kann somit kein Zufall sein. Nicht nur Ausgewogenheit, sondern besonderer Ruhe begegnen wir in dem Verlauf der zuleitenden bunten Schläuche: der blaue beschreibt einen einfachen Halbkreis und der eigentlich viel zu lange gelbe Schlauch wurde sauber zusammengelegt, so daß sich ein Reif bildet. Die besondere Harmonie, die hier vermittelt wird und sich zunächst auch in der Symmetrie des Hauptkomplexes wiederfinden läßt, ist allerdings nur eine scheinbare. Wie wir bereits aus der Betrachtung anderer Objekte Bosslets wissen, stellt ein solches Druckluftobjekt ein labil-stabiles Gleichgewicht dar, das bei Gefährdung seines Status Quo in eine "Katastrophe" mündet, gleich ob es im- oder explodiert. Die Vergitterung und die Stahlketten tun ihr übriges, um dem Ganzen einen negativen Beigeschmack zu geben. Mit ihnen sind Gefühle des Eingesperrtseins, der Unterdrückung und des Terrors verbunden. Und nicht zuletzt greift der Titel der Skulptur ein ganz brenzliges Thema auf: . Altlasten sind Abfälle oder Rückstände besonders schwer entsorgbarer Stoffe. Sie sind aber auch zum Beispiel Verpflichtungen oder Schulden, die eine neue Regierung von einer alten übernimmt. Desweiteren besitzt der Begriff eine historische Komponente, konkret für uns Deutsche die kollektive Schuld an den Naziverbrechen. In jedem Fall besitzt der Begriff ein negatives Konnotationsfeld. Der Kontext des Wortes aus beiden Bereichen geht damit in den des Kunstwerks über, beziehungsweise muß als Titel mit dem Werk in Relation gesehen werden. Altlasten stellen ein Problem dar, das wir unbedingt in den Griff bekommen müssen, wenn uns dieser Berg nicht eines Tages erdrücken soll. Auf der anderen Seite sind Altlasten realistisch gesehen gar nicht vermeidbar. Die Ambivalenz des Problems besitzt ihre Lösung im Finden einer angemessenen Handhabung, mit der wir gerade noch leben können. Genau diesen Balanceakt, den die Erde mit ihren Müllbergen und die Politiker mit ihren Schuldenbergen vollführen müssen, damit kein Kollaps entsteht, finden wir im Bild der Skulptur Eberhard Bosslets wieder. Altlast ist seit der Wiedervereinigung auch ein deutsch-deutsches Problem: wie gehen wir, wie gehen Politiker mit dem um, was der Sozialismus uns hinterlassen hat? Die Skulptur gibt auf all die Fragen rund um die AltlastProblematik immer dieselbe Antwort: in ihren anschaulichen Kriterien von Druck und Zug, von Materialien und Kräfteverhältnissen, wie sie in dieser Skulptur zusammengefügt wurden. Schließlich bedeutet sogar das Werk selbst eine Altlast: häufig verwendet Bosslet gebrauchte, ausrangierte Teile. Wie werden diese entsorgt, wenn ihnen nicht - wie hier ein zweites Leben als Kunstobjekt verliehen wird ? Das Gitter kann als ein Sieb verstanden werden, das die gröbsten Verunreinigungen fernhält. Der gefaltete Matratzenschoner könnte als eine Art porenfeiner Schutzfilter gelten. In der Mitte das Kissen, das zu platzen droht - dies entspräche dem aufgeblähten Bauch der noch nicht entsorgten Altlasten. Wenn all diese "Stricke reißen", dann werden die Altlasten zur akuten Gefahr.

Apparat I, 1988
Landesbibliothek- 2. OG
Im Unterschied zur Version , die sich nun in einem Nachbargebäude zur Landesbibliothek aufhält, wurden hier lediglich die beiden oben liegenden Schubladen mit ihren Kopfstücken einander zugewendet. Dadurch entsteht eine triangelartige Betonung der Form, die sich über dem roten, querliegenden Rechteck erhebt. Die Griffe wurden zu diesem Zweck einheitlich abmontiert, so daß an den Seiten des Gehäuses ihre Spuren und auch die der späteren Übermalung sichtbar werden. Einmal mehr ist dem Objekt deutlich dessen ursprünglicher Funktionscharakter genommen worden. Aber das Wort "Apparat" besagt ja, daß hier durchaus noch Funktionen getätigt werden. Einerseits "funktioniert" die neue Konstruktion und Statik des Objekts in technischem Sinn und andererseits präsentiert sich der Karteischrank mit völlig neuem "Inhalt" im Sinne von Bedeutung (welch' Wortspiel, denn sein eigentlicher Inhalt, die Karteikarten, wurden ihm ja entnommen - es fand also erst eine Entladung und dann eine andersartige Form der Aufladung statt).
Neben dem ganz allgemein angesprochenen Thema der Dateienverwaltung und -sicherung, der technologischen Weiterentwicklung per Computer, ergibt sich in dieser spezifischen Ausstellungs­situation noch ein besonderer Zusammenhang. Nicht nur, daß sich im Hintergrund des Werks Kabinen befinden, wo die Benutzer der Landesbibliothek wahlweise mechanische und elektro­nische Schreibmaschinen oder einen Computer gebrauchen können, sondern wo das Wort noch in einem anderen Zusammenhang verwendet wird, dem sogenannten . Dieser umfaßt sämtliche Literatur, die in der Bücherei verfügbar, das heißt, "zur Hand" sein soll. Auch dies ist eine Bezeichnung, die den definitorischen Ansprüchen, ein mechanisches, elektrisches oder optisches Gerät zu sein, im Grunde nicht genügt, aber dadurch sehr wohl die Komplexität, das Zusammengefügte und sich gegenseitig Ergänzende auszudrücken vermag. Ganz ähnlich, wie Bosslets auch.

Apparat II, 1988
Chemisches Untersuchungsamt- Erdgeschoß
Dem Karteischrank in wurde wie den Werkreihen , oder sämtliche Schubladen entzogen. Sie thronen jetzt in neuer Anordnung über seiner nach oben gedrehten Öffnung; der Schrank wurde mit dem Rücken auf den Boden gelegt. Durch ein kleines, in die Mitte zwischen je zwei Schubladen geschobenes Holzstück passen diese in ihrer Länge genau auf die ehemalige Gesamthöhe des nun liegenden Karteischranks. Das untere Schubladenpaar wurde mit seiner offenen Seite nach unten angebracht, so daß man glaubt, der Inhalt könnte ungeordnet dem Schrank in den Rachen gefallen sein. Das obere Paar zeigt allerdings mit seiner nach oben gerichteten Öffnung, daß die Karteikästen schon leer sind.Was mit diesen zumeist vertraulichen Informationen in der Zwischenzeit geschehen ist, darf der Phantasie des Betrachters anheimfallen. Dieser fragt sich auch, weshalb die Kästen überhaupt ausrangiert wurden und wieso sie, anstatt ihre vorgegebene Funktion zu erfüllen, nun ein künstlerisches Dasein fristen.Tun sie das wirklich ? Der Titel behauptet etwas anderes, nämlich daß es sich um einen handle. Unter einem Apparat wird in der Regel eine technische oder mechanische Konstruktion verstanden, die eine besondere Funktion erfüllt und zumeist mit Strom betrieben wird. Damit hätte der ehemalige Karteischrank als einfaches Büromöbelstück innerhalb seines Kunstlebens eine kompliziertere und höhere Stufe erreicht. Von einem Apparat erwartet man aber, daß er "funktioniert". Genau das ist der springende Punkt: Bosslet raubt den Gegenständen nicht einfach ihre ursprüngliche Funktionalität, sondern gibt ihnen im Kunstzusammenhang einen neuen Sinn und damit eine Funktion. Dieser ist sowohl inhaltlicher (Auseinandersetzung mit Datenschutz) als auch ästhetischer Art: Mondrians Bildkomposition und Farbgebung sind unverkennbar. Im Zusammenhang mit dem umgangssprachlichen Wortgebrauch läßt sich noch eine weitere Anspielung ausmachen: nicht selten werden Behörden auch als bezeichnet, was nicht sehr freundlich gemeint ist, sondern auf die unflexiblen Strukturen und stets gleichen Abläufe einer starren Ordnung Bezug nimmt. Vielleicht wäre es an solchen Stellen angebracht, so wie Bosslet den Apparat> aus- oder aufzuräumen und für eine neue, sinnvolle und harmonische Ordnung zu sorgen.

Bypass I, 1993
LVA - Treppenhaus zur Unterführung / nicht öffentlich zugänglich
Von einem schwarzen Gummischlauch mit zwei integrierten weißen Markierungsstreifen zweigt ein Verteilerkopf drei verschiedene Verbindungsschläuche ab: einen schwarzen mit Stahlspirale, der sich aufgrund seiner Überlänge mittig auswölbt, einen dicken schwarzen und stark gerillten Schlauch, der jeweils einen Druckluftballon zum Verteilerkopf hin besitzt sowie einen langen schwarzen Schlauch, der die Grundfläche der Arbeit wesentlich erweitert und fast die symmetrische Verdoppelung des Einzelschlauches mit den weißen Markierungen vollführt. Der Titel ist nicht, wie viele sicher vermuten, ein rein medizinischer Begriff, der eine Umleitung einer Blutbahn, besonders am Herzen meint. Er ist nämlich genauso ein technischer Begriff für die Umführung einer Strömung oder einer elektrischen Nebenleitung beispielsweise. In seinem technischen Verständnis steht er in direkterer Verbindung zu den meisten anderen Arbeiten Bosslets. Ein weiteres Indiz für diese Bedeutungsrichtung stellen die an den Verteilerstücken angebrachten Schmutzlappen dar, die auf ein tatsächliches Funktionieren und mögliches Austreten von Flüssigkeit anspielen. Sie sind bereits verschmutzt und wirken abgenutzt, so daß hier punktuell ein authentischer Arbeitscharakter erzielt wird, der aber durch das Konstruierte der Gesamt­komposition nicht weiter fortgeführt wird. Die Einziehung des schwarzen Schlauchstücks mit der Stahlspirale deutet allerdings auf die Form des Herzens hin, wie auch die Verteilerstücke selbst eine sehr anatomische, herzähnliche Form aufweisen. Offensichtlich wurde sicherheitshalber schon eine zweite Umführung gelegt, wenn man davon ausgeht, daß der mittlere der drei Verbindungswege den eigentlichen Kanal darstellt. Dieser ist bereits verstopft, wie die Druckluftballons andeuten, die im voll aufgeblasenen Zustand wie Pfropfen wirken und außerdem in ihrem realen Leben zur Abhilfe und Umleitung von Kanalrohr- und Wasserleitungsbrüchen oder -verstopfungen dienen. Es wurde also ein doppelter Sicherheitsstandard angelegt - möglicherweise aus der Notwendigkeit eines besonders hohen Unsicherheitsfaktors heraus. Interessanterweise hat der Künstler die beiden Verteilerstücke mit dem Kopf zum Boden hin gelegt, das heißt, die Rädchen zur Regulierung der Durchflußmenge wurden zu Füßchen umfunktioniert. Damit wird ein zeitlicher Aspekt angesprochen: die Möglichkeit zur Veränderung des Werks wird zugunsten eines dauerhaften Zustandes, dem Beharren auf dem Status quo, aufgegeben. Damit wird dieses zu einem Objekt der Anschauung, nicht des Handelns gemacht. befindet sich in dieser Ausstellung auf dem Kellerboden des Treppenhauses, das vom Erdgeschoß des Hauptbaues zu einer Unterführung leitet, durch die man den LVA-Gebäudeteil auf der anderen Straßenseite erreicht. Insofern stellt diese architektonische Situation auch eine Art "Herzstück" des Gebäudes dar, von dem sich die Wege verzweigen. Wenn hier starker Personenverkehr herrscht, könnte man diesen im vom Kunstwerk übertragenen Sinn als Strom oder Fluß wahrnehmen. Damit wäre eine recht harmonische Vorstellung vom organischen Zusammenarbeiten und Kooperieren der Mitarbeiter im Gebäude geschaffen, die aber durch eine Verstopfung, die den notwendig macht, als Problemzone thematisiert und dem entgegengehalten wird.

Bypass II,1993
LVA- Eingangshalle
Die zweite Version von gestaltet sich im Unterschied zur ersten, im selben Gebäude ausgestellten, nicht flächenbezogen und linear, sondern bäumt sich leicht in den Raum hinein. Es ist ein aktiver, dynamischer Eindruck, der durch den Einsatz von Buntfarbe, Gelb und Rot nämlich, bestärkt wird. Die Gesamtform des Werks weist nicht wie auf das exakte medizinische Aussehen, als vielmehr auf einen insgesamt sehr lebendigen und organischen Eindruck hin.
Ein dicker gelber Schlauch wölbt sich in die Höhe und windet sich am Boden über einen mit Stahlspirale umfaßten Schlauch. Die Hähne des Verteilerstücks sind aus rotem Plastik. So ist davon auszugehen, daß sie für ihre frühere Verwendung in einer Signalfarbe hergestellt wurden, um einen sicheren Umgang mit ihnen zu gewährleisten. Wie auch in der ersten -Version ist das sehr dicke Schlauchelement mit Druckluftballons zum Verteiler hin versperrt. Unter den roten Hähnen der beiden Verteilerstücke liegen Schmutzlappen, die wie in der ersten Version zum Auffangen von heraustropfenden Flüssigkeiten gedient haben können. Sie wurden im Werk integriert und verleihen diesem dadurch einen sehr intensiven Gebrauchscharakter, der auf ein mögliches Lecken oder Auslaufen des Objekts verweist. Andererseits fungieren sie als polsterartige Auflagen, die betonen, daß es sich um etwas Gefährdetes und Schützenswertes handelt und auch um das Festhalten des bestehenden Zustandes, bei dem keine Veränderungen mehr vorgenommen werden sollen. An dieser Stelle unterstreicht Bosslet erneut, daß er seinen Gebrauchsteilen nicht einfach ihre alte Funktion nimmt, sondern daß sie weiterhin funktionieren - in einer neuen technischen Konstruktion, aber auch im Kunstzusammenhang. Ihre neue Funktion ist, Bedeutung zu tragen, indem sie Prinzipien veranschaulichen, die auf viele Lebensbereiche übertragbar sind. Auffällig sind jedenfalls die besonders biomorphen Formen dieses Werks, die den ansonsten so konstruktiven Skulpturen mit ihren geometrischen Strukturen gegenüberstehen. In dieser organischen Form wird mittels der technischen Konstruktion eine Brücke zum Leben geschlagen, die Bosslet hintergründig sowieso immer anstrebt, hier in Titel und Erscheinungsform besonders hervorgehoben. Vielleicht handelt es sich um eine bildliche Metapher, die die Alternativen des menschlichen Lebens- und Entscheidungsweges verbildlicht. So, wie es früher mit anderen, damals angemessenen Mitteln von Malern dargestellt worden ist: eine Person am Rande einer Weggabelung, zum Beispiel 1890 bei van Gogh in oder bei Kandinsky in von 1902.

Einleiten I, 1993
Rathaus - Treppenhaus zum neuen Sitzungssaal
ist eine der selteneren Druckluftarbeiten Eberhard Bosslets, ihre Druckluft ist nämlich nicht mehr an Pressluftflaschen und Verbindungsschläuche gebunden. Ein automatisches Ventil schließt sich beim Abnehmen der Schläuche. Damit fällt auch ästhetisch ein neuer Eindruck ins Gewicht: Das, was ansonsten als Hauptkomplex von den Nebenkomplexen isoliert angesprochen werden mußte, ist nun hinfällig. An diesem Werk ist alles Hauptsache. Dennoch untergliedert sich das geschlossene Ganze in mehrere, genauer drei bzw. fünf Abschnitte. In zwei Röhren, einen Verbindungsschlauch mit Aluminiumarmaturen und - dazwischengeschaltet - mit Druckluft gefüllte Gummibälle, die als Dichtkissen fungieren. Der Verbindungsschlauch ist singulär, alle anderen Teile sind zweifach vorhanden. In der Realität werden solche Gummiballons zum Abdichten, und in Verbindung mit dem Schlauch zum Um- und Weiterleiten in Rohrleitungssystemen benötigt. Besonderen Einsatz finden sie im Falle eines Rohrbruchs: dann werden solche Bälle in der Gegenfließrichtung in das Rohr bis hinter die Bruch stellen den intakten Abschnitt eingeführt und dort vollständig mit Druckluft aufgepumpt, so daß das Wasser entweder abgedichtet oder kontrolliert über die Schläuche in ein Ersatzrohr wie die hier gezeigten eingeleitet werden kann. Wie bei den Hebekissen handelt es sich bei diesen Dichtkissen um Geräte, die bei Unfällen als Hilfsmittel eingesetzt werden. Ihr Bedeutungsumfeld siedelt sich also in diesem positiven, Leben rettenden und Katastrophen verhindernden Bereich an. Dies ist die "gute" Seite des Werks, jedoch bleibt ein kritischer Wink nicht aus. Mit dem Titel verbinden wir nämlich auch ganz konkreten Mißbrauch: das Einleiten von Gefahrenstoffen, giftigen Substanzen und verseuchten Abwässern in unsere Flüsse und unser Trinkwasser. Die chemische Industrie hat durch solche Katastrophenunfälle vor einigen Jahren ihre Warner und Skeptiker nurmehr bestätigt; an mehreren Fischsterben hintereinander wurde das Ausmaß drastisch ersichtlich. Im weitesten Sinn denkt man an all die anderen Umweltsünden, an die großen Tankerunglücke und verheerenden Ölpesten, aber auch an die geringeren, dafür beharrlicheren Verschmutzungen, von denen man nicht in der Zeitung liest und die nie ans Tageslicht der Öffentlichkeit gelangen. Betrachten wir uns ganz genau. Was hier geschieht, ist in der Praxis eher unüblich: jedes der Rohre ist zum anderen hin verschließ- und gleichzeitig öffenbar. Eine Flüssigkeit kann theoretisch in beide Richtungen fließen, von wo nach wo ist also nicht zu unterscheiden. Keines der Rohre ist als kaputt zu bezeichnen. Beide können aufeinander "Einfluß" nehmen. In jedem Fall würden sie die durch das Eisengußrohr empfangene Flüssigkeit wieder in die Richtung zurückleiten, wo diese herkam und das ist das Unübliche. Der Gedanke, es könne sich um giftige Substanzen handeln, löst keinen rettendes, sondern ein vielmehr ängstigendes Gefühl im Betrachter aus. Der ironische Spruch der Umweltschützer "Kein Atommüll auf den Mars, denn Mars bringt verbrauchte Energie sofort zurück", kommt einem in den Sinn. Vielleicht gar nicht so abwegig ist die Idee mit dem Weltraum, denn etwas Raketenartiges haftet diesem Werk wirklich an. Im Rahmen dieser Ausstellung wirkt es allerdings mehr wie ein Gefährt, das durch die Hofeinfahrt hereingekommen und nun in der gefliesten Schräge der Einfahrt abgestellt worden ist. Mit bringt Eberhard Bosslet einmal mehr die Schizophrenie der guten Erfindungen auf den Punkt: ob zum Beispiel die Erfindung der Atombombe eine Glücksstunde für die Wissenschaft, nicht aber für die Menschheit war und ob Genmanipulation etwas Heilsames oder eine radikale Gefährdung allen Lebens sein wird. Die Zweigesichtigkeit und Unlösbarkeit der Objekte Bosslets ist jedenfalls das Spannungsfeld, aus dem sie ihre Attraktivität beziehen.


Friedland I, 1990
Rathaushof - Glasbau zwischen Altem Stadtsaal und Ratssitzungssaal
Geht man auf den Glasbau im Innenhof des Ratshauses mit seiner strengen Symmetrie und postmodernen Leichtigkeit zu, wird einem, ob reich, ob arm, ein Teppich ausgebreitet. In ist von beiden Seiten mit Hebekissen eine Teppichrolle in der Mitte eingeklemmt worden. Ihren Widerstand erhalten die Kissen durch eine äußere Umspannung mit stapelbaren Metallpaletten, deren Eckausleger durch vier Ketten parallel miteinander verbunden wurden, so daß die Paletten sich leicht vom Boden abheben. Zur Drucküberleitung dienen als Vermittlerstücke wie stets die Rundfelgen und dadurch ergibt sich ein gewisser Rhythmus an Formwiederholungen: außen herum ein rechteckiger Quader, dessen Kanten durch die Stahlketten angeben werden und im Innern eine Abfolge von zylindrischen Formen, wobei das Druckluftkissen eine alle Formen miteinander verbindende Schlüsselstellung einnimmt. Auf quadratischem Grundriß wurde es durch Aufpumpen bäuchlings gerundet, so daß sich die Quadratkanten konkav eingezogen haben. Die Rundung des Kissens wird durch die Felgen auf der einen Seite teilweise geschluckt und auf der anderen Seite der Felge zur Fläche übergeleitet. ist eine der wenigen Druckluftarbeiten des Künstlers, bei der Hauptkomplex und Druckzuleitungen als Nebenkomplexe des Werkes unmittelbar miteinander verbunden wurden. Das Ende der Teppichrolle kommt zungenartig aus dem Hauptteil hervor, schlüpft unter der Absperrung durch und trägt die Druckluftteile auf sich. Dadurch entsteht eine in etwa quadratische Fläche, auf der mit plastischen Mitteln geradezu zweidimensional gearbeitet werden kann. Dazu ist lediglich eine geringe Abstraktionsleistung des Betrachters erforderlich, der sich die Schläuche als Liniengebilde auf einer ebenen Fläche vorstellen kann. So springt besonders ins Auge, daß der starken Symmetrie des Hauptkomplexes eine konträre Gliederung im Vordergrund entgegengehalten wird.
Das inhaltlich in vorgeführte Prinzip bringt in Anlehnung an die Besonderheit der Form eine weitere Eigenart mit sich. Bislang wurde dem Betrachter ermöglicht, sich die Weiterentwicklung der Kräfteverhältnisse eines Objektes zur Implosion oder Explosion und deren Folgen selbst auszumalen. In diesem Werk ist vom Künstler eine weitere Lösungsmöglichkeit ausgeführt worden. Dem sich gegenseitig stabilisierenden Druck-Zug-Verhältnis des Hauptkom­plexes entweicht in einer um neunzig Grad gedrehten Bewegungsrichtung die in der Mitte aufgerollte Teppichbahn und befreit sich somit teilweise aus der "bedrückenden" Situation. An der Wortwahl wird bereits deutlich, wie leicht sich das Geschehen auf soziale Phänomene übertragen läßt. Der Betrachter kann sich unmittelbar mit der Situation der Teppichrolle identifizieren: eingekeilt, von zwei Seiten unter Druck gesetzt, nutzt er seine einzige Chance zu entkommen: den Seitenausgang. An den bestehenden Druckverhältnissen kann er damit zwar nichts ändern, aber er hat sich seitlich aus den Fesseln (den Ketten) befreit und für sich einen Freiraum erobert, wo er nicht nur losgelöst ist, sondern auch noch sprichwörtlich "am Drücker" sitzt: er hat Zugang zu den bestehenden Druckverhältnissen. Dies ist eine im Objekt anschaulich
gemachte Aussage des Künstlers, die ein demokratisches Prinzip bildhaft darstellt. Daß mit diesem aber etwas nicht in Ordnung ist, zeigt die Umkehrung des Teppichbodens: die rutschfeste Unterseite liegt obenauf. Offensichtlich kann so kein Halt gefunden werden und die Rotationsbewegung der Achsen, durch die Felgen zusätzlich sinnfällig gemacht, könnte genauso die umgekehrte Richtung einschlagen und den Teppich wie der einziehen. Hier ist eine Brücke zu schlagen zu einer historisch gewordenen Bedeutung des Begriffs: von 1945-64 sind 2,2 Millionen Kriegsgefangene, Ostvertriebene und Aussiedler durch das Auffanglager in die Bundesrepublik zurückgekehrt. Diese Rückkehr ist im Bild der sich einziehenden Teppichrolle dargestellt, die nach unten hin keinen Halt findet, im übertragenen Sinn: keine Verwurzelung. Gleich, wie man die Bewegungsrichtung der Rolle interpretiert, sicherlich gelangt man dabei zu mehreren Interpretationsmöglichkeiten. Das Kunstwerk ist dabei stets das Einzelne und zugleich das Vollständige: die in ihm sichtbar gewordene Idee kann nur auf anschaulicher, niemals restlos auf sprachlicher Ebene verstanden werden. Und das bedeutet so viel wie: so und nicht anders sieht eben aus.

Grundlagen I, 1991
Universal II / A, 1991
Kfz - Zulassungsstelle - Warteraum / Erdgeschoß
und wurden in der Konzeption dieser Ausstellung aufgrund ihrer formalen Nähe zueinander sowie aufgrund ihrer inhaltlichen Bezugnahme zur Tätigkeit dieser Behörde wie ein aus zwei Teilen bestehendes Werk zusammengenommen. Tatsächlich handelt es sich aber um zwei eigenständige Arbeiten. Die Skulpturen nehmen Bezug zur bereits im Raum vorhandenen Kunstausstattung, einem Spitzer-Gemälde, das sich nun in der Flucht der beiden Achsen befindet. besteht aus zwei Gummireifen, die durch ein Druckluftkissen in der Mitte über zwei Dreibein-Hocker in die außen umfassenden Fördergurte gedrückt werden. Das Luftkissen ist mittels einem Schlauch, der ein Druckmeßgerät trägt, an die Druckluftflasche angeschlossen. Die Farbigkeit von "Grundlagen 1" ist wie stets in Bosslets Werken sehr einfach; hier wurden Schwarz, Gelb, Kornblau, Grasgrün und helles Rot verwendet. Eine Art zweiter Achse, um die man sich ein gebogenes, ein zerbrochenes oder ein zweites Auto in Folge des ersten denken könnte, bildet die Arbeit . Ein Druckluftkissen im Zentrum wird seitlich von außen nach innen durch doppelte rote Stahlseilschleifen, Autoreifen, Atelierhocker und Felgen in die Zange genommen und drückt gleichzeitig gegen diese an. Auch hier sind wieder klare Primärfarben anzutreffen, die in der Kunstgeschichte durch die konkrete oder konstruktivistische Malerei zum Beispiel Piet Mondrians sehr einprägsamen Zugang in die Kunst gefunden haben. Auch die einfachen, geometrischen Formen der Werke lassen diesen Hinweis deutlicher erscheinen. Die Farbe wird dem Künstler durch die Industrieware vorgegeben, könnte der Einwand lauten. Dennoch erscheint sie deutlich als Arrangement: Der klaren formalen Gliederung
entspricht eine einfache farbige Rhythmik des Werkes. Die Konzentration auf wenige Farben und Bauteile führt eine strenge und wohlüberlegte Auswahl vor. Schließlich stellt die Industrie viele Produkte in mehreren Farbvarianten her, so daß innerhalb dieses begrenzten Spektrums verschiedene Möglichkeiten kombinierbar sind. Der Künstler hat eine der vielen denkbaren Möglichkeiten herausgegriffen und sich für diese und keine andere entschieden. So ist die Farbzusammenstellung nicht zufällig, sondern absichtlich und damit bedeutsam. Andererseits hat Eberhard Bosslet die Möglichkeit zur Bemalung und damit Umfärbung der verwendeten Einzelteile bewußt nicht genutzt. Auch dieser Entscheidung liegt ein Programm zugrunde. Den Fertigteilen bleibt ihre Authentizität erhalten, die ihre Natur als Industriegut nicht verschleiert, sondern im Gegenteil offenbart. Dem Werk haftet so eine gewisse "Ehrlichkeit" an: die Einzelteile sollen nicht als mehr oder anders erscheinen, als das, was sie sind und woher sie stammen. Ihr inhaltlicher Gebrauchskontext geht in den durch den Künstler hergestellten Kunstkontext mit über. Jedes der beiden Werke ist in drei Teile gegliedert: Druckluftflasche, Schläuche und schließlich der Teil, der als der "eigentliche" angesprochen werden darf. Dieser zusammenmontierte Teil ist der komplexeste, obgleich in seiner Struktur klarer und einfacher als der Abschnitt mit den Schläuchen. Dagegen bildet die Druckluftflasche den Teil, wo das Werk mit sich selbst, also mit dem vorgefundenen Ding am identischsten ist: hier hat im Sinne des Ready-made kein Eingriff des Künstlers stattgefunden, der die äußere Erscheinungsform betrifft. Das Objekt "Druckluftflasche" steht somit für sich selbst. In Anlehnung an die Vorstellung einer Autoachse befinden sich die Druckluftkissen an der Stelle des Differentials. In doppeltem Sinne geht es um Ausgleich: einmal der Druckverhältnisse, ein andermal der Drehgeschwindigkeit rechts und links der Achsenmitte. Vergegenwärtigen wir uns, daß durch die Druckluft der Druck von innen zu den beiden Außenseiten des Hauptkomplexes, den Reifen, weitergeleitet, in den beiden umrahmenden Gummibändern gespannt wird und dort sozusagen zirkuliert, dann haben wir es mit einer gar nicht mehr so statischen als vielmehr äußerst dynamischen Konstruktion zu tun. Die Vorstellung, die Außenbänder könnten dem Druck einmal nicht mehr standhalten, flößt genauso Angst ein, wie diejenige, die dem Autofahrer bestens vertraut ist, nämlich daß Reifen bei Überbeanspruchung und nicht sachgemäßem Gebrauch platzen können. Andersherum würde das Nachlassen des Innendrucks zu einem Zusammensturz der Arbeit führen, den wir sicherlich als Enttäuschung empfänden. Bosslet stellt hier, wie in vielen anderen Skulpturen, ein geschlossenes System des labil-stabilen Gleichgewichtes vor. Nur wenige Veränderungen im Drucksystem schon können das Ende dieser scheinbaren Harmonie bedeuten. Das Werk steht somit modellhaft für alle Situationen, die dieselbe Konstellation wie hier aufweisen.

Grundlagen IV, 1991
Stadtwerke- Eingang Industriestraße
Diese Skulptur basiert auf dem Prinzip der Grundlagen-Serie und führt formal wie inhaltlich eine weitere Modellvariante vor. Statt einem Hauptkomplex, der an die Druckluftbereiche ange­schlossen ist, teilt sich die eigentliche Arbeit in zwei gleichberechtigte, aber nicht unbedingt identische Blöcke. Ein Hauptkomplex besteht aus jeweils zwei Heizungskörpern, einer am Boden liegend und einer als obere Abdeckung, die durch ein Druckluftkissen über zwei Auflagen in die Stahlseile gedrückt werden. Insgesamt entsteht ein Würfel, der durch die imaginären Linien der dicken Stahlseile an vier Kanten begrenzt und im Innern durch ein sich verjüngendes und wieder anschwellendes Profil, einem Säulenfuß vergleichbar, gefüllt wird. Die Füllung ist jedoch nur eine vermeintliche, bedenkt man, daß das Kissen, die Felgen als auch die Heizungskörper hohl sind. Man stellt fest, daß selbst die Hohlheit eines Körpers von ganz unterschiedlicher Qualität sein kann: eine, die denselben Druck innen wie außerhalb des Körpers und dadurch eine gleichmäßige Spannung an diesen anlegt, und andererseits eine Hohlheit, deren Körperinnendruck vom Außendruck verschieden ist. Überall da, wo Luftdruck herrscht, besteht ein höherer Innendruck, dessen Stärke wir anhand der Meßgeräte, die an die Schläuche angeschlossen sind, ablesen können. Der Künstler legt damit offen, was wir Betrachter nicht sehen, aber so wenigstens wissen können. Nur dadurch können wir auch erfahren, unter welcher Spannung sich die äußeren Stahlseile befinden und welchem Druck sie standhalten müssen. Im Zwillingscharakter des Werkes kann neben dem direkteren Hinweis durch die verwendeten Heizungskörper ein weiterer Bezug zur ausstellenden Behörde erkannt werden: die Speyerer Stadtwerke sind heute auf zwei Gebäude verteilt, eines im Industriegebiet und eines in der Innenstadt, die unmittelbar miteinander zusammenhängen und die für dieselben Aufgabenfelder zuständig sind. Die Bemalung der Heizkörper mit schwarzer Farbe stammt nicht vom Künstler. Bosslet bleibt seiner prinzipiellen Vorgehensweise treu, die Dinge, ob neu oder gebraucht, in ihrem vorgefundenen Charakter zu belassen und sie durch gezielte Auswahl derart in ein Werk zu integrieren, daß der Eindruck der totalen Konstruktion und durchgehenden Gestaltung entsteht, obwohl dies tatsächlich gar nicht der Fall ist. Die Erfahrung, daß Bemalung Alltagsdinge ihrem Normwert enthebt und sie besondert, beweist Bosslet in der echten Bemalung von Häusern und Objekten auf den Kanaren und der Iberischen Halbinsel, die er als versteht und im Foto als letztem Zustand dokumentiert. Bei dieser Bemalung steht allerdings ebenso das vorgefundene Objekt im Mittelpunkt der Gestaltung; es werden dessen Charakteristika durch die Farbgestaltung herausgearbeitet und damit keineswegs "übermalt". Joseph Beuys war es, der uns gelehrt hat, Dinge nach ihren Wärme- oder Kältequalitäten hin abzufragen und Veränderungen eines Werkes im Geiste durchzuspielen, wenn ihr Aggregatzustand wechselt, zum Beispiel indem Metall sich auflädt und Wärme weiterleitet und indem Fett erkaltet, gerinnt oder schmilzt. Dazu ist nicht allein Phantasie, sondern vor allem auch Wissen um die physikalischen Eigenschaften vonnöten. Was passiert denn, wenn die Heizungen in mit Wasser gefüllt und dieses erhitzt würde ? Warme Luft würde aufsteigen. Die Vorstellung, daß dies geschieht, löst für den Inhalt des Kunstwerks Enormes aus. Der gesamte Komplex steht scheinbar derart unter Druck und Anspannung, daß man hofft, daß er nicht zerbersten wird. Die Vorstellung aber, daß diesem Kraftpaket warme Luft entweichen könnte, beruhigt ungemein; es ist, wie wenn dem Objekt, das durch seine Verdoppelung sogar noch eine Potenzierung des Risikos erfährt, seine Bedrohlichkeit genommen würde. Obgleich rein technisch sich nichts verändert, ergibt sich die Vorstellung einer Entschärfung der Gefahr. Und dies allein über das künstlerisch Vermittelte des Werkes. Deshalb handelt es sich auch nicht einfach um eine technische Konstruktion, um ein vorgefertigtes Ensemble, sondern um einen wohlüberlegten künstlerischen Zugriff, der insgesamt dazu angetan ist, ein Zeichen der Gefährdung und Rettung zugleich zu veranschaulichen. Das Ganze erinnert schon sehr an unsere Einstellung zur Umwelt, die von Katastrophen und langsamem Zerfall heimgesucht, dennoch stets von unserer Hoffnung und dem Glauben an ihr Überleben getragen wird. Vielleicht ist das eine unserer "Grundlagen" des Lebens und Überlebens: das Prinzip Hoffnung auch im scheinbar ausweglosen Zustand noch zu verspüren und nicht in Panik zu geraten - aber auch nicht in Tatenlosigkeit. Das Betrachten von Bosslets jedenfalls übt im sicheren Umgang mit der Gefahr.

Mutual I, 1993
Straßenbauamt- Erdgeschoß
Die starke Verwandtschaft zwischen und , das sich zur Ausstellung im Ordnungsamt befindet, ist nicht von der Hand zu weisen. Erneut werden die bestimmenden Prinzipien der Serie deutlich: beide werden in der Mitte durch ein Druckluftkissen auseinandergedrückt, das den Druck nach oben und unten über zwei Felgen und zwei Gummireifen an die äußeren Kanalabdeckungen weitergibt. Eine Abweichung besteht in der Art, wie die Teile zusammengehalten werden: in sind es Stahlseile und in dieser Version sind es Stahlrohre mit entsprechenden Schraubköpfen. Dadurch entsteht eine unterschiedliche Erscheinungsweise, die die zweite Ausführung etwas feiner und die erste massiver wirken läßt. Ausgeglichen wird dieser Eindruck in den verschiedenen Schlauchzuleitungen, die nicht nur unterschiedliche Farben, sondern auch andere Formationen bilden. Ansonsten gilt für den Inhalt beider Werke Ähnliches, da die Bedeutungsfelder sich aus den ursprünglichen Bedeutungszusammenhängen der einzelnen verwendeten Teile generieren - und hier gelangten eben näherungsweise dieselben Materialien wie in zum Einsatz. Was allerdings an dieser Stelle eine Besonderheit darstellt, ist der Bedeutungszusammenhang, der sich durch den Standort ergibt. Zunächst einmal ist die Inneneinrichtung dieser Behörde viel persönlicher als die anderen Orte dieser Ausstellung. Man könnte sagen, es handle sich um einen mit kleinen Dingen zwar einfach, aber liebevoll gestalteten Raum. Die technischen Konstruktionen Bosslets stehen dazu in einem direkten Gegensatz. Möglicherweise hat sich der Künstler in diesem Fall auch entschieden, sein Werk hier nicht vereinzelt zu präsentieren, sondern es möglichst in das bestehende Ambiente zu integrieren, so daß seine Arbeit neben der Holzbank wie ein Möbelstück oder Tisch wirkt. Die allzu profane Nutzung des Objekts als Ablagefläche unterbindet er geschickt, indem er die Druckluftflasche quer vor die Bank legt: Platznehmen ausgeschlossen. Nun ist das Straßenbauamt ganz besonders mit dem Ausbau und der Pflege der Straßen beschäftigt, bei denen natürlich auch die Kanalabdeckungen eine wesentliche Rolle spielen. Da durch die Kanalrohre Abwasser fließt und beide Kanaldeckel eine Fließrichtung ins Innere der Skulptur aufweisen, wird das aufgeblähte Kissen in der Mitte zum Symbol für die Problematik, die sich dahinter verbirgt und sich meist unseren Augen verschließt. Sie wird speziell an diesem Ort zu einer künstlerischen Mahnung an die Hüter dieser Sache. In erweitertem Sinn gibt das Werk aber auch den Hinweis auf das Kanalsystem einer Stadt, das sozusagen die unterirdische und unsichtbare Verbindung aller hier Lebenden darstellt - also ein soziales und sanitäres Phänomen, das den Bezug zu dem die Ausstellung begleitenden, übergeordneten Titel herzustellen vermag: das Kanalsystem als eine Form der "Öffentlichen Ordnung".

Mutual II, 1993
Ordnungsamt- Erdgeschoß
In begegnen wir im Unterschied zur horizontalen Ausdehnung zum Beispiel von der häufigeren, vertikalen Entwicklungsrichtung des Werkes. Erneut ist das Objekt streng symmetrisch aufgebaut und spiegelt sich in Höhe der Gummikante seines Hebekissens, das sich im Zentrum der Konstruktion befindet. Nach oben und unten folgen jeweils eine PKW-Felge, ein Gummireifen und ein Kanaldeckel. Der Widerstand zum Hebekissen wird durch acht Stahlseile hergestellt, die eine paarweise Anordnung von vertikalen Linien bilden. Über dem oberen Kanaldeckel schauen jeweils die mit Schrauben versehenen beiden Enden heraus. In der Mitte des Werkkomplexes ragen die vier zipfelartigen Spitzen des Druckluftkissens im Abstand zwischen zwei Stahlseilen hervor. Die wie immer gelbe Pressluftflasche wurde durch ein grünes Vermittlerstück bis zum Meßgerät und von da mit einem blauen Schlauch weiterverbunden. Der blaue Schlauch wurde in drei Ringen zusammengelegt und mit gelben Klettverschluß-Bändern in dieser Position gehalten. Die am Boden liegenden Teile stellen einen Ausgleich der Bewegungsdynamik dar, die als Druck-Zug-Richtung im Hauptteil vertikal und bei den Bodenteilen horizontal verläuft. Dennoch wird rein optisch durch das Aufeinanderlegen der Schläuche im Kreis das Übereinandergetürmte des Hauptwerkes in flächiger Verkleinerung wiederholt. Der Eindruck eines Turmes ist durch die Proportionen übrigens gar nicht abwegig: die Spitzen der Stahlseile wären nun mit den Zinnen vergleichbar und die Stahlseilspannungen erinnerten an Gitterstäbe. Diese fast romantische Assoziation wird seltsamerweise durch eine Skulptur ausgelöst, die sämtlich aus technisch-funktionalen Details besteht. Ihr Titel weckt Erinnerungen an Mutation oder Mutante, ist aber tatsächlich ein Eigenschaftswort, das einfach nur "gegenseitig" oder "wechselseitig" bedeutet. In der Biologie spricht man von Mutualismus dann, wenn eine Form der Lebensgemeinschaft zwischen Pflanzen oder Tieren mit gegenseitigem Nutzen gefunden wurde, zum Beispiel eine Symbiose. Übertragen auf die Skulptur bedeutet dies, daß ein gegenseitiger Nutzen der beiden komplementären Kräfte Druck und Zug vom Künstler konstatiert wird. Er bannt dadurch das Gefahrenelement, das vom Objekt ausgehen kann und wertet es in sein Gegenteil um. So unterstreicht Bosslet den bestehenden Status quo im Werk, der nicht auf Veränderung (wie Mutant assoziiert hätte), sondern auf Beibehaltung dieser für beide beteiligten Seiten vorteilhaften Verbindung drängt. Auch der Betrachter kann mit der Anschauung dieses Status quo am besten leben: würden ihm Kanaldeckel um die Ohren fliegen, fände er das genauso wenig lustig, wie wenn dem Ganzen die Luft ausginge. Letzteres ist für ihn zwar körperlich gesehen weniger gefährlich, würde aber ein deutliches Symbol des Verfalls und des Todes setzen. Solange der Ofen noch kocht, scheint die Welt am ehesten in Ordnung zu sein. Das genau ist die Erfahrung, die wir als Betrachter in die Anschauung des Werks mit hineinnehmen und anschließend als Botschaft wieder herausziehen für Eberhard Bosslet ist dies sicher nicht anders. Wichtig daran ist, daß wir uns der Tatsachen unseres eigenen Empfindens durch das Einfühlen in das Objekt bewußt werden. Wenn wir verstehen, daß durch das Anschauen des Objekts erst deutlich geworden ist, daß eine Welt ohne Spannung und von irgendeiner Quelle gespeistem Druck das Ende bedeuten, genauso wie zuviel Druck sie vernichten würde, so ist schon viel getan. Wenn wir dann noch den Schritt wagen, das Ganze auf unsere sozialen Verhältnisse und Strukturen zu übertragen und dieses Prinzip des sich gegenseitig stabilisierenden Drucks anzuwenden, sind wir vielleicht besser in der Lage, mit solchen oft belastenden und uns überfordernden Verhältnissen umzugehen. Das ist zwar nur Theorie, aber Kunst kann immer nur Theorie, Idee und Geist sein. Für ihre Umsetzung sind wir selbst verantwortlich.

Nixdorf II, 1989
Landesbibliothek- 1. OG
In Anlehnung an die zahlreichen Karteikasten, die in der Landesbibliothek auf jeder Etage zu finden sind, haben zwei Arbeiten Bosslets ihren beziehungsreichen Aufstellungsort erhalten. geht für den die Treppe hinaufgekommenen und nach links in den Raum schauenden Besucher eine Verbindung mit dem sogenannten "Systematischen Katalog", mehreren Reihen von Karteikästen ein. Der blaßgrüne Karteischrank ist leer und seine Schubladen wurden ihm in den Rücken gebunden, so daß er durch das Übergewicht auf das Schubladenpaket nach hinten gekippt ist. Jetzt ragt seine Vorderkante im rechten Winkel in die Höhe und gestützt wird er nurmehr durch seine untere Hinterkante, ausbalanciert mit Hilfe der Schubladenkante des an ihn mit Packbändern geschnürten Quaders. In diesem vom Künstler arrangierten Komplex drücken und stützen sich die Schubladen mit ihren überstehenden Vorderblättern gegenseitig, so daß eine bemerkenswerte Konstruktion entsteht. Alle vier hängen miteinander zusammen, werden gehalten und halten die anderen. Sie ergänzen sich wechselseitig und so führt Bosslet erneut das Prinzip der Komplementarität vor, so wie in den Druckluftarbeiten das Luftkissen andere Teile auseinander­drückt, selbst aber genauso von diesen gedrückt wird. Das Komplementäre kann schon im Groben erkannt werden: beide aneinandergebundene Komplexe von stabilisieren sich gegen­seitig und haben schließlich aus der Labilität des Kippens einen stabilen Zustand erlangt. Vom labil-stabilen Gleichgewicht war auch bei den Druckluftarbeiten die Rede. Es scheint auf der Hand zu liegen, daß gleich, welche Materialien Bosslet auch einsetzt, er sie denselben Zielen zuzuführen vermag. Mit dem Motiv des Gekippten verbinden wir im Zusammenhang mit dem Titel den gestürzten und von Siemens einverleibten Computerriesen gleichen Namens. Ganz nach Schema ließen sich nun die beiden Komplexe zuordnen, wäre, ja wäre da nicht die Tatsache, daß zum Entstehungszeitpunkt dieser Arbeit das Unternehmen noch gar nicht zusammengebrochen war. Es scheint unglaublich, daß eine andere Serie aus dieser Zeit den Namen trägt. Ohne von hellseherischen Fähigkeiten sprechen zu wollen, scheint hier einmal mehr das seismografische Gespür des wachen Künstlers zum Vorschein gekommen zu sein, von dem so häufig die Rede ist. Was jedenfalls von seinen verwandten Konstruktionen im Oevre Eberhard Bosslets wie , und anderen unterscheidet, ist das Neue des Schranks, während die anderen deutliche Spuren ihrer früheren Benutzung tragen. Vielleicht wurde ihm darum ein Name gegeben, der mit dem vorinformatischen Zeitalter der Karteischränke ein Ende setzt und der sowohl assoziiert, es könne sich um ein Modell für einen Computer wie für ein ganzes Unternehmen handeln. Mit den Computern hat jedenfalls in der Datenerfassung ein neues Denken begonnen. Eine enorme Entwicklung hat stattgefunden, die die Karteischränke, die hier allenthalben weilen, eines Tages genauso leeren wird, wie der Künstler es mit seinen Karteikastenskulpturen getan hat. Mit dem Unterschied, daß diese hier wahrscheinlich kein "neues" Leben erhalten, sondern auf dem Müll landen werden. Bestenfalls werden sie recyclelt.

Offen II, 1993
Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft- Eingang
Wo sich sonst zwei Agaven im Windfang tummeln, hat nun eine der Arbeiten Bosslets ihren Platz gefunden. Aufgeblasene Druckluftballons sitzen an den Öffnungen eines mit Schlitzen versehenen Kunststoffrohres, das in der Realität zum Drainagieren des Bodens dient. Der unmittelbare Bezug zum Tätigkeitsfeld der die Skulptur ausstellenden Behörde ist eindeutig. Das Rohr wurde etwa zur Hälfte mit einem dicken Schlauch eng umwickelt, dessen beide Enden zu je einem der Druckluftkissen führt. Die Schleifen, die dadurch entstehen, bewirken eine Diagonalsymmetrie des Werks. An den Anschlüssen der Kissen hängen an kleinen Rückhaltekettchen die Verschlußdeckel zum Boden, so als ob sie der Künstler, der dadurch zum Monteur oder Konstrukteur wird, gerade hingelegt hätte. Der Titel bezieht sich einerseits auf die schlitzartigen Öffnungen des Rohres, das eben nicht geschlossen ist und damit die präzise Dichtkraft der Pressluftballons karikiert, und andererseits auf die nur teilweise Ummantelung mit dem dicken Schlauch, die den Blick auf eine Hälfte des Rohres freigibt. Der Titel evoziert aber auch sein Gegenteil, da der Betrachter zunächst annimmt, daß es sich hier um einen geschlossenen Kreislauf handle. Durch das im Ballonkern befindliche Durchflußrohr kann die im mittleren, dicken Rohr aufgefangene (drainagierte) Flüssigkeit in den Schlauch abgeführt werden. Es gibt zwar tatsächlich keine flüssigen Füllungen in Bosslets Werken, dennoch muß man sich diese hinzudenken, da die verwendeten Materialien ihren zweckmäßigen Gebrauch inhaltlich in die Konstruktion des Kunstwerks hinübernehmen. Schließlich besitzen die Skulpturen auch in technischem Sinn eine Funktionalität, die natürlich nicht mehr ihre ursprüngliche ist, die sich aber nur über assoziatives Vorgehen ermitteln läßt. Spielt man in der Vorstellung ein kontinuierliches Auffangen und Ableiten von Flüssigkeit in den Schlauch durch, kommt man zu folgen dem Resultat. Nach einiger Zeit wäre der Schlauch gefüllt, denn er ist "endlich". Seine beiden Enden führen zum Drainagerohr und das bedeutet, daß er in sich "geschlossen" ist. Das, was dem Boden durch das Drainagerohr entfiltert und auf einer Seite abgeführt würde, müßte irgendwann auf der anderen Seite wieder in dieses hineingeleitet werden, um die Funktion der Drainage aufrecht zu erhalten, will heißen, sie nicht zu verstopfen. Wie also funktioniert dann ? Ganz einfach: exakt wie ein geschlossener Kreislauf. Aus dieser Diskrepanz - dem Geschlossenen und dem Offenen - erwächst die inhaltliche Sprengkraft des Werkes. Das Nachdenken über den Wasserhaushalt nicht nur der Städte und Gemeinden, sondern in der ganzen Welt, ist zu einem Tagesordnungspunkt aller Verantwortlichen und Verbraucher geworden. Aber bezieht sich vom Prinzip her auf alle Arten von Kreislaufsystemen, denen einseitig etwas entnommen wird, das dadurch noch nicht aus der Welt ist. Das, was der Kurzsichtige für "offen" und damit funktionstauglich hält, kann bald schon verstopft und unbrauchbar sein. Hier ist Weitblick für die großen Zusammenhänge gefragt, um Strategien zu entwickeln, die auch in ferner Zukunft das heute Getane nicht wie einen Boomerang zurückschnellen lassen und uns morgen vor Probleme stellen, die wir zu leichtfertig, weil kurzfristig, für gelöst angesehen haben.

Supremat I, 1989
Rechnungshof - Windfang
ist ein Werk, das mit der Reihe sehr verwandt ist. Im Grunde weist es dieselben spezifischen Merkmale wie diese auf: einem Karteikasten wurden seine Schubladen entnommen und in neuer, konstruktiver Anordnung auf ihn gepackt. Die Vorderseiten der Schubladen sind allerdings diesmal nicht überstehend, so daß das gebildete Quadrat keine hervorstehenden Kanten besitzt. Auch ist hier das gesamte Mobiliar in dunkelgrünem Design, was in Kombination mit den hellen Holzunterlagen einen interessanten Hell-Dunkel-Kontrast ergibt. Außerdem ist die Verschnürung etwas aufwendiger als in der Serie . Möglicherweise war besonders der starke Helligkeitskontrast der verwendeten Bestandteile verantwortlich für die Namensfindung. ist nämlich nicht allein ein Wortspiel in Abänderung eines anderen von Eberhard Bosslet verwendeten Titels, , sondern gleichzeitig ein bedeutender Hinweis auf den Suprematismus. Wie schon in vorher besprochenen Arbeiten ist die Auseinandersetzung mit den bildlichen Errungenschaften konkreter und konstruktivistischer Kunst zu Beginn unseres Jahrhunderts ein wichtiges Feld für den Künstler. Der Suprematismus ist eine von Kasimir Malewitsch begründete Richtung, die beispielsweise das zur neuen Ikone, das heißt dem "Übergeordneten" erheben wollte. Indem Bosslet ähnlich wie bei Mondrian die zweidimensionale Bilderscheinung in die räumlich gesetzte Skulptur überträgt, gibt er ein Bekenntnis zur noch währenden Aktualität der Problemstellungen dieser Kunstrichtung. Als deren Hauptaufgabe wurde im Manifest erklärt, nicht "Madonnen", die "Venus" oder das Abbild von "Winkelchen der Natur" zu malen, sondern die Kunst selbst. Ähnlich könnte es auf Bosslet übertragen heißen, er bilde die Natur nicht ab, ahme nichts nach, sondern gestalte die Realität der realen Gegenstände neu, und zwar nach künstlerischen Prinzipien, die deren funktionale ersetze, um eine bisher unbekannte, neue Funktion zu erhalten: sinnstiftende Anschaulichkeit technisch erzeugter Prinzipien. Der geht in dieser Ausstellung eine sehr eindrückliche Verbindung mit dem schwarzen Mäanderband der hinteren Glasscheibe sowie einen Kontrast zum fünfziger Jahre-Blasenmotiv der Heizungs­verkleidung ein. Die Kratz- und Rostspuren des Karteischranks geben Hinweis darauf, daß auch sein Alter nicht alizuweit entfernt von dem der Raumausstattung liegen dürfte, jedoch ist nicht zu vergessen, daß er vor fünf Jahren noch einmal "neu" aufgelegt wurde.

Verteilen I, 1994
Rathaus- Innenhof
Vor der Außenmauer des Alten Stadtsaales steht einem Tiefgaragen-Aggregat gleich die Skulptur . Sie besteht aus einem Polyethylenrohr, das neben seinen seitlichen Öffnungen drei nach unten gerichtete Ausgänge besitzt, die nun als Stützen dienen. Ein Verbindungsschlauch schließt den Kreislauf der beiden großen Seitenausgänge. Das, was in diesem großen Kreislauf zirkulieren kann, kann auch nach unten in die drei Abfließrohre gelangen, genauer: "verteilt" werden. Die drei Rohre führen direkt zum Boden und der Betrachter stellt sich imaginär deren Fortsetzung in die Erde vor (de facto enden sie über dem Pflaster). Wenn vom die Rede ist, stellen sich Gedanken auf sozialer und politischer Ebene ein. Ein Politiker zum Beispiel kann Arbeit oder Kompetenzen verteilen (delegieren), Gelder verteilen (Haushalten zuweisen) und vielleicht sogar Macht verteilen (ungern). Je nachdem, was verteilt wird, stellt sich der positive oder negative Kontext des Wortes ein. Die Wirkung der Skulpturen im öffentlichen Raum ist eine andere, als sie im Museum sein würde. Die konkrete inhaltliche Bezugnahme zu sozialen Phänomenen ist zwar vielen Werken Bosslets bereits immanent, kommt durch die Aufstellung der Werke an den öffentlichen und institutionellen Orten allerdings besonders exponiert zum Tragen. Joseph Beuys hat die Menschen hierzulande für die Unterschiedlichkeit der Wahrnehmung von Kunst im musealen oder öffentlichen Raum sensibilisiert und dementsprechend in Happenings und öffentlichen Aktionen agiert. Seine Arbeit galt dem Ziel, die Kunst unmittelbar in den sozialen Organismus hineinzutragen, um sie damit von einer Museumsbesucher-Kunst zu einer Kunst für Alle werden zu lassen. Bosslet setzt mit dieser Ausstellung, die gerade nicht in einer kulturellen Institution oder privaten Galerie stattfindet, genauso am öffentlichen Leben und ganz besonders den Verwaltungsstrukturen einer Stadt am Ende des Zwanzigsten Jahrhunderts an. Seine Werke sind im Vergleich zu Beuys' Requisiten jedoch stumme Zeugen und müssen ohne die leibhaftige Inszenierung des Künstlers auskommen, wiewohl sie als Gesamtes durchaus als Inszenierung zu bezeichnen sind. Ihre durch die eigenwillige Konstruktion geschaffene Aussagekraft und ihr Beziehungsreichtum wirft nicht nur ein besonderes Licht auf sie selbst, sondern strahlt zurück in den Raum, auf die Organisationsform unserer Städte heute. Es macht ein Nachdenken über die Richtigkeit dieser Strukturformen erforderlich und führt etwas für selbstverständlich und unantastbar Gehaltenes ins kritisch reflektierende Bewußtsein zurück. Auch mancher einheimische Bürger wird staunen, wieviele Behörden es in einer Kleinstadt wie Speyer gibt und wie wenig er womöglich über deren Aufgaben weiß. Und das, obwohl diese Institutionen schließlich nur wegen der Bürger da sind.

Wandzeug II, 1990
Stadthaus-1. OG
ist eine Arbeit, deren Verschnürung sich gegen den von Pressluft hergestellten Druck zur Wehr setzen muß. Die Verschnürung ist in diesem Fall eine Verkettung, die zwei Stahleimer mit ihrer Öffnung zum Hebekissen hin zusammendrückt. Die zylindrische Form der Stahleimer bewirkt, daß sich die Arbeit im gekippten Zustand befindet, so daß ein Teil den Boden berührt und der andere frei in die Luft ragt. Als Wippe in der Mitte dient das Druckluftkissen mit seinen beiden Füßchen, die jeweils durch die konkave Einziehung beim Aufblasen mit Luft entstehen. Das schräge Aufragen und die stützenden Auflagen des Objekts erinnern an ein Kanonenrohr. Nicht vergleichbar mit dieser Deutung ist allerdings, daß die Öffnungen (Mündungen) der beiden Stahleimer einander zugekehrt sind. Beschossen werden könnte so nur das Druckluftkissen. Tatsächlich stellt sich aufgrund der zylindrischen Erweiterung der Stahleimer zur Mitte hin das Gefühl ein, das Kissen könnte von den Mündungen verschluckt werden; gerade auch, weil die Stahlketten, die eine enorme Zugkraft ausstrahlen, die Eimer zur Mitte hin zusammendrücken. An dieser Stelle muß die alltägliche Funktion dieser Druckluftkissen erwähnt werden: sie dienen nämlich bei Rettungs- und Bergungsmaßnahmen als Hochdruck-Hebekissen, die überall da, wo etwas Schweres hochgestemmt werden muß, schnelle Hilfe leisten. Insofern könnte man die Formulierung des Druckluftobjekts hier als eine vor allem nach innen gerichtete Gefahr sehen, die die positive Kraft des Luftkissens gefährdet, das ja in jedem Fall die Stabilität des Gleichgewichts von Druck und Gegendruck garantiert. Bei den Eimern handelt es sich um Gullisiebe, die sich in der Regel unter den Gullideckeln befinden, um größere Teile wie Abfall und Laub aus dem Abfließwasser aufzufangen und die von den Stadtwerken regelmäßig gereinigt werden. Möglicherweise paßt auch darum der Eindruck des Verschlingens so gut, weil sie tatsächlich eine ähnliche Funktion erfüllen. Das in vorgestellte Prinzip von Druck und Gegendruck, von sich gegenseitig standhaltenden, bedrohenden und gleichzeitig stabilisierenden Kräften mag beim Betrachter, besonders bei den jeweils im Haus Arbeitenden, eine Bezugnahme zur eigenen Position hervorrufen. Das Gefühl, unter Druck oder zwischen die Mühlen geraten zu sein, zwischen den Fronten zu stehen, aufgefressen zu werden von den Problemen, erdrückt zu werden vom Ballast unserer Gesellschaft, das alles sind unverbindliche, aber immerhin vorstellbare Reaktionen, die durch eine identifikatorische Haltung jedweden Betrachters mit dem Objekt, genauer der Position des Druckluftkissen, entstehen können. Eine noch unmittelbarere Bezugnahme entsteht eher in der Arbeit , die auf die hier vorgenommenen Eintragungen der Speyerer Bürgerschaft anspielt, deren Unterlagen Unmengen von Kartei­schränken füllen (s. dazu Selbstbeschreibung der Institutionen). Die Bedrohlichkeit des Eingeklemmt-Seins, des Übergewichts der von außen drückenden Teile ist in dieser Arbeit Eberhard Bosslets besonders dramatisch. Die Identifikaion des Betrachters führt deshalb hier auch vermutlich zu mehr negativen als positiven Assoziationen. Der Betrachter könnte dafür aber zumindest im Geiste durchspielen, was passiert, wenn er sich an dem Druckluftgerät zu schaffen machte: die Sabotage des Kunstwerks würde ihm kurzfristig helfen, "sich Luft zu verschaffen". Daß vielerorts Kunst im öffentlichen Raum beschädigt wird, um Druck abzulassen, ist ein soziales Phänomen des Vandalismus, das speziell den Arbeiten Bosslets immanent ist und ein weiteres durch sie aufgegriffenes Themenfeld eröffnet.

Welthandel II, 1988
Welthandel III, 1988
Rathaus- Durchgang zum Alten Stadtsaal
Die beiden Werke und wurden ähnlich und doch unterschiedlich aus Holztransportkisten und Europaletten zusammengesetzt und mit Stahlband verschnürt. Ein direkter Vergleich bietet sich an, da beide Werke mit einem Blick erfassbar sind. In stehen die beiden Kisten L-förmig zueinander und den Rest des Quaders füllen die längs aneinandergelegten Paletten aus. In bilden die Kisten ein in der Mitte leicht zur Seite versetztes T, das rechts und links des T-Fußes sozusagen bis unters Dach mit Paletten gefüllt wurde. So befinden sich diese nicht mehr in der Position, in der sie sonst benutzt werden; vertikal aufgerichtet kann ein Gabelstapler sie nicht mehr gut erfassen. Ihre alte Funktion wurde ihnen genommen und nun erfüllen sie neben ihrer anderen technisch-statischen Aufgabe - eine kulturelle Funktion als Träger verschiedener Inhalte. Ihre ästhetische Qualität beruht in der Ausbildung von einerseits rechteckigen Flächen und andererseits Hohlräumen, die sich als dunkle Partien von den hellen Flächen abgrenzen. Ein wirkungsvolles Spiel von Licht und Schatten entsteht. Dadurch und auch aufgrund der die Blockhaftigkeit untergliedernden Öffnungen, wird man sehr schnell an die Erscheinungsweise von säulengetragener Architektur erinnert. Maßgeblich ist neben den Durchblicken und der fensterartigen Wirkung die durch Stahlbänder unterstrichene Unterscheidung in lastende und tragende Teile. Das Thema ist im Gesamtwerk Bosslets schon unmittelbarer aufgegriffen worden und also fest in diesem verankert: in den oder den zum Beispiel, in denen sein Objekt in die Statik eines Bauwerks oder Raumes eingreift und damit eine Auseinandersetzung mit Architektur und Raum und ihren technischen wie funktionalen Bedingungen forciert.
Die Stahlbandverschnürung ist keineswegs nur unter funktionalen Aspekten angebracht worden, sondern schafft neue, gezielte Abtrennungen und Aufteilungen der bereits bestehenden Flächen. Da es dunkelfarben ist, geht es optisch eine Verbindung mit den Schattenbereichen ein. In zum Beispiel wird der tragende Fuß des T, eine rechteckige, hochkant stehende Fläche, durch die Schnürung in zwei gleich große Quadrate aufgeteilt. Interessanterweise folgen die je drei Querbänder lediglich den Verstärkungen an den Europaletten. Die geometrische Harmonie scheint also bereits in den Normmaßen der Transporthilfsmittel angelegt zu sein. Sie wird durch den Künstler in ihrer Systematik lediglich enttarnt, durch seine Linienführung betont und sichtbar gemacht. Beide Arten der Schnürung erinnern aber auch an Registrierstreifen, was keine so weit entfernte Vorstellung ist, wenn man bedenkt, daß die Waren im Supermarkt, die solche Codierungen tragen, oft weite Reisen um den Globus hinter sich gebracht haben: "Welthandel" eben. Eine etwas negative Vorstellung stellt sich allerdings dazu ein: die Idee, daß nur das transportiert werden kann, was Normmaßen entspricht. Dies wirft in der Folge auch die Frage nach der Vereinheitlichung der dem Welthandel angeschlossenen Kulturen auf. Dies ist der einzige Ort der Ausstellung, an dem sich zwei Arbeiten derselben Serie nebeneinander zeigen. Für Andy Warhol war die Produktion von Serien, die gleichzeitig mit der Darstellung von Massenprodukten wie Autos und Suppendosen einhergeht (also darin eineVerdoppelung der Verfielfältigung erfährt), eine der Ausbildung einer "factory" adäquate Lösung. Er war von der Vorstellung getragen, daß Kunst als eine Ware genauso von Arbeitern nach Vorlagen fabriziert werden könne wie jedes andere Produkt. Damit verband er eine durch die Industrialisierung Abtrennungen und Aufteilungen der bereits entstandene Produktionsweise mit dem Herstellungsverfahren von Kunst, so daß sich in ihr Lebens- und Denkweisen einer Epoche oder Generation manifestieren. Im Unterschied dazu sind Bosslets thematische Versionen Einzelstücke, die in der Regel auf wenige Stücke begrenzt sind; zudem werden sie nicht anonym, sondern von Anfang bis Ende von ihm selbst konzipiert und gefertigt. Es geht hier also keineswegs darum, Kunst unter denselben Bedingungen wie Industrieprodukte herzustellen, weshalb bei Bosslet auch kein maschinelles Verfahren zur seriellen Produktion existiert, sondern vielmehr um den konstruktiven Ausbau einer zentralen Idee. Während in Warhols Serie das einzelne Bild in seiner eigenen Aussagekraft mehr und mehr herabgesetzt wird,desto stärker der Betrachter beim Anblick zum Beispiel sich immer wiederholender Autounfälle desensibilisiert wird, so scheint dagegen die in wenigen Exemplaren ausgeführte Serie Bosslets den Wert des einzelnen Objekts nicht anzutasten. Im Gegenteil kann in dieser Beschränkung ein Maß gefunden werden, das die Bedeutung einer Themathik eher unterstreicht. Das, was allen Exemplaren einer Serie gleich ist, stellt Grundsätze dar, die ohne den gegenseitigen Vergleich der Varianten für den Betrachter nicht erschließbar gewesen wären.

Zahlen & Befehle II, 1989
Amtsgericht- Eingangshalle
Nachdem sich die Version im Flur des Stadthauses befindet, bekommt auch der Besucher des Amtsgerichts eine Ausführung dieser Serie zu Gesicht. Obgleich beide Werke zunächst eine völlig andere Formgebung aufweisen, die eine steil und mächtig aufragend, die andere eher breitgelagert und bodenorientiert, entstanden sie nach demselben Prinzip. Einem Karteischrank wurden seine Schubladen entnommen und in einer Drehbewegung auf ihn montiert, die ihre alte Anordnung durcheinander bringt. Mit Hilfe kleiner Holzklötzchen und Stahlbänder wurde die Konstruktion verspannt. Das sind die Richtlinien, die ein Werk der Reihe jeweils befolgen muß, um es zu einer echten Version werden zu lassen. Im Unterschied zu wurde in der Karteischrank mit seiner Rückwand auf den Boden gelegt, so daß sich von der Seite betrachtet ein quergelagertes Rechteck ergibt, auf dem die Schubladen ihre Anordnung im Quadrat finden. Ein unmittelbarer Bezug vom Titel des Werks zur Umgebung wird durch das hinter der Skulptur aufleuchtende Neonschild mit der Aufschrift Zahlstelle geschaffen.
Die Asthetik des oberen Werkteils erinnert stark an bildliche Formulierungen Mondrians und seiner mit Theo van Doesburg gegründeten Gruppe rund um die Zeitschrift "De Stijl". Das, was dort für die Bildfläche festgehalten wurde, scheint hier in die dritte Dimension umgesetzt. Die Bewegung des Konstruktivismus in der Malerei der zehner und zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts hatte sich vom Abbild freigemacht, um ein Bild, seinen Raum und seine Darstellung mit konstruktiven und objektiven, eben geometrischen Mitteln zu erstellen. Die neue Plastik kann also nicht die Form einer natürlichen oder konkreten Darstellung haben (...) Sie muß im Gegenteil in derAbstraktion von aller Form und Farbe ihren Ausdruck finden, das heißt in der geraden Linie und in der genau bestimmten Primärfarbe (Piet Mondrian in "De Stijl", Nr. 1). Bosslet allerdings zerlegt tatsächliche Gegenstände, setzt sie anders zusammen und/oder kombiniert sie miteinander, jedoch im dreidimensionalen Raum. So ist seine Tätigkeit - im Gegensatz zum Endergebnis eher noch mit der des Kubisten zu vergleichen, der den einzelnen Gegenstand in der Bildfläche in seine einzelnen Bestandteile und Ansichtsseiten aufspaltet. Der Konstruktivismus ist entwicklungsgeschichtlich aus dem Kubismus hervorgegangen, so daß hier kein Widerspruch entsteht. Bosslet gewinnt dem bereits Vorhandenen - den natürlichen oder konkreten Dingen, wie Mondrian sie nennteine neue Funktion bar ihrer bisherigen technischen Funktionalität ab, die seine Skulpturen als künstlerische Gebilde ausweist. Und das, obgleich sie ihre bisherige inhaltliche Bedeutungsebene in ihr neues Bedeutungsumfeld mit hineinnehmen. Was dieses und einige andere Werke Bosslets so unmittelbar mit dem Konstruktivismus um Mondrian herum verknüpft, ist die Vermeidung der schrägen Linie: "Hier wird die Lineatur des Sichtbaren auf die Vertikale und Horizontale beschränkt“ (DuMont's Chronik der Kunst im 20. Jh., Köln 1990, S.174). Diese Bezugnahme Bosslets bedeutet allerdings nicht nur eine ästhetische Hommage, sondern auch die Wiederaufnahme jener Geisteshaltung. Mondrians Kampf galt dem Individuellen, seine Verehrung dem Universellen. Der Künstler habe zwei Aufgaben: das rein gestaltete Kunstwerk zu erzeugen und das Publikum für die Schönheit der reinen bildenden Kunst empfänglich zu machen.(DuMont's Chronik, s.o., S. 429). Bosslet versucht darüber hinausgehend die Einheit von Realität, Funktionalität und reiner Bildender Kunst wiederherzustellen. Nicht als Widerspruch, sondern als komplementäre Erscheinung.

Zeugung I, 1991
Sozialamt- Warteraum der Bushaltestelle
In wird in der Mitte nicht, wie so oft, ein Druckluftkissen zusammengedrückt, sondern eine übereinandergestapelte, ältere dreiteilige Bettmatratze wird von Druckluftkissen oben und unten gequetscht. Ihren Halt bekommen die Kissen durch die Verschalung mit zwei Stahlpaletten außen, die an ihren füßchenartigen Aufsätzen durch Stahlseile mit Gummischonern an den Ecken zusammengehalten werden. Als Zwischenstücke und Druckvermittler dienen erneut Autofelgen. Der hier besonders starke Kontrast der verwendeten Materialien führt zu einer eigentümlichen Komik des Werks. Auf der einen Seite wurden technische Teile und Geräte ve