DAS KUNSTWERK, Magazine,4-5 XL, Sept. 1987, S 152-154, von RENATE PUVOGEL


Galerie Stützer, Köln (l. Mai-6. Juni 1987)

Zwei Betonpfeiler gliedern den rechteckigen Galerieraum von Carla Stützer; sie sind, ebenso wie das Backsteinmauerwerk und die Decke mit ihren Stahlträgern, weiß getüncht. Eberhard Bosslet nimmt, wie bei all seinen "Unterstützenden Maßnahmen" Bezug auf die gegebenen Raumdimensionen und -bedingungen. "Stützer l" ist zwischen Boden und Decke, " Stützer II" zwischen die beiden Pfeiler eingespannt. Die erste "Maßnahme" nimmt sich wie ein zusätzlicher Pfeiler aus, ein trapezförmiger Holzkasten imitiert den Pilzkopf des Betonpfeilers als Kapitel, eine Metallkiste fungiert als Basis. Diese Säulenassoziation hebt "Stützer II" aufgrund ihrer waagerecht schwebenden Position in Kopfhöhe wieder auf. Gasbetonsteine am einem Ende greifen die Mauerstruktur auf und scheinen als Arm seitlich aus dem Pfeiler herauszuführen. Kein Teil ist mit dem anderen verschraubt oder verschweigt, allein die Druckkraft der Stahlrohr-Deckenslützen verspannt die einzelnen Teile miteinander und die Skulpturen als ganzes mit dem Raum. Kraft und Gegenkraft wirken zwischen den Skulpturenelementen und zwischen ihnen und dem vorhandenen Baukörper. Diese Zug- und Druckenergien so im Gleichgewicht zu halten, daß die Skulpturen weder in ihre Teile auseinanderfallen noch andererseits die Architektur durchstoßen und zerstören, leisten die austarierten Stahlrohr-Deckenstützen. Sie bilden das durchgängige funktionale Herzstück der Skulpturen, die übrigen Zwischen- oder Eckstücke bilden das den lokalen Verhältnissen jeweils angepaßte, individuelle Charakteristikum. Erst diese unterschiedlichen Beigaben heben die Arbeiten über den bautechnischen Zweck "Unterstützender Maßnahmen" hinaus und kennzeichnen sie als Skulpturen.
Auf der documenta 8 führt der 1953 in Speyer geborene ehemalige Schüler von Raimund Girke zwei "Unterstützende Maßnahmen" durch zwei Stockwerke eines Treppenhauses des Fridericianums. Die beiden Teile sind nur gedanklich zusammen zu sehen, ihre Titel "Anmaßend I und II " sind hier sowohl als den Gegebenheiten angemessen als auch im Sinne von anmaßender Zumutung zu verstehen. Das Unnötige, ja Unsinnige, einen intakten Raum angeblich stützen zu müssen, erfährt in der nachgestellten und in der Vorstellung nachvollziehbaren Wirkungsweise ihren Sinn. Ihre künstlerische Bedeutung ist, wie bei jedem guten Kunstwerk, eine ästhetische und eine ideelle. Mich überzeugt die kraftvolle, unartifizielle Form, die Art und Weise, wie Bosslet das bekannte Material nicht zweckentfremdet, sondern funktionsparallel einsetzt. In dieser Vorgehensweise berühren sich Bosslets Arbeiten mit denen von Reinhard Mucha, dennoch führt sie zu unterschiedlicher Aussage.
Bei Bosslet heißt es, Kräfte nicht zu überreizen, nicht überzustrapazieren, eine Botschaft, die sich als Haltung auf menschliche Bereiche übertragen läßt und als moralische Kategorie das gesamte Werk dieses ehemaligen Wilhelm-Lehmbruck-Stipendiaten durchzieht.
In zwei Bodenskulpturen, "Basements", sind Kupferrohre um ein geometrisch angelegtes Backsteinarrangement herumgeführt und an einigen Stellen mit diesem verzapft. Man könnte bei diesen geschlossenen Skulpturen an ein modellhaftes, zellenartiges Hausfundament mit Rohrleilungssystem denken. Dieses einfache Bezugsgeflecht ist in den Wandarbeiten gewissermaßen als zweidimensionaler Bauplan aufgegriffen, wobei auch diesen Arbeiten, bedingt durch den starken Polyäthylengrund und die dick aufgetragenen Asphalt- und Lackpasten, ein plastischer Wert zukommt.
Benutzungsspuren des diaphanen, leicht milchigen Malgrundes sind als diffuses Liniengewirr von Einritzungen sichtbar. Es scheint, als sei dieses in die Tiefe reichende Negativ-Chaos in den aufgelegten großförmigen schwarzen und roten Geraden und Rechteckfiguren zu einem Ordnungsgefüge gebündelt, so etwa, wie man elektronische Schaltpläne übersichtlich anordnet und übertragen - das Unberechenbare, Zügellose im Menschen zu bändigen sucht. Als Architekturgrundrisse verstanden, nehmen diese Malereien wiederum Bezug zu den übermalten Fotos von Häuserfronten. Hier fügt der Künstler den vorhandenen schwarzen Fensterlöchern der verlassenen Häuser gleichfarbige aufgemalte Türen und Fenster hinzu. Immer ist ein mimetisches Moment aufzusparen dieses erschöpft sich aber
nicht in rein zeichnender, konturierender Nachahmung, sondern führt über Gegebenes hinaus und schlägt neue Ordnung vor. Am direktesten ist dieser Aspekt an den spanischen Schutt- und Bruchsteinarbeiten von 1984 spürbar; hier macht Bosslet auf das wildwuchernde, rücksichtslose Zivilisationsgebaren einzig durch eine Geste aufmerksam: er sichtet Materialien, Fundstücke lediglich zu einer stimmigen
Bild-Komposition. Werkübergreifend tritt der Leitgedanke auf, gegen das Chaos anzugehen, ihm eine Ordnung gegenüberzustellen, Kräfte aufzuzeigen" die ins Gleichqewicht zu bringen sind. In Thema und Radikalität der Eingriffe
könnte man an Gordon Matta-Clark denken; wie bei dem Amerikaner vermischen sich auch bei Bosslets Arbeiten häufige Vorstellungen von Zwei- und Dreidimensionalität.
Bosslets Werke stellen faktische und moralische Entscheidungen anheim, welche
zwischen zerstören und aufbauen liegen.

Renate Puvoge