Westdeutsche Zeitung 12.11.1993, von HEINZ-NORBERT JOCKS

Zu nüchtern, um zu beflügeln

Bosslet & Gipe im Kunstverein

Nach der traumhaften Ausstellung der Classic Images von Ansel Adams, die zum euphorischen Mehrsehen einluden, hält nun eine nur mäßig beflügelnde Ästhetik der unbeschwingten Nüchternheit Einzug in den Kunstverein
Daß das, was es aus den Ateliers von Eberhard Bosslet und Lawrence Gipe zu besichtigen gibt, so wenig berührt, liegt nicht am Thema, eher an den Positionen, die kaum weiterführen.
Da beleben die nach Fotos komponierten Bilder von Lawrence Gipe den historischen Zauber der außer Kraft gesetzten Schwerindustrie, um ihn zu brechen. Wie ein Erzähler, den es, warum auch immer, ausgerechnet zurück zum Wunder der zwanziger und dreißiger Jahre drängt, malt der 1962 in Baltimore geborene und in Los Angeles lebende Künstler mit dem überholt Realen um die Wette.
Natürlich bleibt er nicht so nah wie möglich am Motiv, denn er ist Maler genug, sich von reiner Abschilderung abzugrenzen. Seine Ansichten des industruiell Ästhetischen, das propagandistisch mißbraucht wurde, leben von unauffälligen Abweichungen und Kontrasten, die vom Licht herrühren.
Der Dampf einer im Ausschnitt gezeigten Lokomotive ist wie die eingedunkelten Silhouetten eines Industriegelaädes mit seinen Hochofen, Brücken und Kesseln zu bestaunen. Das Licht, das sich Schneisen durch unterkühlte Nachte schlagt, verbreitet eine mehr sterile als subtile Atmosphäre des Schreckens und der Bedrohung. Die vom Faschismus ausgeschlachtete Aura wird zusätzlich gedämpft durch Schriftzüge, die die Gemälde ins Plakathafte, Ironische und politisch Offensive treiben. Wie eine historische Aufbereitung eines Phänomens ohne Einfluß auf die heutige Zeit erscheint diese Wahrnehmung in schwerfälliger Spannungslosigkeit.
Vokabeln der Langeweile
Anders, aber auch nicht spektakulärer fällt der Ansatz von Eberhard Bosslet aus. Auf der Suche nach einem Weg, industrielle Materialien in die Hallen der Kunst zu schleusen, neigt der 1953 in Speyer Geborene Künstler aus Duisburg zur Vereinfachung. Er entreißt Hochdruck-Hebekissen, Schläuche, Rolltore, Autofelgen, Gummireifen oder Gullideckel ihrem Zusammenhang, tilgt deren Funktionales. Frei nach der Phantasie zusammengebaut ergeben sie säulenartige Gebilde, die vom Boden bis zur Decke reichen, oder Kreisläufe aus Behältern und Schläuchen.
Das alles befindet sich in einer „unterschwelligen Notfallsituation“, so Bosslet. Der Kreislauf könnte ein Leck bekommen und der Druck zunehmen. Das in die Kunst eingeführte Material ohne Wirkung erscheint wie ein noch unbenutztes Vokabular der Langeweile.

(Bis 9. Januar 1994)