EBERHARD BOSSLET, Heidelberger Kunstverein, 1987, Katalog, von NORBERT MESSLER

Zu der Malerei von Eberhard Bosslet
Der Malerei Eberhard Bosslets kommt innerhalb seines gesamten künstlerischen Schaffens übergreifende Bedeutung zu. Freilich entsteht der Eindruck, Malerei und einige plastische Arbeiten, vornehmlich die "Unterstützende Maßnahmen", ergänzten sich, beide hätten gleichviel mit archektonischem Denken zu tun und verfolgten somit dieselbe Zielsetzung. Indes dieser Eindruck - wiewohl er begründet werden kann - bescheidet sich nicht mit der Feststellung, daß Malerei hier in Skulptur ausmündet, womöglich ein Echo dessen ist, was Boßlet in seinen plastischen Arbeiten räumlich entwickelt. Man ginge sicher fehl im Glauben, es handle sich bei seiner Malerei schlechterdings um Grundrisse für Skulpturen oder räumliche Formen.
Bosslets Utensilien, die er zum Malen heranzieht, verwirren allerdings: Nicht Ölfarbe oder Leinwand sind seine Mittel, sondern Zinkhaftgrund, zum Beispiel, und Haftputz, Bitumen, Zinksulfid, Klebeband, Lackfarbe und feuerverzinktes Blech. Liest sich diese Liste wie für einen Baumarkt zusammengestellt, so ist das, was mit den aufgeführten Materialien geschieht, unmißverständlich ein Anliegen der Malerei und nur in zweiter Linie eins der Architektur oder der Skulptur. - Der Künstler widmet sich einem Thema, welches sich auf überraschende Weise mit dem "Dasein der Malerei" im Raum auseinandersetzt. Von daher gesehen kann und wird sie die Verbindung zur Architektur und zu den räumlichen Arbeiten des Künstlers weder leugnen noch in Frage stellen.
Es geht Bosslet um die Herstellung einer Verbindung von Malerei im physiologischen Raum, wo Größe, Höhe und Weite eine Rolle spielen, mit Malerei in dem Raum, von dem Richard Neutra zum Beispiel sagt, daß wir in ihn als "fühlende Beobachter hineingeboren sind". Letzteren genießen wir aufgrund unserer Gefühle, Erfahrungen und Erkenntnisse. Es hängt mit einer Fülle von Sinneswahrnehmungen zusammen, mit denen sich die Malerei Bosslet naturgemäß zu verbinden trachtet.
Richtungweisend für die Deutung der Bilder des Künstlers ist daher, wie sie räumlich erscheinen: großformatig und stets zweiteilig, einfach und klar, mit leicht ins Monumentale gehender Fernwirkung - und welche Funktionen sie dem Raum, abstrakt und konkret, zuweisen: Örtlichkeit und Bühne für das Nebeneinander- und Gegenübersein der Dinge.
Meist ohne Rahmen und teilweise plan mit der Wand, zeigen alle Bilder größere geometrische Formen. Diese sind durchweg in teils sehr dichten, teils sehr Industriefarben auf zumeist vorgefundenen oder gefertigten Bildträgern gemalt und "freigestellt". Der Künstler benutzt zum Malen ausschließlich feste Bildträger. Sie können aus den Polyäthylentafeln eines Passepartout-Zuschneiders bestehen, wie sie ebenso aus aluminiumbeschichteten Dach- und Teerpappen, die zur Isolierung von Dächern verwendet werden, gewonnen werden können. Diese und ähnliche Bildträger (z. B. Kunststoffbodenteile, feuerverzinkte Bleche) stammen stets aus einer nicht-künstlerischen Welt, aus einer rein bautechnischen Wirklichkeit. Alle vom Künstler zum Malen aufgenommenen Flächen - es handelt sich immer um zwei für ein Bild - sind im Sinne Hildebrandts "selbständige Flächen". Sie besitzen eigenen Werkstoffcharakter. Als Bildträger sind sie vorbesetzt, assoziationsgebunden und gleichsam anti-atmosphärisch. Sie liefern den plastisch-greifbaren "Daseinsgrund" für die Malerei; sie sind selbst Gegenstand, körperhaftes Etwas, fester Stoff, eigener Raum.
Die gemalte Figur erscheint für jedermann sichtbar auf materiell vorbestimmtem Grund. Der Malgrund, an sich die wesentliche Stütze jedes Gemalten, lebt hier als selbständige Umgebung fort, existiert als ein vom Künstler ausgewählter Ausschnitt eines viel größeren abstrakten Raumes weiter. Die gemalte Figur ist befestigter Bestandteil dieses ihr zunächst fremden Raumes. Sie ist gemalte Trennung des durch die Beschaffenheit des Bildträgers gegebene Eigenräumlichkeit wie ebenso Ausdruck der gewünschten Verbindung mit ihm.
Die geometrischen Figuren sind Träger und Überwinder dieser Gespaltenheit. Sie setzen sich zunächst mit dem Bildträger konkret bildinnenräumlich auseinander. Darüber hinaus und als direkte Folge davon, thematisieren sie ein Verhältnis der Malerei zum abstrakten Gesamtraum, wie er durch den körperhaften Bildträger repräsentiert wird. Die Malerei verläßt dadurch die traditionelle Zweiheit von Fläche-Raum, und der Verdacht liegt nah und wird sogleich bestätigt, daß es sich um Bilder handelt, die eine wieder erkennbare Etablierung dieser Zweiheit verwerfen. Jedes Bild wird zu einer abstraktkonkreten "Doppelfigur", zu einem Werk der Malerei, welches durch sich selbst das Paradox eines realen inneren Bildaußenraumes in Gestalt des körperhaften Bildträgers mitbringt. Die "Doppelfigur" bildet die räumliche Existenzgrundlage dieser Malerei; sie überwindet das Getrenntsein-Wollen von - um einen Vergleich zu benutzen - Gliedern eines Satzes, die, in Klammern nebeneinander gesetzt, grundsätzlich und funktionell voneinander geschieden sind.
In dieser so verräumlichten Malerei stehen sich zwei Vorstellungen gegenüber. Sie haben ihren Ursprung in den traditionellen Definitionen von Tafelbildmalerei einerseits und in denen der Wandbildmalerei andererseits. Gegebenenfalls ließen sie sich klar voneinander abgrenzen. Bosslet erzwingt ihr dualistisches Nebeneinander- und Gegenübersein. Daraus ergibt sich nahezu zwangsläufig ein siamesisches Miteinander, ein neuer Zustand mit recht komplizierten Wahrnehmungsbedingungen - was das angesprochene "Dasein der Malerei" im Raum angeht.
Ein Bild aus dem Jahre 1986 mag, stellvertretend für andere, die Auslöser-Effekte dieser Malerei verdeutlichen: "LIC 6/86 X" (Seite 29). Die Bildmaterialien sind Asphalt, Aluminiumfarbe für Dachbeschichtungen, handelsüblicher Kunstharzlack für Schlußanstrich auf Holz oder Metall, aufgetragen auf zwei übereinander gehängten, nicht exakt gleich großen Polyäthylenplatten. Diese beiden Platten grenzen bündig aneinander, sie sind durchbohrt und mit Nägeln oder Schrauben direkt auf der Wand befestigt. Da sie aber nicht ganz plan sind, stehen sie etwas von der Wand ab. Deutlich erkennbar sind drei geometrische, farbige Großformen. Das Bild hat ein Oben, ein Unten, ein Links und ein Rechts.
Die rechtwinklige schwärzliche Form (unten links; Asphalt über roter Lackfarbe) erinnert sofort an einen Grundriß. Vage Assoziationen mit einer schematisierten Draufsicht stellen sich ein. Dieselbe Form läßt weiterhin den Vergleich mit einem abstrakten Wandornament zu. Sie läßt sich als Fragment oder als Ausschnitt eines stilisierten, in bestimmter Richtung bewegten "Mäanders" lesen. Beide Sichtweisen behaupten sich nebeneinander. Sie bestehen in einem und sind doch zwei voneinander getrennte, voll entwickelte Entitäten. Sie koexistieren in einer Doppelfigur. Das eine Mal ist sie Grundriß, d. h. zweidimensionale Projektion eines Raumes, das andere Mal ist sie Teil eines "Mäanders", d. h. abstraktes Element der Wandmalerei, wie man es als fortlaufendes bewegtes Band aus quasi-unbegrenzterwandfläche, z. B. aus der geometrischen Kunst des antiken Griechenlands kennt.
Der Grundriß bewahrt potentiell den plastisch-räumlichen Anspruch. Er ist eine ruhende Form des Innen. Der Mäander dagegen gebietet dem Ausdehnungsbestreben einer Wandfläche optischen Einhalt. Er grenzt sie optisch ein und veranlaßt sie, in sich selbst zurückzulaufen. Der Mäander ist eine bewegte Form des Außen. Die gemalte Figur, angesiedelt zwischen Grundriß und dekorativem Band, ist auf der Bildfläche aber weder das eine noch das andere. Sie ignoriert die Scheidung zwischen begrenzter Bildfläche und quasi-unendlicher Wandfläche. Sie nimmt die Potenzen beider in sich auf und wird selbst, "freigestellt" auf festem Bildträger und "greifbar" durch die haptische Malweise, zur eigenräumlieben Grundstruktur.
Die beiden anderen Formen berühren ein verwandtes Thema, jeweils aus verschiedenen Richtungen kommend. Die aus einer kubischen Form abgeleitete Form (unten rechts; Aluminiumfarbe über Asphalt) illusioniert mit den Mitteln der Perspektive eine Scheinarchitektur. Die aluminiumfarbenen Flächen sind so angeschnitten und abgekantet, daß der Eindruck von Plastizität hervor gerufen wird. Allein die Maßverhältnisse stimmen nicht. Sie brauchen nicht zu stimmen. Nur die Potenz einer illusionistisch-räumlichen Figur zählt. Mit ihr charakterisiert und entlarvt Bosslet Raum als künstlerisch-manipulierbare Erscheinung, mit vorgetäuschtem Innen und Außen. Damit setzt der Künstler eine zweite Grundstruktur neben die erste. Gemeinsam beziehen sich beide auf das Hin und Her zwischen Fläche und illusionistischer Wiedergabe des Räumlichen in der Malerei.

Über diese beiden Grundstrukturen und auf eigenen Malgrund setzt Bosslet eine dritte Struktur. Diese beherrscht die gesamte ihr zur Verfügung stehende Fläche (oben; Lackfarbe über Aluminiumfarbe und Asphalt). Sie ist eine im weitesten Sinn technoide Figur und mag von einer Schalttafel oder von einem Relief abgeleitet sein. Als einzige der drei Formen ist sie flächigflach. Sie ist weder als Grundriß potentiell räumlich hochlesbar, weder darauf aus, Flächenausdehnung optisch einzudämmen, noch taugt sie dazu, räumliche Tiefen vorzutäuschen. Sie ist wie bei beiden anderen Formen eine apriorische Anschauungsform in dem Ausmaß, in dem sie als Form der Fläche (wie die anderen als Formen des Raumes, bzw. des Raumes und der Fläche) in unserem Bewußtsein bereitgehalten wird. Mit ihr lenkt der Künstler von allzu abstrakten Ideen von Raum und Fläche ab und täuscht mittels einer Form, die bezeichnenderweise aus der Vermittlungstechnik abgeleitet ist.
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Das "Dasein der Malerei" im Raum wird in allen Arbeiten thematisch angesprochen. Es wird als ständig fortgesetzte Annäherung verstanden, als das prozeßhafte Sich-Näherkommen des Gemalten und Räumlichen. Der Bildraum selbst, der Malgrund, ist Örtlichkeit und Bühne für den Prozeß dieser Annäherung und für die Wiedergabe des bewegten Zustandes der Dinge. (Daraus erklärt sich zum Teil das Zusammenwachsen der Figuren auf dem jeweils unteren Bildteil.) Zudem ist er sein eigenes Doppel. - Boßlet malt ein "im-Werden" dieser geschilderten Situation, die ihr Gewicht aus der angestrebten Verbindung zweier grundsätzlich verschiedener Daseinsformen und -möglichkeiten der Malerei bezieht: Er öffnet so auf interessante und überzeugende Weise die Klammern um Bildinnen- und -außenraum, in unmöglicher Abgrenzung an das, was das jeweils andere nicht sein kann: allein.
Norbert Messler