Die Rheinpfalz, 12.11.1987, von SIGRID FEESER

Wie man aus Gelegenheiten Kunst macht

Angebote zur Wahrnehmung: Zu Eberhard Bosslets Ausstellung im Heidelberger Kunstverein

Was wollen sie nur bloß, die beiden gestandenen Männer im Arbeitskittel, die uns da vom Ausstellungsplakat, Schutzhelm auf dem Kopf, Baupläne in der Hand, über die Schulter hinweg so unverschämt angrinsen? Angebote zur Wahrnehmung, Teil drei der laufenden Reihe im Heidelberger Kunstverein, ist Eberhard Bosslet gewidmet. Der gebürtige Speyerer, Jahrgang 1953, Schüler von Raimund Girke an der Berliner Hochschule, Stipendiat in New York, jüngster Träger des Bremer Kunstpreises, liebt solche Verwirrspiele. Erst bei der diesjährigen documenta (wir berichteten darüber), hatte er sich mit seinen zwei Etagen in Beschlag nehmenden „unterstützenden Maßnahmen“ nachdrücklich in Szene gesetzt.
In der schon lange geplanten, einige Male verschobenen Ausstellung sind Beispiele aus dieser ebenso kühn wie kühl das Obere mit dem Unteren verklammernden Werkgruppe freilich nicht zu sehen. Statt genau der jeweiligen Raumsituation angepaßter Montagen aus Stahlrohrstützen, Paletten, Verschaltafeln und, wahlweise, im Hauruckverfahren nach oben gehievten Schreibtischen oder zu Sockeln umfunktionierten Getränketruhen, Hockern und Bremskeilen gab es nun einen etwas verhalteneren Hinweis auf zu beachtende architektonische Gegebenheiten, denen auf ihre bislang unbemerkten ästhetischen Sprünge geholfen werden sollte - und beinahe hätte man sie auch glatt übersehen können, die ganz schön eingefädelte Sinnlosigkeit, mit der Bosslet da eine Heidelberger Kunstvereinswand mit simplen Spanplatten verkleidet hat, einfach mal so, um eine Türöffnung herum, ein paar Stützbalken ummantelnd, außer einem einzigen, der freigelegt wurde, und inmitten all dem mehr künstlich inszenierten als nun gerade kunstvoll ausgetüftelten Drumherum unabweichbar den Anschein erweckt, eben erst aus den Wäldern herbeizitiert worden zu sein. Da steht er jetzt ein absichtsvoller Fremdling auf Zeit. Ein Provokateur.
Kleiner, genau gezielter Schock auch, wenn die Heizspiralen eines Ausstellungsraumes, von denen die Verkleidungen entfernt wurden, auf einmal eine merkwürdig skulpturale Qualität annehmen. Kunst oder doch Nicht-Kunst, die Frage allerdings wird bewußt offengelassen. Betroffen beschäftigt sich der geneigte Kunstbetrachter da lieber mit zwei als solche ausgewiesenen, fundamentartigen Bodenplastiken aus Beton- und Ziegelstein, um die dreifach gebündelt, indessen funktionslos blanke Kupferrohre herumlaufen. Auch Bosslets Materialbilder, so scheint es, rechnen fest mit den Mehrdeutigkeiten, die sie selber angezettelt haben. Gearbeitet wird auf Polyäthylentafeln oder Zinkblech (anstelle von Leinwand oder Holz als Bildträgern); Zinksulfide, Putz, Bitumen, Asphalt, Lack- oder Aluminiumfarben ersetzen die konventionelleren Pigmente. Was zu sehen ist, sind‘s nun Labyrinthe oder Schaltpläne, derbe Leitungssysteme oder Grundrisse, welcher Art auch immer, auch Würfelkonstruktionen in stereometrischer Darstellung lassen sich assoziieren, die berserkerhafte, in nun wiederum sehr zeittypischen, zwei- und dreiteiligen Riesenformaten entfaltete Wucht dieser „zentnerschweren“ Formen läßt heimeligere Vorstellungen einer wie auch immer vorzeigbaren Malerei erst gar nicht aufkommen.
Ihr kontrastiert nun wieder das gespenstig heitere Leben aus zweiter Hand, das Bosslet Industrie- und Hausruinen, die er auf seinen Reisen durch den spanischen Süden am Wege fand, zurückgab, indem er Mauerbruchkanten mit Farbe nachzog, in anderen Fällen tiefschwarze Farbflächen in Korrespondenz zu den vorhandenen Tür- und Fensterhöhlen setzte.
Mit diesen in Heidelberg als Schwarz-Weiß-Großfotos vorhandenen Arbeiten schließt sich dann wieder der Kreis. Sehr selbstverständlich erinnern sie daran, wie sehr Bosslets Kunst der „unterstützenden Maßnahmen“ bestimmter Voraussetzungen und Gegebenheiten bedarf, um überhaupt zu sein. Das mag anmaßend sein, aber „anmaßend“ stand schon über der Kasseler Arbeit. Dort freilich nicht als Warnung, sondern als simple Zustandsbeschreibung, denn was gelungen ist, ist allemal angemessen.

SIGRID FEESER

Bis zum 22. November täglich außer montags von 10 bis 13 und 14 bis 17, mittwochs bis 20 Uhr.