Andreas Paeslack / „Dresdens Junge Dinger“ / 2008


AP: Welche Motive haben Dich 1997 nach Dresden verschlagen?

EB: Geld und Ruhm.
Als ich 1987, sechs Jahre nach dem Studium mit 35 Jahren aus dem Nichts heraus zur documenta 8 in Kassel eingeladen wurde, hatte ich über die Zusammenarbeit mit der John Gibson Gallery, New York eine sehr gute wirtschaftliche Basis. Meine Arbeiten wurden z. B. von Sammlern wie Martin Z. Margulies, Hoffmann, Chicago und Charles Saatchi, London und europäischen und amerikanischen Museen erworben. Einzel-ausstellungen, z. B. mit der Neuen Nationalgalerie Berlin, dem Kunst-verein Heidelberg, der Kunsthalle Rotterdam und dem Sprengel Museum Hannover, schlossen sich an.
Über die John Gibson Gallery entstanden Kooperationen mit Galerien in den USA und im europäischen Ausland. In der Folge hatte es sich aber nicht gefügt, mit einer Galerie in Deutschland zusammenarbeiten zu können, die genügend Einfluss und Sammler hatte, um meinen Typ von Arbeiten nachhaltig erfolgreich zu kommunizieren und zu verkaufen. Anfang der 1990er Jahre kam der Wirtschafts-/Kunstmarktcrash da-zwischen. Zum midcareer artist geworden, wurden die finanziellen Perspektiven unsicher. Aus dieser Situation heraus entwickelte sich mein Interesse an einer Professur. Nachdem es in Münster, Kassel und Braun-schweig trotz Erfolg versprechender Dreierlistung nicht geklappt hatte, waren die komplexen Koordinaten, die letztendlich zu einer Berufung führen, in Dresden die richtigen. Im Nachhinein muss ich sagen, dass ich mit dem Schicksal, nach Dresden verschlagen worden zu sein, sehr glücklich bin. Die Nähe zu Berlin, wo ich von 1975 bis 1981 studierte, viele Freunde habe, ein Teil meiner Verwandtschaft lebt und die Kunstszene so international geworden ist, machte Dresden attraktiv.

AP: Gleich zu Beginn Deiner Lehrtätigkeit hast Du durch Brechung von Konventionen mein Interesse gewonnen. Unter anderem dadurch, dass Du Dich als einziger auf meine Stellenauslobung zur Meisterschülerbetreuung beworben hast. Die Perspektivlosigkeit des institutionellen Apparates war mein Motiv für die Auslobung. Der damalige Lehrkörper zerfleischte sich in Ost-West-Konflikten. Die Aufgabe lautete, von einem Ideologiekonzept in einem anderen anzukommen. Die positiven Momente waren die Auseinandersetzung um Traditionen und die gegenseitige Infragestellung der Lehrkompetenz, die Du mit der Fokussierung auf die Studenten be-antwortet hast. Was sind Deine Erfahrungen elf Jahre später?

EB: In den letzten zehn Jahren hat sich viel verändert und entwickelt an der Hochschule und in der Stadt. Ich habe zu Beginn meiner Hochschulzeit als Lehrender meinen Blick nicht so sehr darauf gerichtet was ist oder war, sondern vielmehr darauf was ich machen kann, was sein oder sich entwickeln sollte. Ich musste mich selbst erst als Lehrender kennen lernen und aus meinen Talenten Angebote an die Studierenden entwickeln. Der von Dir angesprochene Konflikt zwischen Lehrenden aus West und Ost war nie ein politisch/geografischer, sondern vielmehr das Aufeinander-stoßen von gepflegten abstrakt/expressiven Traditionen auf praktizierte zeitgenössische Kunstinhalte und Kunstformen. Ich habe von Anfang an das Ausstellen von Kunst als Teil der Kunstproduktion begriffen und jegliche Art des Zeigens, des Veröffentlichens und das Anwenden differen-zierter Ausstellungsformen und Kooperationen gefördert. Unter Mitwir-kung von etwas später hinzu berufenen Künstlerkollegen, wie z. B. Martin Honert, hat sich eine rege, von der Hochschule unabhängige Kunstszene mit vielerlei Ausstellungs- und Veranstaltungsformaten entwickelt. Was weiterhin in Dresden fehlt, ist eine herausragende städtische Institution und Landesinstitution für zeitgenössische Bildende Kunst – vergleichbar den heutigen Gegebenheiten in Leipzig.

AP: Anfang der 1980er Jahre gründeten sich in Berlin zwei bemerkens-werte Produktionsgemeinschaften, die heute Kunstgeschichtsstatus ge-nießen. „Büro Berlin – Ein Produktionsbegriff“ (Rahmann, Pitz, Kummer, 1980) und „Material und Wirkung – Operieren im urbanen Raum“ (Bosslet, Gutmann, Sattel, Klotz, 1981). Beide Künstlergemeinschaften verweisen mit ihrer Gästeliste (Karl-Heinz Eckert, Folke Hanfeld, Thomas Schultz u.a.) und der Realisierung von Alternativen zum vordefinierten institutionalisierten Kunstsystem aufeinander. Was waren eure Ziel-setzungen und wie bestimmen diese Deine Produktionen?

EB: 1975 begann ich mein Kunststudium an der HdK, heute UdK, Berlin. Damit ich mich aus der Szene Mitte der 1970er Jahre heraus künstlerisch entwickeln konnte, hatte ich keine andere Wahl, als aus einer Nische heraus das Andere zu entwickeln. Für das Spektrum (Sozialistischer Realismus/Neuer Realismus/Berliner Realismus/Kritischer Realismus, an-schließend der Hunger nach Bildern, die Neuen Wilden/Moritz Boys/ Mülheimer Freiheit), das damals das öffentliche Kunstgeschehen in West-Berlin bestimmte, interessierte ich mich nicht. Expressionismus, Szene und Lifestyle waren nicht die Basis meines künstlerischen Interesses. Man könnte sagen: Alles, nur das nicht. Andere Stellen und Orte zu nutzen, mit Formen und Inhalten aktiv zu werden die mit dem weißen Ausstellungs-raum nichts zu tun hatten war von Interesse.
Urbanes, Soziales, Wissenschaftliches, Situatives und unerlaubte Inter-ventionen in den öffentlichen Raum beschäftigten uns. Selbstverständlich wollte man jedoch von den Protagonisten der Kunstvermittlung wahr-genommen werden und betrieb entsprechende Öffentlichkeitsarbeit. Nur so konnten letztendlich Projektförderungen bewirkt und Stipendien er-möglicht werden. Schließlich verstand man sich als Teil des Kunst-geschehens und wollte den Mainstream relativierend das Eigene in den Diskurs einbringen. Die Galerie- und Museumserfolge der Arte Povera zeigten die Perspektive.

AP: Heute bist Du selbst Repräsentant der Institution und vermittelst Dein Wissen im Rahmen einer historistischen Form, das der akademischen Fachklasse. Wie bewältigst Du den Spagat zwischen Mitgliedschaft und dissidierendem Denken? Wie gestaltest Du Deine Kompetenzvermittlung? Gibt es Zukunftsvisionen?

EB: Ich bin nicht nur Repräsentant der Kunsthochschule, ich bin auch Nutzer und Entwickler. Als Genutzter bekomme ich von der Gesellschaft Geld, Animateur, Motivator und Betreuer derjenigen zu sein, die sich persönlich, kulturell und künstlerisch entwickeln wollen. Dabei auch Wissen zu vermitteln, ist ein vielleicht gar nicht so großer Bestandteil. Das Kunststudium ist etwas anderes als das Studium der Naturwissenschaften, wo es vorrangig um das Lernen von bereits Bekanntem geht.

Es kann für den, der sich entscheidet, den Rahmen einer Kunsthochschule als Entwicklungshilfe aufzusuchen, darum gehen, seine Qualitäten heraus-zufinden und diese zu entwickeln. Die von Dir mit negativem Unterton benannte historistische Form, die der akademischen Fachklasse kann das sein, was man daraus macht. Der Rahmen ist groß und flexibel. Für Außenstehende sollte erläutert werden, dass eine Klasse in einer Kunst-hochschule nichts mit dem festen Klassenjahrgangsverband einer Grund-schule zu tun hat. Studenten unterschiedlichen Alters, unterschiedlichen Studienverlaufs (5.-10. Semester) und unterschiedlichen Kenntnisstandes arbeiten, wenn sie wollen, gemeinsam, einzeln oder in kleinsten selbst gewählten Kooperationen zusammen, jeder für sich selbst verantwortlich an eigenen Fragestellungen und Vorhaben, in selbst gewählter Technik, nach selbst bestimmten Tempo, zu selbst bestimmter Tageszeit. Sie lernen voneinander und werden beraten von wem und wann sie wollen. Feste Termine und Leistungsnachweise nach starren Erfüllungsvorgaben sind vergleichsweise gering. Im Detail kann ein Kunststudium immer verbessert werden. In der Struktur entspricht es seit Jahrzehnten dem Ideal des auch für andere Schulformen geforderten vernetzten Lernens. Ich verstehe mich vergleichbar der Situation im Sport als Trainer/Coach.
Meister bieten Gelegenheiten und Anlässe des Vergleichs und der Profi-lierung. Für die, die sehr gut sein wollen, geht es meist darum, den Meister erst einmal zu erreichen, ihn zu überwinden und hinter sich zu lassen. Diese Lernprozesse sind universell und archaisch.
Als Künstler bin ich auch Nutzer der Einrichtungen der Hochschule. Als Künstler bin ich gegen die Hemmnisse des Apparates und gegen Bedenkenträger und verliere nie aus den Augen, dass die Kunsthochschule da ist, Kunst zu ermöglichen und Kunstentwicklungen zu fördern. Die Hochschule und ihre Lehrenden sind Dienstleister gegenüber dem Kunden. Unser Kunde ist der Student. Ohne Spagat kein Dissident! Siehe meine Arbeiten – es braucht immer den Konterpart, eine Relation, Gegebenes und Hinzugefügtes; Absolutes und Autonomes existiert nicht – es ist höchstens denkbar.

AP: Professor an einer Kunstakademie zu sein impliziert die Behauptung, dass Du folgende Fragen beantworten kannst: „Was ist Kunst?“ „Was ist lehrbar an künstlerischer Produktion?“

EB: Genau:
1. Kunst ist ein Gattungsbegriff – der Gattungsbegriff wird stetig neu befragt und in Werken manifestiert/definiert, um ihn erneut in Frage zu stellen und zu definieren etc.
2. Lehrbar an künstlerischer Produktion ist die Handwerklichkeit (Re-cherche/Forschung, Verfahrenstechnik, Materialbeschaffung, Herstellung, Vertrieb, Verkauf, Lagerung, Transport, Marketing, Presse- und Öffent-lichkeitsarbeit). Alles Andere siehe oben.
3. Was Du nicht gefragt hast: Von dem komplexen Umfeld eines Kunst-studiums geht eine Stimulans latent vorhandener Qualitäten aus, die ent-deckt und entwickelt werden können. Das kann man nicht lehren – der Vorgang wird aber in einer Kunsthochschule verursacht und ist in seiner Wirkungsweite nicht zu unterschätzen.

AP: In einem Interview mit Sven Drühl (EBERHARD BOSSLET im Gespräch mit Sven Drühl, KUNSTFORUM INTERNATIONAL, Bd. 164, März-Mai 2003, S. 222-233; hier ab S. 71) beantwortest Du die Frage zu Deinem Materialbegriff damit, dass Material und das, worauf es hinweist, immer Teil unserer sozio-wirtschafts-kulturellen Gegenwart ist und ... damit selbst Inhalt ... darstellt. Im quantifiziert Gedachten und auto-matisiert hergestellten Material spricht der ideologische Fortschritts-gedanke der Gesellschaft. Wo sprichst Du, der Künstler?

EB: Ich spreche in meinem Tun nicht schöpferisch gottgleich und nicht mit Lehm und Ton, sondern ich stelle Bekanntes in neue Konstellationen und Relationen. Ich mache es letztlich nicht anders als alle anderen Künstler, ich stifte neue Zusammenhänge und emotionalisiere diese. Sozio-wirtschafts-kulturelle Erlebniskonventionen und Traditionen werden gebrochen und, durch neue Aspekte versehen, wieder erleb- und denkbar. Um vergleichbar zu bleiben muss sich alles ändern und entwickeln.

AP: Expressivität kann als Suchbegriff innerhalb Deines Werks be-schrieben werden (was nicht heißt, sie wäre nicht vorhanden). Das Bestreben, Expressivität zu minimieren, leuchtet als Zivilisationsleistung sofort ein. In der Regel wird von dem, was Kunst genannt wird, etwas anderes erwartet. Expressivität und Handschriftlichkeit werden als Verweis auf Individuelles zum Gestaltungsmerkmal erhoben. Was mich in dem Zusammenhang interessiert ist Deine handwerkliche Philosophie.

EB: Ich verstehe meine Arbeiten oftmals als expressiv oder konstruktiv-expressiv, allerdings ohne ostentativen Bezug zu meiner Person und Psyche.
Zu Deiner eigentlichen Frage: Es gibt nichts, was ich handwerklich besser könnte als andere. Es ist eher umgekehrt. Was ich tue kann jeder andere auch tun. Und das ist gut so. Was andere besser können hat Anteil in meinen Arbeiten. Eine interne Vergleichbarkeit von Fertigkeiten, die zur Existenz des Werkes beitragen, ist gewollt. Ich lehne für mich artistische Qualitäten, die nur über hohen Trainingsaufwand zu erlangen sind, als Mittel meiner Kunstherstellung ab. Ich habe kein Bedürfnis, meine Individualität über handwerkliche Handschrift öffentlich zu machen oder darüber künstlerische Wertschätzung zu erlangen.

AP: Der Ausgangspunkt Deiner Produktion kann als die Beweisführung der Theorie von Marshall McLuhan – Das Medium ist die Botschaft – gelesen werden. Wenn Material und Inhalt identisch sind, was sagst Du dann zu der These, dass ein Kunstwerk etwas thematisiert und darstellt, was es selbst nicht ist?

EB: Ich habe mich über ein Allgemeinwissen hinaus nicht mit der Theorie von Marshall McLuhan Das Medium ist die Botschaft beschäftigt. Da für mich mit Material nicht nur das Dinglich-Stoffliche gemeint ist, sondern alle Zusammenhänge, Systeme und Strukturen im natürlichen, künstlichen, wissenschaftlichen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Raum, sind viele Bezüge enthalten. Ich gehe davon aus, dass bildexterne Referenzen in einer künstlerischen Arbeit einen bewussten Platz haben. Materialien und Stoffe überwiegend oder ausschließlich dienend einzusetzen entspricht nicht meiner Vorstellung der Mitwirkung und Selbstbestimmung der einzelnen Aspekte einer Arbeit.

AP: Im oben erwähnten Interview verneinst Du die Frage, ob Kunst einen gesellschaftlichen Auftrag hat. Warum?

EB: Es fehlt der gesellschaftliche Auftraggeber. Gesellschaft, Religion und Ideologie fehlen als allgemeiner und genereller Auftraggeber – so kann es auch keinen Auftragnehmer geben. Wer auch immer sich beauftragt fühlt, soll entsprechende Werke schaffen.

AP: Worin besteht der Funktionszusammenhang von Kunst?

EB: Die Frage verstehe ich nicht.

AP: Funktion beinhaltet einen Zweck. Irgendeinen Funktionszusammen-hang muss Kunst haben, sonst würdest Du sie nicht betreiben und andere sie nicht rezipieren. Sie würde nicht ausgestellt und als herausragendes Beispiel menschlicher Zivilisation in kulturellen Gedächtnissen (Museen) gewürdigt. Kunst wäre nicht vorhanden.

EB: Nun – als Künstler habe ich ein weit komplexeres Verhältnis zur Kunst als jemand, der sich nur sporadisch aus Interesse und Liebhaberei mit Bildender Kunst beschäftigt. Wenn man mit Kunst zu tun hat könnte ich es mit folgendem Satz auf einen gemeinsamen Nenner bringen: Ich spüre mich, also bin ich. Dieses Sich-spüren-wollen ist ein weit reichender Antrieb für Vielerlei: Essen, Trinken, Sex, Sport, Denken, Streiten, Spielen, Gewinnen – Kunst. Bildende Kunst und andere Künste bieten ein subtiles Feld reichhaltiger Stimulationen. Über die eher ideellen Sen-sationen hinaus auch Einfluss, Geld, Gewinn, Besitz, Dominanz etc. Dieser Mix – in dem viele Mitwirkende mit differierenden Anteilen, Bedürfnissen und Zielen agieren – macht die Kunst so attraktiv. Dies ist ihr Zweck!

AP: Weiterhin bezeichnest Du den Politik-Kunst-Diskurs als bürgerlich. Fast die komplette Kunstgeschichte muss aber als Werbekampagne von fremden Repräsentationsinteressen gelesen werden. Ein Beispiel hierfür war 2006 die Ausstellung mit dem Titel „Kulturinvest Dresden, 15 Jahre Kulturstiftung Dresden der Dresdner Bank“ in der HfBK Dresden. Nun ist die Selektion der Gegenstände Deines Interesses eine politische Entschei-dung. Damit sind auf der Materialebene die Produktionsbedingungen technologisch sichtbar, unsichtbar bleiben diese als gesellschaftspolitische Konkretion. Ich unterstelle Dir, dass Du keine Werbung für die industriel-len Bereiche machst, aus denen Du Deine Materialien entlehnst. Was sind die Gründe für Deinen Verzicht auf die konkrete Darstellung der gesell-schaftspolitischen Bedingungen Deiner Produktionen?

EB: Es ist nicht mein Thema, explizit die gesellschaftspolitischen Bedingungen meiner Produktionen zu artikulieren. Andererseits, können meine Arbeiten ihre eigenen Bedingungen als Frage aufwerfen? Ich bin erstaunt, verstört, bewundere aber auch was der Mensch so alles zustande bringt. Da ich selbst ein Produkt bin, will ich manches in meinen Werken teilnehmen lassen, was keinesfalls von mir hätte erdacht oder gemacht werden können.

AP: Was unterscheidet Kunst von Design?

EB: Design hat immer einen praktischen Nutzen und eine Funktion in der Art wie z. B. Architektur. Da alles, was wir kennen, eine Gestalt hat, muss diese bei von Menschen gemachten Dingen gestaltet/designed werden: z. B. ein Stuhl. Das kann man natürlich weiterspinnen: mit einem Kunst-werk kann Geld verdient werden – ein durchaus praktischer Nutzen. Der Samen eines Baumes macht seine Gestalt selbst – allerdings auch da nicht bedingungslos.

AP: Kunst gilt heute als der Freiraum für individuelles und souveränes Handeln – ein Grund für ihre Popularität. Im Grundgesetz – eine Ver-fassung haben wir trotz Wiedervereinigung noch keine – wird die Kunst frei gesprochen. Wie soll das funktionieren, wenn das Vergesellschaftungs-prinzip und damit der objektive Erkenntniszusammenhang privatwirt-schaftlich und konsumorientiert organisiert ist, die Produktionslogik von der Aneignungslogik diktiert wird und der Möglichkeitshorizont der Er-kenntnisform Kunst in der Warenform eingeschränkt ist?

EB: Man kann Kunst frei sprechen, wenn man an Freiheit glaubt. Beides tue ich nicht!

AP: Der Markt ist der logische Selektionsmechanismus in einer privat-wirtschaftlich geprägten Warentauschgesellschaft, in dem sich das Richti-ge und Gute lediglich als Willkür durchsetzen. Einerseits boomt der Kunst-mark, Millionen werden verdient und Künstler kapitalisieren ihre Wert-schöpfungen, andererseits beläuft sich nach Angaben der Künstlersozial-kasse (2006) das Durchschnittseinkommen eines Künstlers auf 10214 Euro jährlich. 80% der Künstler können nicht von ihrer Produktion leben – hängen die Kunst an den Nagel. Nun kann man das Problem verdrängen oder wie Boris Groys das Nichterwählte zum kritischen Potenzial des Erfolgreichen erheben. Theoretisch kann das Trost spenden. Was sagst Du zu diesem Dilemma?

EB: Wenn Menschen nicht von ihrem Verdienst leben können, dann braucht es das bedingungslose Grundgehalt für alle. Ich denke, das wäre für eine moderne Industriegesellschaft wirtschaftlich nützlich – darüber gibt es schon einiges zu lesen. Zu Deiner oben angeführten Statistik: darin fehlen die Einkommen der sehr gut verdienenden Künstler, die nicht in der Künstlersozialkasse sind. Der Durchschnitt sähe anders aus – wäre dadurch aber auch nicht richtiger. Zu den 80% der Künstler, die nicht von ihrer Kunst leben können, wäre es interessant zu erheben, wie viele von den Fähigkeiten leben können, die sie in ihrem Leben bis zum Abschluss des Kunststudium gelernt haben. Auch Besser- und Bestverdiener leben nicht von dem, was sie im Kernfach ihres Studiums oder ihrer Berufs-ausbildung gelernt haben. Der Entwurf des eigenen Persönlichkeitsbildes muss stetig weiterentwickelt werden, um Vorstellungen und tatsächliche Möglichkeiten zu koordinieren. Es ist eine Illusion zu glauben, man könnte einen Beruf (mit fest umrissenem Berufsbild) lernen und damit dann ohne weiteres Dazutun Geld bis zum Lebensende verdienen.

AP: Angenommen, Dein Kind will Kunst studieren, was dann?

EB: Prima – hoffentlich ist sein Vater schwach genug und das Kind zuversichtlich genug, um den Vater übertreffen zu können. Warum soll das nicht gehen?
Allgemeiner: In einer Zeit schnellen Wandels, technischer und gesellschaft-licher Entwicklung nähert sich dieser Unsicherheitsfaktor im Künstler-beruf den ständig wechselnden, unsicheren Konditionen anderer Berufe merklich an.
Kreativität und Flexibilität zu praktizieren und zu erlernen ist unter diesen Gesichtspunkten ein hohes Gut und befähigt auf der Basis konventionellen Wissens Innovation in Kunst, Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesell-schaft zu verursachen. Das Studium der Bildenden Kunst zielt auf ein Berufsbild Künstler, das wie kein anderes den in unserer Gesellschaft kaum noch vorhandenen Prototypen des Universalunternehmers darstellt. Der Bildende Künstler vereint im Grundsatz das, was in heutigen Unter-nehmen schon längst auf viele Köpfe verteilt und in unterschiedlichen Abteilungen erarbeitet wird: die Entwicklung eines Produkts jenseits der Nachfrage, Forschung und Innovation, Verfahrenstechnik, Materialbe-schaffung, Herstellung, Vertrieb, Verkauf, Lagerung, Transport, Marke-ting, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Selbst wenn nach dem Studium einige dieser Bereiche vom Künstler in andere Hände gelegt werden, ist das Wissen aus der Komplexität des Kunststudiums und die aus ihm erlangten Befähigungen ein unschätzbarer Wert für das weitere Berufs-leben, auch dann wenn es sich nicht im Ideal des bekannten und wohl-habenden Künstlers im Berufsbild Künstler wieder findet.

AP: Deine Arbeit „ALDI Wagenkreisel“, 2007 erinnert mich an den Ausspruch von Sohn-Rethel: „… die Warenform begreift das Transzenden-talsubjekt in sich, mit dem er die idealistisch gesetzte Idee eines ethisch geleiteten Weltbürgers (Kant) materialistisch gründet.“ In einem sind sich allerdings beide Philosophen einig: Kant nennt den Geschmack „... ein Beurteilungsvermögen sittlicher Ideen ...“ und Sohn-Rethel verweist darauf, dass ein Stück Brot, das einer isst, den anderen nicht satt macht. Welchen Stellenwert hat die Ethik innerhalb Deiner Produktion?

EB: Ich befürchte, dass mir Ethik, Moral, Freiheit unbegreiflich bleiben. Sohn-Rethel kenne ich nicht – von Kant würde ich dem Kategorischen Imperativ zustimmen.

AP: 36 Jahre nach dem der Club of Rome seinen Bericht zur Lage der Menschheit veröffentlicht hat, lassen sich haltbare Aussagen eigentlich nur noch als Differenz zur bestehenden Praxis formulieren. Wie wichtig ist für Dich eigene Theoriebildung?

EB: Bei einer guten Wechselwirkung zwischen Denken und Handeln ist mir die Praxis als Niederschlag und Materialisierung dieses Vorgangs wichtiger als eine eigene Theorie: Bildende Kunst ist keine Theorie, sondern letztlich Praxis.

AP: Was ist Aktualität und wo siehst Du die Aktualität Deiner Arbeit?

EB: Heute Aktuell sind Nachrichten über Geschehnisse des Tages, die unter Umständen weit zurück greifende Ursachen haben und unter Um-ständen weit in die Zukunft wirken.
Wer die Nachricht nicht am Tag des Geschehens bekommt, ist nicht up to date. Alte Nachrichten sind für den, der diese erstmalig bekommt, brandaktuell – egal wieweit das Geschehen in der Vergangenheit liegt.
Da es niemanden mehr geben kann, der die gesamte Fülle der Kunst-nachrichten empfangen könnte, kann es auch niemanden geben, der auf dem aktuellen Stand ist. Mal abgesehen von den sowieso vorhandenen persönlichen Präferenzen. Jeder ist irgendwo im Hintertreffen, mit dem Vorteil, immer wieder auf aktuelles stoßen zu können. Nachteil: alle Sender (Künstler, Galerien, Museen, Kuratoren) verschicken die für sie selbst gerade aktuellen Nachrichten, vermeintlich neue Nachrichten – so wird manches auf der Suche nach neuen, uninformierten Empfängern als alter Hut auf den Weg geschickt (man könnte auch sagen, auf der Suche nach einem Dummen ins Spiel gebracht). Aktuell ist, was ein Aktiver tut und dieses Geschehnis zur Nachricht werden lässt, dabei Gehör bei nicht voll Informierten findet. Wikipedia schreibt: Aktualität lässt sich messen an dem zeitlichen Abstand zwischen dem Ereignis und der Vermittlung, der Veröffentlichung dieses Ereignisses.
Solange ich an mir Unbekanntem arbeite, ist die Aktualität meiner Arbeit für mich gegeben. Ob dabei die Aktualität für Bestinformierte gegeben ist, weiß ich nicht. Das kann ich nicht sagen. Ob diese Personen aber glaubhaft machen können, dass sie zu den Bestinformierten gehören, bleibt offen.
Schön dazu passt der Begriff der Relevanz.

AP: Mit dem Begriff der Intervention kennzeichnest Du eine Deiner Werkgruppen. Intervention zielt auf Einmischung, Widerspruch und macht auf dem Feld der Kunst als kritischer Begriff Sinn. Wogegen intervenierst Du?

EB: Ich interveniere in Gewohnheiten, Tradition und Konvention. Siehe oben!

AP: Wer interveniert, beeinflusst den Situationsverlauf. Jede Situation ist ein Gründungsmoment gesellschaftlicher Entwicklung. In Deinen Arbeiten trägst Du dem Situativen Rechnung, mit welcher Perspektive?

EB: Was meinst Du damit? Mit welcher Erwartung?

AP: Die Begriffe Intervention und Situation stammen aus militärischen Zusammenhängen. Heute gehören sie eher zum linkspolitischen Repertoire (Situationistische Revolutionstheorie, Situationistische Internationale, Situationismus, Situationsansatz in der Kinder- und Jugendpädagogik). Entfaltet hat den Begriff der Situation Martin Heidegger in „Sein und Zeit“ (1927, später Sartre in „Situations“, 1948/1949). Dieser Lektüre verdanken wir Begrifflichkeiten wie das „Situationsgemäße“ oder das „Situationsbedingte“. Zum einen geht es um die Betonung des Orts- und Zeitbezugs, nicht alles ist zu jeder Zeit und an jedem Ort möglich, zum anderen darum, das einmalige und unwiederbringliche Potential einer Situation zu erkennen. In der Situation handelt der Mensch, das Wie (Freiheit) schreibt sie ihm im Rahmen ihrer Gegebenheiten vor. Für mich bildet das situative Potential das Korrelat zum Konzept. Was heißt, das Konzept wird durch das erkannte Situationspotenzial – das Situations-gemäße – in Frage gestellt.

EB: Deine Aussage habe ich verstanden und sie ist mir soweit auch geläufig. Ich verstehe die Frage: „... mit welcher Perspektive?“ nicht.

AP: Lass mich Dich anders fragen: Hast Du einen konkreten Begriff der Situation?

EB: Nein, da möchte ich es mit Wittgenstein halten: „Die Welt ist alles, was der Fall ist.“

AP: Das Prädikat Kunst wird resümierend verliehen. Die Gesellschaft bestätigt damit die Anspruchserhebung, die künstlerische Wertbehauptung des Künstlers auf Anerkennung. Da drängen sich zwei Fragen auf:
1. Wer macht eigentlich die Kunst?
2. Wenn diese als gesellschaftlicher Wert gesetzt wird, bekommt dann jede Gesellschaft die Kunst, nach der sie verlangt?

EB: Dazu habe ich mich weiter oben schon geäußert.
Der Begriff „Kunst“ steht für eine Gattung, eine Kategorie, er ist kein Prädikat oder Qualitätsbegriff. Anerkennung kann man durch Besser-wissende, die man bereit ist als solche anzuerkennen, erfahren – oder in der Form der wohlwollenden Elternliebe.

Zu 1.: Der Mensch macht die Kunst.
Zu 2.: Die Gesellschaft bekommt die Kunst, die sie – realisiert durch Einzelne oder Gruppen – herzustellen in der Lage ist.