ZITTY Magazin, 9/1989, von MARIUS BABIAS

WEIN, ABER SAUREN

Nicht jeden Tag bietet sich dem Rezensenten die Möglichkeit, in herzerfrischend unkomplizierter Weise von einem Mitglied des Aufsichtspersonals durch eine zeitgenössische Kunstausstellung geführt zu werden, so geschehen bei der Schau des in Berlin lebenden und arbeitenden Eberhard Bosslet in der Nationalgalerie, Abteilung Kunstforum Grundkreditbank. Im Vergleich dazu, man möge sich einer solchen Übung unterziehen, wirkt der museale Rundgang in Begleitung eines professionellen Kunstführers schablonenhaft, ermüdend und einschläfernd. Die Assoziationen einer Aufsichtsperson hingegen, hier in indirekter Rede wiedergegeben, die täglich stundenlang mit der Kunst verbringen bzw. diese ohne Zulage für die dabei erlittene Langeweile ertragen muß, liegen dem Wahrheitsgehalt eines Kunstwerks, zumal wenn es auf alltägliche Materialien zurückgreift, manchmal näher als die philosophisch einzementierten Theoreme eines Spezialisten oder als die an den Haaren herbeigeschmierten Ergüsse eines Kritikers.
Im Falle Bosslets, der als einer der wenigen jüngeren deutschen Künstler auch in den USA große Wertschätzung genießt, liegt die Verschränkung zwischen Bau und Kunst, meint unser Aufseher, auf der Hand. Diese Verbindung sei allerdings nicht funktionaler Natur, d.h. es ginge Bosslet nicht darum, seine technische Fingerfertigkeit beim Umgang mit Baumaterialien wie Rasterschalungselementen, Stahlrohr-Deckenstützen, Stoßklemmen und Bolzen unter Beweis zu stellen, sondern darum, die Umwandlung von Bau- und Industriematerialien zu Kunstwerken nachvollziehbar zu machen. Die Verbindung zwischen Bau und Kunst sei dann vielmehr methodischer Natur, hinzu komme noch, wie die vom Boden bis zur Decke reichende und die Decke ganz wie im Wohnungsbau scheinbar stützende Arbeit Grundkredit zeige, ein ironisch inhaltlicher Aspekt, so als ob die Finanzmacht der Grundkreditbank, die ja die Ausstellung beherberge, von Bosslets Kunstwerken gestützt werde. Ähnliche inhaltliche Anspielungen würden auch für Bosslets Aktenschränke, deren Innenteile herausgenommen und mittels Holzklötzen und Eisenbändern mit dem Gehäuse festgezurrt werden, gelten; Titel wie Nixdorf, Siemens oder Verwaltungstrakt zeugten von großem Einfallsreichtum und formulierten parallel zu den eingeschnürten Aktenschränken, die schon von sich aus eine metaphorische Aussage treffen, eine allgemeine Kritik an der kästchenartigen Denkstruktur solcher Konzerne, wie Nixdorf und Siemens es seien.
Dem Geheimnis von Raster dagegen, einer zwischen den Raumsäulen architek­tonisch geschickt eingepaßten 68 x 750 x 750 cm großen Bodenarbeit aus 89 Tekko-Schalungselementen und 80 Stahlrohr-Deckenstützen, wäre im Vergleich zu den Aktenschränken schwieriger, gewissermaßen nur spekulativ beizukommen. Auf die Gefahr hin, die inhaltliche Absicht falsch zu interpretieren, über ästhetische Dinge könne und wolle er auch nicht reden, fielen ihm, dem Aufseher, spontan folgende Assoziationen ein: Röhrengewirr als sozietäres Verteilersystem, Pipelines, Kanalisation etc. „Man sieht manchmal Filme im Fernsehen, wo ähnliche Röhren vorkommen“, meint unser Aufseher. Saubere, umweltschonende Verteilernetze zur Sicherstellung der Großstadtversorgung, auch an dieser Arbeit bewundere er die technisch perfekte Ausführung, dies wiederum höre der Künstler, dem es mehr auf die metaphorische Aussage als auf das Material ankäme, nicht so gerne.
Apropos Künstler, er kenne, vom Aufbau und von der Vernissage her, fast jeden, der hier ausstelle. Die Künstler seien aufgeschlossen, er unterhalte sich mit jedem, um die Kunstwerke besser zu verstehen. Auf der Eröffnung, zu der jeder Besucher, auch der ohne Einladung, herzlich willkommen sei, „gibt es einen Happen zu trinken, ein Glas Wein, aber sauren“.

Marius Babias Kunstforum Grundkreditbank: Eberhard Bosslet. Bis 16.5.