Die Rheinpfalz. 2.3.1998, von SUSANNE SCHÜTZ

Wahrnehmungsangebote: Kühl geplant, lassen sie niemanden kalt

Zwei neue Installationen und fünfzehn Fotografien von Eberhard Bosslet – Ausstellung „Fundamental wie Bilateral“ in der Mannheimer Kunsthalle

Eberhard Bosslet hat als Kind bestimmt den Telefonhörer auseinandergeschraubt, um zu gucken woher die Stimmen kommen. Er ist kein Architekt oder Bauingenieur, aber kennt sich auf Baustellen aus, arbeitet mit Beton, Armiereisen, Stahlfedern, Alugußscheiben. Er interessiert sich nicht für die Fassade, das finale Schöne. Was darunter, drinnen liegt, will Eberhard Bosslet sichtbar machen. Erstmal ganz konkret baulich: die Fundamente, die Stützen, den nötigen Aufwand, damit etwas zusammenhält. Das Metaphorische kann sich dann dazudenken, wer will. So wird, wer noch das Kind in sich spürt, das wissen will, wie etwas funktioniert, oder einfach ein wenig Spieltrieb besitzt und Lust am aktiven Sehen, Riechen, Erleben, sich gern auf „Monocell“ und „Universal“ einlassen.
Bei der Vernissage zu „Fundamental wie Bilateral“ steht der vor 44 Jahren in Speyer geborene documenta-8-Teilnehmer und Professor für Bildhauerei (an der Hochschule in Dresden) nun auf der Empore, ein bißchen distanziert wie sein Werk zunächst auch, und guckt herab auf seine zwei architektonischen Installationen - ein an klassische Tiefbauprinzipien angelehntes Beton-Fundament mit Gitterrost aus eisernen Ankerstäben („Universal“) und ein drei Meter hoher dachloser, begehbarer Bau aus weißem Ytong, 5-fach von Ankerstäben durchbohrt und mit „bilateralen Beziehungen“ versehen: je zwei aus der Textilindustrie ausgeborgte Kettbaumscheiben, von gespannten Stahlfedern und angezogenen Muttern gegen die Wand gezwungen („Monocell“).
Aber Bosslet schaut vor allem auf die Menschen, die dazwischen herumwuseln und sich wundern. Er erklärt durchaus gerne seine Technik, sein Material; Interpretationen der Wirkung, der Stimmung überläßt er anderen. Da lächelt er freundlich und schweigt. Aber ein Blick auf die fünfzehn nebenan ausgestellten Fotografien, die seine „Interventionen“ aus den 80ern dokumentieren, erklärt manches. Bosslet zeichnete damals weiße Konturen auf Bauruinen: verfallene Häuser, eine abrißreife Hafenanlage oder den „Bosslet Highway“, Autobahnfragmente auf Teneriffa. Mal einer aztekischen Pyramide gleich, mal als Wohnungsgrundriß zwang er ihnen ein Linienkorsett auf, dokumentierte Verfall, schuf Neues.
Eberhard Bosslet kombiniert für seine Installationen verschiedene Elemente immer wieder Material aus der technoiden, schizoiden Welt - stets in Einklang mit dem vorgefundenen Raum, der wichtiger Bestandteil seiner Werke ist. In Mannheim ist der Raum weit, sehr grau, mit ganzseitiger Fensterfront und häßlicher brauner Decke und nur über eine hinabführende Treppe erreichbar. So erblickt jeder Betrachter die Installation zuerst von oben, und erkennt zwei vom Grundriß (vier mal sechs Meter) gleiche Objekte, die ansonsten wenig gemein zu haben scheinen. Sie ergänzen sich aber ideal und machen das von Bosslet als bloßes Obdach empfundene Drumherum zu einem Raum spannender Wahrnehmungsangebote.
Kontraste fallen auf: offen-geschlossen, tief-hoch, belastbar-belastet. „Universal“ ist bodennah, komplett einzusehen, jedoch abweisend. Denn gefährlich ragen die Stäbe heraus, vertikal aus den Pfeilerstümpfen (als stützende Streben durchaus Bauwirklichkeit widerspiegelnd) und horizontal aus dem Rahmen (wie sonst nirgendwo). Ein viel zu graues Fakirbett, meint ein Betrachter.
Beliebter bei den Vernissagengästen ist „Monocell“, das gar keine zellengleiche Gefangenschaft verspüren läßt. „Zum letzten Gewinde, Tempel der Industriekultur“, tituliert einer. Radkappen, Tresorverschluß, Sonnenrad assoziieren andere. Der Leichtbau „Monocell“ braucht kein Fundament, muß dafür aber viel aushalten, wird die Wand doch mehrfach eingeklemmmt.
Wer „Monocell“ ganz erfahren will, muß daran scheitern: Es gibt keine Perspektive, von der alles einzusehen ist. Steht man im schmalen Eingang, betrachtet die aufgeschnittene Wand und bewegt den Kopf schnell hin und her, kann man zumindest eine bilaterale Beziehung fast simultan wahrnehmen. Außen sind diese immer roh, innen hat Bosslet mit viel Lack zugeschlagen: Im Pseudoglanz erstrahlt eine Scheibe gold, eine andere ist bürgerlich-spießig rotbraun gestrichen, aber mit einem kränklichen, bläßlichen wie phosphorizierendem Gelbgrün umrandet. Eine bewußt abstruse Farbkombinatorik. Kühl geplant vielleicht, aber kalt läßt hier nichts.

ÖFFNUNGSZEITEN
bis 14. Juni täglich 10-17 Uhr, donnerstags 12-17 Uhr, montags geschlossen.