Kreiszeitung Wesermarch, 17.9.1987, von PETRA HERZOG

Wahl des Preisträgers kein leichter Job

Wieder zehn Kandidaten für den Bremer Kunstpreis in der Ausstellung

Seit fünf Jahren gibt es den „Bremer Kunstpreis“, der, dotiert mit 20 000 DM, an junge Künstlerinnen und Künstler vergeben wird. 1983 wurde der „Kunstpreis der Böttcherstraße“ zum letzten Mal vergeben, daraufhin hat sich in Bremen ein privater Stifterkreis zusammengefunden, der in der Tradition des Böttcherstraßenpreises das Gesamtwerk der jeweiligen Künstlerin, des Künstlers würdigen soll. Zehn Künstlerinnen und Künstler, von je einem Mitglied der ebenfalls zehnköpfigen Vorschlagskommission benannt, stellen bis zum 18. Oktober ihre Werke in der Bremer Kunsthalle aus.
Die Wahl, wer von den Kandidatinnen und Kandidaten den Preis erhält, wird nicht leicht fallen, da zur Auswahl der Werke keinerlei Kriterien angesetzt wurden, und die Ausstellungsstücke demnach die unterschiedlichsten Aussagen und Herangehensweisen zum Ausdruck bringen. Daß sich die zeitgenössische Kunst immer mehr vom zweidimensionalen Bildträger löst, hat nicht nur die diesjährige documenta gezeigt; auch hier stehen skulpturale Objekte im Vordergrund.
In der Eingangshalle drückt die „Unterstützende Maßnahme“ des in Berlin und Duisburg lebenden Künstlers Eberhard Bosslet mit 60 Stahlrohrträgern und Holzpaletten gegen die Decke der Kunsthalle. Der Künstler, der auch schon auf der documenta vertreten war, weist mit seinen „unfertigen“ Gerüstskulpturen auf die uns umgebende „unfertige“ Betonarchitektur. Bosslet läßt geometrische Formen mit anderen künstlerischen Formen korrespondieren, was auch seine großflächigen Materialbilder aus Zinksulfid, Lack und Haftputz auf feuerverzinktem Blech ausdrücken
Auch bei der Künstlerin Susanne Mahlmeister findet eine Auseinandersetzung mit geometrischen bzw. stadtplanerischen Formen statt. Ihre signalroten Sperrholzobjekte stellen Grundrisse historischer Bauwerke dar. Den Palacio Nacional (Barcelona) hat sie auf seine Grundform reduziert, wie sie auf dem Stadtplan von Barcelona eingezeichnet ist, und im Maßstab 1:100 aufgebaut. Das Umsetzen dieses abstrakten Zeichens in eine Skulptur weist so wieder auf ein reales Kunstwerk, auf die Architektur hin.
Die Frage nach der Wahrnehmung der Realität stellt sich auch bei der Betrachtung der Fotoarbeit von Anna Jacquemard. Auf dem überdimensional reproduzierten Fotostreifen ( 106x900 cm) sind alltägliche Gegenstände, ein Fernsehgerät, Stuhl, Neonröhre und Fotokopierer wie verwischt dargestellt, aus ihrem normalen Kontext herausgelöst und so auf ihren realen Gehalt hin überprüfbar. Länge und Intensität der Betrachtung sind subjektiv, der Zeitbezug wird relativ und nicht mehr meßbar.
Bei den Objekten von Wolfgang Laib stellt sich ebenso die Realitätswahrnehmung als subjektiv dar. Die kleinen Reishäuser, wie aus Bauklötzen auf eine Urform zurückgeführt, fordern die Betrachtenden zum Niederhocken auf, um aus dieser ungewohnten Perspektive kleine Reishäufchen und Blütenstaub von Hahnenflußblüten als große Hügel zu erfahren. Eine lebendige Verarbeitung geometrischer Formen zeigen die Arbeiten der Künstlerin Marianne Pohl. „Aus dem Würfel“ sind farbige, ausgeschnittene Papierteile, die, sämtliche Ansichten des Würfels darstellend, an der Wand angebracht sind und schwerelos wie fliegende Papierdrachen den Raum ins Schwingen bringen. Bernhard Prinz ist mit einer Cibachrom-Fotoarbeit und einer Installation aus Spanplatten und Eisenblech vertreten.
Die Künstler ter Hell, Jürgen Messensee und Erich Reilings Werke wählen die zweidimensionale Darstellungsform. Erich Reilings Werke, graue Farbtöne auf Leinwand, wirken wie zugeknöpft auf die Betrachtenden. Im „Das Nichts bewachen“ (200x280) wird die Beschränkung auf die „Nichtfarben“ und statisch wirkende Formen deutlich. Licht und Finsternis der Bilder zeigen eine existentialistische Auseinandersetzung mit dem Leben und dem Tod.
Anders ter Hell und Jürgen Messensee, deren Bilder voller Farben sind. Jürgen Messensee komponiert seine eher unkontrolliert wirkenden Bilder bis ins Detail durch. Die Frau, der Inhalt seiner Bildwelten will er neu schaffen, Körperteile werden durch festgelegte Zeichen ersetzt. Die Bilder wirken aber nicht starr. Die „Tänzerin an der Stange“ mit expressiver Leichtigkeit und leuchtenden Farben ist ein Beispiel dafür. Fröhlich oder, wie bei den “Infantinnen“, frei nach Velasquez, ironisch, gibt er eine Interpretation von Frau, wie er sie schaffen will
ter Hells freie Farbkompositionen laden zum Verweilen ein. Durch gewaltige Farbklänge, rot und orange entsteht ein direkter emotionaler Zugang zu den Bildern, dem man sich nicht entziehen kann. Ein schönes Element der Ausstellung ist die Installation Fritz Rahmanns. Seine begehbare Camera Obscura zielt auf die Abbildung „wirklicher“ Bilder. In dem pechschwarzen Raum muß man geduldig warten, bis sich das Auge eingestellt hat. Auf die Wand wird durch ein winzig kleines Loch das auf dem Kopf stehende Bild der Wallanlagen geworfen.
Am 28. September berät sich eine unabhängige Jury, deren Mitglieder nicht in der Vorschlagskommission sind, wer in diesem Jahr den Bremer Kunstpreis erhalten wird. Am 4. Oktober ist dann um 11.30 Uhr in der Kunsthalle die große, Preisverleihung.

Petra Herzog