PLANEN, Kunstverein Heilbronn, 1995, Katalog, von MARTIN BOCHYNEK

EBERHARD BOSSLET - MALEREI
Vordergründig käme man nicht auf den Gedanken, Eberhard Bosslets Werkgruppe der Wandbehänge unter malerischen Aspekten zu diskutieren. Dafür hat sich der Begriff von der Malerei seit den Anfängen der Moderne als zu wenig flexibel erwiesen. Das heißt für die Erfindung von künstlerischen Methoden, die sich im flächigen Bereich abspielten, sind auch immer schnell Bezeichnungen wie Collage, Frottage, Montage oder Scherenschnitt parat gewesen, um die Malerei unter sich bleiben und als Arbeit mit dem Handwerkszeug des Pinsels unterschiedlichster Beschaffenheit gekennzeichnet zu lassen. Obwohl bildkünstlerische Fragestellungen längst nicht mehr ausschließlich im Medium der Malerei thematisiert werden, hat sich als begriffliche Übereinkunft nie das Wort Malerei den veränderten Gegebenheiten angepaßt, sondern es sind immer neue Bezeichnungen entstanden. Daraus resultiert wahrscheinlich die mit beständiger Regelmäßigkeit aufkeimende Debatte um das endgültige Ende der Malerei als unzeitgemäßes Medium. Anders als in der Bildhauerei
desavouiert hier der Begriff das Medium, weil er sich inhaltlich nicht den Veränderungen angepaßt hat. Für die Bildhauerei gilt das genaue Gegenteil, weil sich der Begriff dermaßen einer Entwicklung angepaßt hat, daß er mit seiner ursprünglichen Wortbedeutung fast nichts mehr gemein hat. Es gibt jedenfalls kaum einen ernst zunehmenden Künstler der Gegenwart, der im skulpturalen Bereich tätig wäre und für den die Bezeichnung Bildhauer im ursprünglichen Wortsinn nicht äußerst unpassend wäre. hier hat also das Medium den Begriff desavouiert, aber keineswegs Diskussionen über den Anachronismus von bildhauerischer Tätigkeit ausgelöst. Für die Bildhauerei hat sich das Bedeutungsfeld des Begriffes also je nach den künstlerischen Entwürfen wie selbstverständlich erweitert, so daß jedes dreidimensionale Objekt heute unabhängig von seiner Bearbeitung oder Belassenheit als Skulptur bezeichnet wird.
Ein erweiterter Malereibegriff ist bei den turnusmäßigen Restaurierungs- oder Renaturierungsmaßnahmen des Mediums allerdings nie konsequent zur Sprache gebracht worden. In den Bildwerken von Eberhard Bosslet ist dies jedoch seit den frühen Achtziger Jahren Thema und Motivation. Seine Malerei auf Bruchglas, Autoscheiben und Schaufenster markiert den Anfang einer bildnerischen Arbeit, die das Medium der Malerei in zweierlei Hinsicht zu erweitern sucht. Zum einen befreit er den Bildträger oder Bildgrund von seinem bloßen Schattendasein als übertünchter Untergrund, indem er ihn zum integralen Bestandteil des Bildes selbst macht. Es wird nicht nur das traditionell bildgebende Material der Farbe, sondern eben auch ihr Grund, das meist nur partiell bemalte Glas, zum Bildinhalt erhoben. Das alte Figur-Grund-Problem zeigt sich hier in der Fläche und angerissen ist die Idee, daß Malerei nicht ausschließlich als ein Auftragen von Farben auf einen Bildträger aufgefaßt werden muß.
Dies ist der zweite Aspekt der Erweiterung eines Mediums, der in diesen frühen Glasbildern erst noch vermittelt und durch die Auslassungen beziehungsweise das Hervortreten des Glases als Bildmaterial gekennzeichnet ist. Der übliche „malerische" Farbauftrag ist in dieser Werkphase noch nicht aufgegeben. Zwar hat Bosslet auch hier schon Industrielacke und Farben aus einem eigentlich unkünstferischen Verwendungszusammenhang benutzt, aber die begriffliche Erweiterung der Malerei als ein bildgebendes Verfahren, das durch die Farbigkeit eines verwendeten Materials geprägt wird, ist hier noch nicht vollzogen. Es besteht zunächst das Faszinosum von der Zwitterhaftigkeit des Glases, das einerseits Durchsichten erlaubt (und somit die Wand als Bildfläche einbezieht), und andererseits das Bild auch wieder auf eine Tafel reduziert. Die Befreiung des Bildgrundes von seinem Abhängigkeitsverhältnis als Bediensteten der Malerei und die damit verbundene Auffassung der Gleichwertigkeit von Bild und Bildträger macht diese Glasmalereien zu einem wichtigen und frühen Statement für Eberhard Bosslets Begriff von Malerei.
Der unmodulierte, anstrichhafte Farbauftrag und die Verwendung von Nutzfarben oder Material von werkstoffbezogener Farbigkeit weist schon darauf hin, daß Bosslet Malerei weiter gefaßt sehen möchte als man mit Öl oder Dispersion käme. Schon die Eigenwertigkeit der Stoffe und ihre Verwendung im Bilde soll als Malerei zu begreifen sein. Diese nur folgerichtige Forderung basiert auf der Erkenntnis, daß die Verwendung der sogenannten klassischen Künstlerfarben als ausschließliches Material für die Bildwerke der Malerei eine gesellschaftliche Konvention darstellt, die eher die Bequemlichkeit der Rezipienten und die Bestätigung ihrer Erwartungshaltung betreibt als daß sie der Wirklichkeit entspräche. Es hat nie Künstlerfarben gegeben, oder, es sind nie Farben speziell für die künstlerische Verwendung erfunden worden. Sie stammten immer aus ursprünglich handwerklichen Zusammenhängen, und Künstler haben dieses Material nur als für ihre Zwecke nützlich erkannt und in Gebrauch genommen.
Wenn Bosslet also Industrielacke, Haftputz, Bitumen oder Asphalt als Material für Malerei verwendet, dann geschieht das, um das Medium aus seinen zu engen Konventionen zu befreien und sein Begriffsfeld zu erweitern. Ähnlich wie Matisse seine Scherenschnitte als Malerei mit der Schere begriff und Palermos Stoffbilder nicht nur als Bruch mit der Malerei, sondern eben auch als ihre Neudefinition zu sehen sind, sieht auch Bosslet in der Verwendung von industriellen Materialien nicht nur den antikünstlerischen Aspekt, sondern hauptsächlich den der positiven Neubewertung. Man muß nicht zum Pinsel greifen, um Malerei zu schaffen.
Dieses Statement findet bei Bosslet aber erst mit dem Werkkomplex der sogenannten Wandbehänge seine Umsetzung. Es sind aus plastifiziertem Segeltuch unterschiedlicher Farbigkeit vernähte Planen, die seit 1989 Bosslets bildnerisches, oder besser gesagt, malerisches Werk bestimmen. Mit diesem Material, das normalerweise für die Herstellung von Boots- oder Surfsegeln gebraucht wird, gelingt die Erweiterung des Malereibegriffs in zweifacher Hinsicht: Durch die Eigenfarbigkeit des Tuches verschwindet die Notwendigkeit des Auftrags flüssiger Farbe auf einen Malgrund. Gleichzeitig verschmelzen Bildgrund und Bildfläche zu einer identischen Ebene. Damit wird jegliches verwendete Material tut Malerei einsichtig und zum Inhalt der Malerei selbst. In diesen Bildern gibt es keinen Untergrund mehr, oder positiv gewendet, der Untergrund hat im Verhältnis zur Bildfläche Gleichberechtigung erlangt, und ist zum sichtbaren und damit bedeutungstragenden Element aufgewertet worden. Das dialektische Dilemma von Bild und/ oder Grund kann hier nicht einmal zur Auflösung gebracht werden, weil selbst die durchsichtigen Teile der Wandbehänge nur scheinbar den Grund für die farbigen Elemente liefern. Diese Malerei liegt völlig plan und die durchscheinende Wand vermittelt nur eine Illusion von Vorder- und Hintergrund, der durch die Reflexion von Licht auf einer planimetrischen Ebene erzeugt wird. Ähnlich wie tut die Ansicht eines Diapositivs wirkt für die Wandbehänge die in der Regel weiße Galeriewand wie ein Leuchtkasten oder diffuses Tageslicht. Das weiße Umfeld eines Raumes wird Voraussetzung tut die Betrachtung und Bestandteil der Arbeit.
Diese Fülle von formalen Gesichtspunkten, die wichtig für das Verständnis von Bosslets Malerei sind, legt die Vermutung nahe, daß schon mit der Form dieser Arbeiten und der Entscheidung für ein bestimmtes Material die inhaltlichen Aspekte erschöpft sind. Dennoch ist es nicht nur die pure Konkretion, die aus den Bildern spricht. Inhalt vermittelt sich bei den Wandbehängen (und der jüngst entstandenen "Schürzen" als einer Unterabteilung) durch Methode sowie Form des Abgebildeten. Die Bildsprache lehnt sich grundsätzlich der Formensprache von Bosslets Skulpturen an. Assoziationen zu den Unterstützenden Maßnahmen erlauben die frühen Wandbehänge, die sich durch ihre Osenhängung klassifizieren lassen und eine grundsätzlich zweiteilige Bildstruktur von oberem und unterem Teil aufweisen. Ein Vergleich zur architektonischen Planskizze von Grundriß und Ansicht liegt nahe, ohne daß er tatsächlich mit einer realisierten Skulptur in Übereinstimmung bringen ließe. Die kammartigen Formationen erinnern manchmal auch an die Struktur elektronischer Schaltkreise, doch auch hier fördert ein direkter Vergleich eher Unterschiede als Übereinstimmungen zutage. Obwohl diese Assoziationen zum industriellen und technologischen Sektor nicht gänzlich falsch sind, treffen sie den Inhalt nie genau.
Vielleicht spielt immer auch der formale Aspekt dieser Bilder in die Formgebung hinein. Es ist also auch denkbar, daß die nicht mehr mögliche Unterscheidung von Bild und Grund eine Entsprechung als Gesamtbild findet, daß das Auge bei der Betrachtung der irgendwie chaotischen Formen ebenso tanzt und nicht zur Ruhe kommt wie der Geist, der sich die Identität von Bildgrund und Bildfläche nicht mehr vergegenwärtigen kann. Da hier das Bildmaterial mit der Farbe identisch wird, also kein malerischer Auftrag mehr erfolgt, ist es eigentlich naheliegend, daß das Material auch den Inhalt bestimmt, dennoch ist nicht allein die optische Unruhe Thema der Wandbehänge. Schon die jüngeren, geometrisch strengeren
Bilder aus schwarzem und transparentem Segeltuch wirken im ganzen ruhiger, aber auch weniger assoziativ. Bestimmend für den Inhalt bleibt die rasterhafte und serielle Bildstruktur. Wie metaphorisch solche "Motive" in Bosslets Bildern jedoch genommen werden können, das kann nur jeder für sich entscheiden als kleine Leitlinie mögen vielleicht die Begriffe Organisation, Ordnung, System und Struktur dienen.