Dresdner Kulturmagazin, Sept.1998, von SUSANNE ALTMANN

Und das Wort ward Tat

Eberhard Bosslet, Werner Klotz und Otmar Sattel als „Material & Wirkung“ im Kunsthaus

Am Anfang (1981) war das Wort. Und es war ein außerordentlich pragmatisches Wort, ein Text von bürokratischem Geist durchwaltet, den es nun galt, mit Leben bzw. mit Kunst zu erfüllen: »Der Verein hat den Zweck, Materialien und deren Wirkungen nach emotionalen, funktionalen, intuitiven, diskursiven, zufälligen und kulturellen Gesichtspunkten zu untersuchen, derartige Untersuchungen zu fördern,....« (aus der Satzung des Vereins „Material & Wirkung“).
Eine Künstlergruppe im damals noch von interessantem Material (mit globaler Wirkung) umfriedeten Berlin fand sich unter diesem Namen zusammen und zeigt heute, etwas dezimiert nach 17 Jahren und dem Wegfall des bewußten Betonringes, Materialwirkungen im Abendlicht der 90er Jahre.
Ganz buchstäblich empfängt uns Eberhard Bosslet (*1953) im Hof mit einer „Fußgänger“-Zone aus Asphalt, die der zugereiste Kunstprofessor wohl eingedenk des nunmehr langsam bröckelnden Malereiprimats im Elbtal und der daselbst lange favorisierten gedeckten Farben schlicht „Malerei“ nennt. Kein Schelm, wer Arges ...
Bosslet hat definitiv ein Heimspiel im Kunsthaus er kennt die problematischen Räumlichkeiten und hatte genug Gelegenheit, ortsbezogen zu planen. So sind seine Maßnahmen tatsächliche Interventionen neuer Materialien; besonders listig - nur für Insider und Gourmets konzeptueller Eingriffe: die Unsichtbarmachung der unsäglichen, von Günther Uecker nagelnd geadelten Falttür qua Gipskarton.
Von dieser bescheidenen Variante abgesehen; ob pneumatisch gehaltenes oranges Kunststoffsegel im Innenhof oder Schwingsperren gleicher Färbung im Galerieumgang - Bosslets Material-Lösungen fallen durch einen, nicht in jedem Falle nötig scheinenden, forciert dominanten Gestus auf. Seine wulstigen, technoiden Skulpturen wie „Verteilen I“ (ebenfalls im Innenhof) allerdings schlagen (fiktive) Benutzbarkeit und auch damit einen Platz im losen Gruppengefüge von „M & W“ vor.
Im jüngst urbar gemachten Kellergewölbe, noch vor den Resten von Otmar Sattels Eröffnungsperformance, wartet mit acht Absperrschiebern auf monumentalen Zuleitungen eine köstliche Irritation, die, ohne Signatur ebenso wie Bosslets Stücke, als Beispiel materialbestimmter Wirkung gelten könnte. Nutzen bzw. Dienstleistungsangebot, der Trendstempel für Kunst der 90er schlechthin, wird hier jedoch tatsächlich eingelöst. Und damit, Duchamp hin oder her, ist‘s keine Kunst mehr, sondern Leben (wenn‘s denn heizt).
Mit dem hier unvermittelten Auftauchen des magischen Gegensatzpaares Kunst/ Leben stellt sich die verschmitzte Frage, ob dieser Dualismus nicht seit mindestens Anfang des Jahrhunderts bewußt höher gezüchtet wurde, um dann ganz spektakulär von den Vertreterinnen der sogenannten Servicekunst attackiert zu werden.
Gewohnt beredsam-kryptische Überlegungen zum Thema und zu Überschneidungen von derlei Tendenzen mit dem Streben von »M&WN überlassen wir getrost Kunsthistoriker Dr. Janecke, dessen Essay u.a. in dem druckfrisch vorzustellenden Katalogbuch zu finden sein wird.
Zurück nun zu Otmar Sattel (*1955) und Wernel Klotz (*1956), den verbleibenden Schenkeln des Dreiecks „M & W“. Im Kellerraum zeugen noch leere Champagnerflaschen, durch Gärmaterialien zu biologischen Zeitbomben erkoren, von vormaliger Explosivität. Wir bemerken auch im Fortgang, Sattel kombiniert Techno-Ästhetik mit dem flüchtigen Humus des Seins. In Batterien von Fässern verborgen, produzieren, mit einem Nimbus von volkswirtschaftlichem Nutzen, geheimnisvolle Silagen Gase. Diese wiederum füllen Ballons, Wärmflaschen oder andere Pneus Wirkung ist hier ganz deutlich zu spüren, nicht zuletzl am fast unhörbaren Rauschen in den Schläuchen.
Als wäre die Schwere der atmosphärischen Abprodukte ein zu ermittelndes Ergebnis, schwankt leise eine gewaltige Wiegevorrichtung im Hauptraum und trifft sich auf dieser Ebene der Pseudowissenschaftlichkeit mit Werner Klotz‘ optischen Experimenten. Unbedingt empfehlenswert ist hier der Selbstversuch in der „Intellektuellenfalle“, einer knappen, fast heiteren Metapher auf den Elfenbeinturm, aus Glas, Spiegeln und dem jeweils glotzenden Auge der Betrachter.
Ähnlich wie Sattel, der heute noch die von künstlichen Lichtquellen beförderte Aleatorik zerfallender Laubblätter demonstriert, arbeitete Werner Klotz einst mit Naturstoffen und deren gestalterischen Potenzen: mit Schnecken und den dazugehörigen Kriechspuren. Ähnliche Arabesken erscheinen 1998 gefroren veredelt als Schliff auf der Glasabdeckung über verspiegelten Gläsern und Flaschen. Diese Werkgruppe stellt Klotz unter den Schutz von Dionysos und zeigt, wie das kühle Material Rauschhaftigkeit apollinisch bändigt. Und wieder, mit der glitzernden Haus- und Reisebar des hedonistischen Gottes, lockt als kreative Serviceleistung der Schluck aus Dionysos‘ Flasche.
Wir erinnern uns der eingangs postulierten Richtlinien der Materialverwendung, die Klotz, Sattel und Bosslet sinnlich und zeitgemäß noch heute einhalten: ...funktional, diskursiv, zufällig, intuitiv und emotional. Das Kunsthaus zeigt hiermit, wie auch übrigens seit fast drei Jahren immer mehr, Profil und damit genau das, was andernorts schmerzlich vermißt wird: wesentliche Symptome eines zeitgenössischen Kunstortes.

Susanne Allmann

bis 13. September. Am lelzten Donnerstag vor Ausstellungsende, am 10. September werden die drei Künstler in persona die Dokumentation „Material & Wirkung“ vorstellen; ca. 80 Seiten, ca. 25 DM