MARABO, Magazine, Dez. 1993, S. 52,-54, Text von BEHRENS / BOCHYNEK

Technologie und Industrie sind Ausgangspunkte für die Kunst
und Anlaß für eine gemeinsame Ausstellung von Eberhard Bosslet (41) und Lawrence Gipe (31) im Kunstverein Düsseldorf.
Seit der Renaissance hat sich stetig die Trennung von Technologie und Kunst, Natur- und Geisteswissenschaften vollzogen. Derzeit werden auf wissenschaftlicher Ebene wohl Versuche unternommen, Barrieren abzubauen und fachübergreifend wieder ins Gespräch zu kommen. Doch ohne Komplikationen verläuft die Kommunikation keineswegs. Sich zusammenzuraufen sieht man angesichts gewichtiger Problemstellungen noch ein, doch als käme man von anderen Welten und spräche verschiedene Sprachen, fällt die Verständigung schwer. Nun hat die Kunst sicherlich nicht die Aufgabe, Retter jeder gestörten Wahrnehmung oder Kommunikation zu sein. Sie spielt sich im Prozeß einer entgleisenden Gesellschaft auch nicht als Reparaturbetrieb auf. Dennoch liefert sie manchmal Anschauungsmaterial, das den Sand im Getriebe einer Gesellschaft deutlicher als sonst erkennen läßt. Kunst bildet im Idealfall Gegenentwürfe aus, andere und ungewohnte Sichtweisen der Realität. Der kalifornische Maler Lawrence Gipe sowie der in Duisburg lebende Eberhard Bosslet greifen da auf Phänomene zurück, die für das Leben dieses Jahrhunderts absolut prägend gewesen sind. Es ist der Prozeß der industriellen Warenproduktion, der unter differenten Aspekten zur Disposition gestellt wird. Bosslet verwendet für seine Skulpturen technische Geräte
aus kunst-fremden Materialien und Zusammenhängen. Dicke Schläuche („Bypass I und II“) sind zu Mehrfach-Kreisläufen zusammenmontiert, pralle Hochdruck-Hebekissen pressen sich selbst, eiserne Gullideckel und Autofelgen zwischen Decke und Fußboden. Der Raum wird zu einem unverzichtbaren Bestandteil des Werkes gemacht; Physik und Statik zu wesentlichen Bedingungen der Existenz und Ermöglichung von Skulptur. Deutlichstes Beispiel für diese antagonistische Wechselbeziehung, die sich mit einiger Schlüssigkeit auf alltägliche Phänomene übertragen läßt, bildet die Skulptur „Feyerabend II“. Sie ist ganz oben im Treppenaufgang des Kunstvereins unterhalb des Oberlichts in die Architektur eingespannt. Herab hängt ein Rolltorpanzer mit Sichtprofil, der an dieser Stelle als Raumteiler ungewöhnlich und fremd erscheint, denn er trennt und teilt keinen Raum ab, sondern wirkt nur als exemplarische und nicht als tatsächliche Barriere. Dinge, Produkte oder Werkzeuge aus dem Alltag sind für den symbolischen Schauplatz der Kunst arrangiert. Eine solche Methode kennt man seit den Collagen Dadas aus den 20er Jahren und hatte in jüngerer Zeit ihre bedeutendsten Exponenten mit Joseph Beuys oder Gordon Matta-Clark, die beide ausdrücklich das Lebens- oder Ausstellungsumfeld, die Handlungen oder Unterlassungen des Künstlers zur Kunst erklärten. In diesem Sinne sind die technoiden Dinge, die Bosslet für seine Skulpturen verwendet, zwar aus ihrer eigentlichen Bestimmung entlassen, doch der neue Zusammenhang als und im Kunstwerk verwischt nicht die Herkunft. Bosslet zwingt das industrielle Produkt in ein ausbalanciertes Gleichgewicht der Kräfte, die Skulptur wird zu einem Modell, das nur funktioniert, wenn die physikalischen Wechselwirkungen von Druck und Gegendruck aufeinander abgestimmt sind und sich ergänzen. Jeder Bestandteil ist abhängig vom Nächsten, selbstgenügsame Autonomie sowie übermächtige Autorität eines Segmentes ließe das Gebäude in sich zusammensinken – ein Bild, das für gesellschaftliche Zusammenhänge gleichermaßen Geltung hat. Paradox, daß sich gerade in der Kollision die gegenseitige Abhängigkeit festigt und dennoch aus den Werken auch eine gewisse trotzige Selbständigkeit und Sperrigkeit spricht. Aber was ist eigentlich nicht widersprüchlich an dem industriellen Kontext, aus dem Bosslet nicht nur sein Material bezieht, sondern aus dem unser Leben zu einem Großteil besteht? Zwar haben Industrie, Wirtschaft und Handel manche Erleichterungen geschaffen, aber im Zeichen ihrer Monströsität ist auch unverhältnismäßig viel Müll entstanden. Gegenüber der eher formal anmutenden skulpturalen Sprache Bosslets greifen die großformatigen Gemälde des Kaliforniers Lawrence Gipe sehr direkt ideologische Aspekte des Industriezeitalters auf. Die Gemälde von Gipes handeln beinahe überdeutlich von der Faszination, die Technik und Maschinen zu allen Zeiten ausübten und noch heute ausüben. Jedoch spiegeln sie nicht allein das aufregende Erlebnis von Industrielandschaft und Großtechnologie, sie bezaubern selbst auf ähnliche Weise und mit gleichen Mitteln. Es sind monumentale Bilder von mytho-mechanischen Industrielandschaften, gemalt nach foto­grafischen Vorlagen aus der Industriewerbung der 30er und 40er Jahre. Diese schwarzweißen Propagandabilder einer politischen und industriellen Überlegenheit der westlichen Moderne dienen als Vorlagen für farbige Ansichten von düster-staubigen Werften, von Bahnhöfen und Fabrikhallen mit monströsen Maschinen, phallischen Röhren oder dämpfenden Zügen. In den Bildern Lawrence Gipes aber wirkt die mythische Szenerie, deren betörende und beängstigende Stimmung immer wie ausgeliehen. Es herrscht eine vermittelte und in der Vermittlung immer auch ein wenig übertriebene Feierlichkeit. Unübersehbar aber bricht der Künstler diese vordergründige Kraft der Bilder durch Texte, Texte, die aus einem ähnlichen Zusammenhang genommen sind. Die roten Schriftzüge kommentieren sowohl kritisch als auch ironisch die heroischen Gesten der Darstellung, weil sie im Grunde ihre eigene Welt konterkarieren. Die Bilder selbst sind freilich ebensowenig als industrieromantische Verklärung oder Feier des industriellen Fortschritts gemeint, wie als platte Kritik an (deutschen) Waffenschmieden und Kriegsindustrie. „Herr Alfred schlief immer ganz ruhig wie ein Kind“. Lawrence Gipes deutlich vernehmbare Krupp-Affinität richtet sich vielmehr, so der Künstler in einem Interview, in erster Linie gegen die scheinheilige Haltung Amerikas, das einerseits als Inbegriff der „freien Welt“ moralisch urteile und sich abgrenze, zugleich aber die Interessen von Kommerz und Industrie über die von Gerechtigkeit und Fairneß stelle: „Lubricating the wheels of commerce“. Immer wieder wurden solche eindrucksvollen Bilder von Industrie und Technik instrumentalisiert für politische Propaganda, egal in welchem Land und zu welcher Zeit und egal zu welchem Zweck. Man findet ganz verwandte und prinzipiell austauschbare Darstellungen sowohl in der sowjetischen Fotografie aus den 20er Jahren als auch in der Malerei des Nationalsozialismus. Der italienische Faschismus gar hat den Futurismus und dessen pathetisches Streben nach technischem und gesellschaftlichem Fortschreiten gar nicht erst mühevoll beugen oder vereinnahmen müssen: die Kunst selbst stellte sich in den Dienst der Ideologie. Daß auch in den USA die Fortschritts- und Technik-Euphorie von großer Tragweite war, läßt sich letztlich an den Bildern von Lawrence Gipe ablesen. Nur will er diese konservierte Nostalgie nicht einfach reproduzieren was ihn auch in der eigenen Kunst interessiert ist der Versuch, „die Vergangenheit zurückzubringen, um einen Standpunkt zur Geschichte zu beziehen.“ Heute sind die Verheißungen und Zukunfts­versprechen der Technik stumpf und unglaubwürdig geworden, geraten die Erinnerungen an diese vergangene Epoche schnell in die Nähe historisch-melancholischer Beschwörungen. Die Bilder und Metaphern aber, die beeindrucken, sind die gleichen geblieben. Eine einigermaßen erschreckende Feststellung, daß solche Malerei ihm verführerische Wirkung nicht eingebüßt hat, daß wir immer in Gefahr sind, auch wissentlich, ihr zu erliegen.
Katja Behrens/Martin Bochynek
Eberhard Bosslet/Lawrence Gipe: Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, Grabbeplatz 4; bis 9. Jan.; Katalog: 45,- DM.