DEUTSCHES BAUBLATT, Dez. 1991, S. 48, von HM

Betonschalung im Kunstgriff - Stall als Stil
Was ist Kunst? Diese Frage hat den kulturbeflissenen Homo sapiens zu allen Zeiten beschäftigt. Er hat gelernt, daß Kunst immer auch Kontroverse heißt. Selbst ein Michelangelo oder ein Raffael, Meister der Hochrenaissance, mußten leidvoll erfahren, daß Kritiker gnadenlos sein können. Bekanntlich ändern sich die Zeiten und die Menschen mit ihnen. Heute käme niemand mehr auf den Gedanken, die künstlerische Qualität der großen Werke jener Meister anzuzweifeln.Bei der zeitgenössischen Kunst ist das anders. Hier hat es der Durchschnittskonsument aber auch der Bildungsbürger mit geschärfter Kulturantenne - deutlich schwerer, zwischen Kunst und Kokolores zu unterscheiden. Nun läßt sich ja über Geschmack, dem auf diesem sensiblen Feld eine Schlüsselrolle zukommt, eigentlich nicht streiten.
Und wer sich’s leichtmacht, verfährt nach dem Motto: Kunst ist nur, was mir gefällt. Künstler reklamieren für ihre Arbeit grenzenlose Freiheit. Sie offenbart sich eben auch in Kreationen, die selbst der willigsten Phantasie jeden Zugang verwehren. Da muß sich der ratlose Musenfreund seinerseits die Freiheit nehmen zu sagen, was er denkt. Beispielsweise über das Werk „Stallung“ eines Duisburger Künstlers, das in Wuppertal gerade zu bestaunen ist.
Ich stehe da wie der Ochs vorm Stalltor. Dabei fehlt’s mir keineswegs an gutem Willen. Ist „Stallung“ hier womöglich im althochdeutschen Wortsinn als „Standort“ zu sehen? Aber wer außer einem Rindvieh - wollte den schon gerne einnehmen. Oder haben wir es schlicht mit einer eigenwilligen Spielart des Ku(h)bismus zu tun? Welche Botschaft auch immerdiese Schöpfung transportieren will es ist eine höhere, als ich zu fassen vermag. Entscheiden Sie selbst, lieber Leser, was „Stallung“ ist: hohe Kunst oder einfach hochbewährtes Elementsystem der Hünnebeck-Schalung. HM