ART MAGAZIN, Nr. 9, Sep.1994, S. 94, von RUTH HÄNDLER

Sozialamt statt Kunstverein
Er hatte Einzelausstellungen in Berlin, Madrid, New York, Toronto, Amsterdam, Paris - jetzt zeigt der Bildhauer Eberhard Bosslet, Teilnehmer der documenta 8, eine Auswahl seiner Arbeiten auch da, wo alles begann: in seiner Geburtsstadt Speyer, die ihm 1993 den Hans Purrmann-Preis verliehen hat. Doch der Kunstverein, traditioneller Ausstellungsort der Purrmann-Preisträger, bleibt dieses Mal leer- Bosslets Schau führt die Besucher zu den öffentlichen Gebäuden der Stadt.
22 seiner Plastiken aus den vergangenen Jahren hat der 1953 geborene Künstler in den Eingangsbereichen der Speyerer Behörden verteilt; der Lageplan weist den Weg zu Sozialamt, Amtsgericht, Rechnungshof und zehn anderen Institutionen, in denen die ihnen zugeordneten Arbeiten sinnfällige Bezüge zu ihrem Umfeld aufnehmen.
Tatsächlich wirken Bosslets Plastiken, die zum Beispiel leere Karteikästen und Schubladen mit Hilfe von Holzklötzen und Stahlbändern in eine neue Form zwingen, kaum als Fremdkörper in den Gängen und Foyers der Ämter. Dies gilt auch für die „Druckluftarbeiten“ mit aufgepumpten Gummikissen, die etwa zwischen Heizkörpern und Kanaldeckeln eingeklemmt sind - da liegt der Gedanke an den Druck in der Behörden-Hierarchie nahe; zudem betonen die Arbeiten mit ihren Materialkontrasten und ihren überraschenden Kombinationen die Atmosphäre der Behördenräume und lassen in der zum Teil rührendkomischen Innenarchitektur und der Möblierungsmixtur manches Detail aufblitzen, das seinerseits skulpturale Qualitäten bekommt.
Was auf den ersten Blick vielleicht wie ein Gag wirkt, entpuppt sich als ein hochinteressantes Projekt, eine respektable Leistung des Künstlers, des Kunstvereins und der Stadt Speyer.
Ruth Händler