Dieter Schuth, Scala Magazin, Oktober 2002

Eberhard Bosslet im Kunstverein Viernheim

Schwebende Kühlschränke, Möbel, die die Wände rauflauen, Teppichrollen, die plötzlich aufrecht stehen und sich in der Hüfte wiegen ‑nein, das ist kein Szenario aus dem neuen Film 'Poltergeist VIF', auch kein surrealistisches Fantasiegemälde ä la Chirico, sondern moderne Plastik, eine Rauminstallation im Kunstverein Viernheim.
Eberhard Bosslet heißt der telekinetische Zauberer, der das tiefe, helle Kellergewölbe des Kunstvereins auf kuriose Weise inszeniert. Zwei mächtige Pfeiler stützen dieses uralte Gewölbe, die nun von je einem weißen Kühlschrank und je einer weinroten Teppichrolle flankiert werden. Alles wird mit einem kräftigen Spanngurt zusammengepreßt, und zwar so, dass die Putzfrau auch mal unter dem Kühlschrank wischen kann, und die Tür verschlossen bleibt, das Bier verweigert wird. Auch die Teppichrolle macht der Putzfrau Platz, doch was macht sie da auf zwei Beinen? Steckt Kleopatra, darin? Hat sie sich ‑ blind wie eine Blindschleiche ‑ in jene Säule aus Stein verliebt? Und warum knutscht der Kühlschrank diese kühle Wand, wo liegt das süße Geheimnis dieser Dreierbeziehung?
Das ist wirklich absurd und aberwitzig, wie alles Verrückte ‑ und Bosslet verrückt die Dinge im wahrsten Sinne des Wortes. Doch so kindisch‑albern sollte man nicht fantasieren. Eberhard Bosslet ist kein Märchenerzähler. Es geht ihm mehr um ästhetische Raumerfahrungen, um die widersinnige Inszenierung von industriellen Alltagsgegenständen, um Interventionen im Raum und in unserem statischen Bewusstsein. Seit 1997 ist er Professor für Skulptur und Raumkonzepte an der Hochschule der Bildenden Künste in Dresden, ein international bekannter Künstler, der schon auf der documenta 8 (1987) die Decken des alt ehrwürdigen Friedericianums mit Gerüststangen, aufgestapelten Schreibtischen und Heizkörpern neu abstützte, als seien die Schäden des Zweiten Weltkrieges noch immer nicht behoben.
Die Heimat dieses berühmten Mannes ist Speyer, wo er 1953 geboren wurde. Er studierte an der Hochschule der Künste in Berlin. In den 80er Jahren wurde er auch in unserer Region bekannt. 1987 zeigte ihn der Heidelberger Kunstverein. Fritz Stier, der heute den Kunstverein in Viernheim leitet, zeigte ihn schon 1985 in Mannheim bei seinem Festival "Kunst in Aktion" ‑ was Bosslet letztlich zur documenta brachte. So sollte man die Installation in Viernheim also etwas respektvoller anschauen, was die subversive Kraft dieser Kunst freilich nicht mindern soll.
Bosslet spielt sehr intelligent, vielleicht auch humorvoll, mit der Schwerkraft, belastet die Stütze eines Raumes und parodiert so jede tektonische Vernunft. Der Künstler dreht die Architekten im Grabe herum und führt jeden allzu logisch denkenden Menschen in die Irre. Darüber hinaus will Bosslet auch die Gegenstände im Raum selbst neu sichtbar machen, indem er sie aus ihrem funktionalen Kontext herausreißt und damit ästhetisch befreit. So macht er z. B. das Gewicht eines Kühlschrankes "sichtbar" und zeigt, dass eine Teppichrolle zu weich für eine Säule ist. Doch ihr Rot, das sonst nur unbesehen mit Füßen getreten wird, leuchtet plötzlich als vertikale Linie im Raum, als warmes, weiches, ja als malerisches Element in einem neuen Raumszenario, das jeder Vernunft widerspricht ‑ doch das gerade macht die Kunst so schön.