D- Schick, Martin; Rede zur Ausstellungseröffnung Modulare Strukturen, Backnang 1.12.06


Sehr geehrte Damen und Herren,
es freut mich sehr, Sie heute begrüßen zu dürfen zu einer Ausstellung, in der seit langen einmal wieder überwiegend Skulpturen gezeigt werden. Eberhard Bosslet, Raumbezogene Skulptur oder Installation im Chor: Für jedermann sofort erkennbare und mit genauen Assoziationen belegte Zaunelemente, üblicherweise zum Zweck der Abgrenzung (Kunstgeschichte: der geschlossene Garten - oder als Abgrenzung privater oder öffentlicher Räume), hier aber als Elemente einer sich sternförmig öffnenden Figur gegen den ursprünglichen Sinn ihrer Einzelteile aufgebaut. Zweiteilig, wie der Titel "Halb und Halb" betont, im hinteren Teil als Zaumrosette gestaltet, im vorderen Teil als lose abgelegte Pfostengruppe, auch hier mehr oder weniger sternförmig zentral angeordnet, Ordnungsmuster gleichzeitig repräsentierend und ihrer landläufigen Gestaltung widersprechend: Die Zaunelemente grenzen nichts ab und die Pfosten stehen weder in der gewohnten Position noch verbergen sie ihre sonst unsichtbar in der Erde verdeckten, für ihre Funktion aber so wichtigen, größeren Teile, ihre Fundamente. Die Funktionen sind also auf den Kopf gestellt und die ganze Anlage ist eine vom Widerspruch zu unserer gewohnten Seherfahrung geprägte. Alle Teile bekommen eine neue Bedeutung, ohne die Geschichte ihrer alten zu verstecken. Es zeigt sich, dass alle in dieser Ausstellung gezeigten Werke von diesem Widerspruch leben: Alle sind aus vorgefertigten Teilen entstanden, die an einen bestimmten Zweck gebunden waren und nun hier in einem neuen, völlig ungewohnten Zusammenhang auch eine neue und ungewohnte Seherfahrung auslösen. Das richtige Verhältnis von schon Bekanntem und Neuem, Überraschendem, das jedes originäre Kunstwerk zu einem interessanten Erlebnis macht, ist auch hier angestrebt. Wobei zum schon Bekannten selbstverständlich das gehört, was in der von Marcel Duchamp vor achzig Jahren begründeten Tradition einer modernen Kunststrategie das so genannte "Object trouvé", das gefundene Objekt, genannt wird, das dieser unversehens in den Museumskontext gestellt hat wie beispielsweise seinen berühmten Flaschentrockner, mit dem er das Publikum seinerzeit vor den Kopf stieß. Ohne diesen kunsthistorischen Bezugspunkt in der Evolution der Kunst sind viele zeitgenössische Werke heute nicht zu verstehen. Zum Neuen, Überraschenden in Bosslets Werken gehört demgegenüber die Auswahl der (industriell produzierten) Matarialien, nach denen er ganz gezielt sucht (und die er eben nicht, wie beim Object trouvé, nur findet), die intensive und entschiedene kompositorische Arbeit mit diesen Materialien (sie sind alles andere als bloß hingestreut oder abgeladen) und der Schwerpunkt, den Bosslet auf die vom Material unabhängige Werk-Gestaltung, also auf das Konzept legt, das bei ihm immer mindestens genauso stark wirksam ist wie die reale, sinnliche Erscheinung der Werke. Über die Konzepte der Arbeiten entstehen nicht nur Beziehungen der einzelnen Werke und Werkgruppen untereinander. Zum Konzept gehört es gerade, dass die Arbeiten nicht nur rein technoid wirken oder als abstrakt-konkrete Objekte in Anlehnung an die Minimal-art gesehen werden können, sondern ihre Herkunft immer deutlich sichtbar erhalten: Es sind immer noch Sprieße und Schalungselemente, das bleibt sicht- und spürbar, auch wenn eine starke formale Umdeutung in den Skulpturen stattfindet. Und dadurch wird auch die Inhaltlichkeit der durch das Material transportierten Assoziationsfelder immer wach gehalten - die Thematik Bauen etwa, die Reflexion über den gebauten Umraum, das Einbinden der gebauten Museums- oder Galeriehülle in den Zusammenhang der Skulptur -kurzum: vom ausgestellten Objekt geht eine Steigerung der Aufmerksamkeit für alles Gebaute und für Prozesse des Bauens aus.
Besonders stark geschieht dies auch mit den beiden Wandobjekten im EG: Hier hat Bosslet Farbe auf die Wände aufgetragen. Diese Farbe ist das geeignete Mittel für diesen Künstler, der sich auch immer noch als "Maler" bezeichnet, auch dann, wenn er eben nicht mit Farbe hantiert, den Raum in die Wirkung des Objekts einzubeziehen, es nicht einfach als verlorenes Relief im White-Cube hängen zu lassen, sondern mit der Architektur zu verbinden, und so werden dann auch die Flächen am Objekt betont, wird ein Akzent gesetzt in Richtung dreidimensionale Malerei. Malerei im übertragenen Sinne freilich, als künstlerische Vorgehensweise mit dem typischen Prozess des Bildfindens und -weiterentwickelns und der sinnlich-malerischen Erscheinung zwischen Konzept und Emotion. Hier kommt natürlich auch der gelernte Maler und vielleicht sogar noch ein wenig der Designer zu seinem Recht, der der Form an sich eine gewisse Opulenz zugesteht.

Fast alle Werke von E. B. kreisen um die Themen Bauen, Wohnen, Urbanität, öffentlicher und privater Raum, zirkulierende Systeme, temporäre Systeme, Neues und Gebrauchtes. "Mir ist wichtig zu erkennen", sagte der Künstler, "dass die Dinge relational sind, d. h. in Relation zu Bedingungen stehen, nicht absolut gesehen werden". Um diese Sicht auf die Dinge deutlich zu machen, verändert er die Bedingungen. Nicht allein dadurch, dass sie überhaupt in den musealen Raum gebracht und allein dadurch natürlich schon einem Bedeutungswandel unterworfen werden, sondern auch durch ihre neu bestimmte formale Anordnung. Das gilt in besonderer Weise für die Skulpturen in den Obergeschossen, lässt sich aber genauso in den Fotografien nachvollziehen: In der Serie der auf den Kanaren entstandenen Vespa-Bilder etwa wurde die Farbe der Fassaden auf die Zweiräder übertragen, die vor ihnen parkten, und in einer zweiten Vespa-Serie wurden diese Farben wiederum direkt in die Landschaft übertragen, in der sie stehen. Diese konzeptuelle Arbeitsweise ist typisch für die Arbeiten Bosslet, sie ist nie ein selbstbezügliches Drauflosarbeiten im Malerischen oder Plastischen, sondern spürt immer Systemen und übergeordneten Zusammenhängen nach oder macht sie sichtbar. In der Vespa-Serie wäre dies u.a. die Frage, inwieweit ein Farbkanon bzw. ein System von Farbzusammenhängen als typisch für eine Landschaft gelten kann, aus den Bedingungen einer Landschaft abgeleitet werden kann oder als gewohnheitsmäßig eingeübter Akt kultureller Willkür gesehen werden muss, dessen Ursprünge und Erscheinungen es zu hinterfragen gälte. Typisch für Bosslets Arbeitsweise ist auch die Vorliebe für Materialien, die nur zeitweise die Funktion von Kunstwerken haben, zum Beispiel weil sie geliehen sind und nach der Ausstellung in anderen bzw. wieder in ihren ursprünglichen Funktionen weiterexistieren, und sich so einem rein am physischen Material ausgemachten Werkbegriff entziehen. Das eigentliche Kunstwerk ist dabei erkennbar nicht mehr nur der reale Gegenstand, in dem es sich gerade manifestiert, sondern das Konzept. So ist es ja beispielsweise mit Werken der Musik, die eben auch als ein festgelegtes Konzept existiert, das dann zur gelegentlichen Aufführung kommt oder auch nicht.
Die geliehenen Einzelteile der Skulpturen in den Obergeschgossen etwa sind weder Barrieren fürs Springreiten oder Maschinen aus der Elektro- oder Druckindustrie, wie man bei einem ersten oberflächlichen Blick meinen könnte, sondern Elemente, mit denen gewöhnlich auf Baustellen verschalt und abgesprießt wird. Aus diesen (zweckentfremdeten) Teilen hat Bosslet Skulpturen geschaffen, die an die Werke der minimal art erinnern. Er greift dabei die Funktionsmöglichkeiten der Teile zurück, also auf ihre Verbindnungsmöglichkeiten: Diese ruhig und formal ausgeglichen wirkenden Skulpturen stehen im wahrsten Sinne des Wortes unter Spannung, denn was sie zusammenhält, ist der Ausgleich zwischen Schub und Druck. Die waagerecht angebrachten Sprieße mit ihrem nicht unerheblichen Gewicht hält am allerwenigsten die Schwerkraft (der sie nur allzugerne folgen würden) in ihrer Position, sondern der seitliche Druck. Und wieder ist es gerade der Widerspruch zwischen der noch gut sichtbaren üblichen Anwendung solcher Schalungssysteme und der Verwendung ihrer physikalischen Möglichkeiten für ganz andere, nämlich künstlerische, also zweckfreie Zwecke, der hier für Spannung im übertragenen Sinne sorgt. Wie jedes Kunstwerk, haben auch diese formale Aspekte, die sich formal abhandeln ließen, und viele inhaltliche Facetten und Interpretationsmöglichkeiten, die der Emotion des Betrachters unterworfen und wahrscheinlich bei jedem anders sind. Gedanken an die potentielle Auflösung der so fest erscheinenden Form, an Bauprozesse und vielleicht auch an den Herstellungsprozess des Kunstwerkes werden aber immer dabei sein. Man wird sich der Tatsache bewusst werden, dass hier ausgerechnet diejenigen Teile als Objekte der Kunst im Mittelpunkt stehen, die sonst nur als Hilfsmittel für kurze Zeit sichtbar und an Entstehungsprozessen beteiligt sind, um dann Dinge zu hinterlassen, die wir sehr lange ansehen müssen, nicht immer zum Gefallen aller.

Martin Schick
Rede zur Eröffnung der Ausstellung Eberhard Bosslet - Modulare Strukturen am 1.12.2006