Rede zur Ausstellung Eberhard Bosslet „Öffentliche Ordnung“, von NATALIE PÜTTMANN

Purrmann-Preisträger der Stadt Speyer

Sehr verehrte Damen und Herren,
ich möchte nur einige Punkte ansprechen, die für das Werk von Eberhard Bosslet essentiell erscheinen. In welcher Behörde oder Institution auch immer Sie seinen Arbeiten begegnen, so unterschiedlich diese vielleicht im ersten Moment erscheinen mögen, alle tragen bestimmte Merkmale, die ihnen gleich sind und die sie in ein geschlossenes Werk von hoher Dichte und großer Komplexität einreihen. Beachten wir: nicht das einzelne Werk ist ausschlaggebend, sondern der Zusammenhang aller ergibt letztlich wieder ein Bild, dasjenige nämlich, das wir in der modernen Kunst schon immer suchen: das Bild des Menschen, der sich hinter all den Werken verbirgt: das des Künstlers selbst.
Gestatten Sie, liebe Anwesende, vorab eine grundsätzliche Bemerkung. Ich höre häufig den Einwand, weshalb viele Künstler ihre Werke nicht entweder gleich leicht verständlich gemacht haben oder weshalb sie ihre Arbeit und die ihr zugrundeliegende Absicht nicht einfach selbst erklären können. Der Einwand ist berechtigt, jedoch ist ihm Folgendes entgegenzuhalten: die zeitgenössischen Kunstwerke benötigen viel Zeit des Betrachtens und Nachdenkens. Nur Wenige nehmen sich oder haben diese Zeit. Ein vielschichtiges Kunstwerk erschließt sich auch in unseren schnellebigen Tagen nie im Vorübergehen. Kunst ist eben kein fast-food. Andererseits würde der Künstler, der seine Werke erläutert, zwei mal sprechen, denn er hat bereits gesprochen: seine Sprache ist die seiner Werke. Es ist die von ihm gewählte, ganz besondere Ebene, sich uns gegenüber zu äußern. Jemand, der sich Zeit genommen hat, kann nun ein Beispiel geben, wie er die Sprache dieser Kunstwerke in der Sprache der Worte erklärt. Grundsätzlich treffen da zwei Systeme aufeinander, die - modern gesagt - nicht ganz kompatibel sind. Keine Erläuterung zu einem Kunstwerk wird je dessen Vielschichtigkeit, Transparenz und zugleich die Knappheit, die das Visuelle besitzt, erreichen können. Die Künstler wissen das ganz genau und deshalb hüten sie sich, ihre Werke im Einzelnen selbst zu erklären. Sie würden sie damit auf wenige Sätze reduzieren und sie der Unendlichkeit ihrer Faszination berauben. Es ist vielleicht vergleichbar mit einer mehrwöchigen Urlaubsreise, die man einem Bekannten schildert - die Gefühle und Erlebnisse, die man auf dieser Reise gemacht hat, kann der Andere trotz eingehender Schilderung doch niemals nachvollziehen. Kunst ist aber ein Mittel der Kommunikation zwischen Künstler und Gesellschaft. Hier kommt es gerade darauf an, daß das Kunstwerk Signale sendet, die in irgendeiner Weise Sinn vermitteln. Trotz der Unzulänglichkeit, die beim Ausdrücken des vermuteten Sinnes eines Kunstwerks entsteht, ist dies die einzige Möglichkeit, die wir haben, uns über Kunst zu unterhalten.
Nun also zu den Werken Eberhard Bosslets. Allen gemeinsam ist die Verwendung vorgefundener und bis zu einem gewissen Stadium vorgefertigter Materialien. Im Gegensatz aber zu Marcel Duchamp, der ein Pissoir oder einen Flaschentrockner kaufte und ihn einfach zur Ausstellung mitbrachte, kombiniert Bosslet verschiedene, sorgfältig aufeinander abgestimmte und ausgesuchte Teile miteinander. Diese Kombination ist zugleich eine besondere Art der Konstruktion: manchmal mit Druckluft versehen, stellen Bosslets Arbeiten stets ein ausgewogenes Gefüge von Tragen und Lasten oder von Druck und Gegendruck her. Die Statik und die innere Dynamik jeder seiner Skulpturen ist beachtlich und diese Eigenschaften weisen den Künstler als Konstrukteur und manchmal auch als Baumeister im kleinen Maßstab aus, wenn auch seine Objekte als künstlerisch gestaltete Anschauungsgegenstände durchaus die Bezeichnung „Skulptur“ führen dürfen. Gerne bedient Bosslet sich besonders unprätentiösen Materialien vom Bau, von Maschinen und Kraftfahrzeugen sowie andererseits von Büro- und häuslichem Mobiliar.
Das Werk mit dem bestechenden Titel „Zeugung“ zum Beispiel, das sich in der vergitterten Bushaltestelle der Hauptstraße befindet, vereint Autofelgen, Stahlpaletten, Druckluftkissen (Kissen!) und eine gewöhnliche alte Bettmatratze. Der Unterschied von öffentlich und privat prallt hier unvermittelt aufeinander, ja sogar in zweifachem Sinn: einmal in dem Gegensatz, den die Materialien herstellen und ein andermal im Thema selbst; schließlich findet dieser symbolisch künstlerische Akt der Zeugung nicht nur mitten in einer Bushaltestelle, nein, er findet auch noch geradewegs gegenüber der örtlichen Polizei statt. Eine derartige Erregung öffentlichen Ärgernisses muß doch die Hüter der „öffentlichen Ordnung“ auf den Plan rufen! Damit schließt der Künstler den Kreis zum der Ausstellung beigegebenen Titel.
Aber auch die Titel der einzelnen Werke sind bei Eberhard Bosslet - im Unterschied zu vielen anderen Künstlern - äußerst aufschlußreich und sehr wichtig. Sie kanalisieren das mögliche Interpretationsspektrum und geben dem optischen wahrnehmbaren Werk eine sprachliche Komponente bei, die dieses auf eine andere Bewußtseinsstufe hebt: auf die abstrakte Reflexionsebene, die im Wort aufgegriffen wird. Das Konnotationsmuster eines Begriffs, also des Titels, taucht nun ein in ein Spannungsfeld mit den Bedeutungen, die das Objekt hervorruft. Und dieses werkinnere Spannungsfeld wird nun von einem weiteren umschlossen: in der hiesigen Ausstellung korrespondieren die Skulpturen mit den Situationen und Orten, die der Künstler für sie ausgewählt hat. Im Museum ausgestellt, wäre die Aussagekraft der Skulpturen auf ihr inneres Spannungsfeld eingeschränkt geblieben. So aber nehmen sie Platz und Position innerhalb der öffentlichen Verwaltungen der Stadt ein. Sie werden dort zu Metaphern, die das Gefüge von sich selbst erhaltendem, auch von sich gegenseitig ergänzendem Druck und Widerstand darstellen.
Um den inhaltlichen Sprung von der Konstruktion eines Werkes zur Konstellation einer Behörde zu erleichtern, hat der Künstler unmittelbare Verwandtschaften der verwendeten Materialien mit der Tätigkeit einer Behörde aufgegriffen. Bei der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft hat er eine Skulptur placiert, die ein Drainagerohr verwendet, das zum Entwässern des Bodens dient; im Straßenbauamt findet sich eine Arbeit, in der Kanaldeckel und Autofelgen integriert wurden; bei den Stadtwerken sehen wir eine Arbeit mit Zwillingscharakter, die auf die beiden Örtlichkeiten der Stadtwerke verweisen kann und mit den verwendeten Heizungskörpern unmittelbar auf ihr Aufgabengebiet anspielt; in der KFZ-Zulassungsstelle wurden zwei unabhängige Arbeiten zu zwei Achsen eines vorzustellenden Fahrzeugs umfunktioniert; im Amtsgericht begegnet man dem Werk „Altlast“, das mit seinen beiden Gittern blitzschnell an das „hinter-Gitter-Kommen“ denken läßt. Und letztlich noch die hier im Hof befindliche Skulptur mit dem schönen Titel „Verteilen“, die auf die Arbeit im Rathaus Bezug nimmt, wie immer man das interpretieren mag. „Verteilen“ ist die einzige Arbeit, bei der man sagen kann, sie sei erst im Hinblick auf die konkrete Realisierung dieses Ausstellungsprojekts hin entstanden. Die Erfahrung aller anderen Skulpturen aber lehrt, daß Bosslets Werke immer wieder neu und doch zugleich treffend arrangiert werden können. Die konkreten Botschaften, die sich in der Speyerer Ausstellung ergeben, können immerhin als geistige die Dauer der Aufstellung der Werke überleben. Da ist besonders an die noch nicht erwähnten Karteikasten-Skulpturen zu denken: sie entwerfen ein Bild der Ausräumung und Neugestaltung. Die alten Zusammenhänge und Strukturen eines jeden Karteikastens sind erloschen zugunsten eines wiederum harmonischen, stabilen und vor allem funktionierenden Gefüges neuer Ordnung. Man muß nicht zum weit entfernten Wort „Perestroika“ greifen, um sie zu charakterisieren: Umgestalten, Reformieren reicht völlig. Es handelt sich dabei um eine Mahnung, die die Künstler seit vielen Jahrzehnten in immer wieder neuen Formen ans Licht bringen: es ist ihr Glaube von der Notwendigkeit einer ständigen Transformation: der Prozesse, der Strukturen und auch des Menschen. Bosslets Skulpturen sind dazu angetan, durch ihre Eigenwilligkeit und ihren Beziehungsreichtum nicht nur ein besonderes Licht auf sie selbst zu werfen, sondern zurückzustrahlen in den Raum, auf die Organisationsform unserer Städte am Ende des 20. Jahrhunderts. Es macht ein Nachdenken über die Richtigkeit dieser Strukturformen erforderlich und führt etwas für selbstverständlich und unantastbar Gehaltenes ins kritisch-reflektierende Bewußtsein zurück. So mancher Bürger wird sich im Zuge dieser Ausstellung wundern, wie viele und welche Behörden es in Speyer gibt - und das, obwohl diese Institutionen schließlich nur wegen der Bürger da sind.
Kunst aber kann immer nur Zeichen setzen, umsetzen müssen wir die Botschaften jeder für sich. In diesem Sinn bedanke ich mich sehr herzlich für ihre Aufmerksamkeit und wünsche dieser Ausstellung, daß sie bei den Kunstinteressierten wie bei den Verantwortlichen der „öffentlichen Ordnung“ die ihr gebührende Resonanz stoßen wird. Dankeschön.