Dr. Christian Janecke
„Mobilien & Immobilien I-IV“ (1982)

Bosslets Fotoserie führt erstaunlich viele Aspekte im Gepäck – sie haben zu tun mit Malerei, mit den Wechselwirkungen von Malerei und einer daran bereits wieder inspirierten Wirklichkeit, die wiederum Gegenstand der Malerei werden kann, mit der Eigenschaft der Fotografie, in Szene gesetzte Umstände festzuhalten zu können, als seien sie nie andere gewesen, und mit einer Menge anderer Dinge.
Wie in anderen seiner Werke auch bringt Bosslet selbst gewisse Regeln ins Spiel, deren Auswirkungen im teils auch kontingent gelagerten konkreten Einzelfall, ohne Beschönigung der Resultate Niederschlag finden. Das Berückende der hier zustande gekommenen Fotoserie liegt indes auch darin, dass all dies niemals rigoros, sondern nur konsequent und mithin nicht humorvernichtend geschieht.

Im Jahr 1982 durchstreift der Künstler mit einer gebraucht erworbenen Vespa Teneriffa, er parkt vor den traditionellerweise farbenfroh gestrichenen Häusern der Ortskerne und bemalt sein Fahrzeug direkt vorort in den Farben des jeweils dahinter stehenden Hauses – solche Arrangements werden fotografiert, aber ebenso die noch farbunstimmigen Situationen zum Zeitpunkt der Ankunft vor dem jeweils nächsten Haushintergrund (I.).
Das auf den Roller übertragene Kolorit wird später Vorbild für die entsprechende Einfärbung von Teilen der Landschaft. Ein neben der parkenden Vespa wachsender Kaktus, verteilt liegende oder zur Mauer geschichtete Steine zeigen nun die durch den davor stehenden Roller vorgegebenen Farben – dies wird fotografiert (II.).
Der nacheinander in den drei Primärfarben sowie den drei dazwischen liegenden Sekundärfarben – allerdings in heller Pastellfarbe – angestrichene Roller wird sodann vor farblich nicht weiter bemerkenswerten Mauern geparkt – und so fotografiert (III.).
Schließlich wird der mit Ausnahme der Räder komplett geweißte Roller vor expressiv farbigen Fassaden mit zudem materialiter wie farblich wechselnden Sockelzonen geparkt – und fotografiert (IV.).

Der zweifellos markanteste, nämlich erste Teil der Serie führt uns in eine ‘Interaction of Color’ der besonderen Art. Indem der geparkte Roller farblich korrespondierend den Haushintergründen angeglichen wird, erfährt deren auf Geschmack(losigkeit), (neo)folkloristischen Konventionen und wohl auch touristischen Klischees traditioneller Dorfarchitektur fußende Farbigkeit weniger eine Hommage, denn eine postwendende Untersuchung. Da kurzfristig mindestens zwei Dinge – ein Haus und ein Moped - den nämlichen Farbcode sprechen, erscheint die ursprünglich jeweils arbiträre Fassadenfarbigkeit weniger arbiträr, sie wird in der fixierten Flächennachbarschaft des späteren fotografischen Bildes kompositorisch erleb- und diskutierbar.
Die für die späten 1970er und frühen 80er Jahre wichtige Realkunst-Erfahrung (dass Alltagskonstellationen bereits unfreiwillig wie Kunst anmuten können) bildet auch hier eine Grundlage: Denn Bosslet findet die entscheidende Komposition mehr oder weniger rechtwinklig verlaufender Kompartimente der Fassaden ja in außerkünstlerischer Wirklichkeit vor, wenn es auch seiner Entscheidung als Künstler vorbehalten bleibt, dieses und nicht jenes Haus, sowie einen passenden fotografischen Ausschnitt gewählt zu haben. Und diese Trouvaille wird ja gerade nicht aufgewertet, indem ihr das fehlende farbige i-Tüpfelchen in Form einer temporär hinzustoßenden, alles ästhetisch rettenden Farbe beigesellt würde. Vielmehr affirmiert ausgerechnet das ästhetisch schnöde Element ‘Moped’ das Vorgefundene, macht es sich nach barocker Immersionsstrategie zum plastischen Vordergrund eines hinterliegenden flachen Bildes. Kurzfristig, für diesen einen arrangierten Blickmoment dürfen die Farben dann so tun, als seien es keine simplen und gedankenlosen Kriterien gewesen, denen sie ihre Zusammenkunft (bis zur nächsten Überstreichung!) verdanken.
Es ist bekannt, dass beispielsweise in der flämischen Malerei des 17. Jahrhunderts jene Damen des Adels oder Patriziats, die sich einen Porträtisten leisten konnten, sich gerne mit besonders dunkelhäutigen Dienern afrikanischer Herkunft konterfeien ließen, um ihre weiße Blässe per Kontrast noch zu steigern – und wir dürfen annehmen, dass sie sich aus demselben Grund mit diesen Untergebenen auch außerhalb entsprechender Porträtsitzungen umgaben. Das bringt uns zum Nachdenken über den Grad an Mobilität, welchen jene Dinge aufweisen müssen, die von Menschen als relevant für ihre Umgebungs- oder Hintergrundfarbigkeit erachtet werden – nicht nur einmalig arrangiert für Fotografien, sondern tendenziell auch im Alltag. Während z.B. Kleidung etwas ist, das als ausgewähltes Farb-Ensemble Viele für sich frei bestimmen können, dürfte es schon schwieriger werden – und vermutlich den besser Betuchten oder Prominenten vorbehalten sein -, auch größere Dinge wie etwa Autos oder immobile Dinge wie Häuser und Landschaften oder Innenraumszenerien derart zu arrangieren, dass sie farblich konvenieren. Und auch dies dürfte den entsprechend Privilegierten nur möglich sein für vorbereitete Augenblicke, also nicht als Diktat an ihr Leben, sondern nur als Diktat an die davon kündenden Medien. Die nicht gänzlich humorfreie Merkwürdigkeit bei Bosslet ist nun, dass er diese so aufwandsreichen Vorrichtungen, die Menschen in ihrer Eitelkeit für sich beanspruchen mögen, erstens auf schlichte Dinge angewandt hat, und dass er zweitens den Spieß umgedreht hat: dass nicht das Moped (welches ja sozusagen näher am Lebendigen ist als das immobile Haus) einen farblich passenden Background erhält, sondern umgekehrt die Immobilie selbst einen farbflexiblen ‘Bettvorleger’ erhält.
Dass der Roller in Teil II. der Serie dann seinerseits zum Maßstab wird und das Regiment der Farbe führt, indem Landschaftsteile durch Umstreichung seiner Vorgabe huldigen, verleitet zu nachgerade sinnbildlichen Deutungen: Wenn wir die Hierarchie ‘Haus-Motorroller-Landschaftselemente’ anerkennen, so könnten wir mutmaßen, der Roller buckele nach oben und trete nach unten, verlange also von Steinen, Mauern, Pflanzen, sie mögen ihm jetzt bitte jene Mimesis zollen, die er zuvor den Häusern schuldig war.
Teil II. und IV. der Serie schließlich buchstabieren die Möglichkeiten weiter aus: Vor der Konstante ‘Roller’ wird zunächst die Variante der Einfärbung expressiv, so wie desweiteren dann vor den variabel farbenfrohen Haushintergründen die Konstante des geweißten Rollers geradezu gespenstisch, wie ein silhouettenhafter Ausschnitt zum Signet gerät. Womit auch der durchgehende Aspekt des Unsteten angesprochen wäre, der – selbst in der uncoolen, gebrauchsverhafteten und grundfriedlichen Ausgabe einer Vespa – einem motorisierten Zweirad spätestens seit Easy Rider anhaftet. Denn einerlei wo ein motorisiertes Zweirad parkt, und sei es ‘in einem Bild’, denkt man daran, dass es bald für den Aufbruch genutzt wird.
Etliche Wohnhäuser Gran Canarias wurden durch Bosslets Arbeit gleichsam en passant in Farbfragen der modernen Kunst verstrickt, vermutlich sogar ohne dass sie (oder ihre Besitzer) etwas davon bemerkt hätten. Oder, wie die Bedienstete der Eleonora Duse - nachdem ihre Herrin sie aufmerksam gemacht hatte auf einen unzweideutigen Handabdruck des kurz zuvor anwesenden Schornsteinfegers auf ihrem Allerwertesten – repliziert haben soll: „Da streift Dir det Jlück, und du merkst nischt von!“


Christian Janecke