ARTIS, April 1990, S.36-39, von MARTIN BOCHYNEK

EBERHARD BOSSLET
MITTEILUNGEN AUS DEM BAUNEBENGEWERBE

Niederlassung Rheinhausen, so nennt Eberhard Bosslet sein Atelier in Duisburg. Was man als anmaßendes Etikett eines von Hybris geschlagenen Vollblutgenies mißverstehen könnte, das wie selbstverständlich in fünf Ländern der Welt Studios und unzählige Helfer unterhält, hat allerdings System. Bosslet hat ein Faible für die organisierten Strukturen von Wirtschaft, Produktion, Verwaltung, und diese Bezeichnung, die an das Zweigwerk einer großen Maschinerie denken läßt, kennzeichnet doch nur einen lapidaren Sachverhalt: Er hat sich hier niedergelassen, um als Künstler zu arbeiten. «Niederlassung Rheinhausen» ist aber als Name durchaus Programm.
Diese kleine Akzentverschiebung deutet darauf hin, daß er die ökonomisch-logistische Seite seiner Arbeit lieber dem Kleinunternehmertum zugeschrieben hätte. So wäre die Materialbeschaffung und obendrein deren fiskalische Rechtfertigung klarer umschrieben. Zeitgenössische Künstler kaufen in den seltensten Fällen heute noch ihre Utensilien im sogenannten Bedarfshandel. Bosslet benutzt Gerätschaften des Baugewerbes (Schalttafeln, Rasterschaltungselemente, Stahlrohr-Deckenstützen oder sogar Tekko-Schalungselemente), Hartschaumplatten, Zinkblech Polyäthylentafeln und neuerdings auch plastifiziertes Segeltuch oder Preßluftkissen. Er durchforstet die Herstellerkataloge der Industrie mit dem Blick des Künstlers, die Beschaffung ähnelt der eines kleingewerblichen Unternehmers, und die Produktion entläßt spezielle Gebilde, die dem funktionalen Sektor temporär bis komplett entzogen sind.
Hier fängt die Kunst an, die dennoch als inhaltlicher Aspekt der Zuliefererindustrie verpflichtet bleibt. Bosslets Kunst rankt im allgemeinen um ein architektonisches Denken, das die Nutzung des Baus einschließt. Nicht die Privatsphäre als Sektor von Wohnen und Freizeit ist hier gemeint, sondern das Gehäuse, in dem sich allgemein öffentliches Leben abspielt. Verwaltungstrakte, Betriebsstrukturen, Hierarchien und Organisationssysteme einer überaus technologischen Gesellschaft sind im groben das Gerüst seiner Arbeit. Architektur mag hier nur als übergreifende Metapher stehen, die nicht nur reale Räume und Gebäude einbezieht, sondern auch die abstrakte Struktur von Großbetrieben, Behörden und Verwaltungen so bezeichnet.
Diesem architektonischen Prinzip erweist Bosslet in unterschiedlicher Hinsicht Reverenz. Gemäß seinen Anfängen als Student bei Raimund Girke in Berlin gibt es die Malerei als bestimmendes Ausdrucksmedium. Auffallend an den Bildern ist die durchgängige Zweiteilung. Entweder sind wirklich zwei verschiedene Teile in Zusammenhang gebracht, oder eine Fläche gliedert sich optisch auseinander. Abstrakte, geometrische Formen vernetzen sich auf der Fläche zu einem zusammenhängenden System, das die Assoziation zu einem geplanten Bauprinzip zuläßt. Manche fühlen sich an elektronische Schaltkreise erinnert Phantasien elektronischer Laien. Diese mäandrischen Formen lassen natürlich diversen Spekulationen Raum, wie Bosslet Oberhaupt seine Arbeit gern mit zahlreichen Andeutungen spickt, doch sind diese Bilder einfach nur architektonische Gerüste, die nach Fundament und Aufbau geordnet sind.
Nicht außer acht lassen darf man hier die Gleichberechtigung von Malgrund und Farbe. In früheren Bildern ist wohl noch nicht so offensichtlich, daß der Träger ~(Polyäthylentafeln, feuerverzinktes Blech) allein schon als ausgesuchtes Material seine Reverenzen gegen die Farbe behaupten sollte, aber die im letzten Jahr entstandenen «Wandbehänge» aus plastifiziertem Segeltuch lassen eine technoide Weiterentwicklung Mondrianscher Bildprinzipien schlüssig werden. Was der alte Holländer gern als «New York City», «Broadway Boogie Woogie» oder «Trafalgar Square» betitelte und als führende Bildkonkretion vor den Augen der Betrachter tanzen ließ, erfüllen mit anderem thematischen Gerüst Bosslets aktuelle Bilder.
Der Blick darauf ist genauso unstet und liefert dem Auge keine Ruhezone wie die Liniengeflechte Mondrians. Bosslets Titel («Deitermann - UDM 2 S ll», «TF i/87 III», «Flohr & Ibsch I» oder «RH 9/89 IV») sprechen aber von anderen Voraussetzungen und Intentionen für Bilder, die mit den Wandbehängen - aus einem Material, das sonst für die Herstellung von Surfsegeln gebraucht wird - zudem das Medium Malerei verlassen haben. Die großen Tableaus (etwa 3 x 4 m) sind teilweise durchschimmernd bis durchsichtig und liefern der alten kunsthistorischen Aporie von Figur und Grund eine neuerliche, anschauliche Auflösung. Die Titel nennen oft die Namen der Zuliefererindustrie seiner Bilder, verhärten also die Assoziationen in Richtung abstrakter Betriebstektonik, konterkarieren aber auch den Hang des produzierenden Gewerbes zu abstrusen Kürzeln bzw. Namensgebungen. Wenn ein Bild «Deitermann - UDM 2 S Il> heißt, darf man sich getrost daran erinnert fühlen, welcher Schelm zum Beispiel Autos ihren Namen gibt: « 16 V XR 2 i turbo» liegt da nicht weit. Um ein wenig im Bild zu bleiben, sind die Lastwagen in Bosslets künstlerischer Arbeitdie Skulpturen. Diese metonymische Zwickmühle verbietet jetzt wohl von Schwerpunkt zu reden und doch: Schwerpunkt sind die Werkgruppen der
«Unterstützenden Maßnahmen», die- flachen Verspannungen und die kohärenten Bündel verschiedener mit Stahlband zusammengehaltener Bestandteile von Karteischränken. Die «Unterstützenden Maßnahmen» sind im Prinzip immer nur Skulpturen auf Zeit. Ihre Existenz ist vom jeweiligen Ort der Ausstellung abhängig, weil die Zwischen Boden und Decke verspannten Stahlrohrstützen den Zwischenraum zur Voraussetzung haben, der durch Sie erst abgemessen und konkretisiert wird. Der allgemeine Bezug zur Architektur ist hier offensichtlich. Die jeweils anderen Maßverhältnisse von Räumen bedingen eine unterschiedliche Vermessung der Zwischenräume,
in die Bosslet diese Skulpturen aus Baumaterialien spannt. Sei die Anmaßung horizontal (wie im frühen Beispiel in Mannheim 1985), vertikal («Grundkredit», Berlin 1989) oder in beiden Lagen gleichzeitig («Supporting Measures at Mercer Union», Toronto i988), das tektonische Prinzip bleibt gleich. Formal wird abgestützt, was auch alleine steht, nur ändert sich die inhaltliche Dimension mit den jeweiligen Ort. Stetig im Wandel bleiben die Stahlrohr-Deckenstützen systemerhaltender Baustoff, die variables Material (Schalttafeln, Steine, EURO-Paletten) zwischen Wand und Decke klemmen, also im künstlerischen Ausdruck nicht pure Konkretion bleiben, sondern Anspielungen zur jeweiligen Ausstellungssituation liefern. Bosslets Installation für die Documenta hieß im Untertitel «Anmaßend», was alle lexikalischen Konnotationen des Wortes für diese spezielle Situation andeutete faktisch, übertragen und ironisch. Die Titel verleihen den «Maßnahmen» die spielerischen Akzente, sie lockern ein wenig das ansonsten hermetische System von Druck und Gegendruck aus wuchtigen Stahlrohr-Säulenreihen auf. Die Arbeit «Grundkredit~» referiert dabei im doppelten Sinn auf den Ort. Einerseits bietet der Ausstelungsraum der Nationalgalerie in dieser Berliner Grundkreditbank schon genügend Material zur Assoziation, zum anderen gab Bosslet dem faktischen Grund dieser Skulptur Kredit, weil der Boden für das Gewicht der Arbeit überlastet gewesen wäre. Die Suggestionskraft des Wortes setzt also das Begriffsspektrum frei, das Thema seiner Arbeit ist.Die mit Stahlbändern verspannten Karteischränke unterstützen diese an Technologie, Dienstleistung und Verwaltung als System erinnernden Formen, sind hier doch noch die Reste eines veralteten Ordnungssystems für Informationen Skulptur geworden. Früher horteten Batterien von Karteischränken auf den passenden Karteikarten die Informationen, die heute in der einem einzigen Gerät der Firma «Siemens» oder «Nixdorf~» gespeichert sind. Auch hier spielt Bosslet andeutungsweise verschiedene Informations- und Betriebssysteme gegeneinander aus. Die betulichen Relikte als Organisationselemente einer Verwaltungsmaschinerie stammen noch aus vor informatischer Zeit, tragen aber als in sich gespannte und verkeilte Konstruktionen die Namen derzeitiger Informatikriesen. «Siemens II» und «Nixdorf II» sind verspannte Bestandteile von Karteischränken gleicher Fabrikation. Als Bosslet diese beiden Skulpturen herstellte, konnte er allerdings noch nicht ahnen, daß die winklig, kopfstehende Form für „Nixdorf II“ sogar tatsächlich der maroden Struktur des Betriebs entsprechen sollte, geschweige denn, daß die spätere Eingliederung von Nixdorf in das Konzerngeflecht von Siemens abzusehen war. Diese eher anekdotische Entsprechung der Welten Kunst und Technologie sind seltene Zufälle, die wohl der assoziativen Systematik in Bosslets Arbeit eine unverhoffte zusätzliche Nuance beisteuern, sind aber doch nur nette Aperçus am Rande. Seine Skulpturen halten auch so (Lawrence Weiners Schriftzug auf der Fassade von Haus Esters, Krefeld)