Dresdner Neuste Nachrichten, 12.8.1998, von LISA WERNER

Materialwirkung als Kunst

Bosslet, Klotz und Sattel nahmen das Kunsthaus Dresden in Beschlag

Es ist was los im Kunsthaus Dresden. Man sieht und hört es. Und dabei findet der Besucher, pur betrachtet, lediglich Industrielampen, pneumatische Pumpen, Flaschen, verspiegeltes Glas, Bälle, Metallgußteile und manches mehr aus Industrie und Handel. Nur Eberhard Bosslet, Werner Klotz, Otmar Sattel gehen so damit um, daß man oft ins Staunen kommt. Zufall ist das nicht. Schließlich befassen sie sich seit 1981 mit „Material & Wirkung“. So nannten sie den von ihnen in jenem Jahr in Berlin begründeten Verein, an dem noch BKH Gutmann, Oliver Brendel und Isabell Warner beteiligt waren. Und so heißt auch die Ausstellung, die sie nun im historisch-winkligen Gebäude in der Rähnitzgasse präsentieren.
Diese gemeinsame Vorstellung hat einen besonderen Reiz, zumal jeder der drei seine Vorlieben, die eigenständig, aber auch gemeinsam zur Wirkung gelangen, ausspielt. Werner Klotz, 1956 in Bonn geboren, in Berlin und New York arbeitend, sucht hier den Möglichkeiten von Glas in verschiedenster Weise auf die Spur zu kommen. Dabei pendelt er zwischen Materialwirkung und konzeptuellem Anspruch. Das gilt besonders für die für den Ort geschaffene Installation „Geographische und personelle Rekonstruktion des Falles Gross nach Franz Jung“ (1998), ein verschachteltes, beschriftetes Glassystem vor und auf verspiegelter Fläche. Sie berührt, selbst wenn man das 1921 erschienene Buch „Der Fall Gross“ des anarchokommunistischen Schriftstellers (1888-1963) nicht kennt.
Otmar Sattels Arbeiten - er wurde 1955 in Speyer geboren - strahlen besondere Poesie aus, bezieht er doch in einer sehr heutigen Art Naturmaterialien ein. Blätter und Farne werden zu transparenten Flächen verbunden, durch die Licht unterschiedlicher Quellen wie durch einen Vorhang dringt. Eine dieser Arbeiten, „Energiestrom V“ (1995-98), ist gleich im rechten Eingangsraum plaziert. Ins Haus hinein gelangt man über eine „Malerei“, einen quer durch den Hof gelegten Asphaltstreifen, des 1953 in Speyer geborenen Eberhard Bosslet, der 1997 Als Professor für Bildhauerei an die Hochschule für Bildende Künste Dresden berufen wurde. Überspannt wird der Hof von einem orangefarbenen, pneumatisch getragenen „Dach“, das man getrost als Skulptur auffassen darf. Wer sich an Minimal Art und Arte Povera erinnert fühlt, liegt gar nicht so falsch, sieht Bosslet, der bei Raimund Girke in Berlin Malerei studierte, darin doch durchaus Bezugsquellen.
Auch wenn die drei Künstler einzeln auftreten, so wird in der Folge des Rundgangs immer deutlicher, daß da gemeinsam nach den Möglichkeiten des Gebäudes geforscht, nicht einfach nur Vorhandenes in das Haus gestellt wurde - ein Eindruck, den man sonst oft nicht ganz los wird. Gerade auch im Obergeschoß wird die Konsequenz in Umgang mit Material und Raum er fahrbar, wobei sich dem Besucher zu gleich etwas von dem Spaß mitteilt den die Macher dabei offensichtlich gehabt haben. Im Fahrstuhl entdeckt man eine sich sanft drehende „Anemone“ (1996) von Klotz, an der Wand eine „Glorie“ (1998) - eine von Bossletts „Bilateralen Beziehungen“, die er seit den 90ern durch Wände treibt. Der Umgang ist von rot-orangefarbenen Klapptüren „verstellt“ und überhaupt sind die gewohnten Gänge verändert. Da ist eine „Intellektuellenfalle“ (Werner Klotz, 1995) am Platz, in der man sein Auge schier tausendfach entdecken kann, zumal mancher seiner Erinnerung nicht mehr wird trauen wollen: Die von Uecker benagelte Falttür ist verschwunden. Der Künstler hat sie nicht verlangt und auch ausgebaut wurde sie nicht. Bosslet ist hier mit einer seiner „Interventionen“ aktiv geworden und hat sie schlicht verblendet“.
Keineswegs verblendet, wenngleich erfreut, nimmt man ein Summen und Blubbern wahr. Es kommt aus dem großen Saal, der seine „Balance“ gefunden hat - besonders dank der raumgreifenden, fragilen gleichnamigen Arbeit von Otmar Sattel aus dem Jahr 1996: An den beiden Enden eines langen dünnen Rohres sind zwei „Bälle“ befestigt. Gärung läßt sie schweben. In Bosslets darunter liegendes Gerät („Einleiten“) dagegen ist Druckluft gepumpt. Der andere Nebenraum gehört einem Glaskabinett von Werner Klotz, unter anderem mit „Barschrank“, und „Dionysos Travel Bar“, das mit seiner „Wohnzimmeratmosphäre“ nicht so überzeugt. Insgesamt- und es bleibt weiteres zu entdecken - besticht die Ausstellung durch ihre Konsequenz, zu der auch partielle Leichtigkeit, Spielerisches und Ironie gehören. Ein wenig von den Vorstellungen der Beteiligten vermittelt der Gründungstext des Vereins, der im Saal an der Wand hängt, sowie eine kleine Dokumentation früherer Arbeiten.

Lisa Werner

Die Ausstellung ist bis zum 13. September zu sehen. Am 10. September, 20 Uhr wird die Dokumentation zu „Material & Wirkung“ vorgestellt.