Weser Kurier, 29.9.1987, G.H.

Material aus dem Alltag

Eberhard Bosslet mit dem Bremer Kunstpreis 1987 ausgezeichnet

Der Bremer Kunstpreisträger 1987 heißt Eberhard Bosslet. Die fünfköpfige Jury unter der Leitung von Professor Dr. Jens Christian Jensen, Kiel, hat gestern nach mehrstündiger Beratung ihre Entscheidung gefällt und die Auszeichnung satzungsgemäß einem Künstler zuerkannt, „der bisher in der Öffentlichkeit noch nicht eine Würdigung solcher Art erfahren hat“. Mit ihrer Wahl entsprach sie dem Votum von Bremens Kunsthallendirektor Dr. Siegfried Salzmann, der als Mitglied der unabhängigen Vorschlagskommission Bosslet zu seinem Kandidaten gemacht hatte, ohne selbst in der Endentscheidung stimmberechtigt zu sein. Die Auszeichnung erfolgt am kommenden Sonntag, dem 4. Oktober, um 11.30 Uhr in der Kunsthalle.
Unter den insgesamt zehn Bewerbern, deren Arbeiten noch bis zum 18. Oktober in der Kunsthalle zu besichtigen sind, konnte Bosslet die Jury, der, neben Professor Jensen, Professor Dr. Klaus Gallwitz {Frankfurt), Dr. Carl Haenlein (Hannover), Dr. Dieter Koepplin (Basel) und Dr. Dierk Stemmler (Mönchengladbach) angehörten, in seinem gegenwärtigen Schaffen am stärksten überzeugen. In der schriftlichen Begründung des Bremer Kunstpreises heißt es dazu unter anderem: „Eberhard Bosslets Erfahrungsmaterial sind Baustellen und Baukonstruktionen. Es hat auch etwas mit heutiger technischer Ausrüstung, z. B. Schalttafeln, zu tun. In ihrer Kombinatorik unterscheidet sich Bosslet deutlich von anderen, spielerisch vorgehenden Künstlern seiner Generation. Disparate Materialien geraten in räumliche Spannung, wobei einzelne Empfindungsqualitäten unterschiedlich spürbar werden...“
Neben dem im Eingangsraum der Kunsthalle installierten Skulptur-Objekt aus schweren Stahlstützen mit dem Titel „Unterstützende Maßnahme“ würdigt die Jury Bosslets in der Ausstellung präsentierten Wandtafeln aus bemaltem Zinkblech als „eine geometrisch erscheinende Kunst, die nicht formalistisch ist, weil sie ihre Substanz aus plastischen Vorgängen und aus Erfahrungen von Konstruktionszusammenhängen unserer realen Welt bezieht“.
In unserer Ausstellungsbesprechung (Ausgabe vom 12. September) hieß es: „Wenn es, scherzhaft gemeint, um das Kriterium ginge, wessen Arbeit den anstehenden Realitäten und den aktuellen Problemen des Bremer Kunstvereins am nächsten kommt, dann stände der 1953 in Speyer geborene, in Berlin und Duisburg lebende Künstler Eberhard Bosslet als Sieger schon fest.“ Seine Arbeiten nehmen Bezug auf Probleme der Statik und Konstruktion sowie auf die Grundrisse sanierungsbedürftiger Bauten. Die Jury hat diesen Zusammenhang offenbar ähnlich erkannt und darin eine ernstzunehmende künstlerische Auseinandersetzung gesehen.
Der mit 20 000 Mark dotierte Bremer Kunstpreis wurde mit Unterstützung der Stadtgemeinde in privater Initiative als Ersatz für den 1983 letztmals verliehenen Kunstpreis der Böttcherstraße gestiftet und wird in einem Turnus zwei Jahren vergeben. Erster Preisträger 1985 war der Schweizer Maler Martin Distler.

G.H.