Eberhard Bosslet – Manöver Intervention
Ein Porträt von Ralph Findeisen

Der Name Eberhard Bosslet, Jahrgang 1953, wird Kennern der Kunstszene als Teilnehmer der do­cumenta 8 ein Begriff sein. Die unter der kuratierenden Schirmherrschaft von Manfred Schneckenburger gezeigten Arbeiten Anmaßend I und II bildeten einen vorläufigen Höhepunkt für eine Installationskultur, der Bosslet den vielversprechenden Titel Intervention verliehen hatte. Und tatsächlich, was heute selbstverständlich erscheinen mag, musste damals erst einmal gestemmt werden – nebenbei auch um sich später mit dem Label der Eighties in die jüngste Kunsthistorie einzuschreiben.

(einfüg. Bild 8 der Serie documenta 8 1987, Anmaßend I)

Stahlrohrdeckenstützen aus dem Baugewerbe, ausgediente Alltagsgegenstände in Verbindung mit den Füll­materialien Holz oder Beton bildeten in die Räumlichkeiten eingepasste Stützkonstruktionen, die selbstredend nicht anderes hielten als vornehmlich sich zusammen. Die Begrifflichkeit von der Intervention fungierte dabei als Doppelstrategie. Zum einen wurde der Eingriff in eine vorgege­bene, museal bestimmte Architektur vollzogen, ein Eingriff, der gleichzeitig als kommunikatives Angebot an den Raum sowie auch als dessen Inbesitznahme und / oder komplementärer Zusatz zu verstehen war. Woran sich bis heute nichts geändert hat, denn „bei einer Installation oder Intervention ist die Relationalität zum Umfeld, ob Innen- oder Außenraum, ästhetisch und inhaltlich werkbestimmend.“

(einfüg. Bild 9 der Serie documenta 8 1987, Anmaßend II)

Zum anderen markierte Bosslets Position einen offensichtlich entspannteren wie dringend notwendigen Gegensatz zum ideologisch aufgeregten Kanon der 60er und 70er. Auf dem Wege hin zur diskursiven Anonymisierung im Graubereich zwischen Kunst, Philosophie und Soziokultur wurde der Austreibung des Narrativen, der unmittelbaren politischen Absicht und des zur Wiedererkennung verpflichtenden Abbildes Nachschub verholfen. Bis heute findet sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, in dem umfangreichen Werk des gebürtigen Speyers so gut wie keine direkte Botschaft in Form von Schrift, vollständigen Aussagen oder wie auch immer aus dem sophistischen Gesellschaftsalltag kopierten Zeichen. Moralisch wertende Intentionen werden ausgeschlossen. Was stattdessen als produktionsimmanente Geste schließlich zur Präsentation führt, würde der heutige Professor für Skulptur und Raumkonzepte an der Hochschule für Bildende Künste Dresden „eher mit gesellschaftlicher oder kultureller Bezugnahme / Referenz bezeichnen.“

(einfüg. Bild 14 der Serie Vacation comfort 1984)

Bosslet studierte von 1971 bis 1975 in Reutlingen Design, anschließend von 1975 bis 1982 in Berlin Malerei. Noch bevor Mitte der 80er die Interventionen zum maßgeblichen Motiv für die artifizielle Okkupation von Innenarchitekturen expan­dierte, wurden sie bereits in Außenstudien vorangetrieben. Bauruinen auf Teneriffa und in Barcelona, Antwerpen, Duisburg und Berlin erhielten fragmentierende, weißlineare Farbanstriche, wurden mit schrottreifen Waschmaschinen bemäntelt oder mit schwarzen Rechteckflächen bemalt, die wie ausgeschnittene Hohlräume in den Fassade wirkten. Dem Verfall und Vergessen preisgegebene Orte in südlichen Sphären, eigentlich konditioniert durch Dichterreisen, malerischen Panoramablick und Tourismus, entriss Bosslet so aus der Bedeutungslosigkeit qua Nichtwahrnehmung. Die Wertigkeit des Verfalls der vorgefundenen Ruine trat dabei in Dialog zur nicht wesentlich oder gar nicht höheren Wertigkeit des zugefügten Materials bzw. einer auferlegten Idee. Im Vokabular des Poststrukturalismus ausgedrückt, soufflierte sich das in seine zwei Wesensarten aufgespreizte Objekt seinen inneren Dialog selbst. Bosslet war, wenn man so will, nur als flüchtiger Initiator in Erscheinung getreten. Nichts Pompöses, nichts Glamouröses, nichts Edles. Allein ein zurückhaltender, leiser Operationsakt. Eine Arbeitscharakteristik, die typisch bleiben sollte.

(einfüg. Bild Begleiterscheinung II, Nord aus der Serie Interventions in Publik Spaces)

Mit dem Auftritt bei der documenta 8 indes hatten Bosslets Interventionen in Innenräumen ihren Status in Sachen Materialien manifestiert. In seinen Unterstützenden Maßnahmen und dem Tekko-Office gesellte sich neben die quasi-architek­to­ni­sche Installation die des spielerischen Umgangs mit Mobiliar hinzu. Tische und Sitzelemente ließen sich mit Rasterschalungselementen aus dem Hoch- und Tiefbau nach dem Baukastenprinzip in allen erdenklichen Varianten zusammensetzen. Oder, wie im Fall der Maßnahmen, die Anordnung ergab einmal mehr fern von jeglichem Nutzungseffekt ein sich selbst genügendes Objekt, dessen Hauptaufgabe allein darin zu bestehen schien, sich mit den Ausstellungsräumen zu arrangieren.

(einfüg. Bild 3 aus der Serie Tekko-Tisch)

Bosslet versteht Kunst nicht als zu vermittelnde Wahrheitsdoktrin, sondern sie erhält ihre Berechtigung zunächst und zuerst aus der Herstellung. Während im Übergang von den 80ern zu den 90ern mit dem endgültigen Paradigmenwechseln hin zur bekennenden Oberflächenkultur die kritische Bestandsaufnahme wuchs, zweckfreie Ästhetik führe zum enthistorisierten Umgang jeglicher Art sowie zur autistischen Verschlossenheit des Kunstobjektes, stellte und stellt sich die Frage für ihn um so weniger, je qualitativ hochwertiger eine Arbeit ist. Besser heißt relevant für die Kunstgesellschaft, mit der Vorgabe, dass „die Feststellung der Qualität einer Arbeit erst von der Kunstgemeinschaft erstritten werden muss.“

Anfang der 90er ermöglichte eine Technik noch gewagtere Ausführungen von Installationen und Skulpturen: die Pneumatik. Scheinbar paradox, dienten nun gefüllte Luftkissen aus Gummi als Raum füllende, Reibung erzeugende Stützelemente und erregten durchweg den Thrill, dass die Interventionen kurz vor der Implosion stünden. Konstruktionen wie Contraposition II mussten niet- und nagelfest, also luftdicht sein, um zu bestehen und verwischten abermals sinnhaft die Grenze zwischen vorgefundenem Raumangebot und Kunstwerk. Daneben fand in zunehmendem Maße auch immer wieder Vorgefertigtes Eingang in die Skulpturen: Autoreifen, Autofelgen, Gullideckel, Matrazen, Ketten, Stahlseile, selbstverständlich das Equipment für die Pneumatik, Druckluftflaschen, Schläuche, Steuerungseinheiten.

(einfüg. Bild 9 aus der Serie Contrapositon II 1993 Rotterdam)

Während das skulpturale Œuvre gleichzeitig einen noch größeren Variantenreichtum in Beschlag nahm, gelang 1995 im Sprengel-Museum in Hannover mit der Ausstellung Interventionen II ein zweiter Höhepunkt. Alle drei dort gezeigten Arbeiten verdichteten gleichsam, was bis dahin tendenziell und formal im Werk Bosslets angelegt war, und waren so inszeniert, als ob sie zum Inventar dazugehörten. Das Hubwerk stützte optisch die Deckenkonstruktion des Museums, der Atlas füllte einen leeren Raum oberhalb einer tatsächlichen Stützsäule und die Sperre, aus Ortbeton und Armierungsbaustahl, formierte eine separate Fläche, die nicht mehr zu betreten war. Wiederum also wurden schwerwiegende Funktionen nur vorgetäuscht, die Materialien entstammten erneut aus Industrie und Gewerbe und proklamierten scheinbar nicht den Anspruch, Produkt eines ausgefeilten und hochkarätigen Schaffensprozess zu sein. Eine Finte, die den Betrachter in die Wahrnehmungsfalle lockte und unter Umständen und parallel zu den monierenden Frage, was denn den Unterschied zwischen einer Bau­stelle und der Ausstellung ausmachte, mit der Tatsache konfrontierte: Dieser Raum wurde verändert.

(einfüg. Bild 20 Hubwerk aus der Serie Intervention II Hannover Sprengelmuseum 1995)

Dass natürlich nichts so einfach war, wie es schien, beweist der Umstand, dass die Installationen durchweg von Skizzen und seiner Malerei ähnlichen Strukturen- oder Raumstrukturen begleitet wurden. So gibt es inzwischen neben dem Skizzensammelsurium auch eine stattliche Anzahl von Paintings, die allerdings nie Ölfarbe und Leinwand gesehen haben. Auch hier waren für den Bildträger zweckentfremdete Materialien bevorzugt wie verzinkte Bleche, Polyethylentafeln, Lkw-Planen, wie Trampoline und Glasscheiben. Farbstoffe wie Email, Lackfarben, Bitumen und farbige Silikone und vieles mehr kamen zum Einsatz. Verewigt hatte sich Bosslet damit u.a. in der U-Bahn Station Duisburg-Meiderich und verwies fern des Museums darauf, wie schmal der Grad zwischen archivierter Kunst im gesicherten Zeichenarsenal und einer grundlegenden Alltagstauglichkeit sein konnte.

(einfüg. Bild 10 Außenkurve aus der Serie Duisburg Subway-Station Auf dem Damm 2000)
(einfüg. Bild DD 12-9/2001 aus der Serie Analoge Scheiben 2001)

Ein Blick auf die Liste der Werkkategorien verrät die Vielseitigkeit der von Bosslet verwendeten Kunstgattungen – Installation, Skulptur, Fotografie, Malerei, Kollagen, Kunst im öffentlichen Raum, Multiples, Möbel. Und die Unmenge an Firmen, die an der Umsetzung der Ideen mitgewirkt haben. Derzeit ist in Poznan eine raumgreifende Installation aus der Werkgruppe Barrieren zu bestaunen. Hauptakteure sind schon traditionell Beton und Stahl. Der Besucher sieht sich in seine Irritation verstrickt, den Raum nur zu überschauen, aber nicht in seiner Vollständigkeit begehen zu können. Insofern wirkt die Ausstellung wie ein Versprechen, dessen Nichteinlösung hinterfragt werden muss.

(einfüg. Bild 2 [Inter5802.jpg] aus der Serie Barriere 84/05 2005)