Mannheimer Morgen, 6.11.1987, von CHRISTEL HEYBROCK

Kunst am Bau, mal anders rum

Eberhard Bosslet stellt im Heidelberger Kunstverein aus

Er ist erst 34, aber sein Name dürfte so schnell nicht mehr aus dem Gedächtnis zu streichen sein: Eberhard Bosslet, 1953 in Speyer geboren, Schüler des Malers Raimund Girke an der Berliner Hochschule 1983 DAAD-Stipendiat, 1984 Wilhelm-Lehmbruck-Stipendiat, seit einigen Wochen Träger des Bremer Kunstpreises. Aber nicht die Auszeichnungen machen den Mann, sondern das, was er selber macht- und das kann sich sehen lassen. Vor zwei Jahren installierte er „Plastiken“ aus meterlangen Stahlträgern in der stillgelegten Halbergfabrik am Mannheimer Hafen. Mit derartigen „Unterstützenden Maßnahmen“, wie er diese Arbeiten witzig nennt, war er auch im Sommer auf der Kasseler „documenta“ vertreten, im Treppenhaus des Museums Fridericianum. Und jetzt verwirklicht der Heidelberger Kunstverein eine lange geplante Ausstellung mit ihm.
Stahlträger mochte er in die drei Räume nicht installieren, so daß die Heidelberger auf einen bedeutenden Aspekt verzichten müssen. Mit den langen, schweren Stangen sowie mit eingeklemmten Gegenständen (in der Halbergfabrik waren es ein Ölfaß, ein Stapel Holzplatten und Betonbausteine, in Kassel Gehwegplatten und ein metallener Aktenschrank, der wie ein Dämm-Element in über drei Metern Höhe die Decke abzupuffern schien) stellt Bosslet verblüffende Zusammenhänge zwischen vorhandenem Raum und eingepaßtem skulpturalem Gebilde her. Wer nicht genau und mit wachen Augen hinsieht, sondern Architektur mit gewohnheitsmäßiger Bewußtlosigkeit hinnimmt, der merkt kaum, daß da etwas anders ist. Daß zum Beispiel eine Ecke verstellt wurde. Daß die Decke eines Raumes aufwendig abgestützt wird, obwohl sie doch sichtbar von alleine hält und der Fußboden mindestens im gleichen gefährlichen Bröselstadium sein müßte... Und was tut der Aktenschrank in luftiger Höhe, was tun Bremskeile zu Füßen einer eingeklemmten Tonne oder schuttgefüllte Gummitaschen, auf denen ein umgedrehter Hocker ruht (so 1985 in Madrid)?
Diese schönen, architektonisch-funktionalen Verwirrspiele gibt es in Heidelberg also leider nicht. Dafür eine Wandinstallation, der man noch viel weniger ansieht, daß sie in der vorgefundenen Wirklichkeit von Architektur ein zusätzliches, bewußtes „Artefakt“ darstellt; sie besteht nämlich bloß aus Spanplatten, die eine Wand verkleiden. Aber die Installation stört und unterstreicht zugleich den Stützenrhythmus des Raumes: weiße Wände, weiß ummantelte Pfeiler in gleichmäßigem Abstand, und der letzte Pfeiler klemmt dann, seines Mantels entblößt, zwischen Bosslets Spanplatten und ist ein ungeschälter brauner Baumstamm.
Zwei Bodenplastiken nehmen überraschenden Bezug zu den lamellenartigen Heizkörpern auf, weil sich Kupferrohre, geheimnisvolle Funktionen vortäuschend, um jeweils ein Geviert aus Betonsteinen herumziehen. Man assoziiert industriellen Sperrmüll, Fundstücke aus Fabriken, zu Kunstwerken verwendet, aber der Vorgang ist umgekehrt: Bosslet hat die beiden Plastiken so gemacht, nicht so entdeckt, und daß sie sich anpassen an eine vertraute industrielle Realität, entspricht einer bewußten Haltung. Kunst am Bau, ganz anders rum, nicht Kunst als kontrastierende dekorative Zugabe zu mißglückter Architektur, sondern Kunst, die die architektonische Realität beläßt und wieder für Architektur bestimmt ist (ob die miß- oder geglückt ist, spielt dabei keine Rolle). Kunst, die wie selbstverständlich auch aus den Materialien der Bauwerke gefertigt wird, aus Betonsteinen, Ziegelsteinen, Leitungsrohren.
Sockelartig schwere Formen mit röhrenartigen „Leitungs“systemen darüber sind auch Thema von Bosslets Materialbildern, mit denen er sich seit zwei Jahren beschäftigt. Er arbeitet auf Zinkblech mit Lack, Putz und Bitumen, trägt die Farben (häufig Rot, Gelb, Grün und Schwarz) in pastoser Schicht auf, so daß sie fast reliefartig auf dem Blechgrund stehen. Der wuchtigen Gleichförmigkeit dieser Bilder steht die außerordentliche Sensibilität gegenüber, mit der Bosslet bei seinem DAAD Stipendium in Spanien ruinöse Bauten bemalte.
Auf den Kanaren und auf der Iberischen Halbinsel wimmelt es infolge des ausufernden Tourismus von rasch hingestellten und wieder verlassenen, verfallenden Gebäuden. Bosslet stört sich nicht an der Trostlosigkeit dieses Anblicks Unbefangen zieht er die Abbruchkanten, Wellblechprofile und Türfassungen mit leuchtender Farbe nach, so daß die Gerippe dieser Bauten in neuem, manchmal gespenstischem Leben erstrahlen. Tür- und Fensteröffnungen wiederholt er und vervielfacht sie optisch durch schwarze Flächen auf der Wand. So entstehen neue architektonische Rhythmen und harmonische Gliederungen. In Heidelberg ist das durch einige großformatige Fotografien dokumentiert.

(Alte Eppelheimer Straße 40, bis 22. November, dienstags bis sonntags 10 bis 13 und 14 bis 17 Uhr, mittwochs bis 20 Uhr.)

Christel Heybrock