Bosslet - Additive
Kunstverein Ingolstadt 27.06. – 09.08.09
Galerie im Theater Ingolstadt

„Ich spüre mich, also bin ich.“
Eberhard Bosslet im Gespräch mit Isabella Kreim


Sie bestellen Ihre Materialien nicht beim Künstlerbedarf, sondern bei Baufirmen, d.h. Sie verwenden für die Modularen Skulpturen keine traditionell kunst-typischen Materialen, sondern „triviale“ Gegenstände wie Bauschalungselemente. Inwieweit verändert das unseren Blick auf die Ästhetik des Alltags einerseits und die Kunst in der Galerie andererseits? Oder simpler: Was interessiert Sie daran?
In der Regel verwende ich in meinen Werken Gegenstände, und zwar Produkte aus der industriellen und gewerblichen Wirklichkeit unserer Zeit. Sie sind immer wesentlicher, sichtbarer und funktions-ästhetischer Bestandteil meiner Arbeiten.
Diese Produkte sind in ihrer Nutzung, in Materialität, Ästhetik, in Dimension und Zustand hervorgegangen aus einem zeitgenössischen gesellschaftlichen Bedarf und dessen Anwendung.
Mein kreativer Akt besteht darin, diese Gegenstände entgegen ihrer Konvention einzusetzen und in neuen Konstellationen und Relationen aufzuführen.
Wir bauen in allem auf Traditionen und Konventionen auf, jedoch verstellen diese Routinen dabei gleichzeitig den Blick und konventionalisieren unsere Erlebnisfähigkeit. Bekanntes, möglicherweise in ein paar wenigen Facetten der Wirkungsbreite neu erlebbar zu machen, ist der Antrieb meines Handelns.

Gibt es ästhetische Entscheidungen bei der Auswahl der Baumaterialien oder für die Neustrukturierung des Galerieraums?
Nein.

Wie werden stützende Elemente etwa zwischen Decke und Boden verspannt? Welche Kräfte und Kräfteverhältnisse werden tatsächlich wirksam und welcher Eindruck entsteht dabei?
Sowohl in den Skulpturen als auch in den Installationen mit Schalungssystemen und Stützen funktionieren diese aufgrund grundlegender physikalischer und systemspezifischer technischer Möglichkeiten. Die Stützen z. B. können über ein Raster in der Länge stufenweise variiert und über eine Gewindefunktion millimeterweise verlängert und damit auf Druck mit dem Gegenpart gebracht werden.
Es geht um eine Ausgewogenheit der eingesetzten Mittel und Kräfte, die in einer schweren Ruhe ihr Gleichgewicht finden.
Das Stützen der Decke ist z. B. immer zeitgleich ein Belasten des Bodens, so dass es nur einen verhältnismäßig kleinen Spielraum gibt, in dem die Montagen existieren. Die Anwendung von Kraft und Reibung liegt zwischen einem notwendigen Mehr-als-zuwenig an erzeugter Kraft und einem Weniger-als-zuviel.

Da das Theater Ingolstadt gegenwärtig saniert wird, könnte man diese Einbauten in der Galerie für reale Notwendigkeit halten. Ist das ein Idealfall für die entstehende Irritation?
Nein, diese Verwechslungsmöglichkeit ist kein Idealfall. Da die Bauarbeiten am Gebäude nicht im selben Blick-Moment zu sehen sein werden, werden meine Skulpturen jedoch eine dialogische Situation schaffen, in der Nutzanwendung mit Kunstanwendung verglichen werden kann. Die Unterschiede können, so man den Vergleich sucht, wirksam werden.
So verhält es sich unter Umständen ähnlich wie z .B. bei Werbedarstellungen und Kunstwerken, die sich werbestilistischer Mittel bedienen.

Eine Weihnachtsbeleuchtung im Sommer, nicht zur Stimmungserzeugung über die Straße verspannt, sondern am Boden liegend… Hat diese Schaffung anderer Kontexte für mehr oder weniger nützliche Alltagsgegenstände auch eine ironische oder kritische Dimension?
Ja, ganz recht! Sie können es aber auch weniger ironisch oder kritisch sehen, so wie in meiner Antwort auf Ihre erste Frage dargestellt.

Halten Sie die Frage „Was will uns der Künstler damit sagen?“ eigentlich grundsätzlich für irrelevant?
Die Frage „Was will uns der Künstler damit sagen?“ ist nicht irrelevant, sondern eher ungeschickt. Ich mache Kunst nicht, weil ich etwas weiß und es anderen verkünden will. Vielmehr habe ich eher keine Frage, stelle aber Ansichten zur Verfügung.
Besser wäre, sich zu fragen: „Was gibt mir dieses Werk an Empfindung und Reflektionsanlässen?“
Wenn ich es besser sagen als zeigen könnte, wäre ich Schriftsteller geworden.

Und das beliebt beliebige „Das bleibt dem Betrachter überlassen“?
Da alles, was ein Künstler an Werken von sich gibt, meist recht spezifisch ist und vieles ausschließt, ist eine Beliebigkeit im Umgang damit ausgeschlossen. Natürlich bleibt es dem Betrachter überlassen, was er aus dem Treffen mit dem Kunstwerk macht. Jedenfalls braucht er sich nichts vorsagen zu lassen, an was er dann glauben soll. Etwas Information vorab kann womöglich aber dienlich sein, das eigene Erleben in Gang zu setzen.

Was ist Ihre Position in Bezug auf die Intention des Künstlers?
Als Intention eines Werkes bezeichnet man die Absicht, die mit dem Werk verfolgt wird. Eine Absicht im Sinne eines belehrenden Sendungswillens habe ich nicht.
Mich interessiert, das Schöpferische durch Erfindungen zugänglich zu machen, indem ich Bekanntes aufgreife und in neuen Konstellationen und Relationen interpretiere. Es gibt nichts, was ich handwerklich besser könnte als andere. Es ist eher umgekehrt. Was ich tue, kann jeder andere auch tun. Und das ist gut so. Was andere besser können, hat Anteil in meinen Arbeiten. Fertigkeiten anderer, die zur Existenz des Werkes beitragen, sind gewollt. Ich lehne für mich artistische Qualitäten, die nur über hohen Trainingsaufwand zu erlangen sind, als Mittel meiner Kunstherstellung ab. Ich habe kein Bedürfnis, meine Individualität über handwerkliche Handschrift öffentlich zu machen oder darüber künstlerische Wertschätzung zu erlangen.
Ich stifte in meinen Werken neue Zusammenhänge und verdichte deren emotionales Potenzial. Sozio-wirtschafts-kulturelle Erlebniskonventionen und Traditionen werden gebrochen und durch neue Aspekte versehen, die damit wieder erleb- und denkbar werden. Natürlich gibt es eine Reihe ganz profaner Absichten, um die es aber vermutlich hier nicht geht.

Was ist Ihre Erwartung in Bezug auf die Rezeption des Betrachters?
Als Künstler habe ich ein weit komplexeres Verhältnis zur Kunst als jemand, der sich nur sporadisch aus Interesse und Liebhaberei mit Bildender Kunst beschäftigt. Wenn man mit Kunst zu tun hat, könnte ich es mit folgendem Satz auf einen gemeinsamen Nenner bringen: Ich spüre mich, also bin ich.
Dieses Sich-spüren-Wollen ist ein weit reichender Antrieb für vielerlei: Essen, Trinken, Sex, Sport, Denken, Streiten, Spielen, Gewinnen – Kunst. Bildende Kunst und andere Künste bieten ein subtiles Feld reichhaltiger Stimulationen. Über die persönlichen Sensationen hinaus bietet der Umgang mit Kunst und Künstlern auch Einfluss, Geld, Gewinn, Besitz, Dominanz etc. Dieser Mix – in dem die vielen Mitwirkenden mit differierenden Anteilen, Bedürfnissen und Zielen agieren – macht die Kunst so attraktiv.

Worum geht es bei den Interventionen im öffentlichen Raum, die in der Ausstellung dokumentiert sind?
In der Ausstellung werden einfache Eingriffe mittels Farbe an Bauwerken im öffentlichen Raum zu sehen sein. Die dafür gewählte Form und Materialisierung geht aber über das reine Dokumentieren vergangener Taten und fern liegender Orte hinaus.
Wären es nur Dokumente, hätte irgendjemand dies für mich/uns getan und ich würde mich nicht um die Form der Präsentation gekümmert haben.
Es wird in der Ausstellung S/W-Großfotos hinter Glas in schwarzen Rahmen geben, deren Anmutung etwas Historisches hat und eine eigene Bildautonomie anstrebt.
Drei der kürzlich realisierten Interventionen werden als „Dia-Schau“ auf drei Flachbildschirmen präsentiert, die an einer farblich gefassten Wand hängen.
Diese „Inszenierung“ ist als eigenes Werk zu verstehen.
Mit linearem und flächigem Farbauftrag an Industrieruinen und aufgegebenen Häusern konturiere und kontrapunktiere ich mit weißer oder schwarzer Farbe materielle und statische Gegebenheiten der jeweiligen Bauten und stelle somit meine eigene Konzeption in den Dialog mit den Gegebenheiten der Bauwerke im rustikalen Kontext. Die Werke beschäftigen sich auf ganz unterschiedliche Weise mit den Bedingungen des Bauens und des Wohnens, mit Außen und Innen, privaten und öffentlichen Räumen.

(Weitere Erläuterungen sind in den Texten auf der beiliegenden CD-ROM, dem Bosslet-Archiv 1979-2009 zu finden.
Dr. Isabella Kreim ist Vorsitzende des Kunstvereins Ingolstadt e.V.) 01.06.2009