DE - Schmid, Karlheinz; Informationsdienst KUNST Leitartikel in Nr. 528, 16-5-2013

Liebe Leser, wer mit Kunst zu tun hat, muss den Stillstand fürchten, weil er in den seltensten Fällen
zu wirklich überzeugenden Resultaten führt, die unsere Gesellschaft und jeden Einzelnen weiter-
bringen. Ein paar kontemplativ orientierte Positionen im Kunstbetrieb mögen als Ausnahme ihre
Berechtigung haben, weil sie die unaufhaltsamen Veränderungen ins dialektische Balance-Spiel setzen, als Korrektiv in einer Szene hilfreich sind, die zur Aufgeregtheit neigt. Dabei will unsere Branche strukturell kaum anders als andere Berufsgruppen wahrgenommen werden. Freilich dürfen wir, die von Haus aus mit Kreativität mehr oder weniger gesegneten Zeitgenossen, mitunter gehörig staunen, wie einfallsreich es andernorts zugeht. Aktuellstes Beispiel: Banken werden heutzutage nicht mehr mit Waffengewalt ausgeraubt; das funktioniert, quasi nebenbei, lautlos, per Internet. 45 Millionen Dollar - innerhalb weniger Stunden waren sie in Amerika verschwunden. Kriminalität zu beschönigen, ist freilich nicht meine Absicht; aber mir imponiert der subversive Aspekt, der in der Kunst der vergangenen Jahre leider keine allzu große Rolle mehr spielt.

Der Kunstler Eberhard Bosslet (zur Zeil mit einer Einzelschau im Saarland Museum in Saarbrücken
vertreten), seit 1997 Professor an der HfbK Dresden, gehört zwar zum Jahrgang 1953, doch der
Mann denkt jünger und radikaler, als viele seiner Kollegen der nachrückenden Generation imstande
sind, grundsätzlich zu werden. Vor Tagen pfefferte mir Bosslet ein polemisches Statement auf den
Bildschirm, das es in sich hatte. Nestbeschmutzung der feinsten Art. ,Es kotzt mich an", schrieb
der ehemalige documenta-Teilnehmer, "die vielen hinfälligen Werke von Jungkünstlern und nach
Wirtschaftserfolg strebenden Artisten zu sehen, die devot und fleißig, unbewusst und opportun, selbstausbeutende galeriemarktkompatible Kunstformate bedienen." Laut Bosslet werden ',meist innovationsunverdächtige Altertümer produziert und in lauschig unterhaltsamer stehparty-Atmosphäre' unter Gleichgesinnten in tradierter Ausstellungsroutine zur Schau gestellt". Natürlich hat einer, der mit einem Professoren-Gehalt lebt und in wenigen Wochen 60 wird, leicht reden; natürlich kann Eberhard Bosslet kurzerhand die (verbale) Sau raus lassen, weil er längst in der zweiten (Lebens-)Halbzeit spielt. Doch die Attacke zählt für mich auf anderer gedanklicher Ebene doppelt: Immerhin nimmt dieser Künstler seine Lehraufgabe ernst, steht permanent in der Auseinandersetzung mit Studierenden und weiß also genau, was er schreibt.

Wo nun also laufend Formen und Förmchen hergestellt werden, weil Künstler und Galeristen ihren
Lebensunterhalt verdienen müssen, stellt sich unverzüglich die Frage nach der Alternative, um an
die Bosslet-Kritik andocken zu können. Wenn es ihn seit langem nervt, dass das "wirtschaftliche Ziel der Bildenden Kunst im Verkauf der Produkte" liegt, und er, beinahe ein wenig neidisch, auf die Honorierung der Angebote zur Wahrnehmung in den Bereichen Tanz, Theater, Film und Musik verweist, dann drängt sich der Verdacht auf, dass Bosslet für die inhaltliche Blutarmut der Kunst vor allem die pekuniäre Situation verantwortlich macht. Doch mit Ausstellungshonoraren, diesem über strapazierten Debatten-Thema, wird die Lösung nicht zu finden sein, weil dann schnell eben jene Plattformen wegbrechen würden, die doch am ehesten dazu beitragen, dass sich in der Entwicklung der Kunst etwas bewegt. Ich denke an die Galerien und Kunstvereine. So ist's für mich naheliegend, die Bosslet-Kurve zum Werk selbst zu nehmen. Das bedeutet: Den Betrieb zunächst links liegen lassen und knallhart ermitteln, was man als Künstler will, welchen Kontext man sucht, welchen Werkbegriff man wählt.

Wenn Eberhard Bosslet, der für mich hierzulande zu den klügsten Köpfen der Branche zählt, im Eifer des Wort-Gefechts seine Kollegen auffordert, Lagerware einzumotten, Ateliers zu kündigen und die Produktion von klassischer Warenkunst einzustellen, dann fragt man sich, ob dieser schöpferische Verlust tatsächlich zu einem neuen Aufbruch führen könnte. Und wohin soll's gehen? Wie sieht eine Kunst aus, die sich dem konventionellen Handel verweigert? Was Bosslet selbst beiträgt, imponiert durchaus, etwa eine temporär machbare Einkaufswagen-Kreisinstallation wie,,Closed Circuit Commerce", doch ich frage mich, ob es in Deutschland genug Lehrstühle an Kunsthochschulen gibt, damit sich Künstler den Luxus unkommerzieller Projekte im öffentlichen oder sonstigen Raum dauerhaft leisten können. Und: Wollen wir Galeristen, die sich in vielen Fällen über Jahr zehnte für ihre Künstler teeren und vierteln lassen' tatsächlich in die Arbeitslosigkeit schicken? Mit Verlaub: Es kneift vielerorts im System, und Bosslet hat durchaus auch Recht, wenn er die fehlende Qualität vieler Kunstmarkt-Kunstwerke anprangert, doch ob die Lösung der Probleme auf verlassenen Supermarkt-Parkplälzen zu finden ist, wage ich zu bezweifeln. Ob uns die kommende Biennale in Venedig eine Antwort spendiert?

Mit besten Grüßen
Karlheinz Schmid
(Herausgeber der Kunstzeitung und des Branchenbriefs Informationsdienst Kunst )