Gespräche in Dresden

Eberhard Bosslet / Christian Janecke


Die zeitgenössische Flut an Bildtheorien zeigt fast durchweg Interesse an innerbildlichen Problemen und verzichtet auf eine Infragestellung des Phantasmas ‘Bild‘, seiner äußeren Determinanten, seiner Verabredungsform. Umgekehrt existiert eine auf neuere Kunstrichtungen versierte Literatur und Kritik, die sich vom Primat des Bildes längst verabschiedet hat, die ihre Erkenntnisse aber nicht mehr an Bildtheorie zurückvermitteln kann. Dort gilt: Jedem Künstler, jedem Ismus seine Theorie. Vergleichbares gilt, wenn man den Blick vom Bildproblem weg auf das Kunstverständnis einzelner zeitgenössischer Künstler richtet; auch hier ist die Aufgabenteilung so groß, der Publikationsdruck so stark geworden, daß einfache, elementare Fragen, daß insbesondere Vergleiche mit bereits vorhandenen Leistungen bzw. Sackgassen der Kunst kaum mehr eine Rolle spielen. Monographische Literatur tritt im Zuge dieser Entwicklung entweder als rhetorischer Panzer mit stabilisierender Binnendifferenzierung oder aber als verbales Begleitprogramm unter Ausblendung jeden Diskurses auf. Die vorliegenden Gespräche versuchen dies aufzubrechen. Einfache Fragen werden gestellt, meist wird es im weiteren Verlauf dann kniffliger. Es handelt sich nicht um Interviews im klassischen Sinne, obwohl die Fragen meist vom Kunsthistoriker (C.J.) eingebracht werden, sondern um gleichberechtigte Auseinandersetzung - basierend auf mehrjähriger Kenntnis der Gesprächspartner untereinander, auf früherem Meinungsaustausch, gemeinsamen Lehrveranstaltungen und häufigen Gesprächen vor den Werken.
Vor dem Hintergrund der Arbeiten Bosslets geht es aber weniger um diese selbst als die ihnen zugrundeliegenden Kunstauffassungen, die weder in den o.g. Anliegen von Bildtheorien, noch in bloß partikularer Abschottung gegen Prinzipien und Implikationen des Bildes aufgehen. Ungeglättet durch den eleganten Bogen des Essays und ungestützt durch die stabilisierende Häufung monographischer Argumente geben gerade die Widersprüche des Gesprächs, angestachelt durch Vergleiche und Nachfragen, die Möglichkeit, eine Problematik zu erschließen, die oft unterschlagen wird: die Tatsache, daß eine jahrzehntelange künstlerische Entwicklung stets eingedenk des Für und Wider konkurrierender, umgebender und z.T. auch älterer Auffassungen gewachsen ist, daß dasjenige, was etwa ein Werk dieses oder jenes Jahres betrifft, nicht nur aus dem zeitgenössischen Teppich von Theoremen heraus legitimerweise angegangen werden kann. Einiges ist daher in älteren Diskussionen verankert, denn innerhalb des Denkens und Schaffens des einzelnen Künstlers liegen diese Probleme nach wie vor offen, sie schließen sich ihm nicht mit den Moden jenes Zeitgeistes weg, zu deren Oberflächen seine Entwicklung senkrecht verläuft. Eben dies kann aber in der Bewegung des versierten Gesprächs zum Tragen kommen.

Die vorliegenden Gespräche wurden innerhalb weniger Wochen im Frühjahr 1999 geführt. Die schriftlich gefaßten Tonbandmitschnitte wurden nach den üblichen Korrekturen, der Herausstreichung gesprächsüblicher Wiederholungen usw. beiden Teilnehmern zur Einsicht gegeben, so daß stellenweise Argumente durch erneute Gespräche aufgegriffen werden konnten. Die durch Sternchen geschlossenen Abschnitte entsprechen daher nicht durchweg den Gesprächseinheiten, sondern bezeichnen Punkte, an denen Gedankengänge aus u.U. mehreren Gesprächen zu einem (vorläufigen) Ende fanden. Gleichwohl wurden die z.T. kontroverse Dialogform, entsprechende Pointierungen usw. grundsätzlich belassen. In eckige Klammern [ ] wurden Werkverweise gesetzt, die mit Sternchen gekennzeichneten Anmerkungen (*) wurden auf das Nötigste beschränkt.
(C.J.)

C.J.: Malerei bringt, indem sie anderes hervorbringt, auch sich selbst hervor. Wenn man aber nicht nur die weiße Leinwand, sondern bereits den materiellen Bildträger als solchen selbst schon als etwas Ausdruckshaftes ansieht, ist Malerei auch allmähliche Verdeckung, Verschüttung, Übertünchung von Vorhandenem. Vielleicht wäre es sinnvoll, von hier aus ein Gespräch zu beginnen.

E.B.: Bei meinen Glasarbeiten [z.B.: GFF-Grau. Gelb. Weiß., 1980/81] habe ich Bruchglasscheiben oder Autowindschutzscheiben mit Farbe von hinten über die Glasbruchkante bzw. die vorgesehene Kante nach vorne malend übergezogen, so daß die Farbe sowohl hinterm Glas und durch dieses, als auch auf der Oberfläche sichtbar war. Die Farbwirkung der aufgetragenen Farbsubstanz war hier also beidseitig sehr wichtig. Sobald die Farbe über die Bruchkante und schon auf dieser - dabei die Schnittgefährdung mildernd - auf die vordere Seite übergriff, wurde deren spezifische Materialität, also der Unterschied, erkennbar. Gleichzeitig wurde über den Vorgang des Farbauftrags die Eigenform der gewählten Glasscheibe dinglich artikuliert. Es blieben immer Teile der verwendeten Glasscheibe transparent, so daß das Wesentliche einer Glasscheibe, nämlich die Wahrnehmbarkeit dahinter liegender Wirklichkeit, immer Wirkungsbestandteil dieser Arbeiten blieb.

C.J.: Die von Dir angesprochenen Arbeiten tragen geradezu programmatisch die Spannung von Farbmaterie und Farberscheinung aus. Kannst Du diese für Dich wichtige Unterscheidung näher erläutern?

E.B.: Ich weiß nicht, wo und wann Farbe in unserer Kulturgeschichte als Farbfläche im alltäglichen Bereich erstmals Anwendung fand. Farbflächen können eigentlich erst dann relevant geworden sein, als Farbe, Farbstoffgewinnung so preiswert war, daß man seine Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs, sprich: Möbel und Häuser, farblich ganzflächig gestaltet hat. Zu unterscheiden wären dabei die natürlichen Erdfarben, die früher, und die brillanten Primärfarben, die in großer Menge erst sehr viel später zur Verfügung standen und erst sehr spät großflächig eingesetzt wurden. Wenn man jetzt einmal davon ausgeht, daß Farbe schon früh Verwendung fand, was man aus den Höhlenzeichnungen kennt, muß man klar sehen, daß Farbe immer eher kleinflächig als Mittel zur Schilderung oder Manifestierung mythologischer, geistiger Welten oder Zu-bearbeitender-Realitäten eingesetzt wurde, weniger zur Gestaltung von Interieurs, also weniger flächig, sondern im wesentlichen linear, zeichnerisch, figurativ. Der Einsatz von Farbmaterie zur Raumgestaltung und - das ist nämlich der nächste Punkt - zur Beschichtung als Schutz von Materialien, das, denke ich, geschah erst sehr viel später. Das ist ja heutzutage mit der größte Einsatzbereich, daß Farbe als Schutzbeschichtung auf Gegenständen zur Anwendung kommt und die Farbwirkung ein willkommenes Plus ist.

C.J.: Farbe als Schutzbeschichtung auf Gegenständen bedeutet ja schon, daß Farbe nicht nur in ihrer Eigenschaft als erscheinende Farbigkeit eingesetzt wird, sondern daß sie zugleich als Material, als verflüssigtes Material zählt, etwa im Falle von Lack. Das hat eine gewisse Bedeutung für Dich.
Laß uns aber, bevor wir auf Deine eigentliche ‘Malerei’ zu sprechen kommen, bei Deinen plastischen Werken bzw. frühen Arbeiten in der Landschaft bzw. im öffentlichen Raum beginnen. Du hast in Deiner Arbeit “Trauma” von 1982 in eine zerstörte Werbefläche eingegriffen, indem Du deren mit Primärfarben bemalte Mauerteile einfach nach oben gedreht hast. Die Katalogangaben lauteten dann: “Beeinflußtes Gebiet: ca 100 x 200 m”. Das erinnert an Maßangaben eines Bildes, etwa in einem Katalog. Ist das für Dich schon Malerei? Und wenn, warum?

E.B: Das ist eine Intervention, also ein klassischer Eingriff in bestehende Strukturen, soziale Strukturen, und in dem Fall: partikulare Landschaftsstrukturen. Die Werbewand, egal, wie sie mal ausgesehen hat, war in ihrer Erscheinung ja ‘Bild’, auch wenn es eine graphische Werbewand gewesen wäre. Mich hat dieses zerbrochene, zweidimensionale Bild interessiert, das dann eigentlich wie ein Geröllhaufen, wie ein skulpturales, ein dreidimensionales Gebilde, einen Berghang heruntergepurzelt war. Was mich daran interessiert hat, war der Sachverhalt, daß die Situation, die dort zerstört dalag, eher braun- und graufarbig war; ich aber an Farbpartikeln und an der Stellung am Hang erahnen konnte, daß das eine Werbewand gewesen war. Für den Passanten war das einfach ein Schutthaufen auf einem eher von Steinen, weniger von Vegetation bestimmten Berghang. Dort habe ich die verputzten, farbig gestrichenen Zementsteine mit ihren Farbseiten nach oben gedreht. Ich habe sie nicht neu geordnet, sondern an der Stelle, wo sie durch den Fall zu liegen kamen, wieder nach oben gedreht. Im Prinzip könnte man sagen, von da an würde das Puzzle beginnen, und man könnte das ursprüngliche Gebilde wieder neu zusammensetzen. Das hat mich aber nicht interessiert. Interessiert hat mich eben, daß ein werbendes, zweidimensionales Bild in der Landschaft durch Zerstörung ein dreidimensionaler Gegenstand geworden war, den ich in ein nichtwerbendes Bild umgewandelt habe - unter Verwendung seiner ursprünglichen Eigenschaften, nämlich Stein, verputzter Fläche mit Farbe. Vielleicht sollten wir im weiteren Gespräch tatsächlich ‘colour’ und ‘paint’ benutzen, dann ist wenigstens klar, von was die Rede ist: ‘colour’ für ‘Farbwirkung’ und ‘paint’ für ‘Farbstoff’.

C.J.: Wenn diese Steine an der Fundstelle nur umgedreht werden, erinnert das ja ein wenig an ein ‘Memory’, bzw. es steckt - insofern ‘Nieten’ nicht wieder zurückgedreht werden - auch eine gewisse Zufälligkeit drin, zugleich wird diese aber auch gemildert, indem auf das, was man vorfindet, reagiert wird.
Du hast in den 80er Jahren in Berlin gearbeitet. ‘Material und Wirkung’ entstand u.a. in dem dort ansässigen Umfeld der sog. ‘Realkunst’.1.) Beispielsweise entstand - auch im Rahmen dieser ‘Interventionen’ - Deine Arbeit: “Nachwirkung - Treppe” von 1984, bei der der ehemalige Verlauf einer Treppe mit roter Farbe gekennzeichnet wurde. Wenn dieser real vorgegebene Verlauf einer Treppe hervorgehoben und kenntlicher wird, dann bezeugt das den Wunsch nach einer Identität zwischen dem, was Du darstellst, nämlicher einer Treppe und dem Medium Deiner Darstellung, d.h. der tatsächlichen Treppenansatz-Reste. Hat dieser Aspekt der ‘Realkunst’ - d.h. der Ummünzung von Gegebenem im Sinne des Kunstwürdigen - Bedeutung für Deine Malereiauffassung?

E.B.: Ja, in dem Sinne, daß ich Farbstoff, ‘paint’, eben nicht nur als ein Gestaltungsmaterial gesehen habe, sondern als ein Material des alltäglichen Umfeldes, das unterschiedlich eingesetzt wurde. Eine wichtige, oder eine immer wieder deutlich sichtbare Anwendung von Farbstoff ist die Markierung, Straßen-Asphalt-Markierungen zum Beispiel, die ich ja auch vorgenommen habe. Ich habe bestehende Parkplatzordnungen überzeichnet oder ergänzt, weiterbearbeitet, habe strukturelle Widersprüche, die sich aus bestehenden Markierungselementen ergaben sowie den ‘Ordnungswillen’ dieses ursprünglichen Parkplatz- oder Parkmarkierungssystems hervorgehoben, habe dabei gleichzeitig die pragmatische, reale Ordnung aufgehoben und eigentlich zerstört.
Dort, wo ich die Farbe in Bezug auf Gebäude eingesetzt habe, [z.B.: Intervention Saria, 1984 ] war für mich ein Aspekt der Zeichnung immer die Basis, die erste Umsetzung von Idee in Wirklichkeit. Auf dem Weg zur Wirklichkeit wird Zeichnung im Bereich des Bauens als erstes graphisches Mittel eingesetzt, und ich habe eben anfänglich überwiegend in Spanien an Betonruinen mit weißen Linien eine architektonische Zeichnung, eine Bauzeichnung auf Reste von Gebäuden, von Bauwerken angebracht und damit sozusagen den Kreis geschlossen zwischen beginnender konzeptueller Planung von Bauwerken und deren Niedergang und habe ihren Einsatz, ihren Status quo nochmals manifestiert und dingfestgemacht.
In Bezug auf diese Treppenwandung: Ich habe ja eigentlich keine Treppe, sondern im Grunde die Flanke einer Treppe gemalt, die sonst nicht sichtbar ist, weil die Treppe ja im Gebäude eingebaut ist und eigentlich dieser Abdruck nur in einer Abrißsituation deutlich wird. Den habe ich mittels Farbe herausgeschält, deutlich und kenntlich gemacht und die Eigenwilligkeit seiner Form in dem Zusammenhang einer großen Abrißwand und ihrer Position in Höhe und Abstand zum Boden usw. signalhaft herausgeschält, unter Einsatz von Farbe als Markierungswerkstoff.

C.J.: Ich würde den letzten Diskussionspunkt gerne aufgreifen und auf “Begleiterscheinung II.” von 1984 anwenden. Dort wurden schwarze Flächen auf eine Fassade in Korrespondenz zu den vorhandenen Fensteröffnungen dieser schlicht geometrischen Ruinen ergänzt. Nun, das ist einerseits sicherlich schon eine ‘unterstützende Maßnahme’2.) in dem Sinn, in dem Du den Ausdruck dann zeitgleich oder später verwendet hast, ironisch gesprochen: eine ‘Nachhilfe’ für die Bildwerdung des Hauses. Wenn man Fotografien davon betrachtet, dann hat man doch teilweise das Gefühl, daß es sich - aus einiger Entfernung betrachtet - um so etwas wie ein Tromp l’oeuil, ein Augentäuschungsbild, handelt, dergestalt, daß man etwa die wirklichen schwarzen Fenster- oder Türöffnungen zum Verwechseln ähnlich wahrnimmt mit den von Dir z.T. nach rhythmischer Maßgabe hinzugefügten. Welchen Bezug hast Du zu dem Trompe l’oeuil-Effekt, der sich beim Nähertreten des sich in dieser Landschaft bewegenden Betrachters dann schließlich auflöst zugunsten einer Ent-Täuschung?

E.B.: Es gibt schon einen ausgeprägten Ansatz, demzufolge ich Farbe in reale Zusammenhänge hineingebracht habe, um diese gesamte Inszenierung zu fotografieren, um das Fotografierte als Malerei erscheinen zu lassen,3.) obwohl es bemalte Gegenstände waren, die nur das Foto - als Super-Mittel der hyperrealistischen Darstellung - zu einem Trompe l’oeuil werden ließ. Das war bei den mit “Begleiterscheinung” betitelten Arbeiten, das war für ihren Wirkungszusammenhang wichtig, aber nicht das Hauptstimulans, zumal ja die Arbeiten mit den weißen Linien, die korsetthaft das gesamte Gebäude in seiner Wahrnehmbarkeit stabilisiert hatten, vorausgegangen waren. Bei den ‘Begleiterscheinungen’ ist es ja genau umgekehrt, ich gehe konstruktiv, also geometrisch mit einem umbauten Raum, mit einem noch stehenden Gebäude um, und das Gebäude wird in seiner Anschauung über die Verwechselbarkeit von schwarzer Fensterhöhlung und schwarz aufgemalter Farbfläche instabil. Im Gegensatz dazu standen die gewerblichen, industriellen Betonruinen, deren eigentliche, ursprüngliche Verwendung nicht ablesbar war. Von ihrer Struktur, Materialität und Farbigkeit her waren diese mit dem Umfeld verschmolzen, wurden durch die weißen Liniengeflechte eher herausgeschält und damit in ihrer Erscheinung stabilisiert und manifestiert. Sie wurden also wichtiger, als sie waren, bevor dieser Eingriff vorgenommen wurde.

C.J.: Es gibt ja die alte Vorstellung des Bildes als eines Fensters zur Welt. Wir kennen jenes Modell von Bildschöpfung, demzufolge der Künstler durch das Fenster durchguckt auf die Welt, die sich dahinter befindet.
Wenn man nun an eines der von Dir benutzten Gebäude herantritt, gibt es einerseits die Ent-Täuschung, insofern man sieht: diese schwarzen Schlitze sind nur aufgemalt, andererseits gibt es aber die Fortsetzung von Pygmalions Traum: Steckt hier nicht eine raffiniert moderne Wendung jenes alten Topos, indem Deine Malerei sich ganz eng an das Sowieso-schon-dort-Befindliche im Sinne der ‘Realkunst’ anlehnt und damit dann Wandlung des Bildes zur Wirklichkeit des von ihm Gemeinten behaupten kann? Dieses Fenster, jene Tür, sie sind ja tatsächlich da und leibhaftig durchschreitbar! Andere Elemente, die nur aufgetragen sind, erweisen sich schließlich im Sinne der Ent-Täuschung nur als malerische Faktur auf dem Gebäude. Gab es also Deinen Versuch, Malerei nicht nur zur Sichtbarmachung, sondern zur Erheischung von Wirklichkeit einzusetzen?

E.B.: Ja, ich kann das schon so bestätigen, man muß natürlich für den Leser deutlich machen, daß das nur simple, angestrichene, schwarze Flächen waren - da waren also keine Fenster gemalt. Sie täuschten nur per Subsummierung unter eine Gesamterscheinung Fenster vor oder deuteten eine Öffnung an und bildeten mit den tatsächlichen Fensterhöhlungen und dem Weiß der Gebäudewand eine besondere Rhythmik und Konstellation.
Und man könnte vielleicht auch sagen, daß das, was ich da machte, eine andere Form der Landschaftsmalerei war, daß ich nicht die Landschaft auf eine Leinwand, auf eine Holztafel malte, sondern daß ich in der Landschaft direkte Elemente mit Farbe und dann dadurch das Bild der Landschaft veränderte.

C.J.: Nach meinem Verständnis erweitern Deine ‘Unterstützenden Maßnahmen’ Plastik zunächst dahingehend, daß das sichtbar in Erscheinung Tretende seine Konstitutionsbedingungen anschaulich macht. Über den vergleichbaren Ansatz in der Konkreten Plastik gehst Du hinaus, sofern Deine Plastik eben nicht autark die nur ihr eigenen Konstitutionsbedingungen - etwa Schichtung bei geschichtetem Holz und dergleichen - sondern auch die des Kontextes, etwa des umgebenden Raumes mit veranschaulicht, dessen Gegenkräfte Teil des Werkes sind. Hier sehe ich, obwohl es nicht um Malerei geht, eine Parallele zu dieser, da eine kompositionelle Ordnung auch dort auf Kräften und Gegenkräften gründet. Nun ist es aber gerade ältere Malerei, vielleicht noch die der Klassischen Moderne, für die dieses relationale Prinzip einer Komposition, die auf Kräften und Gegenkräften gründet, maßgeblich wurde. Mit dem nonrelationalen Prinzip, wie es sich bei B. Newman oder bei J. Pollock nach dem WK. II. findet, lassen sich die ‘Unterstützenden Maßnahmen’ wohl nicht assoziieren. Handelt es sich also bei diesen letztlich um eine nachträgliche Bestätigung jener Kompositionsprinzipien, die in älterer Malerei präfiguriert sind?

E.B.: Ich denke weniger an ‘Komposition’ als an ‘Korrelation’, die mir sehr wichtig bei meiner Arbeit ist. Mit meinen Bildfolgen z.B. entledige ich mich eher der Vorstellung vom Bild als Weltschöpfung, die im Begriff der ‘Komposition’ ja noch steckt, insofern die Relation der Bilder untereinander und damit die Relativität der einzelnen Bilder deutlich wird. Ein Environment oder der sogenannte Hang zum Gesamtkunstwerk als einer übergreifenden Komposition sind indes tendenziell faschistoid, weil hier behauptet wird, daß es eine mögliche Sicht der Welt gibt. Es ist für mich, in meiner kurzen Lebensfrist, eine bestimmende Dimension, daß es so viele Weltsichten und -analysen gibt, daß diese sich nicht auf eine reduzieren lassen.

C.J.: Du weichst aus auf Deine Bildfolgen. Ich sprach von den ‘Unterstützenden Maßnahmen’. Spielt dort nicht doch ‘Komposition’ eine Rolle?

E.B.: Schon, wobei mich dann interessiert, wie die Relation, die das Ding oder mein Gemachtes, mein Eingebrachtes einnimmt, zu Elementen, die bereits vorhanden sind, die aber konventionellerweise nicht unbedingt sofort mitgedacht werden, beschaffen ist. D.h., daß bei den ‘Unterstützenden Maßnahmen’ [z.B.: Unterstützende Maßnahme in der Mercer Union, 1988] die Stockwerke darunter und darüber dazu gehören, obwohl mein Blick an der Wand und am Boden endet. Aber es ist nicht Komposition im Sinne einer ästhetisch abwägenden Gliederung von Raumverhältnissen und Proportionen, sondern ein Miteinbeziehen von Strukturen, die scheinbar, auf den ersten Blick, nicht dazugehören.

C.J.: Meine Frage zielte, ich möchte das jetzt exemplifizieren, dorthin, wo Deine ‘Unterstützenden Maßnahmen’ - etwa im Falle einer zwischen die Wände eines Galerieraumes gezwängten Vorrichtung - auf die o.g. Kompositionsprinzipien rekurrieren. [z.B: Unterstützende Maßnahme, 1985] Was plastisch mittels Verschalbrettern und Stahlrohrdeckenstützen Druck auf die Wände ausübt, stellt sich in ein anschauliches Verhältnis zu den Gegenkräften des Raumes, zur Widerständigkeit der Wand, wobei beides erst die Beharrung der von Dir erzeugten Konstellation gewährleistet. Entspricht die anschauliche Verhältnissetzung von Kräften und Gegenkräften nicht doch letztlich dem klassischen Prinzip in der Malerei, Kräfte und Gegenkräfte im Sinne einer Komposition zu setzen?

E.B.: Ich kann dem Gedanken so folgen, er war mir in der Weise nicht bewußt. Bei meinen Bildwerken - um nicht ‘Malerei’ zu sagen - sieht man ja auch von Anfang an, daß es mir wichtig war, alle Teilaspekte der Gesamtwirkung nicht nur zu akzeptieren, sondern richtig mit ins Spiel zu bringen. D.h., in der traditionellen Malerei auf Leinwand oder sonstwie auf einem Bildträger spielt dieser selbst, sowie die Mittel, dank derer das Ding zur Wand kommt, eine untergeordnete Rolle.

C.J.: ‘Material und Wirkung e.V.’4.) wurde als Manifest, als Programm von Dir und einigen Freunden und Kollegen seinerzeit formuliert. Wenn man es nun gemäß Eurer programmatischen Absicht und in der offensichtlichen Anlehnung an ‘Ursache und Wirkung’ versteht, dann steckt ja in ‘Material’ auch ‘Ursache’: Dann allerdings gibt es kaum etwas, das nicht dazu gehört! Es ist nun auf dem Feld der Plastik sicherlich möglich, das Material und d.h., auch die Konstitutionsbedingungen und insofern im übertragenen Sinne ‘Ursachen’ zu ihrer ‘Wirkung’, nämlich zu ihrem plastischen Ausdruck gelangen zu lassen. Bilder hingegen implizieren von vorneherein eine gewisse Sublimierung - und sei es nur trivialerweise die Dimensionsverringerung vom dreidimensionalen, respektive vierdimensionalen Sujet auf die Bildfläche. Unterläuft das an der Plastik erprobte Prinzip bzw. Konzept von ‘Material und Wirkung’ - Materialien, Ausgangsbedingungen, Ursachen nur in ihrer Wirkung anschaulich terminieren zu lassen - nicht überhaupt den in der Malerei bildmächtigen Anspruch, jene Momente gerade zu sublimieren? Was wir an großer Malerei bewundern, ist doch u.a., daß wir die Wolle, die das Schaf gibt, und nicht stets auch das Gras, das es gefressen hat, vorgeführt bekommen! Wird daher das Prinzip von ‘Material und Wirkung’ auf dem Felde des zweidimensionalen Bildes nicht unangemessen?

E.B.: Die Gefahr besteht natürlich. Ich würde aber sagen, daß auch und gerade - obwohl ich sozusagen die materielle Existenz erlebbar mache - die sublimierte Gesamtwirkung vorhanden ist und eben in einem neuen Schritt erlebbar wird; denn im konventionellen Bereich ist man vielleicht gar nicht mehr bereit, diese Sublimierung wahrzunehmen, weil der überfrachtete konventionelle ‘Hardware-Apparat’ unserer Existenz mir unzeitgemäß erscheint. Außerdem muß man - wenn man es genau nimmt - fragen, ob es überhaupt eine Zweidimensionalität gibt: Die gibt es nicht!

C.J.: Das wäre ein provokanter Einstieg für den Fortgang des Gespräches, nämlich über Deine Malerei expressis verbis, in der - das wurde verschiedentlich ja schon bemerkt - infragegestellt wird, ob das Bild Flächending ist, ob Flächen, die farblich aufgetragen werden und ob die Flächen, auf denen dies getan wird, nicht immer auch schon auf - seien es verflüssigte oder flache - Dinge bzw. Materialien zurückzuführen wären.

E.B.: Seitdem die Malerei aus der Höhle herausgegangen ist, hat sie ja mehr oder weniger mobilen Charakter angenommen. Eigentlich nur dort im Naturzusammenhang, wo der Bildträger sozusagen die Welt ist, würden Farbe und Farbpigment eine andere Rolle spielen. Selbst später, dort wo Farbe im sakralen Innen- und Außenraum angewendet wird, ist der Bildträger ein Kulturprodukt und begründet damit eigentlich schon wieder einen ganz anderen Wesenszusammenhang: Gemachtes auf, in Gemachtem, also in Korrespondenz zu vorhandenen Farbstoffen als einer bereits existierenden Dimension, bzw eines Imagoträgers.

C.J.: Gemachtes auf Gemachtem gab es auch im Korridor des Kunsthauses Dresden [z.B.: Malerei, 1998] zu sehen, als Du anläßlich der Ausstellung “Material und Wirkung” im Sommer vergangenen Jahres eine Asphaltbahn zwischen beiden Zugangsbereichen des barocken Ensembles auf das Hofpflaster aufgelegt hast. Überraschenderweise lautete der Titel der Arbeit: ‘Malerei’. Provokation oder Programm?

E.B.: Ich nehme an, daß ich woanders auf diesen Titel wohl nicht gekommen wäre. Insofern hat es auch mit meiner Einschätzung von Malerei der Dresdner Vergangenheit oder der Hochschulgeschichte zu tun. Ich bin vielleicht aus der Erkenntnis heraus auf den Begriff ‘Malerei’ gekommen, daß Farbstoff, ‘paint’, ein Stoff ist, der ursprünglich flüssig, flächig aufgetragen wird und dann verfestigt seine endgültige Form bekommt. Und diese Elemente fand ich dort in entsprechender Weise vor. Außerdem muß man sehen, daß ich von meinem Malereistudium zur Plastik, zum dreidimensionalen Arbeiten gekommen bin, weil ich festgestellt habe, daß jeder Farbstoff ein Ding ist. Für mich sind Farbe und Farbstoff nicht im Sinne eines christlichen Schöpfungsmythos amorphe Masse, aus der die ‘Welt’ zu schaffen ist, sondern Farbe und Farbstoff sind immer schon Gegenstand, also von unseren wirtschaftlich-kulturellen Ebenen her definiert.

C.J.: Die zum Innenhof liegenden Fenster boten einen Blick auf Deine Arbeit. Primär zählte jedoch das Betreten des Hofes, mithin die Begehbarkeit des ‘Bildes‘, also der physische Einbezug des Betrachters, wie man ihn etwa von Carl Andres Bodenplatten her kennt.

E.B.: Ohne Carl Andre wäre eine solche Arbeit undenkbar. D.h., der Begriff der Skulptur als Handlungsraum und Handlungsform, die sockellose Bodenskulptur bei Carl Andre, das Erleben des Raumes im Durchschreiten, das sind Grundlagen, die in meiner Arbeit gerade dadurch spürbar werden, daß man beim Besuchen des Kunsthauses Dresden sowieso verschiedene räumliche Baukörper durchschreitet, die - was Materialität und Glätte betrifft - auch unterschiedliche Bodenbeschaffenheit haben. Es verhält sich dort ähnlich einem Laufsteg, der der Durchkreuzung eines Raumes dient, der aber auch - verträglich mit der Vorstellung der Straßenführung - als schwarze Linie durch ein Terrain lesbar wird. In Bezug auf den Boden also eine Glättung, in Bezug auf die umgebenden Baukörper eine Linie gegen Volumen.

C.J.: Bei dieser wie bei anderen Deiner Arbeiten sind die Bildträger nicht neutral in dem Sinne, daß sie selbstverleugnend eine auf ihnen entstehende Illusionierung eines Bildraumes gestatten würden, da sie als vorgefertigte Nutzflächen der Industrie entstammen. Ähnliches gilt für Deine Farben, die sich zunächst nicht in den Dienst der Farberscheinung stellen, sondern die auf ihrer Materialität im Sinne eines eben nur verflüssigten und flächig ausgebreiteten Werkstoffes beharren.
Aus diesen Eigentümlichkeiten der Farbe und des Bildträgers könnte sich ergeben, was Norbert Meßler in einem Text als ‘Doppelfigur’ Deiner Malerei bezeichnet hat: Farbige oder freigestellte Flächen des Bildträgers sind und wirken als Darstellung und Erscheinung von etwas, zugleich aber als physisch relevante, benachbarte Gegebenheiten.

E.B.: So betrifft das eigentlich nur meine Bildwerke bis 1989 5.), inklusive jener Arbeiten mit Farbe auf Holztafeln, auf Glas, auf verzinktem Blech, sowie auf Polyäthylentafeln. Seit 1989 ist der Bildträger als ‘Fond’, als durchlaufender Hintergrund, verschwunden. Jedes Farb-Form-System hat eine eigene Farbstofflichkeit, woraus sich ergibt, daß Farbe - sowohl als Farbstoff wie als Farbwirkung - ein Gegenstand ist. Seit 1980 mische ich keine Farben mehr. Insofern ist auch die Farbwirkung prädefiniert durch komplexe ökonomische und ästhetische Strategien unserer Zeit, die sich in meiner Farbpalette niederschlagen.

C.J.: Verschiedentlich wurden geometrisch labyrinthische Formelemente [z.B.: Riedel-deHaën I., 1987] in einigen Deiner Bilder mit Schaltkreisen oder architektonischen Grundrissen assoziiert. Wie auch immer, es erscheint plausibel, von einer bevorzugten Aufsicht zu sprechen. D.h. aber, daß ein möglicher illusionistischer Tiefenraum oder auch eine nur per Tiefenwirkung einer Farbe erzeugte Farbräumlichkeit stets zurückgesehen bzw. -begriffen werden muß in die Fläche, die von Dir als zwar flacher, aber dennoch materieller Grund verstanden wird.
Im Falle von an sich schon flachen Dingen, wie eben Schalttafeln, begünstigt dann die materialsprachliche Auftragsweise der Linien den Eindruck, sogar so etwas wie ein hauchdünnes Präparat, sozusagen eine ganz dünne ‘Scheibe von der Wurst’, die du dargestellt hast, vor sich zu haben.

E.B.: Das stimmt so, es sind Aufsichten oder Schnitte. Es gibt zwei Bilder, bei denen ich diesen Sachverhalt nochmals thematisiert habe, indem ich perspektivisch irrationale Körper miteingefügt habe.

C.J.: Wenn wir über die Aufsicht Einigkeit erzielen können, dann frage ich, warum die Bilder an der Wand hängen. Allein dank einer Kippung der angenommenen Aufsicht in ein Gegenüber an der Wand ergibt sich eine Schmälerung des leibhaft physischen Bezuges, wie er beim flach auf dem Boden vor dem Betrachter ausgebreiteten Feld zählte, zugunsten einer auf Darstellung, auf Erscheinung zielenden Ausrichtung. Warum also der Wechsel an die Wand?

E.B.: Boden ist für uns ja oft zeitlicher Verlauf, während Wand ein Gegenüber als (unhinterfragte) Präsenz ist. Dinge an der Wand tendieren stärker als Dinge, die sich auf dem Boden befinden, dahin, als Bild wahrgenommen zu werden. Für mich ist die Wand dennoch nicht senkrechtes Ende des flächigen Bodens, hinter der ein unendlich fortsetzbares Kontinuum wartet, sondern raumgliedernde Struktur.
Im Übrigen bezieht sich diese Werkgruppe, die ich seit 1985 entwickelt hatte, auf die Erfahrung meiner Arbeit mit den Ruinen, d.h. der Bezug zu Gebautem ist da vorhanden. Die Werkgruppe mit den korsetthaften Liniengeflechten hieß ja “Bauzeichnungen”. Ich hatte sechs Jahre lang nicht bildhaft mit Farbe gearbeitet und bin erst nach einer Pause von 1979-1985 über die inhaltliche Anbindung zu Gebautem wieder dazu gekommen, Bilder zu machen. Bei Gebautem steht die Bauzeichnung und die Planung dem Bauen voran, insofern sind die Formenkomplexe in meinen Bildern wie zirkulierende Versorgungssysteme und Grundrisse. Und so, wie Geplantes etwas Projektiertes ist, das dreidimensional entstehen soll, handelt es sich beim Bild um eine Projektion. Von 1980 / 81 gibt es einige Arbeiten aus z.T. großflächigen Farbfeldern, die flach auf dem Boden liegen und gleich einem Tümpel zu umgehen sind.

C.J.: Im Falle einer solchen Bodenarbeit ist Identität von darstellend gemeinter und faktisch ausgedehnter Flächengröße der Farbe plausibel. Könnte man sagen, daß Deine Wandbehänge auf dem Weg vom Boden zum Bild an der Wand die per Bildvorwurf naheliegende Vermutung, sie gäben 1:1 Wirkliches oder Projektiertes im Schnitt oder Riß wieder, entkräften? Wird changierende Wahrnehmbarkeit begünstigt?

E.B.: Eine Planung ist immer schon eine Art von Abstraktion und nicht stets notwendigerweise als 1:1 zu verstehen. Sie ist Reduktion bereits gegenüber dem, was zu bauen sein würde, obwohl an letzteres natürlich nicht ernsthaft gedacht ist. Übrigens sind diese Bilder immer zweigeteilt, wobei die obere Tafel minimal kleiner ist als die untere, da sie nämlich physisch - und entsprechend für die Wahrnehmung - auf der unteren ruht. Das obere Farb-Form-System stellt eher einen Schnitt dar, das untere eine Aufsicht, es sind also nicht zwei geiche Ebenen. Die Teile werden als Bildtafel und Gegenstand, aber auch als Einheit wahrgenommen.

C.J.: Vorhin erwähntest Du den Zusammenhang konventioneller Bilderzeugung mit einem ‘christlichen Schöpfungsmythos’, womit Du, wenn ich das recht verstehe, Dich polemisch von einem Verständnis des Bildes als einer eigengesetzlichen ‘Welt im Kleinen’ - kenntlich bereits durch die einheitsstiftende, kohärente Verwendung meist nur einer Farbmaterie pro Bild, etwa der Ölfarbe - abheben willst.

E.B.: Ganz richtig! Ich entwickele meine Arbeiten nicht aus einem homogenen Werkstoff, sondern aus heterogenen Werkstoffen unserer Zivilisation, die Grundlage einer multifokalen Weltsicht ist. Farbe wie Material unterliegen den komplexen Selektionsvorgängen unserer Industriekultur.

C.J.: Wenngleich einleuchtet, daß derjenige, der das Heterogene der Welt künstlerisch mit heterogenen Mitteln aussprechen will, die Welt angemessen repräsentieren könnte, dürfte er nicht dennoch Gefahr laufen, das Unklare der Welt, in der wir leben, mit unklaren Mitteln auszusprechen? Verwirkt er nicht die genuine Möglichkeit des Bildes, gerade dank dessen anachronistischen Beharrens auf einer in sich selbst geschlossenen ‘Welt im Kleinen’ eine Metaebene der Distanz zu schaffen, von der aus gerade die Unklarheit und Heterogenität außerhalb des Bildes namhaft und kenntlich würde?

E.B.: Nein. Die Welt ist nicht unklar, sie ist vielschichtig, daher unübersichtlich. Auch die von mir eingesetzten Mittel sind nicht unklar, sondern vielfältig, aber überschaubar und erfaßbar. Darin finden die Werke ihre kompensatorische Dimension und Ruhe.

C.J.: Nun konnte Heterogenität der Welt doch auch innerhalb eines - nach der Hinsicht der Materialität und der Erscheinungstotalität - homogenen Ölgemäldes zum Ausdruck kommen, eindringlich etwa in der Malerei des Manierismus. Bedarf es denn darüberhinaus jener im Resultat noch flagranten Heterogenität des verwendeten Materials?

E.B.: Ja, man könnte allerdings sagen, daß die komplexe Materialverwendung in meinen Arbeiten im Verhältnis zur Komplexität der Wirklichkeit wiederum eine relativ homogene ist. Ist ein Kunstwerk jedoch bereits von homogener Stofflichkeit, wird es im Verhältnis zur Komplexität der Wirklichkeit unerträglich eindimensional. In meiner Malerei von 1985-1989 waren die Farb-Form-Systeme von divergenter Materie, seit 1989 waren die bildbestimmenden Elemente wieder eher homogen, jedoch addierte ich die Methode der Wandhalterung als Aspekt, als Komponente des Werkes, die das Phänomen in seiner Gesamtheit wieder heterogen werden ließ.

C.J.: Laß uns von Frank Stellas Black Paintings sprechen. Diese Bilder bauen sich von innen nach außen auf, erzeugen die Erscheinung von Schwarz mittels Streifen, die zu dick sind, um als Linie, die zu dünn sind, um als Flächen oder Flächenbänder begriffen zu werden. Der Nesselgrund bleibt stehen, aber nur in dem Maße, in dem er optimale Benachbarung der schwarzen Bereiche erlaubt, nicht aber deren Zusammenschluß in einer geschlossenen schwarzen Monochromie, deren auf den Betrachter bezogene Unwägbarkeit hinsichtlich Tiefe und natürlich Assoziationen Stella ja gerade vermeiden will. D.h. Stella versucht hier durchaus noch im Rahmen der Tradition der Leinwandmalerei die Möglichkeiten von Malerei zu rekapitulieren. Siehst Du nun Deine z.T. vergleichbaren Streifenbildungen auch als eine Antwort auf diese noch streng malereiimmanenten Bestrebungen, denen Du malerische Potenzen, die stets schon als materialisierte Gegebenheiten mitgesehen und -bedacht werden müßen, entgegensetzt?

E.B.: Bei Stella würde ich den Aspekt der Figur-Grund-Umkehrung doch stärker - und zwar gegenüber dem latenten Kontinuum des Schwarz - hervorheben. Übrigens wirken diese Bilder immer noch atmosphärisch. Im Vergleich dazu entstehen meine neuen Arbeiten fast auf puristischer, sozusagen ‘materialistischer’ Grundlage, während Stellas Werke eher noch Pathos aufweisen.

C.J.: Nun, ich würde eher bei Deinen Bildern [z.B.: DURH V, 1992] von der stärkeren Bedeutung der artikulierten Figur-Grund-Beziehung sprechen, und zwar im Sinne einer Ambivalenz, d.h. daß gerade in Deinen schalttafelartigen Bildern Grund und aufgetragene Figur von vergleichbarer Stärke sind. Was bedeutet also für Deine Malerei Figur-Grund-Umkehrung?

E.B.: Prinzipiell trifft das das Thema von Gemeintem und Nichtgemeintem, das sich in meinen Installationen dadurch manifestiert, daß ich einen konstruktiven Inneneinbau in einen durch Architektur erzeugten Hohlraum bringe und das Gebaute des Hauses konstitutiv für das hineingebrachte konstruktive, skulpturale Element ist. Dadurch wird ja der Hohlraum, das sogenannte ‘Nichtgemeinte’, mitveranschaulicht. Bei den großen Wandbehängen wird die Wand, auf der das Ding zur Hängung kommt, mittels durchsichtiger Partien bildimmanenter Bestandteil im Sinne des ‘Nichtgemeinten’ des fortlaufenden Bildhintergrundes. Die Wand wird integrativer Bestandteil der Bildwirkung.

C.J.: Eine weitere von Stella aus auf Dein Werk zielende Frage: Insbesondere in der Zeit nach den Black Paintings determiniert die Bildinnenform die Bildaußenkanten dergestalt, daß vom Shaped Canvas die Rede sein kann. Damit wird - wenn auch dank später erst in der Kunstgeschichte reflektierter Vorläuferschaften - die Verabredungsform des rektangulären Bildformates infragegestellt. Auch einige Deiner Formate sind bisweilen polygonal, wobei sich das in diesen Fällen aber eher Deiner Akzeptanz vorgegebener bzw. industriell genormter Stückformen verdankt. Welche Bedeutung hat für Dich die Bildform im Sinne der faktischen Bildaußenkanten?

E.B.: Wenn die Bildform nicht klassisch durch den rechten Winkel bestimmt ist, wird die dinghafte Gegenständlichkeit der Bildrealität zum Gegenstand der Kunst. Dort, wo die Bildform unhinterfragt z.B. quadratisch oder rechteckig ist, neigt sie dazu, eher einen Ausschnitt von Wirklichkeit oder einen abstrakten Kosmos darstellen oder repräsentieren zu wollen.

C.J.: Wenn Du aber polygonale oder allgemeiner: unkonventionelle Bildaußenformen wählst, die sich - im Gegensatz zu Stella - bei Dir ja nicht aus Deiner Entscheidung für eine Binnenform sondern aus der Akzeptanz des Vorgegebenen ergeben, dann erinnert das doch erneut an das Vorgehen der ‘Realkunst’. Wenn deren Gegebenheiten dann aber schon als ‘Bild’ behauptet werden, überträgt sich dann der Realkunst-Effekt - dank der von außerkünstlerischer Wirklichkeit gleich einer Trophäe übernommenen Bildform - nicht auch auf die zunächst konventionell rechtwinklige Wand, an der das Bild hängt? Fährt der konventionelle, das Bild beherbergende Innenraum nicht Trittbrett an der via Realkunst überhöhten polygonalen Bildform?

E.B.: Zunächst: Mit ‘Realkunst’ hat das nichts zu tun, die von mir verwendeten Gegebenheiten werden nicht als Ready made im Bild behauptet, insofern es immer nur Halbfabrikate sind, die von mir verwendet werden.
Vielleicht könnte sich das von Dir Angesprochene auf meine Arbeiten von 1981 beziehen: ‘Farbe auf Glas’. Dort waren ganz dezidiert Glasformen die Bildträger. Diese Bildträger waren genauso der Realität entnommen wie Farbstoff und Farbwirkung des Farbstoffs. In dieser Weise hatten die drei Elemente: bildtragende Gegenständlichkeit, farbliche Präsenz und farbliche Materialität eine Gleichgewichtigkeit in ihrer bildexternen Referenz. Wenn dieses Ding nun an die Wand gerät - was nicht immer geschieht, es gibt auch bildhafte Arbeiten, die wohl dank meiner intuitiven Wahrnehmung dieser Problematik auf dem Boden stehen -, dann muß m.E. die Fixierung eine wesentliche, erlebbare und formale Rolle spielen. Der versteckte Nagel oder Schraubenhaken hinter einer Keilrahmen- und Leinwandmalerei dient der Illusion eines suggestiven Weltentwurfs. Das Bild könnte ja auch mittels eines starken Klebers wie ein ‘Post-it’-Notizpapier an der Wand kleben: Das Bild zeigt nicht seine existentielle Basis.

C.J.: Teilweise werden Deine Planen ja zur Befestigung an die Wand geschraubt [z.B.: Rott IV., 1992], was sie dieser nicht nur physisch im Sinne der Montage, sondern in bilderweiternder Weise verbindet. Möglicherweise könnte man sogar sagen, daß die auf und damit in Deinen Bildern sichtbaren Schraubenköpfe - zumal sie stets am Rand eingesetzt werden - auch die Funktion des von Dir nun nicht mehr verwendeten Bildrahmens beerben, indem sie beides leisten: Abgrenzung und Übergang zu bildexternen Bereichen. Was die Integration der Schraubenköpfe ins Bild anbelangt, so findet sich im Prinzip recht Ähnliches bei Robert Ryman. Welche Abgrenzung, welche Weiterentwicklung gibt es?

E.B.: Robert Ryman hat das bewußt und sensibel eingeführt, und darauf aufbauend habe ich das noch expressiver und weniger schüchtern und dezent weiterentwickelt. 1981 habe ich eine Arbeit im Zentrum sichtbar mit der Wand verbunden und diesen Aspekt dann 1994 in der Werkgruppe der “Bilateralen Beziehungen” wiederaufgenommen. [z.B.: Glorie. 1998]

C.J.: Ryman verwendet als Bildbestandteil auftretende Schrauben in rhetorischer Funktion, wie zur Bekräftigung, daß das Bild nun auch zur Wand, und diese potentiell zum Bild gehört. Du hingegen benutzt explizit malereiexterne Materialien, wodurch der Bezug zur Wand, die ja zunächst auch bildextern ist, sozusagen ein artgleicher ist. So wird es plausibler, daß das Bild tatsächlich in Relation zur Wand zu begreifen und zu lesen ist.

Die von Dir erwähnten “Bilateralen Beziehungen”, mächtige Aluguß-Reliefscheiben, die über Ankerstab, Mutter und Schraube nun tatsächlich durch die Wand hindurch miteinander verbunden sind, können nicht zugleich, sondern nur im Nacheinander, per Raumwechsel, wahrgenommen werden. Nun sind diese von Herstellerseite - wenn auch aus Gründen materialersparender Statik - vielfach exzentrisch o.ä. ornamentiert und können ja auch als Rundrelief, also im weiteren Sinne noch als Bild gelesen werden.

E.B.: Richtig, da stellt sich natürlich die Frage, ab welcher Stärke bzw. Dicke eine Skulptur zum Bild wird. Andererseits wird die Bildhaftigkeit der Frontalansicht durch die Wahrnehmung sämtlicher Komponenten eingeschränkt.

C.J.: Die Aluguß-Reliefscheiben entstammen ursprünglich Webmaschinen, wo sie jeweils als Kopfenden riesiger ‘Garnrollen’ fungierten. Deine zweckentfremdende Benutzung gibt darauf keinen Hinweis mehr. Warum verwendest Du sie einerseits bildlich, andererseits im verändert funktionalen Sinne von Mauerankern?

E.B.: Die genaue Herkunft des technischen Zusammenhangs spielt keine Rolle. Wichtiger ist dagegen die Ablesbarkeit des Vorfabriziertseins der verwendeten Teile und Farben. Die eingesetzten Materialien und Farbigkeiten ergeben ein neues Gesamtgefüge. Zweckspezifische werden zu zweckfreien Gegebenheiten. Der Aspekt des Rundbildes wird von mir durch die Titelgebung, z.B.: “Nimbus”, “Glorie”, “Aura” usw., eher ironisch gestreift, indem diese sich auf ein altes Weltbild, das für mich ohne Bedeutung ist, bzw. auf die Weltmacht ‘Industriegesellschaft’ bezieht.

C.J.: Zwischen Scheibe und Schraubenkopf befindet sich eine große, den Druck expressiv zur Geltung bringende Schraubendruckfeder. Ist im Zeitalter der Mikroelektronik die Veranschaulichung mechanischer Kräfte nicht etwas anachronistisch geworden, nostalgisch auf eine Nische bezogen?

E.B.: Nicht unbedingt. Übrigens wird der erwähnten Expressivität ja gerade nicht durch wirklichen Druck entsprochen, so daß die o.g. Ornamentik der Scheiben samt Feder betont wird. Es geht mir nicht um Veranschaulichung mechanischer Kräfte - wenn überhaupt, dann um deren Metaphorik.

C.J.: Bildlich betrachtet sind diese Arbeiten extrem gemittet, hierarchisch aufgebaut wie ein Tempeldach. Widerspricht dieser Zentralismus nicht Deiner Grundhaltung?

E.B.: Wie Du schon sagst: Das bezieht sich auf die frontal-bildliche Ansicht. Betrachtet man sie in ihrer Zweiseitigkeit, wird klar, daß mein Verhältnis zur Wirklichkeit komplexe Beziehungsgefüge berücksichtigt, daß ich die Dinge als ‘korrelativ’ und nicht als ‘absolut’ begreife. Beachtet man, daß die Wand und damit das Gebäude konstitutiv zu diesen Arbeiten dazugehören, sieht es mit dem ‘Zentralismus’ nicht mehr so gut aus.

C.J.: Ich möchte die Problematik der im Bild integrierten Schrauben noch einmal anders aufnehmen.: Im modernen Design, genauer: mittlerweile sogar schon gesunken bis in die Sphäre billigen Massendesigns gibt es Beispiele für eine visuelle Produktsprache, die bereits damit rechnen darf, daß der Benutzer den Schick unkaschierter Befestigungselemente honoriert, etwa wenn manchen Schrauben bei Ikea-Regalen von Herstellerseite her bewußt eine expressive Funktion verliehen wird, um die ‘Ehrlichkeit’ solider Machart zu demonstrieren. Ist dieses - 20 Jahre nach Robert Ryman längst popularisierte u. z.T. auch trivialisierte - Prinzip ostentativer Ehrlichkeit nicht problematisch geworden für eine unbefangene künstlerische Nutzung?

E.B.: Die Fähigkeit, Welt und Wirklichkeit analytisch zu durchdringen, ist weiterhin äußerst gering entwickelt. Deswegen halte ich es weiterhin für sinnvoll, für erlebnis- und erkenntnisfördernd, möglichst viele Aspekte der Existenz in einem künstlerischen Werk erlebbar als Wirkungsbestandteil zu integrieren.

C.J.: Bei Deinen ‘Wandbehängen’ von 1989 - 95 ist vernähtes und plastifiziertes Segeltuch Bildträger und Farbe zugleich. Die Befestigung an der Wand mittels Ösenhängung läßt diese sichtbar und als Teil des Bildes lesbar werden. Aber auch hier meine Kritik: Gehört das nicht mittlerweile zur Alltagsästhetik, daß beispielsweise ein passionierter Segler sich sein geliebtes Segel eben nicht eingerahmt über den Kamin hängen, sondern auf eine Ösenhängung zurückgreifen wird?

E.B.: Mein Verständnis von Kunst beinhaltet ja gerade, daß sie nicht aktiv, sondern nur reaktiv sein kann. Die aktive Komponente gehört der Wissenschaft, der Wirtschaft und dem Kapital. Insofern ist das Sichvergegenwärtigen oder Sichversichern von Wirklichkeiten und damit einhergehender emotionaler Qualitäten ein wichtiger Faktor. Ich kann also nicht sagen: Weil es millionenfache alltagsästhetische Variationen gibt, ziehe ich mich auf die geschützte, aber kunstgewerbliche Dimension von Ölfarbe auf Leinwand zurück.

C.J.: Die Moderne hat - wenngleich auch nicht als erste - versucht, den Eigenwert der Farbe zu betonen, bisweilen programmatisch aufkosten ihres Darstellungswertes. Radikalerweise hat Blinky Palermo6.) dann recht früh den textilen Bildträger als solchen im Sinne eines Bildes präsentiert - wenn es auch noch auf Keilrahmen gezogenes farbgetränktes Baumwollgewebe mit rückseitig verlaufenden Nähten war und insofern eine Nähe zur klassischen Monochromie noch bestand.
Du vermeidest auch noch diesen letzten ‘link’ und honorierst explizit die zunächst kunstexterne materielle Basis, etwa wenn eine schon per Material so oder so farbige PVC-Plane als Bild dann auch ausdrücklich in der fraglichen Farbe erscheint. Daß eine rote Plane heute auch ein rotes Bild sein kann, mag man zugestehen. Kann sie aber auch rote ‘Malerei’ sein?

E.B.: Also, PVC-Planen haben nicht per Material so oder so eine Farbe. Die von den Planenherstellern definierten Farben durchlaufen eine Selektion, bestimmt durch Absatzchancen, Pragmatismus und - etwa im Falle von LKW-Planen - den Zeitgeschmack der Spediteure.
Was die Unterscheidung von ‘Bild’ und ‘Malerei’ betrifft: Für mich sind ‘Bild’ und ‘Malerei’ identisch! Die Differenzierung, ob ein Bild über Pinsel und weiche Farbsubstanz gemalt ist, oder ob es anderweitig erzeugt ist, würde ich nur noch den Zünften zuordnen. Unter ‘Malerei’ subsummiere ich alle eher zweidimensional flächigen Ereignisse, überwiegend - weil ich selbst ja Malerei am Boden gemacht habe - an der Wand, und damit hat es sich.

C.J.: Es gibt - das wäre doch wohl ein Unterscheidungskriterium - Sukzession in der Malerei, während man dies unterscheiden könnte von einer simultanen Erzeugung einer farbigen Fläche, etwa bei Arten des Drucks, grundsätzlich auch bei der Fotografie oder bei PVC-Planen. Mag es auch sein, daß solche Planen am laufenden Meter das Fertigungsband verlassen, so sind im Resultat dennoch sämtliche Spuren der Sukzession getilgt: Farbe erscheint gleichzeitig, wenn auch unsere Wahrnehmung sich davor schützen mag, indem sie sukzessiv dieses Potential erschließt. Hier könnte m.E. bestenfalls ein Bild resultieren, aber nicht Malerei.

E.B.: Jedes Bild hat diese Sukzession, wenigstens - Du sagtest es - in der Wahrnehmung. Übrigens verlief ja schon seine Herstellung sukzessiv, auch wenn sie im Resultat getilgt erscheint. Übrigens kann Sukzession auch anhand der Größe, Form, Zusammenstellung, an der Vernähung oder Klebung, schließlich an der Wandhalterung nachvollziehbar werden.

C.J.: Nun, es gibt in der Malerei doch eindeutigere Angebote für Sukzession: An Paul Cézannes Werken wurde erkannt und beschrieben, wie jeder hinzukommende Pinselstrich nicht nur die Summe, sondern auch das qualifizierte Zueinander der bereits gesetzten Striche verändert. Dieser Aspekt klingt sogar noch bei Barnett Newman nach. Diese interne Sukzession ist jedenfalls teilweise auch nachvollziehbar durch eine entsprechende und eben gelingende Sukzession der Betrachtung, wenn sie gleichwohl auch stets wieder der Simultaneität und Totalität des Gegebenen - mit der Newman ja rechnete - konfrontiert ist.

E.B.: Ein Großteil der uns alltäglich umgebenden Sachverhalte ist doch - unabhängig davon, was wir als Wahrnehmende daraus machen - nicht sukzessiv. Auch sein Essen kocht kaum mehr jemand selbst, sprich: sukzessiv, sondern man holt es sich mit einem Male aus dem Tiefkühlfach. Daher wittere ich hinter der Forderung nach handgemachter, subjektiver Sukzession in der Malerei eher den Wunsch nach Tröstung, nach Ablenkung von dieser Entfremdung in der Produktion.

C.J.: Liegt denn nicht in der Sukzession der Malerei - nicht schon jedes Bildes - eine der roten Plane unerreichbare Humanität, insofern unverbrüchlich Nacheinander und Zueinander auf der Bildfläche verschränkt sind?

E.B.: Das mag schon sein, aber die Inhumanität der roten Plane wurde nicht von mir ins Leben gerufen, sondern von der Gesellschaft erzeugt, und in dem Moment, da ich diese Dinge so benutze, transportiere, transformiere ich auch genau diesen Sachverhalt in meine Bildwirklichkeit.

C.J.: Nun gut, aber nehmen wir z.B. einmal den Metallschrank hier in Deinem Atelier: Ich sehe ein, daß aus seinem Farbauftrag jegliche Sukzession getilgt ist. Wenn aber diese alltagsgegenständliche Sukzessionstilgung, also die homogene Farbtotalität alltäglicher Dingoberflächen, als Kunst an die Wand befördert wird, wird dann nicht dieser Totalität gehuldigt? Lauert hier nicht die Gefahr, daß diese Metallschrankwand - nun ‘Bild’ - genau jenes den Betrachter überwältigende Moment hermetischer Gleichzeitigkeit zurückruft, das beispielsweise beim Goldgrund zu finden war - nun aber entbunden von dem verbindlichen Transzendenzbezug alter Malerei?

E.B.: Diese Gefahr einer Re-Kultisierung oder Reauratisierung besteht natürlich. Wie vorhin schon gesagt mache ich keine Ready mades. In der Ablesbarkeit und damit einhergehenden Emotionalität der Herstellungsschritte wird in meiner Arbeit der hermetischen Industrieproduktion widersprochen, obgleich letztere in den verwendeten Halbfabrikaten als Fakt - auch emotional - anerkannt wird. Konventionelle Malerei leugnet dies! Ich feiere also nicht die Homogenität und Simultaneität einer Farbe, wie es etwa manche neueren Vertreter monochromer Tendenzen tuen, z.B. Olivier Mosset.

C.J.: Das ist richtig, aber bei Dir spielt ja die Farbmaterie eine größere Rolle, als bei den auf die Homogenität simultaner Farberscheinung Versessenen. Führt aber die Reduktion einer schon als eigenwertig erfahrbaren Farbe im Sinne ihrer Erscheinung auf die von Dir als auch schon eigenwertig erachtete Konsistenz bzw. Materialität - etwa bei Flüssigplastik - nicht zur Fetischisierung des Materials, zu der Malerei schon qua Sukzession stets eine Differenz bilden würde?

E.B.: Nein, es ist doch genau umgekehrt die traditionelle Malerei mit Öl und dergleichen auf Leinwand, die fixiert auf ihr abgelöstes Tun und seine Erscheinungsform einen Gegenstand erzeugt und postuliert, die insofern fetischisierte Kulturhandlung ist, während ich die Dinge des täglich in unserer Gesellschaft verfügbaren Umfeldes Bestandteil eines Werkes werden lasse.

C.J.: Aber in dem Moment, wo Du die schon vorfabrizierte Plane nimmst ...

E.B.: Alles ist vorfabriziert, es gibt keine Schöpfungen ...

C.J.: Meinetwegen, aber diese Plane ist ja auch schon hinsichtlich ihrer außerkünstlerischen Bestimmung vorfabriziert.

E.B.: Die Plane ist so vorfabriziert wie die Ölfarbe; letztere wird aber nur für den Künstler hergestellt, und daran mache ich ja auch ihre Kunstgewerblichkeit und die Nichtbezüglichkeit des Farbstoffes zu bildexternen Materialien fest. Für mich kann potentiell alles Werkstoff werden. Fixierung auf eine bestimmte Sache gibt es bei mir nicht. Von Werkphase zu Werkphase ändert sich das bei mir, und es gibt keine Fixierung oder Fetischisierung wie bei Uecker, der den Nagel nicht loswird. Trotzdem akzeptiere ich Leinwandmalerei, wenn sie eingedenk der nichtumkehrbaren Entwicklungen in unserem Jahrhundert verfährt. Das sehe ich aber bei den meisten heutigen Vertretern einer dritten und vierten Generation der Farbfeldmalerei oder des Radical Painting nicht - und bei anderer ‘Malerei’ sehr selten.

C.J.: Du bekundest verschiedentlich ein Ethos anschaulicher Kunst im Sinne Rudolf Anheims. Materialgerechtigkeit und Offenlegung der physischen Konstitutionsverhältnisse bedeutet aus dieser Sicht einiges. Dagegen könnte man argumentieren, daß in einer Welt, in der diese ehrlich transpositionale Verbindung von Konstitution bzw. Funktion auf der einen Seite, mit der Erscheinung auf der anderen Seite aufgelöst und das thematisierende Festhalten an dieser Verbindung in der Kunst obsolet werde. Aus dieser Perspektive ließe sich der infragestehenden Verbindung bestenfalls noch kompensatorische Funktion zugestehen - eine fragliche Funktion, insofern Kunst dann i.S. Odo Marquards die Unanschaulichkeit und Unverläßlichkeit der uns umgebenden Wirklichkeit mit Trostpflastern zu bekleben hätte.

E.B.: Das Problem sehe ich, aber: Sogar dort, wo die Kunst Simulation und Illusion als Werkbasis benutzt, hat sie diese kompensatorische Funktion. Wahrnehmen und Erkennen setzt Wissen und Erleben voraus. Kunst ist Anlaß für Fragen, Verstehen, Analysieren - nicht Schwelgen! Man kann mit Simulation und Illusion arbeiten, trotzdem aber durchschaubar und bewußt machen, was zum Bild geführt hat.

C.J.: Richard Sennett hat in seinem Werk: “Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Tyrannei der Intimität” interpersonale Beziehungen als eine Geschichte zunehmender Feindschaft gegenüber kultivierter Selbstdarstellung des Einzelnen vor seinen Mitmenschen, gegenüber dem Schein - hier: im Sinne des Tands, der Verstellung - beschrieben. Sennett kritisiert, daß im Zuge der Moderne das, was einer ist und das, als was er erscheint, immer mehr zur Deckung gebracht werden mußte. Als Folge dieser Entwicklung diagnostiziert er die Schrumpfung von etwas, das für Kultur möglicherweise fundamental ist: Distanz. Ist es nicht so, daß das von uns besprochene Ethos unbedingter Anschaulichkeit dieser kulturellen Verarmung Vorschub leistet?

E.B.: Znächst würde ich Sennett dahingehend widersprechen, daß doch eher nichtreflektiertes Benutzen von, oder Ausgeliefertsein an die Sentimentalität simulierter Wirklichkeiten das Gros unseres Denkens und Empfindens bestimmt und daß umgekehrt eine Qualifizierung des Bewußtseins nur über den Weg der erlebnisreichen Bewußtmachung aller Wirkungsfaktoren der eigenen menschlichen Existenz geht: Erst dann kann ich mich wieder ungehemmt, mit Freuden und souverän all diesem Schein und Tand hingeben.

C.J.: Sennett bezog sich weniger auf den von Dir ins Feld geführten ‘kulturindustriellen’ Rummel, eher auf Beziehungen zwischen Menschen, auf Formen ihres Umgangs und ihrer Kommunikation.

E.B.: Gut, dort halte ich Sennetts Analyse für zutreffend, denke übrigens auch, daß sie am Ethos der Anschaulichkeit - insbesondere in der radikalen Variante der Konkreten Kunst - manifest wird, glaube aber nicht, daß deswegen generell Anschaulichkeit der Herkunft, der Konstitutionsbedingungen in Frage zu stellen ist.
Schließlich bin ich selbst ja auch nicht im puristischen Lager dieser Fraktion zu suchen, insofern - das Beispiel der Arbeit mit den Gußreliefscheiben zeigte es - die von mir verwendeten Materialien nicht in erster Linie ehrlich ihre Herkunft bezeugen, sondern korrelativ etwas neues, ein Bild erzeugen sollen.

1.) Unter ‘Realkunst’ faßte Thomas Wulffen (vgl. Kunstforum International, Bd. 91, 1987) die Einschätzung alltäglicher Gegebenheiten - häufig anläßlich baulicher Eingriffe im öffentlichen Raum - als Kunst bzw. als kunstwürdig, insofern offensichtliche Ähnlichkeiten zwischen beiden Bereichen bestanden. Die darauf reagierenden ‘Realitätskünste’ thematisierten kunstexterne Zeitabläufe bzw. Orte als Basis ihrer künstlerischen Eingriffe bzw. Setzungen.

2.) Seit 1985 beziehen sich Bosslets ‘Unterstützende Maßnahmen’ auf Arbeiten mit Ausrüstungsgegenständen des Baugewerbes im Innenraum, wobei Raumneuordnung, scheinbare Stabilisierung bzw. Destabilisierung der Bausubstanz durch den Einbau konstruktiver Gebilde angestrebt wird.

3.) In “Mobiliar - Stand der Dinge” (1983/84) bemalte Bosslet Wände samt den in, an, oder vor ihnen befindlichen Gegenständen bzw. Öffnungen farbig. Als Werke resultierten jeweils Fotografien, auf denen z.T. der (rückansichtige) Künstler mitdargestellt war. In: “Mobilien & Immobilien” (1982) parkte Bosslet einen Motorroller vor den Fassaden ausgesuchter Häuser und übertrug deren Farben auf Kompartimente des Fahrzeugs. Später fanden Rückübertragungen vom Motorroller auf Landschaftsteile, z.B. Kakteen statt. Weder die Aktion noch deren Resultat vorort, sondern die davon gemachte Fotografie war das Werk.

4.) ‘Material und Wirkung e.V.’ wurde 1981 in Berlin durch E. Bosslet, O. Brendel, KH Gutmann, W. Klotz, O. Sattel, R. Schemberger und I. Warner gegründet (Zu Aktivitäten u. Satzung vgl. Katalog: Material u. Wirkung, Kunsthaus Dresden, Städtische Galerie , 18.7-13.9.98).

5.) Seit 1989 gruppiert E. Bosslet unterschiedlich farbige Industrietextilien (z.B. plastifiziertes Segeltuch) nebeneinander und vernäht sie, so daß das ‘Patchwork’ keines Bildträgers bedarf.

6.) Vgl. z.B. B. Palermo: o.T., 1967, Baumwolle auf Keilrahmen, 95 x 50 cm, Slg. V. Munro, Hamburg.