DE - Janecke, Christian; Eröffnungsrede zur Ausstellung Eberhard Bosslet Dingsda, Saarland Museum, Saarbrücken, 15.12.2012

Eröffnungsrede zur Ausstellung Eberhard Bosslet Dingsda! (Saarland Museum, Saarbrücken, …….) , in geringfügiger Überarbeitung der Vortragsform für vorliegenden Textabdruck [ © Christian Janecke]

Ende der 1970er Jahre begannen viele Künstler, sich postmodernen Verführungen hinzugeben, also mythoman, zitatverspielt oder neuwild zu werden und den vermeintlichen trockenen Konzeptualismus hinter sich zu lassen.
Rosalind Krausss hat in „Notes on the Index“ (1976) beschrieben, was andere damals zu einem parafotografischen bzw. indexikalischen Umgang auch mit der Plastik bewog: ein Interesse an bereits von sich aus kunstträchtigen oder nur Eingriffe des Künstler provozierenden Vorgegebenheiten.
Vorläufer dafür waren nicht so sehr jene Ready Mades, deren Valorisierung nur qua Kontext verlief, sondern eher die Bereitschaft eines Duchamp, den Schatten kunstexterner Dinge auf seiner Kunst willkommen zu heißen, oder eines Man Ray, seine „Staubzucht“ anzulegen. Indem die Dinge, statt nur in ‘Lichtschrift’ sich abzudrücken, nun selbst Abdruck wurden, überließ sich „die Sprache der Kunst wieder dem Sich-Aufdrängen der Dinge“.
Die deutsche Parallele war Realkunst: Nicht der nobilitierende Kunstkontext (Duchamp), sondern die objektive Ähnlichkeit des Außerkünstlerischen mit Kunst wurde Ausgangspunkt: bei EB für fotografisch-konzeptuelle Arbeiten z. B. im Rahmen seiner Serie „Schrott und Sonne“ (seit 1982), an der vieles Spätere schon aufscheint: Bosslets so neutrale wie neugierige Haltung gegenüber allen einwirkenden Kräften bzw. Elementen, sei es die Landschaft und das darin irgendwann einmal Abgestellte, das unbrauchbar gewordene Auto, wie es sich überall im iberischen Raum findet; oder seien es die dörrenden, konservierenden Kräfte einerseits der Sonne und andererseits der Feuchtigkeit, die ihr Werk verrichten. Nicht die vorgefundene Situation selbst ist indes das Kunstwerk, sondern eine den just erreichten Zustand aus Verfall und Beharrung fixierende Fotografie: Auf die Autos fokussierend oder sie auch nur als Repoussoir nehmend, behaupten diese Fotoabzüge ein Modern Picturesque ganz eigener Art!
Erwähnt seien diesbezüglich auch Bosslets Interventionen, darunter seine Eingriffe an verlassenen Gebäuden auf den Kanarischen Inseln, bei denen geringfügige farbliche, bzw. genauer: Hell-Dunkel-Setzungen den ruinösen Hinterlassenschaften nachträglich ästhetisches Kalkül attestierte. Oder seine Arbeiten mit Bauschutt: etwa wenn vorgefundene Strandmaterialien nacheinander in ein Konzert der Selbstaufbrauchung gebracht wurden bis zum entropischen oder ressourcenbedingten Abschluss der Angelegenheit, die entsprechend an Ort und Stelle zurückgelassen wurde.
Man darf auch denken an Bosslets kreative Umnutzung von anderweitig Gedachtem, beispielsweise an seine Hockerarchipele (ab 2001), bei denen die bloße Umkehrung solcher Garteneinsatzbecken eine farbenfrohe Sitzlandschaft ganz eigener Art hervorbringt, oder an seine Trampoline (seit 2000), die es mit der für Tondi typischen Betonung der Mitte ganz Ernst meinen (indem genau in der Mitte, wie jeder sportliche Nutzer weiß, ein Tennisschläger oder eben auch ein Trampolin den eingebrachten Schwung am effektivsten wiedergibt).

Ein zweiter Strang der Moderne war für Bosslet ebenfalls maßgeblich, nämlich Konstruktivismus und Konkrete Kunst.
Zunächst vom Konstruktivismus übernimmt EB nicht so sehr das Faible für rechte Winkel, denn vielmehr die Vorstellung vom „Künstler als Ingenieur“, mithin des Künstlers als eines nicht primär Darstellenden, sondern eines Problemlösenden. (Und dazu gehört auch, dass Bosslet, wo nötig sich Material und Equipment wie ein Bauunternehmer vorort leiht, um eine Arbeit zu realisieren!).
Im Unterschied aber zum historischen Konstruktivismus, dessen Protagonisten sich dann innerhalb dieser programmatischen Mentalität doch mit sublimen Materialien (Holz / Glas / Ölfarbe auf Leinwand) abgaben, um damit dem Prinzip ‘Darstellung’ treu zu bleiben, sie also auf das Technische an der Welt nur referierten, sucht Bosslet den wirklich physischen Einsatz entsprechender Kräfte und Techniken:
Und just hier liegt eine Verwandtschaft zur Konkreten Kunst: Deren Verzichtskatalog schon in den 1920er Jahren – darunter der Verzicht auf Lyrismus, Naturschilderung, Subjektivität – stand ja gegenüber das Bestreben nach Klarheit und (zumal in der modernistischen Zuspitzung bei Clement Greenberg in den 1960er Jahren) das Bestreben nach Selbstthematisierung der eingesetzten Mittel: Nur sind dies bei EB nicht mehr allein ‘Künstlermittel’, sondern es kann nun jedes Mittel sein – in den Modularen Strukturen beispielsweise sind es Zug und Druck sich im Raum frei ausbreitender oder auch zur Skulptur sich verdichtender Schalungselemente des Baugewerbes. Nicht als zufällig, sondern nachgerade programmatisch nimmt sich in diesem Zusammenhang die seinerzeitige Gründung der Gruppe respektive genauer: des Ansatzes von Material & Wirkung aus, damals gemeinsam mit Otmar Sattel und Werner Klotz.
Doch während die minimalistische Entscheidung eines Robert Ryman, just die Schrauben, die sein Bild an die Wand zwingen, zum Bestandteil eben jenes Bildes zu machen, sich noch ganz auf besagte Künstlermittel beschränkt, dürfen es bei Bosslet auch Industriematerialien sein. Man denke diesbezüglich nur an seine Wandbehänge aus Industrietextilien, deren Materialität, Zuschnitt, Applizierbarkeit selbst Thema werden, ja die sich erscheinend verbuchstäblichen.
Und es sind vor allem auch Kräfte und Kräfteverhältnisse, die nun anschaulich werden: auf berückende Weise in Bosslets Skulpturen aus Karteischränken (mit Stahlband): Die gleichsam grafischen Darstellungen von Linien werden hier, die Stahlkörper umspannend, zu physisch unabdingbaren Verbindungen, so als wäre eine konstruktivistische Phantasie Wirklichkeit geworden. Und tatsächlich würde alles auseinanderfallen ohne die Stahlbänder!
Die für die Welt des Bauens und der Technik typische ‘Pfadung’ – einmal getroffene Entscheidungen sind irreversibel bzw. konsequenzbehaftet – sucht auch Bosslet in seinen Arbeiten: so für seine Barrieren, deren Stahlarmierungsgitter, aufgefüllt mit Gussbeton, zu einer fast irreversiblen Okkupation des Raumes führen. Ein Beispiel in dieser Ausstellung gibt die im Entrée aufgestellte Arbeit „Univers 1 Saar“, mit Armierungsstahl bewehrte Betonquader, die eine sog. ‘Flachgründung’, und im hier vorliegend extremen Fall sogar ein nur im wärmeren Südeuropa erlaubtes, da die Frostgrenze von 80 cm Bodentiefe nicht übersteigendes Fundament bilden, bzw. es gleichsam aus sich selbst bilden. Der Träger eines Bauwerks, oder besser gesagt: Trägerschaft im Bauen überhaupt wird derart durch Selbstsetzung thematisiert, wie es mit Rahmenwerk auch innerhalb künstlerisch angestammter Elemente möglich wäre.
Auf furiose Weise kommen konstruktivistische Momente und solche in der Tradition Konkreter Kunst zum Tragen in Bosslets Unterstützenden Maßnahmen. Dabei gibt es indes zwei Optionen:
Erstens ist es möglich, dass das Werk nur sich selbst hilft: Stahlrohrdeckenstützen aus dem Baugewerbe oder Dreckluftsysteme bewirken, dass das technoide Gebilde zwischen zwei Wänden nicht herunterrutscht, oder dass eine lotrecht an einen Pfeiler geklemmte Teppichrolle weder einknickt noch absackt.
Zweitens ist es möglich, dass das Werk Hilfe für sein Umfeld nur mimt, so auch hier im 1. OG des 3. Pavillons in „Grundkredit Saar 1989/12“. Gestützt wird nämlich, was gar keiner Unterstützung bedurft hätte – so wie bei jenen touristischen Scherzvögeln, die den Schiefen Turm von Pisa ‘stützen’, indem sie sich mit ihm in eine Linie für einen Schnappschuss durch ihre Freunde stellen (was wiederum Fotografen wie Martin Parr zur zynischen Demontage durch Entstellung der diese ‘Stützung’ erst konstituierenden Blickachse gereicht).
Hier nun ist Bosslet – denken wir nur an die doppelsinnig „Anmaßend“ genannte Arbeit für die d8, (1987) – dennoch Kind (wenn auch nicht Günstling) seiner Zeit! Denn er benutzt zwar wirklich mechanischen Druck aus Schraubgewinden oder pneumatischer Herkunft, macht in erster Linie aber auf potentielle oder eben bloß hypostasierbare Unterstützungsverhältnisse aufmerksam, er versieht seine ‘Anmaßung’ also mit typisch postmoderner! Kommentarfunktion, die überdies in manchen Fällen auch noch um einen spielerischen Paragone mit echten Säulen bereichert wird: so wie dort manche Kapitelle ihre Herkunft (und breitgedrückte Form!) aus der Aufnahme der zu tragenden Last thematisieren, ebenso kann bei EB ein Bündel gequetschter Matratzen dieses Amt übernehmen.
Schließlich ist Bosslet auch Humor nicht fremd und ein Zulassen neuer Elemente: Wenn Betonmischmaschinen in „Roundabaout“ (2012) ein murmelndes und rotierendes Stelldichein auf Kies feiern, dann stellt sich jene Poesie der Dinge ein, die der Herauslösung aus zweckdienlichem Gebrauche sich verdankt (dem sie ja doch eigentlich ganz zugetan sind).
Und das gilt auch für „Closed Circuit Commerce“ (2012), eine meiner Lieblingsarbeiten: Einkaufswagen, ihrem Magazin entnehmbar durch je eine 1 EURO-Münze (und ab dem zweiten, nur kurzfristig einzusetzenden EURO ohne weiteren Geldeinsatz ‘abmelkbar’ von den gestaffelten Aufstellungen vor Supermärkten) werden zu einem Kreis zusammengesteckt - wobei Sparstrümpfe dann logischerweise die zuerst eingesetzte Münze entnehmen können!
Der Durchmesser solch eines Kreises ist variabel, aber keineswegs willkürlich. Denn zu viele Wagen würden eher einen amorphen Kontur bilden, während zu wenige aufgrund unüberschreitbarer Richtungskrümmungen von Wagen zu Wagen sich nicht oder nur gewaltsam zum Kreis schließen lassen würden. Wenn man so will, steckt sogar das Prinzip einer Shaped Canvas drin: Wobei gemäß der Herkunft dieses Konzeptes aus der modernistischen Malerei die Binnenstruktur, welche eine Außenstruktur determiniert, hier freilich nichts Gezeichnetes ist, sondern eben ein Bedingungsgefüge des Ineinanderstapelns von Dingen!
Auf dem Kopf steht dieser Kreis aus Einkaufswagen, da er – wie Bosslet betont – im Museum re-installiert wurde, statt zünftig auf einem Supermarktparkplatz rekrutiert worden zu sein!
Und die auf eigenwilliger Route herumfahrenden Roboter mit aufgeflanschter Kamera machen zu guter Letzt deutlich, dass Bosslet nicht nur schnöde Alltagsmaterialien und Kräfteverhältnisse gleichberechtigt neben denen der Kunst gelten lässt – sondern neben unserer menschlichen Wahrnehmung möglicherweise auch eine Wahrnehmung durch kleine Sehmaschinen.
Ein Schelm, wer glaubt, irgendwann nehme Bosslets Werk sich am besten selbst wahr, sozusagen sub specie des Bosslet-haften.
Ein Wort zum Schluss in eigener Sache: Heute wird von vielen, vielleicht zu vielen Leuten meines Faches über viel, vielleicht zu viel Kunst geredet. Im vorliegenden Fall darf ich bekennen, dass es tiefere Gründe gibt – dass nämlich die Art, wie Bosslet Kunst macht, wie er an die Dinge herangeht, der Kunstgeschichte nicht nur Gegenstand einer Deutung, sondern auch Inspiration zu sein vermag, wie kunstgeschichtlich zu denken möglich wäre: etwa indem man, wenn man ein Buch über Frisuren schreibt, einsieht, dass ein Pferdeschwanz nicht zwangsläufig nur unter der Hinsicht seiner (bildlichen) Darstellungen, sondern unter der Hinsicht, inwieweit er sich selbst bereits darstellt, betrachtet werden könnte und sollte: als ein komplexes Bedingungsgefüge aus Kopfform, Haarlänge- und -masse und –struktur, schließlich dem Ansatzpunkt des fixierenden Haargummis. Denn diese Faktoren ergeben in Wechselwirkung bereits gleichsam die Selbstdarstellung des Pferdeschwanzes.
Jedenfalls war für mich die Weise, wie EB die Welt und ihre Dinge als Künstler betrachtet, immer wieder Ermunterung, die Scheuklappen des orthodoxen Kunsthistorikers fallen zu lassen: sowohl was die Wahl der als legitim erachteten Gegenstandsbereiche meines Faches, als auch was ein Ernstnehmen des ohnehin schon in den Dingen Vorgestalteten betrifft.