EBERHARD BOSSLET, Kunstverein Heidelberg, 1987, Katalog, von RAIMUND STECKER

EINGREIFEN, UNTERSTÜTZEN, ANMASSEN–

Die Orte sind immer gefundene, sie sind das Gegebene. Die Arbeiten beziehen sich unabdingbar auf diese gegebenen Orte - entweder indem sie auf sie reagieren oder sich in sie einmessen, dort Vorgefundenes zum eigentlichen Gegenstand bestimmen oder mit einspannen - sie sind das Gemachte. Gegebenes, Vorgefundenes und Gemachtes bilden so eine durch die Arbeit gestiftete Einheit, gleichsam ein Werk in Form einer Situation, die nur als Ganzes zu betrachten ist. Als Ganzes im Dialog zwischen Ort und Vorgefundenem, Vorgefundenem und Gemachtem, Gemachtem und Ort ...
Diese Bedingungen gelten sowohl für die Werkgruppe der INTERVENTIONEN wie die der UNTERSTÜTZENDEN MASSNAHMEN von Eberhard Bosslet. So, wie seine INTERVENTIONEN in ein landschaftliches oder gebäudeprospektives Bild von Orten eingreifen, so unterstützen seine Montagen aus Stahlrohr-Deckenstützen ein innenräumlich Vorhandenes.
Es sind zumeist unbeachtet leerstehende, fragment- oder ruinenhafte Gebäudekomplexe, gegen deren Unbeachtetsein und -werden Eberhard Bosslet durch bloßes farbliches Konturieren interveniert. Sowohl die ultramarinblauen Linien an den Bruchkanten von noch stehendem weiß getünchtem Mauerwerk bei Barcelona, die INTERVENTION SARIA, wie auch die weißen Konturen in Korrespondenz zu architektonischen und materiellen Gegebenheiten einer stillgelegten und schon zum Teil verfallenen Duisburger Hafenbahnanlage, die INTERVENTION INNENHAFEN, entreißen die der Verwitterung überantworteten Orte ihrer gewohnten Nichtbeachtung und daraus folgend auch ihrer vergessenlassenden Nichtachtung. Das künstlerische Tun des farblichen Konturierens ist demnach ein Intervenieren gegen den ästhetischen Status des Ortes. Auch aber ist es ein Intervenieren gegen dessen nicht funktionale Existenz. Denn es ist zugleich das Anbringen eines visuellen Korsetts, das die materiellen Bedingungen der Gebäude sichtbar zu machen versucht und so eine Unterstützung der Statik darstellt, also auf deren potentiell mögliche Nutzung verweist, wie es darüber hinaus ein Setzen von Markierungen ist, an denen der trotzdem fortschreitende Zerfall sichtbar wird.
Intentional zielen die innenräumlich montierten UNTERSTÜTZENDEN MASSNAHMEN, zu deren Werkgruppe ANMASSEND im hinteren linken Treppenhaus des Fridericianums (documenta 8, Kassel 1987) gehört, auf das Gleiche (Seite 12/13).
Es ist eigentlich nicht Ausstellungsfläche, doch auch Teil des Gebäudes und überdies ein räumlich ausgewiesenes: das Treppenhaus. Als Verbindung der zweiten mit der ersten Etage - so soll es laut Rundgang genutzt werden ist es der einzige Ort, der die Bezogenheit der oberen Montage (zwischen Decke und Boden des Dachgeschosses) auf die untere (zwischen Decke und Boden der ersten Etage) sehen läßt. Besonders ermöglicht wird dieses Sehen durch einen zwischen den beiden Etagen sich befindenden Treppenabsatz, der nach Verlassen der zweiten Etage auf halbem Weg zur ersten bereits den Blick auf die untere Montage freigibt: Beide Teil der "Anmaßung" stehen genau lotrecht untereinander.
Eingespannt in die untere Montage ist ein Schreibtisch und Schaltafeln; ansonsten sind die für seine UNTERSTÜTZENDEN MASSNAHMEN notwendigen Stahlrohr-Deckenstützen verwendet, die die Montagen erst ermöglichen. Denn sie sind es, die mit der durch sie zu erzeugenden Kraft sich selbst, den Schreibtisch, die Schaltafeln, wie auch die gestapelten Steine mit dem metallenen Aktenschrank
zum einen zwischen Boden und Decke der ersten Etage und zum zweiten zwischen Boden und Decke des Dachgeschosses einspannen. Ein Teil des Gebäudes wird hier sogar zum eingespannten Teil einer UNTERSTÜTZENDEN MASSNAHME, das Mauerstück zwischen Decke der unteren und Boden der oberen Etage. Unabdingbar also ist auch bei Eberhard Bosslets ANMASSEND die Einheit von Gegebenem, Vorgefundenem und Gemachtem, unleugbar auch die durch sie bewirkte Beachtung des Ortes, der in diesem Falle durch eine "Anmaßung" Achtung erfährt.
Und diese im Titel ANMASSEND aufscheinende Uneindeutigkeit - also sowohl das lexikalisch ausgewiesene "ohne Berechtigung für sich in Anspruch nehmen", wie das "nach Maß anfertigen", eigentlich: "anmessen" - ist eine, die hier wie in allen Arbeiten Eberhard Bosslets auch faktisch aufzufinden ist. So erreicht er mit seinen INTERVENTIONEN - ein Begriff übrigens, der im Bankgewerbe das Stützen von Kursen vor einem weiteren Fall bedeutet - eine Beachtung von Gebäudefragmenten und Ruinen, die aufgrund ihrer bloßen Existenz schon ästhetisches Erfahren verlangten. Doch sein Eingreifen vermag auch zu bewirken, daß die Gebäudekomplexe ihrer eigentlichen Funktion endlich oder wieder zugeführt, bzw. mit leider häufiger vollzogenen Folgen, abgerissen werden. (Dies ist schließlich eine Konsequenz, die auch Gordon Matta-Clarks "einschneidendes" Eingreifen ins Antwerpener Office Baroque nicht verhindern konnte: die Behörden der Stadt ließen das Gebäude und somit das Werk des US-amerikanischen Künstlers vernichten.) Die INTERVENTIONEN bewirken folglich, daß eine vorhandene Situation durch ihr ästhetisches Herausstellen beendet wird. Dies geschieht zum einen bereits durch das farblich konturierende Intervenieren selbst, darüber hinaus aber auch potentiell, da ein Vollenden wie ein Instandsetzen das Gebäude als Fragment wie als Ruine, oder ein Abreißen die ganze Situation, zerstörte. Das Bewirkte, das vermögen Eberhard Bosslets Arbeiten zu erkennen geben, negiert die Wirkung.
Die letztendlichen Konsequenzen seiner INTERVENTIONEN können, wie wir sahen, radikal in ihren Auswirkungen sein: so auch die seiner UNTERSTÜTZENDEN MASSNAHMEN. Denn, die Montagen aus Stahlrohr-Deckenstützen bestehen aus der durch die Stützen erzeugten Kraft, die die sich zwischen Decken und Böden oder Wände spannt. Das Stützen der Decke aber ist immer zeitgleich ein Belasten des Bodens, so daß es nur eine Phase gibt, in der die Montagen existieren. Es ist die zwischen einem notwendigen Mehr-als-Zuwenig an erzeugter Kraft, das sie halten läßt,
ohne daß sie in sich zusammenfielen, und einem Weniger-als-Zuviel, das Boden und Decke, das Arbeit und Gebäude zerstörte. Daß dies keine rein theoretische Spekulation ist, bewies 1985 eine UNTERSTÜTZENDE MASSNAHME bei "Ruimte Morguen" in Antwerpen, die die Wände, zwischen die sie montiert war, sichtbar auseinanderrückte.
Erst eine "Anmaßung" also läßt den Ort, das Treppenhaus des Fridericianums und somit das Gebäude selbst, faktisch zu einem in die Ausstellung einbezogenen werden. Erst sie verweist z. B. auf seinen ästhetischen Wert wie aber auch auf seinen funktionalen. Doch indem ANMASSEND dies bewirkt, bewirkt sie auch, daß der Ort selbst, und so vorstellbar das ganze Gebäude, einer potentiellen Zerstörung nähergeführt wird. Auch für die UNTERSTÜTZENDEN MASSNAHMEN gilt demzufolge, daß die Wirkung im Bewirkten ihre Umkehrung finden kann.
Sogesehen mag die UNTERSTÜTZENDE MASSNAHME im Treppenhaus des Fridericianums ANMASSEND sein, doch an dieser Anmaßung "kommt keiner vorbei".
Raimund Stecker