DOCUMENTA 8, Kassel 1987, Katalog, S.32, Text von Raimund Stecker

Eingreifen, unterstützen, anmaßen
Die Orte, an denen Eberhard Bosslet seine „Unterstützenden Maßnahmen“ montiert, sind immer vorgefundene, und doch: sie sind nie beliebig gefunden. So ist auch das linke rückwärtige Treppenhaus des Museum Fridericianum ein Ort, den Bosslet bei einer Vorbesichtigung fand und für den er sofort eine Idee hatte. Der Umstand, daß das Treppenhaus nicht zum eigentlichen Ausstellungsbereich zählt, interessierte ihn besonders.
Mit „anmaßend“ montierte er eine unterstützende Maßnahme, die erste und zweite Etage des Treppenhauses miteinander verspannt und als einen konkret zu beachtenden Ort ausweist. Neben Verschaltafeln und einem Stapel Gehwegplatten wurde auch noch ein Schreibtisch und ein Karteischrank montiert. Die Arbeit besitzt damit spezifische Ortsbezüge. Durch die Zweiteilung der Montage ist die Arbeit nie als Ganzes zu überblicken. Erst ein Zusammen-Sehen der jeweiligen Ebenen läßt die Zusammengehörigkeit beider Montagen ahnen: sie stehen lotrecht übereinander. Um dies zu sehen, muß im Treppenhaus sowohl hinauf - wie auch hinabgestiegen werden. Schlußendlich: als ein notwendig zusammengehöriges Ganzes kann die Montage nur vergegenwärtigt werden, indem die statischen Bedingungen ihrer Existenz nachvollzogen werden. Die Montage spannt die Stahlrohr-Deckenstützen zwischen Decke und Boden der jeweiligen Etage. Sie spannt auch das Stück Mauerwerk zwischen der Decke der ersten und dem Boden der zweiten Etage ein. Ein Teil des Gebäudes wird Teil der Montage, wie umgekehrt die Montage ein Teil des Gebäudes. Erst wenn diese Dimension mitgedacht wird, erschließt sich die Einheit von Unterstützender Maßnahme und Gebäude deutlich.
Das Stützen der Decke ist immer zeitgleich auch ein Belasten des Bodens. Es gibt nur eine Phase, in der die Montagen existieren: Die Phase zwischen einem notwendigen Mehr-als-Zuwenig an erzeugter Kraft - ohne das sie zusammenfielen - und einem Weniger-als-Zuviel - das nicht überschritten werden darf, damit nicht Boden und Decke, und in letzter Konsequenz auch Arbeit und Gebäude zerstört würden.
Diese auch für „Anmaßend“ notwendige Balance ist immer auch unklarer Schwebezustand und damit ein sinnbildlicher Bestandteil der Arbeiten Eberhard Bosslets. Bei seinen „Interventionen“, seinen Eingriffen in ein landschaftliches oder gebäudeprospektives Bild war es die Ungewißheit über die bewirkte Reaktion: Folgt dem künstlerischen Verweis auf die zwar unbeachtete, aber doch vorhandene ästhetische Existenz wie auf die ungenutzte, aber auch potentiell vorhandene Funktion der Ruinen oder Gebäudefragmente ihr Abriß oder ihre Instandsetzung? Ein Zuviel an verliehener Achtung vermag dabei durchaus zerstörende Mißachtung zu bewirken die Absicht sich in ihr Gegenteil verkehren. So auch bei der „Unterstützenden Maßnahme“. Hier dürfen die Stützen nicht zu stark, aber auch nicht zu gering angezogen werden: das eine macht die Montage unmöglich, das andere zerstörte den Ort, das Gebäude.
Auch der Titel „Anmaßend“ spielt auf diese immer gegenwärtige Uneindeutigkeit an. Zum einen steht er für das lexikalisch ausgewiesene „ohne Berechtigung für sich in Anspruch nehmen“, andererseits, und angesichts der genau eingepaßten Montagen ist dies augenfällig, für „anmessen“, „nach Maß anfertigen“. Sogesehen ist die unterstützende Maßnahme im Treppenhaus des Fridericianums sowohl angemessen als auch anmaßend. Doch an dieser Anmaßung „kommt keiner vorbei“.
Raimund Stecker
Unterstützende Maßnahmen
Anmaßend I
20 Stahlrohrdeckenstützen, Schreibtisch, Verschaltafeln 4,90 x 1,80 x 0,90 m Museum Fridericianum 1. Obergeschoß
Anmaßend II 32 Stahlrohrdeckenstützen, Bausteine, 8 Europaletten 4,80 x 1,20 x 0,80 m Museum Fridericianum 2. Obergeschoß