Aachener Nachrichten, 16.12.1993, von RALF KULSCHEWSKIJ

Eine kritische Distanz zur industriellen Welt

Ausstellung in Düsseldorf: Eberhard Bosslet und Lawrence Gipe - Objekte und Bilder

Düsseldorf. Die Produktionsbedingungen von Industrie und Kunst seien grundverschieden - mit dieser lapidaren Feststellung beginnt der kluge, lesenswerte (und lesbare) Katalog-Essay von Raimund Stecker. Nicht so sehr die technischen oder handwerklichen Herstellungsmodalitäten machen die Differenz; sie gleichen einander immer mehr. Auch die ästhetischen Ergebnisse unterscheiden sich mitunter nur wenig, wie die Ausstellung im Düsseldorfer Kunstverein den verblüfften Besucher eindrucksvoll lehrt (Bis 9. Januar).
Insbesondere die Geräte von Eberhard Bosslet (geb. 1953) wirken beim ersten Anblick ausgesprochen technoid. Hochdruck-Hebekissen mit Preßluftflaschen; ein mit einem Folienspiralschlauch umwundenes Rohr, ein panzerartig herabzulassendes Rolltor mit Sichtprofil - dies scheinen eindeutig technische Aggregate mit klar definiertem Verwendungszweck zu sein, den vielfältige zusätzliche Armaturen wie Steuereinheiten, Druckminderer, Leitungen und Ventile sichtlich unterstützen. Bosslets Faszination durch „high tech“ ist nicht zu übersehen und überträgt sich prompt auf den Betrachter. Die zwei nebeneinander liegenden Röhren eines dieser Geräte sind zwar kommunizierend miteinander verbunden, aber zugleich gegeneinander abgeschlossen. Der obendrin auch noch namengebende Konnex („Einleiten I“) ist ein rein visueller, der zweckmäßig funktionale Zusammenhang erweist sich als nicht realisierbar, ja als von Anfang an fiktiv. So machen auch die an einem großen Gummigefäß vorbeigeführten Schläuche („Bypass II“) das zu entlastende Hauptorgan eigentlich überflüssig ...Zwiespältige Assoziationen zur Praxis der Humanmedizin stellen sich ein.
Ganz anders in ihrer künstlerischen Erscheinungsform treten die Bilder des Kaliforniers Lawrence Gipe (geb. 1962) vors Auge - und sind dennoch intentional den Apparaten Bosslets vergleichbar. Die 01gemälde, raffiniert aufgebaut und sorgsam gemalt, geben die „schöne, heile Welt“ der Schwerindustrie der Zwischenkriegszeit wieder. Gipe „kopiert“ die Inszenierungen der fortschritts-optimistischen Technik-Ikonographie, monumentalisiert gar ihren Propaganda-Effekt in wandhohen Triptychen. Das Innere einer Fabrikhalle mit geradezu verklärend einfallendem Seitenlicht, eine Phalanx von schnaubenden Lokomotiven im unwiderstehlichen Frontalangriff; Stahlkessel im glutroten Gegenlicht. Und alles gänzlich ohne Staub, Ruß, Dreck. Und ohne Arbeit, ohne Unfälle - ohne Menschen.
Die werden durch Bildunterschriften eingeführt wo ein Hochofen Dampf abläßt, heißt es, verdächtig in altbekannten Frakturbuchstaben: „Hier wohnt Stille des Herzens“, und wo die Züge den verqualmten Bahnhof verlassen („The Krupp Project“): „Herr Alfried schlief immer ganz ruhig, wie ein Kind“. Zeitgenössische Mitteilungen und Sentenzen, die die bildlich dargebotene Begeisterung für die mechanisierte Maschinentechnik ironisieren, die aggressive Machtdemonstration unterlaufen, die glorifizierende Militanz als verlogenes Reklame-Ritual entlarven.
Auf den zweiten Blick ist - so oder so bei beiden Künstlern der kritische Abstand vom Dargestellten zu spüren. Die in keuscher Reinheit daliegenden Apparate Bosslets sind jeder zweckmäßigen Funktion enthoben, und die von Gipe nachgemalte „omnipotente“ Moderne hat keineswegs den seinerzeit behaupteten menschlichen Fortschritt erbracht. Gerade die wohlüberlegte Kombination dieser zwei recht verschiedenen CEuvres ermöglicht eine still-beredte Reflexion der Thematik sowie Einsicht in den Mehrwert der künstlerischen Produktion gegenüber der industiellen. Die eine nützt vordergründig, die andere rettet unser individuelles Urteilsvermögen.
(Das sehr gute, kleine Katalogbuch kostet 45 Mark.)