WAZ, Dez. 1993, von ACHIM LETTMANN

Druck in Hebekissen

Industriewahrnehmung von Bosslet und Gipe in Düsseldorf

Düsseldorf (eig. Ber.). Zwei Positionen, eine Idee. Im Kunstverein der Rheinlande und Westfalen forciert Direktor Raimund Stecker sein Konzept. Anstelle einer monographischen Schau werden Arbeiten von Eberhard Bosslet und Lawrence Gipe gezeigt. Beide materialisieren die Wahrnehmung von Industrieansichten - zwei erhellende Gestaltprinzipien. Dabei wird kein Fortschrittsskeptizismus betrieben oder die Industrialisierung als inhumaner Selbstläufer demaskiert. Vordergründiges gehört nicht in den Düsseldorfer Kunstverein. Solche „Entdekkungen“ hätten Altertumswert.
Hingegen ist es interessant, den vielschichtigen Wirkweisen der‘ ‚Bilder Gipes und der Gerätskulpturen Bosslets nachzuspüren. Dem bürgerlichen Kunstbegriff, von einer Wertästhetik als Daseinsbeigabe, wird ein kognitiver Prozeßcharakter entgegengestellt: Wie wird die Welt (von uns) aufgenommen, erkannt? Kunst spürt den Alltagsphänomenen nach. Für Ausstellungsmacher Raimund Stecker, der auf die Nähe des Ruhrgebiets verweist, eine nötige Auseinandersetzung mit den Formen der Industriewelt. Weil unser Bewußtsein weniger vom Naturerlebnis denn von urbanen Silhouetten der unmittelbaren Umgebung geprägt ist, muß Industrieästhetik als folgerichtiges Sinnfeld dienen. Die Künstler in Düsseldorf gehen unterschiedlich vor.
Eberhard Bosslet, der 1987 seine „Unterstützenden Maßnahmen“ auf der documenta 8 installierte, arbeitet mit Schläuchen, Hebekissen und Druckluft. „Gegenstände III“ (1990) stemmt sich zwischen Boden und Decke der oberen Kunsthallenetage. Sechs Vepro-Hebekissen, die mit sieben PKW-Felgen zu einer Segment-Säule getürmt sind werden mit Hilfe von drei gelben Druckflaschen prall gehalten. Wo etwas abgestützt wird, droht etwas einzustürzen. Notsituationen gehören auch zu Bosslets Skulpturen. „Bypass I“ (1993) verbindet unterschiedliche Schläuche zu einem Kreislaufsystem. Lappen täuschen eine Leckage vor. Ihrer Funktionalität beraubt, mit Storzkupplungen von der Feuerwehr verbunden, wird das Material einer neuen Sichtweise übereignet. Die organische Werkstofforganisation ist künstlich und wirkt ohne funktionale Anbindung unschuldig. Die herkömmlichen Gebrauchsstücke werden anders erfahren. Industrieprodukte erhalten eine subversive Wirkung. Bosslet spürt die plastische Potenz auf.
Im Raum des Kunstvereins sind die Materialskulpturen weitläufig positioniert. Daneben hängen die Großformate von Lawrence Gipe. Der Kalifornier malt Bilder von Fotos. Den propagandistischen Industrieaufnahmen der 30er Jahre wird ihre auratische Bedeutung genommen. Damals wurde imposante Mechanik noch mit Prosperität gleichgesetzt. Heute dokumentiert der 31jährige Gipe in „Triptych No. 1 from The Century of Progress Museum: The Krupp Projekt“ die Mechanismen einer Bildgestaltung, die politisch mißbraucht worden ist. Sonnenlicht flutet die Werkshalle. Gigantomanisch, menschenleer erstarrt die Schwerindustrie in einer überhöhten Monumentalität. Der Schriftzug „Hier wohnt Stille des Herzens“ entlarvt damalige Industriebilder. Aber die Faszination einer solchen Ästhetik wird in Gipes Bildern rehabilitiert.
Beide Künstler erschließen die Bedeutung industrieller Wahrnehmung - damals und heute. Kunst wird zum zeitlosen Reflexionsmedium. Gipe rettet einen ästhetischen Stil. Bosslet bewahrt die Materialgestalt funktionalisierter Werkstoffe. Eine prickelnde Angelegenheit.

(bis 9. Januar 1994, Katalog 45 Mark)