Kunstforum International, Bd. 125, Jan. 1994, von RENATE PUVOGEL

Eberhard Bosslet & Lawrence Gipe

Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, 6.11.1993 – 9.1.1994

Raimund Stecker baut sein Austellungsprogramm vorzugsweise auf Doppelpräsentationen auf, das heißt, er setzt sein Vertrauen auf eine Bereicherung der Aussagekraft durch die Gegenüberstellung von Werkkomplexen zweier Künstler. Diesmal hat Stecker den 1953 in Speyer geborenen deutschen Plastiker Eberhard Bossle und den rund zehn Jahre jüngeren amerikanischen Maler Lawrence Gipe, geb. 1962 in Baltimore, zum Dialog zusammengeführt Die Kombination gelingt gut, vielleicht sogar zu gut, denn das ästhetische Bild der gesamten Darbietung fällt so abgerundet harmonisch aus, daß sich nur mühsam ein Widerstand und damit ein Befragen der jeweiligen Problemstellung aufbauen kann. Dieser gereinigte, fast cleane Eindruck rührt daher, daß ein industrielles Produkt, seiner Funkttion beraubt und zu einem zwei- oder dreidimensionalen Kunstwerk umgemünzt, selbst die Technikkritik der ästhetischen Qualität unterstellt und der Kunstbetrachter, wie Stecker in seinem Text ausführt, in der Beurteilung allein auf individuell subjektive Interpretation setzen kann. Erstaunlicherweise können selbst musisch engagierte Techniker selten etwas anfangen rnit berufsnaher Kunst; es gelingt ihnen nicht, zu abstrahieren und einen illusionsgefüllten, spielerischen oder auch moralischen Blick auf die pseudotechnischen Artefakte zu werfen.
In dieser Ausstellung ergeht es mir umgekehrt, ich verliere die Brisanz aus den Augen angesichts des Überhanges an formalästhetischen Reizen. Das eine macht das andere eher harmloser, als daß es zu seiner Bereicherung beiträgt. Auf die Arbeiten von Eberhard Bosslet bezogen, liegt der mildernde Effekt darin, daß er seine Thematik inzwischen vorwiegend einem skulpturalen Körper einverleibt und selten noch auf die pseudofunktionale Aussage einer Anlage zurückgreift wie in seinen „Unterstützenden Maßnahmen“. Und die roten Titel der Gemälde von Gipe servieren einem die Technikkritik frei Haus. Dennoch fällt die Präsentation eingestandenermaßen imponierend aus.
Gipe nimmt sich in seinem Zyklus „The Century of Progress Museum: The Propaganda Series“ Reklamen und Werbephotos der Großindustrie aus den 30er und 40er Jahren zur Vorlage für seine imposanten Ölgemälde. Die malerischen Fähigkeiten dieses Künstlers sind außergewöhnlich: es gelingt ihm die schwarz und metallen angelegte Szenerie eines Industriewerks durch valeurreiche Zwischenzonen zu einem grandiosen Furioso zu steigern. Die schwarzen Silhouetten von Türmen und Hallen gigantischer Anlagen geben die schattenhafte Kulisse ab für ein faszinierendes Spektakel menschenlos funktionierenden Betriebs. Gipe verarbeitet Vorprägungen frühindustrieller Malerei und Fotografie, angefangen mit Turners atmosphärischen Dampfphantasmagorien, fortgesetzt über futuristische und suprematistische Entwürfe des Aufbruchs und endend bei demagogisch manipulierter Technikgläubigkeit zur Zeit faschistischer Diktaturen. Die Bilder sind gekonnt aufgebaut und durchkonstruiert. Durch vom Bildhintergrund einströmendes Licht ragen die gewaltigen Anlagen im Vordergrund als unheimliche, nächtliche Kulisse heraus. Der Maler vermag die Bilder kompositionell zu Triptychen zu verbinden, so daß diagonale Bewegungen der Seitentableaux in dem mittleren Bild aufgipfeln. Dennoch obsiegt ein nostalgisches Moment. Der Betrachter versinkt im Rausch überwältigender Eindrücke. ohne daß er eine Distanz aufbauen könnte, mit welcher etwa Ed Ruscha mit weit mehr zurückgenommener Malerei seine Betrachter erreicht. Zwei Dinge sind es. die die Arbeiten nur schwer über den Status einer Reminiszenz des Vergangenen herausheben: Gipe bedient sich einer im besten Sinne traditionellen Malweise. Selbst die raffinierten Schnitte. übersteigernden oder eliminierenden Manipulationen der fotografischen Vorlagen erhöhen den verführerischen Schmelz der Bilder. Obendrein entstammen die der Malerei aufgelegten Werbespots oder Bemerkungen in Schrifttype und Inhalt derselben Zeit wie die Bilder, verankern diese also nochmals in der Historizität. Das Sprachliche entspringt zwar einem anderen Kontext und geht daher nicht gänzlich auf mit dem Visuellen, aber es schafft auch keine genügende Irritation, die dem gesamten Werk einen Stoß in die Gegenwart versetzen könnte. Natürlich bilden sie als rote Kolumne eine Barriere auf dem Wege zur Darstellung, aber sie konterkarieren nicht, sondern interpretieren das Bild im von ihm vorgegebenen Sinne. Man vergleiche Gipes Schriftzüge mit den Andeutungen bei Ed Ruscha, ebenfalls einem Maler der Westcoast, andererseits mit den schrillen Protesten in Arbeiten von Barbara Kruger. Bei Gipe dienen die Texte der Illustration, sie fördern mit den Bildem zusammen wohl ein kritisches - Geschichtsbewußtsein und sind auf diesem Wege gegebenenfalls zur Analyse gegenwärtiger Probleme hilfreich. Was wäre, wenn der Maler zum Beispiel anstelle authentischer Krupp-Zitate solche aus dem Jetzt verwendet hätte. Möglicherweise sind diese Bilder tatsächlich als eine ganz persönliche Auseinandersetzung des jungen Amerikaners mit seiner eigenen Geschichte und mit der seines Vaters zu werten.* Ich traue diesem Künstler zu, daß er noch ganz andere bewegende Bilder zu malen imstande ist. die die Gegenwart in Sujet und Malweise auf eigenwillige Weise unter die Lupe nehmen.
Eberhard Bosslet setzt beim Heute an. Ihn haben von Anfang an die barbarischen Zerstörungen zivilisatorischer Eingriffe in geordnete Strukturen interessiert. Ob der Künstler in mimetischem Nachzeichnen gliedernden Überlagerungen oder Materialakkumulationen (1984) auf Vorhandenes reagiert, stets gibt die urbane Situation den Anlaß für sein Handeln. In objekthaften fingierten Schaltplänen treffen mikro- und makrokosmische Vernetzungen zusammen, und schließlich sind die „Unterstützenden Maßnahmen“ als ausgleichende. stabilisierende Aktionen zu begreifen. Diese an der Labilität technischer oder architektonischer Verhältnisse erprobten Korrekturen will Bosslet auch auf gesellschaftliche Bereiche übertragen wissen. Zwei seiner neueren. „Gegenstände“ genannten Spannstücke sind im Foyer des Kunstvereins zu sehen. Allerdings setzt Bosslet nun nicht mehr Stahlrohr-Deckenstützen ein, sondern verwendet schwarze, durch Flaschen aufblasbare Druckluft-Hebekissen. Diese Gummikissen beschreiben von sich aus bereits eine höhere skulpturale Figur, als es die unflexiblen Stangen der Deckenstützen an den Tag legen. Sechs dieser Polster - im Wechsel mit metallenen Elementen wie Autofelgen übereinandergeschichtet - ergeben bereits auf Grund ihrer rhythmisch an- und abschwellenden Kontur eine Endlossäule von signifikanter skulpturaler Qualität. Auch der Wechsel zwischen weichem und hartem Material kommt der Figur zugute. In dem zweiten Stück sind die Kissen senkrecht gespannt, um einen schweren Kunststoffvorhang zu halten. Diese Arbeit hat damit sogar tragende Funktion; da die Markise an dem Lichtschacht aber nur bedingt sinnstiftend ist. bleibt das Absurde der Plastik gewahrt. Vielleicht hätte es der Ausstellung gutgetan. wenn diese beiden Arbeiten nicht in den Vorraum verbannt wären, sondern doch in den stimmigen Gesamteindruck des Oberlichtsaales als Störfaktoren eingreifen würden. Stecker bekennt sich allerdings zu der Entscheidung, die Gegebenheiten der Ausstellungsräume zu akzeptieren und produktiv zu nutzen.
Dementsprechend kommen die flachen. über den langgestreckten Saal verteilten Objekte von 1993 den Gemälden nicht ins Gehege. Es handelt sich um Figurationen aus Gummi- und Plastikschläuchen, die der Künstler mit Stahl- und Aluminiumverschlüssen rundbindet. Mit diesen Arbeiten nimmt das in den Säulen angelegte organoide Moment noch zu. Bosslet schließt mehrere Flaschen und dicke und dünne Schläuche zu einem in sich geschlossenen Kreissystem zusammen. Die sich auf dem Boden windenden Schläuche lassen nicht nur Assoziationen an technische Installationsarbeiten zu, sondern taugen auch als Metaphern für organische Kreisläufe. etwa die des menschlichen Darm- und Blutkreislaufs. Zu derlei Assoziationen sind nicht einmal die Titel wie „Bypass“ oder „Einleiten“ erforderlich. Auch die weniger bildreiche Bezeichnung „Gegenstände“ steht der weiterreichenden inhaltlichen Interpretation nicht im Wege. Der Künstler will diese hin- und herleitenden Leitungswege stellvertretend auch für einen kommunikativen Austausch zwischen Menschen verstanden wissen. Daß die Kreisläufe in sich abgeschlossen sind und. abgesehen von der Druckerzeugung von außen. keinerlei Einfluß zulassen. macht die neueren Objekte in vergleichbarer Weise metaphorisch sinnvoll und funktionell sinnenthoben wie seine „Unterstützenden Maßnahmen“, nur daß Bosslet diese Abnormität nun raumunabhängig in Gestalt skulpturaler Formen abhandeln kann und nicht mehr in den halbtechnischen Bereich abwandern muß. lnsofern ist die Entwicklung konsequent: obgleich die neueren Stücke an Härte verlieren. eignet sich ihre skulpturale Form verstärkt als Metapher für ein kommunikatives Netz für kreatürliche und geistige Zirkulationsvorgänge. Innerhalb der Ausstellung stellen die plastischen Stücke das einzelne. Besondere dem weitläufigen Panorama der Bilder gegenüber. sie holen deren Geschichtlichkeit in die Gegenwart hinein. Einen besonderen Stellenwert erhalten die Arbeiten dieser beiden zeitgenössischen Künstler dadurch. daß sie parallel gezeigt werden zu der großen Retrospektive von Vladimir Tatlin in der Kunsthalle.

Anmerkung
* Vgl. Interview mit Martin Bochenek in ARTIS, Nov. 1993

Der Katalog zur Ausstellung, mit Texten von Raimund Stecker, hat 71 Seiten, 29 SW- und 11 Farbabbildungen.