DE - Krawietz Rodríguez, Alejandro: EB: an einem Ort, die Zeit, Buch Bosslet – Werke in Spanien, Extraverlag, Berlin, 2014

Eberhard Bosslet: an einem Ort, die Zeit

I

Nicht nur bei Robinson Crusoe von Daniel Defoe auch in “Isla: cofre mítico” von Eugenio Granell oder in den demandas (Bittbriefen) von Francisco Fernández de Lugo, um sich auf die Suche nach San Borondón zu machen, trägt die Insel als Gegenpol zum Festland eine große Symbolkraft. Sie befindet sich auf der Rückseite des Festlandes, auf der anderen Seite der Träume, auf der anderen Seite des gedachten Universums. Die Suche nach ihr ist eine doppelte Suche: nach dem Gebiet, das sich versteckt und in der Mitte des Nichts entdeckt werden muss und, einmal gefunden, nach dem Schatz, der in den Gedanken der Menschen auf jeder Insel verborgen ist. Wie Frank Lestringant (in “Pensar por las islas”) schrieb, besteht “zwischen dem tatsächlich erlebten Raum einer Generation und der geschriebenen Spur ihrer Träume ein geheimes Einverständnis”. Auf die Insel, als Gegensatz zum Festland angewandt, wird dieses Einverständnis zwischen Traum und Realität zum Verlangen. Die Insel gibt immer ein Versprechen, sie ist der Sitz des Wunderbaren und der Ort auf den das Wunderbare projiziert wird. Nicht ohne Grund erdachte Lorenzo Cáceres seine “isla de promisión” auf den Kanaren, einer Inselgruppe.

Die Insel ist neues und verlorenes Gebiet zugleich. Der Reisende findet die Insel durch Zufall und würde wahrscheinlich nicht wieder zu ihr zurückfinden, wenn er sie einmal verlässt. Und jede seiner Bewegungen von dem Zeitpunkt an an dem er die Insel betritt bis er sie wieder verlässt, sind Gründerbewegungen. („Manchmal landet man durch Zufall auf einer Insel, aber wenn man sich dort niederlässt, tut man es aus einer Notwendigkeit heraus. Die Schiffbrüchigen überdauern das Unwetter aus dem sie gekommen sind, einige Schäden sind irreparabel. Die Rückkehr ist nicht weniger schwierig als das Ankommen“, schrieb Predrag Matvejevic in Islas mediterráneas.)
Trotz alledem ist während des Unwetters in Lorand Gaspards Diario de Patmos in den Gedanken des Seemannes und der Schiffbrüchigen immer die Hoffnung vorhanden auf der Spitze einer Welle, die Umrisse oder das Licht einer Insel zu erahnen. Alles was nach der Entdeckung kommt, das weiß sowohl der Seemann als auch der Kapitän, wird neu sein. Alles wird man zum ersten Mal sehen. In Verbindung mit der Insel gibt es einen Traum von einer adamitischen Natur: wer eine Insel entdeckt, erlangt die Pflicht sie zu benennen, sie auszusprechen, von ihrer Existenz zu berichten (bei der Rückkehr auf das Festland) und er bekommt auch das Recht, ihr ihr Geheimnis zu entlocken. Wie wir sehen werden, ist die Idee, die Dinge neu zu benennen in den Insel-Arbeiten von Eberhard Bosslet, die ständig auf der Suche nach neuen Bedeutungen für die Spuren und Narben der Insel sind, sehr präsent.

Des Weiteren wissen wir, dass man die Inseln lesen kann. Angebracht auf der Lineatur des Horizontes sind die Inseln über das Meer verteilte Zeichen, irdische Konstellationen wie Sterne, Zeichen einer Sprache der Natur, die die Interpretation derer antreibt, die sie von außen betrachten. Kein Charakteristikum beschreibt die Geografie der Inseln besser als der Gegensatz Innen/Außen: alles ist innen oder außen, abgesehen vom Ufer. Im adamitischen Traum erinnern die Inseln an den Menschen selbst: sanft, rau, süß, verlassen, verschwenderisch, verdammt. In dem Moment in dem wir sie benennen, definieren wir uns selbst. Auf sie projizieren wir unsere Erwartungen, unseren unersättlichen Durst danach Durst zu haben. Der Gestrandete, der Abenteurer oder der Poet (und Bosslet ist Teil der symbolischen Welt des Reisenden) transformiert bei seinem Kontakt mit der Insel das Neue in eine andere Neuartigkeit und seine Abreise leitet nicht eine andere Epoche ein, sondern hält die Kontinuität des Mysteriums weiter am Leben.
Deshalb ist die Ankunft auf einer Insel immer ein Akt der Gewalt, so wie die Enthüllung eines Geheimnisses oder das Aufdecken einer Erkenntnis. Etwas wurde erzwungen, auch wenn es nur der Prozess der Erwartung des Bevorstehenden ist.

Die Kette der Widersprüche, die die Symbolkraft der Insel ausmacht, Paradies und Hölle, Rettung und Verbannung, Erneuerung und Monotonie, Begegnung und Verlust, findet ihr Korrelat auch in der Richtung des Blickes. Es gibt denjenigen, der auf die Insel schaut und denjenigen, der von ihr herabsieht. Es gibt die Lesart der Insel auf der Lineatur des Horizontes und es gibt die Lesart des Horizontes als leere Lineatur.
Trotz dieser ontologischen Unterschiede ist die Sprache über die Inseln immer eine Gründungssprache, eine Sprache des Anfangs, eine Sprache des Begehrens. Man könnte sagen, dass die Insel keine Fremden kennt, da die Inseln Orte des Anfangs darstellen.


II

Um Eberhard Bosslet als wahren Repräsentanten eines Robinson auf der Insel auszumachen, genügten einige Gespräche mit ihm und die Auseinandersetzung mit seinen Werken auf den Kanaren. Er ist im Besitz einer Ausdrucksform jenseits der Insel und ihres Gebietes. Das Werk von Eberhard Bosslet ist das eines adamitischen Besuchers, der alles zum ersten Mal wahrnimmt und nicht die Geschichte oder die Vergangenheit oder den Verfall konstruieren kann. Denn die Insel befindet sich, wie bereits erwähnt, auf der Rückseite der Zeit, in der Zeit des Anfangs, der Gründung. Niemand gehört zu der Insel und die Insel gehört niemandem. Im Werk von Eberhard Bosslet stehen die Ruinen nicht für den Verfall, sondern für das Fortleben, sogar für den Ort des Ursprungs. Es wäre ein Fehler seinen Werken auf der Insel eine romantische Lesart zuzuschreiben. Hier gibt es keine Verherrlichung der Vergangenheit, sondern die Fortführung des Beginns. Es geht nicht darum Geschichte zu schreiben, sondern das Gebiet zu beschreiben. Es gibt keine Legende, alles ist Geografie. Deshalb bereitet es mir keine Schwierigkeiten in Bosslet den Schiffbrüchigen Robinson wiederzuerkennen, der all seine Kräfte, all seine Energie aufbringt, um zu betrachten, um ein erstes Mal zu sehen, um zu versuchen, die Sprache der Gründer und der Gründung hervorzubringen. Die Inseln sind nicht unbewohnt, sondern Ort des Zusammentreffens der schöpferischen Kräfte des Menschen und der schöpferischen Kraft der Natur. Man muss sich Bosslet nicht als jemanden mit einer hellseherischen Berufung vorstellen. Es reicht aus ihn auf seinem Fortbewegungsmittel zu sehen – einem Esel, einem Pferd, einer Vespa, das spielt hier keine Rolle – das neue Gebiet durchmessend, auf der Suche nach einem Sinn des Blickes, nach dem was er fähig ist, zu sehen. Bosslet beschreibt das neue Gebiet, um zu entdecken, dass das Lavafeld und das Fenster, die Narbe und die Ruine auf der Insel nichts anderes sind als geologische Formen, Produkte der Steine und der Sonne, geologische Formen der Zeit. Es ist die Umwandlung der Zeit in Geografie. Bosslet ist der Fremde, der García Cabrera recht gibt – an einem Ort: die Zeit.

Eberhard Bosslet hat Anfang der 1980er Jahre damit begonnen auf den Kanaren zu arbeiten. Dies tat er mit kreativen Mitteln und künstlerischen Strategien, die den Schwerpunkt darauf legen, die Landschaft der Insel zu verstehen und zu interpretieren. Diese Tatsache muss in jedweder kritischen Annäherung an sein Werk beachtet werden, sei es Fotografie, Interventionen in der Landschaft oder die Reinterpretation der Ruinen – obwohl hier das Konzept der Ruine, wie wir sehen werden, auf eine besondere Weise behandelt werden muss. Es ist nicht eine Suche nach einer Verherrlichung des Gebietes und seiner Zeichen, wie es Roberto Cabot oder Longobardi gemacht haben, um Beispiele von Künstlerbesuchern sehr unterschiedlicher Art aufzuführen. Es ist auch keine formale Mimesis, die diese Zeichen in einem mythologischen oder metaphysischen Sinn reinterpretiert, wie man in den ebenso interessanten Werken von Salvo oder Craige Hordsfield interpretieren könnte. Sondern nach all seinen Aufenthalten auf der Insel nimmt Bosslet eine tiefgehende Interpretation, eine wahrhaftige Enthüllung der Zeichen der Insel vor, sogar wenn er sie dafür forcieren muss, umstürzen muss oder in gewissem Sinne sie aus einer neuen semantischen oder anthropologischen Perspektive heraus neu initiieren muss. Bosslet ist deshalb kein Fremder auf der Insel, sondern ein wahrer Eroberer. Er ist nicht hier um zu betrachten, sondern um zu verstehen. Aus diesem Grund haben all seine Arbeiten auf der Insel, die auf den Zeichen der Landschaft beruhen, die Ausübung einer Gewalt und einer Transformation gemein. Diese Idee ist eine der Grundvoraussetzungen um die hermeneutische Herangehensweise von Bosslets Arbeiten auf den Kanaren zu verstehen. Denn sie ist es, die ihm erlaubt Entscheidungen zu treffen, die die Pragmatik (der Prozess der Intervention, die transformatorische Aktion, die physische Arbeit) und die Metaphysik verbinden – die Kreation einer neuen Sprache und von dem, was noch nicht gesagt wurde, aber was dennoch da war, latent, auf der Oberfläche der Dinge: eine Form der Verbalisierung, die den Betrachter dazu bringt zu akzeptieren, dass nach dem Aufenthalt des Eroberers Bosslet die Dinge nicht mehr das sind was sie waren.

Diese Ausrichtung steht im Widerspruch zu den gewohnten Strömungen, mit denen die Kunst die Existenz der Inseln behandelt hat. Bosslet kommt auf die Insel um seinen Schatz zu finden, der nichts anderes ist als ein distanziertes, ironisches, anthropologisches Verständnis des Ortes. Der Blick von Bosslet ist nicht bewundernd, sondern scharf und zerschneidend. Er ist nicht zur Kontemplation auf die Insel gekommen und er akzeptiert nicht die Charakterisierung des Gebietes als bloßen locus amoenus. Von der Sichtweise seiner künstlerischen Sprache und dem telos seiner Arbeit aus betrachtet, ist Bosslet ein Prädator (ein Raubtier der Sinne, um es richtig zu verstehen), jemand der nicht sich nicht mit Schmeicheleien aufhält, sondern der sich darum bemüht, seine Beute aufzuspüren. Bosslet will verstehen. Und dieser bestimmende Faktor, der Wunsch zu verstehen, entsteht weil er in seinem Raubtiergeist nichts von den Inseln versteht. Er versteht nicht was geschehen ist, er kann sich das Ziel der Arbeit der Titanen (der Barbaren mit ihren Mauersteinen und Seilen, dem Metall und dem Rauch) nicht vorstellen, aber auch nicht die Arbeit der Giganten (der Vulkane, des Ozeans, des Windes, die auch essentielle Akteure der Transformation der Landschaft sind). Er fordert also den Schatz, er fordert, dass die Insel einhält und einlöst, was sie bei seiner Ankunft versprach: einen Sinn für ihre Geografie und ihre Zeitlichkeit. Seine Suche zwingt ihn dazu, die Sprachen, in denen sich die Insel ausdrückt, zu unterwandern. Seine Arbeit wird deshalb zu einer Übung der Resemantisierung. Von einem adamitischen Traum eingenommen, der als Überlagerung der Zeichen konzipiert ist, erwartet Bosslet, dass aus dem Kontrast zwischen den verschiedenen Zeichen im Nachhinein eine würdige Interpretation eines heuristischen Vorganges entsteht.

Die Entstehung eines kreativen Diskurses für die Inseln kann nicht von kulturalistischer Natur sein. Strenggenommen weiß man so wenig über das geschaffene Objekt, wie über die Berge oder die Dünen, ausgenommen ihres Daseins. Diese Abwesenheit von wiedererkennbaren Zeichen vereint mit dem Wunsch sie zu benennen (ihnen Sinn zu verleihen) erweckt einen primären adamitischen Traum.
Ein Bild, dass diese Anfangssituation gut erklärt, wäre das eines Menschen, der ohne astronomische Kenntnisse den nächtlichen Himmel betrachtet. Die Anhäufung von Sternen, Galaxien, Planeten, Reflektionen und Schatten scheint ihm zu sagen: „Hier hast Du die Buchstaben, bilde daraus deine Sprache“. Ausgehend von dieser Perspektive ist es möglich Eberhard Bosslets Werk auf den Kanaren in drei verschiedene Gruppen zu unterteilen, die auf der Suche nach dieser Zeit an dem Ort sind, was den Wunsch darstellt, dem Gebiet eine Bedeutung zuzusprechen: die Interpretation einer Geografie der Vergangenheit (Werke über die Ruinen wie Begleiterscheinungen und Reformationen) die Interpretation des Ortes der Gegenwart (Werke über die mobile Geografie im Kontrast zu der unbeweglichen: Mobilien & Immobilien, Vacation Comfort), und die Rekostruktion eines Raumes der Zukunft (Schrott & Sonne, EinRaumHaus, Falsches Wasser oder Sonnen Wind).


III

Von einer symbolischen Perspektive aus betrachtet bedeutet die Ruine immer totes Leben, Ausschöpfung, Zerstörung. Eine Ruine ist das was aufgehört hat zu sein, was die Relation zur Gegenwart ignoriert, was seinen ursprünglichen Sinn oder sogar jegliche Bedeutung verloren hat. Dennoch erkennen wir in der Ruine die Spur von etwas Vergangenem, den Überrest, das Zeichen einer Epoche und es ist durchaus möglich, dass diese Eigenschaft uns erlaubt, durch eine richtige Begründung und eine aktuelle Verbindung, die Überreste wieder in Beziehung zur Gegenwart zu bringen.

Die Charakterisierung eines Überrestes als Ruine ist nicht von der historischen Zeit abhängig, die Ruinösität wird nicht durch den Lauf der Zeit verursacht, sondern durch einen kritischen Willen, der von der Aktualität, der Gegenwart, der heutigen Sprache abhängt. Die mehr als zwei Jahrtausende, die zwischen uns und dem Römischen Circus oder dem Tempel von Sunion liegen verhindern nicht, dass diese Gebäude sich in den aktuellen Kanon eingefunden haben. Auf der anderen Seite befinden sich in der Umgegend jeder westlichen Stadt Gebiete mit Ruinen, die oftmals keine zwanzig Jahre alt sind und sich schon in Geisterstädte verwandelt haben. Die Gültigkeit oder das Verfallsdatum der Ruine wird von der Funktion, die sie in der Gegenwart hat, bestimmt. Dieser Prozess der Resemantisierung der Ruine, die neue Möglichkeit der Sinngebung, ist der ambitionierteste Zug von Bosslets Interventionen auf den Ruinen während seiner Spaziergänge auf den Inseln.

Wie in jedem Gebiet, das der Unbeständigkeit des Glücks und der ausbeutenden Ökonomie unterworfen ist, breiten sich die Ruinen auf den Kanaren, bedingt durch die besondere Natur der ökonomischen und sozialen Entwicklungen auf den Inseln, aus. Die unbewohnten Gebäude, verlassen und sinnlos, sind zu ihrer eigenen Narbe in der Landschaft geworden. Das Inventar der Ruinen auf den Kanaren ist lang: Häuser, die mit der Einstellung der landwirtschaftlichen Arbeit verlassen wurden, vor Jahrzehnten vergessene Geräteschuppen, Mauerbegrenzungen von Fincas, alte gemauerte Reklamegestelle an den Autobahnen, die durch Änderungen in der Gesetzgebung nicht mehr genutzt werden dürfen, verlassene Gewächshäuser, alte Fabriken in denen landwirtschaftliche Produkte hergestellt wurden (Zuckerfabriken, Mühlen, Kalköfen, Ziegelöfen), Wassertunnel und trockene Brunnenschächte, Verpackungsmaschinen von Bananen oder Tomaten bis zu Sanatorien und Leprosorien, deren Existenz vom Bestehen der Krankheiten abhing. Außerdem existieren nun die schon lange von Dichtern erdachten Ruinen von Hotels, nur zur Hälfte gebauten touristischen Konstruktionen und enorme Leerstellen.

Seit mehr als dreißig Jahren arbeitet Eberhard Bosslet mit diesen Orten, die auf den Inseln nicht wie eine historische Gegebenheit, sondern wie ein geografischer Unfall wahrgenommen werden. In Interventionen wie Bauzeichnung El Guincho (1983), Big Corner (La Restinga, 1983) oder Strassenbekanntschaften (Autopista del Sur, Tenerife, 1984) ist das Verfahren, nicht jedoch das Ergebnis, das gleiche. Er markiert die Außenkanten der Ruinen, mit denen sie sich zu der Umgebung in Relation setzen oder sich integrieren, mit Farbe. Das verlassene Objekt wird so durch einen Kreationsprozess isoliert und von dem Gebiet, das es einzunehmen droht, unabhängig gemacht. Bosslet braucht diese Trennung um zu begreifen, um diese Objekte in die historische Zeit zu integrieren und gleichzeitig einen enigmatischen und validen ästhetischen Diskurs zu konstruieren, der die Gebäude und die Objekte in eine geheimnisvolle Erscheinung verwandelt. Es handelt sich daher um eine Arbeit mit einer großen Waghalsigkeit, die anstrebt mit der Wahrnehmung der Insellandschaft zu brechen und die vorherigen adamitischen Handlungen zu deplatzieren. Die Linien, die die Formen der Objekte umgrenzen, generieren für diese Objekte eine neue Art auf sich aufmerksam zu machen. Bosslet gibt der Ruine eine neue Bedeutung, er trennt sie von der Geografie und er räumt ihr durch seine Aktion einen Platz im historischen Prozess ein. Auch wenn die Wahrnehmung der Arbeit durch den zufälligen Betrachter unmotiviert und unbeabsichtigt ist, macht das Objekt nach der realisierten Intervention ganz von alleine auf sich aufmerksam. Es wird ein Element der Landschaft und zugleich zum Element seiner selbst. Es wird zum Kunstwerk und wirft die Frage nach der Möglichkeit der Narbe als locus amoenus auf. Diese Reflexion situiert Bosslets Interventionen auf dem Gebiet des Ursprungs des kreativen Schaffens, da es sich wie in der Höhlenmalerei um eine Interpretation der Wirklichkeit und nicht um eine Kreation von virtuellen Realitäten handelt. Es ist eine Arbeit, die den Linien des Präexistenten folgt, aber die dem Realen eine neue Bedeutung verleiht. Bosslet säht Allusionen, er kreiert ein neues Gebiet auf der Insel, und nimmt von ihr zugleich die nötigen Elemente um seine eigene Sprache zu konstruieren.

Dieses letzte Charakteristikum sieht man deutlich in der Serie der Arbeiten (Trauma, La rebusca, Auslese, etc.) in denen Bosslet auf den Werbeflächen, die nach dem Verbot dieser Art von Werbung nicht mehr benutzt wurden, interveniert. In diesen Interventionen ordnet Bosslet die Trümmer, die von den alten Reklametafeln übrig geblieben sind neu und wendet ihre farbige Seite nach oben. Auf diese Art generiert er einen ironischen opus tesellatum in dem der Prozess der Konstruktion und Rekonstruktion in eine Endlosschleife einzutreten scheint, in deren Inneren sich Signifikant und Signifikat konstant überlagern. Dieser Wille das Chaos zu ordnen, gehört zu dem Prozess des Widerstandes gegen die Tendenz die Insellandschaft dem historischen Prozess zu entziehen und all das als geografische Unfälle zu deklarieren, was nicht Teil des Systems ist und dazu bestimmt ist, Teil einer neuen Kategorie des Malpaís zu werden: Exkreszenzen der gestaltgebenden Prozesse, die das Gebiet hervorbringen. Dennoch darf man deshalb nicht annehmen, dass es in diesen Arbeiten von Bosslet eine soziale oder ökologische Anklage gibt, sondern etwas wie Bewunderung für diese inexistenten Orte, die leicht isoliert sind und neue symbolische Kategorien enthüllen. In gewisser Hinsicht scheint es, als handele es sich um luzide und spielerische Versuche die Objekte zu resemantisieren, etwas das weder die enorme Waghalsigkeit des Werkes noch die Tatsache, dass das Spiel mit den Problemen der Sprache zu spielen das große Spiel ist, verstecken kann.

An dieser Stelle müssen die Begleiterscheinungen erwähnt werden, in denen Bosslet die Fassaden von leerstehenden Häusern reinterpretiert indem er virtuelle architektonische Elemente integriert (Türen und Fenster aus schwarzer Farbe, die neue Perspektiven mit den bereits vorhandenen generieren). Dies ist einer der Höhepunkte von Bosslets Arbeit auf den Kanaren, da diese Art der Intervention mit der großen malerischen Tradition der Insel in einen Dialog tritt und durch die Art, den architektonischen Raum mit malerischen Mitteln neu zu definieren, dem durch die Arbeiten von José Jorge Oramas, Luis Palmero oder Ángel Padrón entstandenen Diskurs etwas Neues hinzufügt. Es ist bekannt, dass die Tradition dieser Malerei die architektonischen Zeichen als definierende Elemente nutzt, um die Farben und sogar das Licht der Inselgruppe zu gestalten und neu zu interpretieren. Ausgehend von den Bildern der Klippen von Las Palmas de Gran Canaria von José Jorge Oramas hat man ein visuelles Konzept der Malerei der Insel konstruiert, das so klar definierte Stilrichtungen wie den Minimalismus (im Fall von Palmero) oder die meditative oder symbolische Malerei (im Fall von Ángel Padrón) berührt. Diese Serie von Eberhard Bosslet erweitert und verstärkt diese Strömungen, weil die Objekte diese Malerei nähren und durch die Intervention selbst zur Malerei werden. Die Malerei interpretiert die Landschaft neu, um sie in einer Zeit zu verorten, um über die bloße geografische Interpretation hinauszugehen.

In all diesen Arbeiten setzt Bosslet sich mit dem Konzept der Ruine auseinander und versucht ihre historische Rettung, er versucht ihre Vergangenheit zu aktivieren. Er holt die Ruine in die Gegenwart, verleiht ihr eine neue Bedeutung und reduziert damit die Anzahl der Narben auf der Oberfläche des Gebietes. Eberhard Bosslet postuliert mit diesen Interventionen eine Art der geheilten Landschaft oder der erlösten Landschaft. Er holt aus der fernen Zeit der Ruine ein neues Zeichen, ein neues Wort, ein neues Symbol und einen neuen Prozess hervor. Alles dient dazu, eine neue Art der Beschreibung des Gebietes zu finden. So wird das Ausgraben des Schatzes eingeleitet, der nichts weiter ist als eine neue Bedeutung.

IV
Dem kubanischen Schriftsteller, Maler und Essayisten Severo Sarduy verdanken wir eine der erhellendsten Reflexionen über die revolutionäre, subversive Matrix des gesamten barocken Diskurses. Angenommen dass die barocke Weltanschauung eine reale Bedrohung für das vollendete Seiende von Parmenides, das von dem größten Teil der westlichen Tradition akzeptiert wird, bedeutet, verwandelt sich die barocke Weltanschauung für Sarduy in ein geeignetes Werkzeug für die komplette Revision der Archetypen, die das abendländische Wissen aufrechterhalten. Die Transformation des humanistischen Kreises in die barocke Ellipse bringt für den Autor von De donde son los cantantes die Revision von allen Kategorien des Wissens und die Übernahme eines physischen Universums mit Korrelat im symbolischen Universum, das sich nicht unbedingt im Gleichgewicht befindet, mit sich. Die Entstehung des doppelten Zentrums der Ellipse durchdringt, nach Sarduy, das gesamte menschliche Wissen, von der keplerschen Astronomie bis zur Symbolik von Góngora, der aus dem literarischen Korrelat der geometrischen Figur der Ellipse eine Waffe zur Potenzierung des Blickes macht: “Der barocke Diskurs, der die didaktischen Voraussetzungen des Aristotelismus respektiert, reproduziert durch das Auslösen des momentanen Glühens des Objektes, durch sein Funkensprühen vor den Augen, durch sein plötzliches Entfernen aus der Opazität, durch sein Herausreißen aus seiner komplementären, dunklen Nacht, eine Praxis der Schärfung des Blickes.” Diese absolute Neuschöpfung der Realität von der Sprache ausgehend, bis zu dem Punkt ihre repräsentative Funktion zu verneinen, birgt ein enormes subversives Potential. Die Sprache ist fähig, die Wirklichkeit zu repräsentieren, insofern sie fähig ist, jede beliebige Wirklichkeit zu repräsentieren und auch das zu repräsentieren, was nicht real ist. Im Barock wird zum ersten Mal in der abendländischen Tradition die Behauptung aufgestellt, dass alles alles sein kann, dass alles in allem sein kann, dass alles von allem repräsentiert werden kann (denken wir z. B. an die Rekonstruktionen von Arcimboldo oder an die maßlosen Beschreibungen von Quevedo). Diese Freiheit, die nicht mehr die eindeutigen Konzepte der Renaissance oder des Klassizismus benötigt, ist es, die der Avantgarde das Wiederlesen der Werke des Barock ermöglicht, die sogar die Behauptung aufstellt, dass nicht nur alles Gedachte real ist, sondern auch, dass die kreative Imagination, die Realität beeinflussen, transformieren und sie sogar durchsetzen kann. Die Behauptung von Sarduy ist kategorisch: „Der Barock metaphorisiert in seiner pendelnden Bewegung, in seinem Niedergang, in seiner beizeiten schrillen malerischen Sprache, bunt und chaotisch, die Anfechtung des Logozentrismus, der bis dahin aus der Ferne und der Autorität heraus alles strukturierte. Der Barock lehnt jede Auferlegung ab und metaphorisiert die umstrittene Ordnung, den gerichteten Gott und das übertretene Gesetz.“

Auf diesem Konzept des Barock als Subversion basiert Góngoras, insbesondere des Góngoras der langen Gedichte, von Polifemo und Soledades, Bildungswerkzeug des Blickes. Seitdem ich die Serie Mobilien und Immobilien von Eberhard Bosslet zum ersten Mal gesehen habe, bringe ich sein Werk mit dem visuellen System der Metamorphose in Verbindung, das wie eine echte Maschine funktioniert und die Soledades von Góngora strukturiert. Bekannterweise schildert das Gedicht die Ankunft eines Schiffbrüchigen auf einer Insel. Als erstes bietet die Insel Rettung und in den darauffolgenden Szenen treten die Bewunderung und die Dankbarkeit für die Schönheit des Ortes hinzu. Der Verirrte trifft im weiteren Verlauf auf die Inselbewohner, die dabei sind ein Festessen und eine Hochzeit zu feiern. An der Handlung interessiert uns insbesondere der Beginn: der Blick des Schiffbrüchigen auf die Insel ist eine Erklärung des Prinzips der barocken Transformation von der Sarduy sprach: Alles Gesehene, das einmal durch das Sieb der Sprache gegangen ist, ist das was war und vieles mehr: Eingeleitet durch die Bildhaftigkeit und die etwaige Übereinstimmung der Bilder transformiert der Geist des Lesers die Realität, bis zu dem Punkt, dass aus ihr eine andere gemacht wird.

Auf genau diese Art verwandelt sich Bosslet in der Serie Mobilien & Immobilien (1982) in eine Art Schiffbrüchigen, in den Beobachter, der auf der Insel mit Argusaugen in den Formen, in denen die Bewohner die Fassaden ihrer Häuser bemalen, eine mentale Formel für die Farbbeziehungen entdeckt. Der Prozess beginnt damit, dass von diesen Fassaden Fotos gemacht werden, mit dem Instrument-Werkzeug, das ihm zu sehen erlaubt, das nichts anderes ist als das Fahrzeug, das der Schiffbrüchige auf seinen kynegetisch-visuellen Touren auf der Insel verwendet. So erkennt er in einem ersten Schritt den chromatischen Wert der Fassaden, die Fähigkeit der Insulaner einen „Farbenprozess“ zu konstruieren, um aus ihren Gebäuden, ihren eigenen Häusern ein malerisches Territorium zu machen. Die Einbindung der Vespa auf den Fotos ist eine Art der Verbindung mit der Gegenwart durch ein Objekt. Dieser Punkt ist fundamental um zu verstehen wie aus dieser Arbeit eine Weltanschauung entsteht. In einem zweiten Schritt verinnerlicht der Schiffbrüchige vor einigen Fassaden einen neuen Sinn für die Farbe: er passt seinen Blick der Art des Sehens auf der Insel an. Dieses Vorgehen ist keine Tarnung, sondern repräsentiert die Übernahme einer Sprache. Der Motorroller, der denjenigen repräsentiert der in Bewegung ist, den Schiffbrüchigen, den transformierenden Transformierten, beginnt die Farben der Fassaden anzunehmen. Wie ein Chamäleon nimmt es die Chromatik der Gegenwart an. Drittens ist es der Schiffbrüchige selbst, der die Realität um ihn herum transformiert: seine Anwesenheit dringt in die Realität ein. Die Metapher erhebt sich und hält die Landschaft in einem der möglichen Bilder der Gegenwart fest.

Es ist wahrscheinlich diese Serie Bosslets, die das Phänomen der Transformation des Blickes in Verbindung mit der Insellandschaft von allen seinen Arbeiten am besten repräsentiert. Während in seinen Arbeiten über die Ruinen einen Wunsch nach der Rettung des Gebietes vorhanden ist, gibt es in diesen Arbeiten über die Gegenwart etwas wie eine Rettung durch den Blick, durch die Transformation der Realität, ausgehend von der Lösung und der Umwandlung eines Problems der Sprache. Es wird nicht der Ort in Zeit transformiert, sondern die Zeit in Sprache.


V

Die dritte Achse von Bosslets Arbeiten, die hier analysiert wird, beschäftigt sich mit der Zukunft des Gebietes. Der größte Unterschied zu den früheren Arbeiten, die sich mit der Vergangenheit (den Ruinen) und der Gegenwart (dem Blick) auseinandersetzten, ist das künstlerische Ausgangsmedium ein anderes. Während die Intervention dazu gedient hatte, die Wege der Ruinen und des Blickes abzuschreiten, ist das verwendete Werkzeug in der Untersuchung, die die Zukunft betreffen, die Fotografie. Die Serien Vacation Comfort (1984), Schrott & Sonne (seit 1982), Falsches Wasser (seit 2003) oder EinRaumHaus (seit 2006) blicken in die Zukunft, ungewollte „works in progress“: Zeichen innerhalb der Zeit, die ihre eigene Transformation erwarten. Hier ist die kreative Sprache viel subtiler, eine pure Deixis. Es ist dieser Vorgang des Zeigens, der es möglich macht, das Bild der Objekte in die Zukunft zu überführen wie Bausteine in einer gemeinsamen Geschichte und nicht wie pure geografische Zeichen.

In Vacation Comfort, treffen wir auf eine anonyme Tour, ohne Blick, in der die Widersprüche der touristischen Entwicklung auf der Insel gezeigt werden. Diese Serie ist sehr nahe an einigen aktuellen Arbeiten von Fotografen wie Augusto Alves da Silva oder Miguel Rio Branco (die auch mit den Inseln gearbeitet haben) und nimmt die Rolle eines Vorreiters an. Hier besteht die Intention, die Sprache auf den kleinen Bereich, der zwischen dem Außergewöhnlichen und dem Gemeinplatz liegt, zurückzuführen. Das bedeutet, dass eine Reflexion über die Erfahrung der kommerziellen Sprache und die Erfahrung der künstlerischen Sprache gesucht wird. Deshalb ist diese Serie nicht auf der Suche nach Schönheit und sie tendiert ironischerweise zur Dokumentation: Baukonstruktionen, Körper in der Sonne, ordinäres Ambiente, Dreck, Überladung.

Schrott & Sonne ist weitaus mehr als ein Gegenstück zu den Interventionen Conocidos de la carretera. Hier ist die Suche nach der Loslösung des Werkes vom Gebiet und die Verneinung der Geografie nicht vorhanden, sondern es handelt sich im Gegensatz dazu, weit entfernt von einer umweltbewussten Annäherung, um eine pure und wahrhaftige bildhauerische Entdeckung. Hier gibt es keine interpretierte Ruine, sondern die Annahme der verbindenden Kapazität der Zeit, die fähig ist ihre Spuren als zufällig kreative Sprache zu rekonstruieren. Am Straßenrand vorgefundene Fahrzeuge, auf unbebauten Flächen, ungenutzten Landstreifen, verlassen und jeder Funktionalität beraubt, sind der Kraft der Sonne ausgesetzt und transformieren ihre Realität in enigmatische Zeichen einer wahren Zeit, die weder den Menschen noch der Geschichte entkommt und die Zukunft humanisiert.

Etwas ähnliches passiert in Falsches Wasser. In dieser Serie wirkt die Abwesenheit des Sinns als ein verstärkendes Element der Eigenschaft der Objekte, sich in eine Sprache und ästhetischen Code zu verwandeln. Die weit entfernt von ihrem Ort verlassenen oder im Landesinneren verankerten Boote werden vielleicht zu Symbolen der Verwurzelung. Das ist es auch, was von Odysseus verlangt wird, um die Götter zu beschwichtigen. Die definitive Eroberung geschieht, wenn die Ruder vergraben werden. Es ist der letzte Obolus, der vom Schiffbrüchigen verlangt wird, um sich wieder in sein Gebiet einzugliedern.

Und zu guter Letzt gibt es das EinRaumHaus, die Hütte des Eremiten, inmitten der Einöde. Der Ort des Robinson. Die bewohnte Ruine, die aufhört Ruine zu sein und sich in Gegenwart verwandelt. Sich ständig in Bewegung befindliche Skulptur: die Schatten auf der Fassade, die Bewegung der Sonne, die langsam verfallende Mauer. Hier erreicht das Gleichgewicht zwischen der Bewegung der Zeit und der architektonischen Statik eine Art des absoluten Nullpunktes.Ort des Rückzugs und der Askese. Das Zentrum von dem aus sich eine neue Sprache verbreitet. Bosslet betrachtet das Volumen des Hauses und sammelt den Schatz ein. Er hat einen Ort außerhalb der Zeit gefunden.

Alejandro Krawietz Rodriguez 2013