Die Rheinpfalz, 5.7.1994, von HELMUT HAUSCHILD

Druck braucht Gegendruck

Eberhard Bosslet stellt in Speyers Behörden die „Öffentliche Ordnung“ in Frage

Die Präsentation ist außergewöhnlich. In 13 Behörden der Stadt Speyer stellt der örtliche Kunstverein den Purrmannpreisträger l993, Eberhard Bosslet, vor. „Öffentliche Ordnung“ ist der Titel dieser Ausstellung, die weit über den offenkundigen räumlichen Bezug zu den Behörden hinaus die Frage nach den Wirkungen einer „öffentlichen Ordnung“ stellt.
Das Thema Ordnung wird vielfältig zitiert. Da ist die ästhetische Wirkung von Bosslets symmetrischen Skulpturen, die unter diesen Begriff fällt. Die Materialien der Objekte - Gummi, Büromöbel und industrielle Fertigteile - spiegeln in ihrem funktionalen Äußeren die zweckmäßige und häufig unpersönliche Inneneinrichtung der Behörden wider und weisen so ebenfalls auf die „öffentliche Ordnung“ hin. Schließlich stellen die Skulpturen inhaltliche Bezüge zu den Aufgaben der Behörden her, sie spielen an auf deren Macht, einer Öffentlichkeit ihren Begriff von „Ordnung“ aufzuzwingen.
Es gibt nur eine Möglichkeit!
Im Glasbau hinter dem Rathaus klemmen mit Druckluft gefüllte Gummikissen eine Teppichrolle ein. Den nötigen Gegendruck erhalten sie von zwei Metallpaletten, die die Arbeit umspannen und deren Ecken durch Stahlketten parallel miteinander verbunden sind. Der Titel dieses Kraftpaketes, „Friedland I“, stellt Bezüge zum Auffanglager für 2,2 Millionen Kriegsgefangene, Ostvertriebene und Aussiedler nach dem II. Weltkrieg her. Seine Quaderform wird durch das Ende der Teppichrolle aufgebrochen, das zungenartig unter einer der Stahlketten hindurchschlüpft und die Druckluftflaschen auf sich trägt. Eingekeilt von zwei Seiten gibt es für die aufgerollte Teppichbahn nur eine Möglichkeit, der „bedrückenden“ Situation zu entkommen: den Seitenausgang. „Unterstützende Maßnahmen“
Für Bosslet ist die „Intervention“ in das soziale Leben einer Stadt und ihrer Bürger ein wesentlicher Bestandteil seiner Arbeit. Bereits auf der documenta 8 bewiesen seine „unterstützenden Maßnahmen“, wie sehr seine Kunst bestimmter Voraussetzungen und Gegebenheiten bedarf, um überhaupt zu sein.
Es war Bosslets Wunsch, auf eine Ausstellung im „Blauen Haus“ mit seinem musealen Charakter zu verzichten. Die Skulpturen sollten Teil der Alltagswirklichkeit und Realitätserfahrung der Bürger sein.
Nun stehen die rätselhaften, anspielungsreichen Objekte also in den Eingangshallen und Innenhöfen der Speyerer Behörden, deren hohe Bereitschaft zur Mitarbeit von den Ausstellungsmachern lobend erwähnt wird: Verglichen mit dem Hickhack um Christos Berliner Reichstagsverhüllung erlebe Speyer ein wegweisendes, wenn nicht gar einmaliges Zusammenwirken von Künstler und Behörden. Und tatsächlich, die Zusammenarbeit hat sich nicht auf das Bereitstellen der Räume beschränkt. Auch der Katalog ist ein Gemeinschaftswerk, neben den Beschreibungen der Skulpturen enthält er eine eingehende Selbstdarstellung jeder Behörde.
Die Zusammenarbeit war indes nicht immer so einfach. Es gab Bedenken, die Arbeiten könnten gefährlich sein, vielleicht sogar explodieren. Doch es entsprach alles der Ordnung, Armaturen und Ventile der Kraftpakete waren TÜV-geprüft.
Tatsächlich weckt der Anblick der nur durch den Druck aus der Sauerstoffflasche zusammengehaltenen Skulpturen beim Betrachter unwillkürlich den Gedanken an ihr Zerbersten. Arbeiten wie „Mutual II“ - ausgestellt im Ordnungsamt - strahlen somit eine kaum gebändigte Dynamik aus. Es scheint lediglich eine Frage der Zeit, bis die Balance von Druck und Gegendruck kippt. Die organischen, Druckluft atmenden Gummikissen in Bosslets Skulpturen sind der ständigen Bedrohung eines die Ordnung aufrecht erhaltenden Gegendrucks ausgesetzt. Und wenn ihnen nun einfach die Luft ausginge?
Letzteres wäre für den Betrachter körperlich gesehen zwar weniger gefährlich, der deutliche Hinweis auf den Zerfall der Ordnung und den Tod wäre jedoch ebenfalls äußerst unangenehm. Mit den bestehenden Verhältnissen läßt es sich also doch am besten leben, die Vorteilhaftigkeit der bestehenden Ordnung wird akzeptiert.
Allerdings nicht ohne ihr eins auszuwischen. „Zeugung I“ findet in einem kleinen, dunklen, früher von „Pennern“ bewohnten und deshalb heute verriegelten Räumchen gegenüber der Polizei statt, als moralverletzender Akt gegenüber dem Sinnbild öffentlicher Ordnung.
Bis 30. September zu den üblichen Behörden-Öffnungszeiten.