Die Rheinpfalz, 17.6.1996, Leserbrief von EBERHARD SPITZER

„Differenzierte Betrachtung“
Zum Gärturm vor dem Museum, anläßlich- der Ausstellung „ Mysterium Wein“ errichtet und Gegenstand einer Glosse in der „Wochen-Chronik“ vom Samstag, 15.Juni.1996

Man stelle sich vor, statt des Gärturms wäre vor dem Museum ein überdimensionaler Bacchus mit einigen Bacchantinnen. Dem Mysterium Wein zu stark verbunden, mit Weinlaub umkränzt schwerer Zunge, glasigen Augen, und würden diese pfälzischen Bacchanten noch dazu das Lied singen „Ja so ein guter Palzwoi, der laft äm in de Hals noi“, würde dieses ganze Mysterium Wein in der Ausnüchterungszelle der Polizei enden. Nicht jeder Pfälzer liegt besoffen zwischen den Rebzeilen, um irgend wann die anonymen Alkoholiker aufzusuchen. Gerade dieser zum Alkoholismus verleitenden Weinromantik wollte diese Weinshow mit einer nüchternen Betrachtungsweise entgegentreten. Die Konzeption der Ausstellung beginnt von der Gegenwart bis zu den Anfängen des Weinanbaus. Der Gärturm ist eine Darstellung moderner, industrieller, rationaler Weinverarbeitung. Verdeutlicht mit Rohren, Metallfässern, Meßgeräten und Schläuchen. Der „Weinfall“ (wie Wasserfall) im Museum, dargestellt über eine riesige Vielzahl von Monitoren, vermittelt zeitgemäße Vermarktungsmechanismen des Weines. Der darunter liegende offene Weinsee hat seinen besonderen Reiz. Mit seinen permanent aufsteigenden Weingärungsdämpfen spricht er den Geruchssinn an. Der ganze Raum ist mit Weingeruch durchtränkt. Mit geschlossenen Augen durchflutet einen das Mysterium Wein, ohne dabei betrunken zu werden. Ein herrliches Erlebnis. Die Ausstellung führt dann über Picasso und Kirchner zu römischen griechischen, bis hin zu persischen Darstellungen weinverbundener Motive. Die Konzeption dieses Weinmysteriums durch Herrn Grewenig vermittelt mir nicht, in eine versoffene Weinromantik einzutauchen, sondern durch maßvollen Genuß die Veränderung der Sinne anzusprechen.

Eberhard Spitzer