Kunstforum International, Bd.99, März/April 1989 von Renate Puvogel

Spazi´88, Centro per l´Arte contemporanea Luigi Pecci, Prato

Die Eröffnung des neuen Museums in Prato mit der umfangreichen Ausstellung
"Europa oggi" liegt erst ein gutes halbes Jahr zurück, da wartet der Direktor Amnon Barzel bereits mit einem Unternehmen auf, das dem anspruchsvollen Thema Spazio - Raum gewidmet ist. Der Raum ist einer der vielschichtigsten Begriffe, die Rauminstallation eine der zentralen Ausdrucksformen für die Künstler, um sich mit zwei oder meistens dreidimensionalen Äußerungen den politischen, sozialen oder rein kunstimmanenten Problemen von Raum zu nähern. Der Raum zählt zu den Grundbedingungen des Lebens; die Vorstellung von Raum hat im Zusammenhang mit Zeit durch die Relativitätstheorie eine völlig neue 'Dimension' gewonnen. Realer und fiktiver Raum, endlicher und unendlicher Raum, Individualität und Öffentlichkeit, Fragment und Ganzheit, historischer Zeit-Raum und soziales Umfeld, Erlebnis- und Erkenntnisraum - das sind einige der komplexen theoretischen Fragestellungen, die sich im Kontext mit dem Raumbegriff stellen. So muß man schon mit der ersten Garde von Künstlern aufwarten, wenn man diesen grundlegenden Problemen gerecht werden und adäquat Ausdruck verleihen will. Denn um auf der Höhe der Zeit zu sein, heißt nicht nur, sich mit den philosophischen und wissenschaftlichen Erkenntnissen auseinanderzusetzen, sondern auch, innerhalb der Kunst neue Formulierungen zu finden oder gar Maßstäbe zu setzen.
Wenn es auch in der Kunst "Raum" in irgendeiner und sei es der verneinenden Form immer gegeben hat, so hat er doch erst in unserem Jahrhundert mit EI Lissitzkys Proun-Raum und Schwitters Merzbau die Kontur und Zielrichtung gewonnen, welche noch heute als relevant gelten kann. Ob man nun von Künstler-Räumen, von Environments oder Installationen spricht - stets handelt es sich um tatsächlich raumgreifende Arbeiten, mit Hilfe derer die oben angerissenen Themen angegangen werden.
Es fallen einem denn auch sogleich einige namhafte Künstler ein, deren Arbeiten nur im Raum gedacht werden können. Ohne Joseph Beuys ist auch heute das Thema noch nicht abzuhandeln (eine Beuys-Arbeit hier wäre wichtiger gewesen als seine Badewanne bei der Eröffnungsausstellung). Aber auch Donald Judd, Bruce Nauman, Imi Knoebel, Gerhard Merz, Günther Förg, Ludger Gerdes, Niek Kemps oder, Mario Merz, Rebecca Horn, Guillaume Bijl und James Lee Byars haben hier Wesentliches beigetragen.
Die Vorbereitungszeit war viel zu kurz, um diese renommierten Künstler für das Vorhaben gewinnen zu können. Obendrein vereiteln Händler zunehmend derartige notwendige Unternehmungen. So wurden statt dessen die zehn gleich großen Räume - demokratisch - auf die Projekte von zehn Künstlern aufgeteilt, in denen "Spazio" zwar facettenreich beleuchtet wird, deren plastische Kraft aber vielfach nicht ausreicht, um den eigens aufgeworfenen Fragen gültige Gestalt zu geben.
Vertreten sind die Künstler Barbara Bloom und Kristin JoneslAndrew Ginzel (USA), Philippe Cazal (Frankreich), Nahum Tevet (Israel), Klaus vom Bruch und Eberhard Bosslet (BRD), Erwin Wurm (Österreich) und Giorgio Cattani, Carlo Guaita und
Luigi Stoisa (Italien).
Es wäre legitim, den Anteil italienischer Künstler im Heimatland überdimensional zu halten, wenn sie nur gut wären. Aber was ZB Luigi Stoisa (geb. 1958 in Turin) da mit großem Materialaufwand an Aluminium, Spiegel und Teer spitzig und unförmig installiert hat, belegt nicht nur laut Pressetext "The impossible dialogue between the artist and society", sondern es ermuntert nicht einmal den Betrachter zum Dialog mit dem Werk. Von Stoisa wie auch von Giorgio Cattani (geh. 1949 in Ferrara) bietet der Katalog Prägnanteres als die Ausstellung. Cattanis Thema der Unvereinbarkeit von Ursprünglichem, Natürlichem (Holz) und Technischem (Video), von Geschichte und Gegenwart ist nicht leicht zu entziffern.
Dagegen findet Klaus vom Bruch (geh. 1952 in Köln) mit seinem "Radarraum" zu einem völlig neuen Ansatz, nicht nur innerhalb der Videokunst sondern im Gebrauch dieses Mediums als Metapher für eine zwar

gestörte aber gleichzeitig einzig zukunftsweisende Möglichkeit von Datenübermittlung und Verständigung. Von mangelnder Kommunikation und der Ohnmacht, Fragmentarisches zu einem wenigstens imaginierten Ganzen bündeln zu können, ist vielfach die Rede.
Diese Einsicht verleitet manchen, die Leere durch Geschwätzigkeit zu übertönen. In dem bombastischen, ausufernden Theater von Kristin Jones und Andrew Ginzel (geh. 1956 in Washington bzw. 1954 in Chicago) entgleitet naiver Glaube in ein kitschiges, weil formschwaches Spektakel einer mißverstandenen Postmoderne. Bei Nahum Tevet (geh. 1946 im Kibbutz Messilot) hat das Sich-Verströmen hingegen Methode. Mit seiner zentrifugalen und -petalen Ansammlung von Tischchen und Kistchen, Realem und Konstruiertem appelliert Tevet ebenso an die individuelle Erinnerung wie an ein kollektives Gedächtnis und er bringt beides mit Hilfe konstruktiver Form- und Farbkombinationen zur Deckung.
Nicht auf schiefer Ebene postiert, abstrakter und strukturell strenger setzt Carlo Guaita (geh. 1954 in Palermo) vergleichbare Stab- und Plattenelemente zu einem sich verzahnenden, überlappenden Gerüst. Der Künstler strebt an, mit der dreidimensionalen Plastik, die zum Skelett reduziert ist, und mit einer zweidimensionalen Stahlhaut, die kaum Bild genannt werden kann, beides offenzuhalten für zwangfreien, reflektiven Gebrauch von Metaphern, vergleichbar etwa dem Urmuster von Sprache. Aber eine gelbe Glühbirne a la Beuys reicht freilich nicht aus, den Raum mit Geist zu beleben.
Philippe Cazal (geh. 1948 in La Redorte/Aude) exemplifiziert dieses Funktionieren von Wahrnehmung, Vermittlung und Erkenntnis nicht auf vorsprachlicher Ebene sondern an vielfältigen anschaulichen Mustern. Er läßt reklamebunte und -große Buchstaben, Zahlen, Worte, Signets und Bildmotive, auf Wand und Raum verteilt, in einen Dialog eintreten, bei dem sich Abstrakta und Realien wechselseitig beleben und mit Bedeutung aufladen, und in den man dergestalt mit einbezogen ist, daß man diesem künstlich herbeigeführten Verständigungssystem - wie normal üblich - auf den Leim geht. Der Witz des Künstlers entschädigt für eine gewisse französische Glätte. Im Zusammenhang mit dem Thema imponiert, wie der Künstler den Raum in ein Netz hin und herlaufender Signale einfängt.
Barbara Bloom (geh. 1951 in Los Angeles) simuliert mit dem gegebenen Raum einen künstlichen Schauraum, sozusagen als Ausstellung einer Ausstellung, in welchem sie exemplarische Stil-Sessel und Stühle museal postiert. Ein Foto mit vergleichbaren Möbeln innerhalb eines Interieurs bettet das reale Ausstattungsstück in die Geschichte, während die persönlichen Requisiten auf den Sitzflächen mit dem Hinweis auf eine der "Sieben Todsünden", etwa ein aufgeschlagenes Buch oder ein Schmuckstück, den Betrachter in die Handlung einbeziehen, zum mitschuldigen Komplizen einer halb privaten, halb überpersönlichen Geschichte machen. Sparsamkeit, Präzision, stimmunghafte Beleuchtung und etwas Unwägbares trotz klarer Zuordnung von Gegenstand und dessen Abbild macht diese Installation beredt und nicht etwa redselig. Hier wird Raum in seiner realen Ausdehnung Resonanzboden von sichtbaren und fühlbaren heiteren und bitteren Klängen.
Bei Erwin Wurm (geh. 1954 in Bruck/Mur) bleibendie Metall-Skulpturen autonome Objekte im Raum, sinnreich, aber ohne, daß sie dem Raum oder der Raum ihnen über ihren formalen und inhaltlichen Passus hinaus eine weitere Dimension geben würden. Wurm interessieren häusliche, urbane, ausrangierte Gebrauchsgegenstände, deren Benutzungsspuren Erinnerungen, auch seine eigenen, evozieren. Und ihn faszinieren plastische Hohlkörper, bei deren Anblick die Neugier nach oder die Vorstellung von den Füllungen wachwerden. Aber selbst wenn es den Künstler reizt, den Betrachter zwischen den Skulpturen umhergehen zu sehen, kommt noch nicht der Raum essentiell ins Spiel Freiplastik gibt es wahrlich schon eine Weile, und Assoziationen an Haus, Küche und Garten können bereits ein niederländisches Interieur oder Stilleben erwecken.
Eberhard Bosslet (geb. 1953 in Speyer) benutzt Raum als architektonische Größe und rückt dieser mit physikalischen Kräften auf den Leib. Seine Spann- und Stützarbeiten zwischen Boden und Decke oder zwischen zwei Wänden mobilisieren ein Potential von Dehn- und Zugkräften in einer physisch-psychischen Wirkung, wie sie Richard Serra mit ganz anderen Mitteln auslöst. Wenn Peter Day den Vergleich mit antiken Atlanten oder Caryatiden zieht, so wird in der Tat deren Funktion simuliert, aber gerade durch das Vortäuschen von "unterstützenden Maßnahmen" werden die Installationen in eine Freiheit entlassen, in welcher sie zwischen konstruktiv Aufbauendem und lediglich Bewahrendem zu operieren haben. Bosslet hat inzwischen ein untrügliches Gespür entwickelt für formalästhetische Verhältnisse von Farbzuordnungen und rhythmischen Gliederungen zwischen flächigen und vielgliedrigen, kantigen und abgerundeten Elementen. Selbst in dieser um eine Raumecke am Boden durchgez0genen Arbeit wird der Raum, ja sogar das Verhältnis von Innen- und Außenraum durch das Austarieren von spürbaren Zug- und Druckkräften ins Spiel gebracht; dabei stellt sich die Arbeit als skulpturale Größe dar. Bosslet leistet ähnlich wie Klaus vom Bruch einen Beitrag, der allein schon auf Grund adäquaten Gebrauchs von zeitgemäßem Material authentisch ist.
Es wurde viel von Kommunikation gesprochen. Zur Überbrückung von raum-zeitlichen Entfernungen, von intellektuellen und gefühlsmäßigen Schranken sind sprachliche und bildliche Metaphern unersetzlich. Wie zu hören war, konnten die Künstler während der gemeinschaftlichen Vorbereitungen durch kollegiale und freundschaftliche Kooperation unter der herzlichen, umsichtigen und klugen Leitung von Amnon Barzel diesen Sinngehalt von Raum bereits erfüllen. Manche Antworten auf das spannende Thema stehen noch aus; die Katalogbeiträge können einen Ansatz dazu liefern.

Zur Ausstellung ist ein Katalog mit Textbeiträgen von Amnon Barzel, Susan Lubowsky, Dan Cameron, Loredana Parmesani und Cath4rine David sowie mit Abbildungen von Arbeiten aller beteiligten Künstler und deren Bio-und Bibliographien erschienen.