Rheinische Post, 13.11.1993, von KLAUS SEBASTIAN

Die Ausstellung von Eberhard Bosslet und Lawrence Gipe im Kunstverein

Dichtungs-Technik, Glanz und Gloria

Mit Eberhard Bosslet und Lawrence Gipe präsentiert der Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen zwei Künstler, die sich auf unterschiedliche Art und Weise mit den Segnungen der Technik auseinandersetzen. Der in Speyer geborene Bosslet kombiniert industriell hergestellte Fertigteile wie Hochdruck-Kissen, Autofelgen und Rollgitter zu ästhetisch frappierenden Skulpturen. Staunend verharrt der Besucher vor mehreren technischen Gebilden, deren sich windende Schläuche und Hartgummi-Körper .wie monströse Staubsaugerteile auf dem Boden lauern („Bypass II“, 1993). In zwei durch einen Schlauch verbundenen, mattschwarz lackierten Röhren verbergen sich Dichtkissen, die in der funktionalen Verwendung einen Fließvorgang unterbrechen sollen.
Unwillkürlich beginnt man, den industriellen Bastarden bestimmte Funktionen zu unterstellen, die sie offensichtlich nicht haben. Und selbst das Spekulieren über metaphysische Qualitäten kann man sich sparen – die offenen Röhren sind weder animistisch beseelt noch sollen sie die atmosphärischen Schwingungen im Obergeschoß der Kunsthalle aufsaugen und vermessen. Gemäß der Ansicht von Direktor Raimund Stecker sind Bosslets Situationen „rein der visuellen Wahrnehmnung überantwortet“.
Da kommt zwar Spannung auf, wenn man beobachtet, wie ein schweres Rollgitter von zwei mit Preßluft gefüllten Kissen zwischen zwei Wänden in der Schwebe gehalten wird. Ob man aber – wie Stecker – in den entfunktionalisierten Skulpturen automatisch etwas „Subversives“ entdecken kann, sei dahingestellt.
Auch die Gemälde des Kaliforniers Lawrence Gipe strotzen vor Ästhetik. Mit Bravour glorifiziert der 31jährige Industriestätten der 20er und 30er Jahre. In fotorealistischer Manier kopiert und variiert er Propaganda- und Werbebilder aus jener Zeit, da man die Technik noch mit begeisterter Naivität zu feiern verstand.
In einem beeindruckenden Triptychon (The Krupp Project 1992) wird die Industrie-Architektur gar in die Nähe des Sakralen gerückt: Hochofen-Dramatik, sich auftürmende Rauchwolken und eine Lichtregie, die diagonal einfallende Lichtbahnen wie helle, weihende Schleier über die Bedrohlichkeit der schwarzen Maschinen dirigiert. Die Bilder überzeugen auch in der Nahsicht; Gipe legt hauchdünne, milchige Lasuren über den farbigen Grund. Mit plakativen Untertiteln versucht er, das romantische Bild von der im Glorienschein aufleuchtenden Technik ironisch zu brechen. So liest man vor dem tosenden Fabrik-Szenario: „Hier wohnt Stille des Herzens.“
Diese Gemälde sind technisch so faszinierend gemacht wie die Motive, die sie abbilden und verklären. Und dennoch bleibt Gipe letztlich in einer Historienmalerei des 20. Jahrhunderts stecken. Die pseudo-aufklärerische Absicht seiner nostalgisch gefärbten Monumental-Tafeln ist vom sensibilisierten Zeitgenossen zu leicht durchschaubar.
Das bedrohliche, phallich aufragende „heilige Kanonenrohr“ (Panel No. 1) ruft eben noch ein Schmunzeln hervor. Auch die leuchtend-roten Störstreifen sind kaum in der Lage die Gewalt der Bilder nachdrücklich zu mindern. Ihr Erkenntniswert und die Übertragbarkeit auf Gefahren heutiger Technik sind gering. Was den Kunstfreund erwartet, ist eine wahrlich „schöne“ Bilderschau – gleichwohl etwas von gestern.

(Grabbeplatz 4. Zur Ausstellung ist ein Katalogbuch erschienen: 45-Mark. Bis 9. Januar.)

KLAUS SEBASTIAN