Interview JOCHEN KRONJÄGER mit EBERHARD BOSSLET in Dresden am 18. Und 19. Nov. 1997

Teil I,

Im Vorfeld der für die Mannheimer Kunsthalle geplanten Ausstellung „FUNDAMENTAL wie BILATERAL“ mit Arbeiten Eberhard Bosslets führte Jochen Kronjäger Mitte November 1997 in Dresden ein ausführliches Gespräch mit dem Künstler, das hier in Auszügen wiedergegeben wird.

K: Der Fragen Komplex, Herr Bosslet, bezieht sich auf biographische Daten, Ausstellungen, von Ihnen geprägte Begriffe, auf Ihre Techniken. Es ist eine Art Collage, die in der Grundtendenz chronologisch angelegt ist.

B: Das paßt sehr gut. Ich habe eine CD-Rom in Planung, die mit der nächsten Ausstellung, vielleicht ja mit der Kunsthalle, realisiert werden soll. Das wird kein Ausstellungskatalog über die Ausstellung selbst, sondern die CD-ROM hätte schon fast den Charakter eines Œuvreverzeichnis.

K: Eine CD-ROM ist die angemessenste Form überhaupt für ein Œuvreverzeichnis, da es fortgeschrieben werden kann. Doch nun zu den wichtigen Stationen Ihrer Biographie als Künstler. Sie waren 1987 Teilnehmer der documenta 8 bei Manfred Schneckenburger und da habe ich einfach mal die Frage: Wie ist er auf Sie aufmerksam geworden?

B:. Das war letztlich eine Eigeninitiative von meiner Seite. Und zwar hatte ich damals von ‘84 bis ‘86 in Duisburg das Lehmbruck-Stipendium, und Schneckenburger war für die Jury der nächsten nachfolgenden Stipendiaten vorgesehen. Da dachte ich, na ja, er wird wohl dann nach Duisburg kommen und eventuell bei dieser Gelegenheit meine Ausstellung im Lehmbruck-Museum sehen können. Ich rief ihn weit vor Ausstellungsaufbau an und fragte ihn, ob sich ein Treffen arrangieren ließe. Schneckenburger wollte vor seiner Jurytätigkeit etwas mehr über das Stipendium von mir erfahren und bat mich, doch nach Köln zu kommen. Mit etwas Fotomaterial bin ich dann zu ihm nach Köln gefahren. Er hat die Fotos durchgeblättert – und hat richtiggehend geschluckt bei diesen „Unterstützenden Maßnahmen“, ich konnte geradezu sehen, wie sein ganzer Erinnerungsspeicher abtickerte. Er bat mich dann, ihm einige Fotos zu überlassen – was ich dann eine Woche später per Post erledigte. Das war im Grunde der erste intensivere Kontakt.

K: Klasse. Also ich finde das nur legitim, daß man nachhilft.

B: Ist ja nicht nachgeholfen, es ist ja nur informiert. Es gibt ganz andere Beziehungsgefüge, die vielleicht unehrenhaft sind, wenn überhaupt. Aber das ist ja eine reine Information gewesen. Er war ja in keiner Weise durch den Vorgang kompromittiert.

K: Nein, und es war ja dann auch eine tolle Arbeit. Ich bin damals auf der d 8 zum ersten Mal auf Sie aufmerksam geworden. Durch diese „Unterstützung“.

B: Es haben doch eine Menge Leute mitgekriegt und es war ja auch eine Arbeit, die sehr bildhaft war, und über das Bildhafte auch einprägsam. Oft wußten Leute, wenn sie mich später kennengelernt haben, nicht mehr, welche Arbeit meine war, aber wenn ich dann kurz beschrieben habe, wo und was das war, dann war das sofort klar und wieder präsent.

K: Sie sind 1997 Professor an der HfBK in Dresden geworden unter ihrem Rektor Dr. Ulrich Schießl. Dazu habe ich eine Doppelfrage. Wie ist der auf Sie aufmerksam geworden? Beziehungsweise, wie ist das gelaufen, und als zweite, wie ist die Situation an dieser traditions eichen Akademie heute? Das interessiert mich jetzt eigentlich mehr so wegen des Strukturgefüges des Lehrkörpers.

B: Also der Rektor ist nicht aufmerksam geworden, und er ist auch meines Wissens damals nicht mit in der Berufungskommission gewesen. Diese Stellen werden ja immer öffentlich ausgeschrieben. Ich habe mich ganz normal beworben. Das durchlief den üblichen Selektionsprozeß. Wobei man sagen muß, daß in Dresden, wo ich jetzt durch die paar Monate, die ich schon hier bin und einen besseren Einblick habe, die Leute vielleicht neutraler ausgesucht werden als in manchen Westakademien und Hochschulen, wo das oft intern schon ausgekungelt wurde. Und dann wird pro forma ausgeschrieben, aber es ist schon klar, wer’s kriegen soll.

K: Ohne daß dann geschrieben wird „qualifizierte Bewerbung liegt schon vor“. Das ist nämlich der Trick, mit dem die dann ...

B: ... das habe ich noch nie gelesen, daß das in irgendeiner Anzeige steht.

K: Doch, und dann wissen wir immer schon bei den Kunsthistorikern, ist gelaufen.

B: Seitdem ich nun in Dresden bin, habe ich auch Einblick in Berufungsverfahren, dort gibt es weniger so ein Ost-West-Gerangel, als mehr ein inhaltliches Gerangel um grundsätzliche künstlerische Positionen. Dabei kann man schon sagen, daß die Mehrheit der hier aktiven Professoren eher eine konservative Grundhaltung hat. Und in der Skulptur halt immer noch diese monolithische, aus einem Material gefertigte Arbeit.

K: Verschiedene Klassen, Stein, Metall, Holz oder ...?

B: Ja gut, in der Bildhauerei sind’s eh nur drei Klassen, und da wird jetzt eine Stelle neu besetzt, und mal sehen, wer es wird. Da ist es vielleicht jetzt schon nicht mehr so traditionell bestimmt. Aber die ganzen anderen Ausrichtungen - Graphik, Malerei -, da kann man das schon noch so sagen.

K: Stephan Huber, wie Sie Teilnehmer der documenta 8, hat seine Ausstellung 1994 in der Kunsthalle Mannheim als Bilanz eines Dezenniums gesehen und bezeichnet. Ausgehend von einer Ausstellung 1984 im Bonner Kunstverein ...

B: ... durch die er sehr bekannt wurde, das war diese „Schubkarren“-Arbeit mit einem Kronleuchter?

K: Ja, genau. Gibt es für Sie, Herr Bosslet, auch so etwas wie eine Bilanz von 10 Jahren oder innerhalb dieser 10 Jahre ‘87-’97?

B: ‘87 war das Jahr, wo ich durch die documenta weltbekannt wurde, will ich mal sagen. Aber von der Arbeit her könnte ich das nicht klassifizieren in ein bestimmtes
10-Jahres-Spektrum. Es waren die ersten Jahre nach meinem Studium, praktisch ab 1983 , wo ich zu meinem eigenen sogenannten roten Faden gefunden habe, nämlich dem Interesse an Gebautem, an Baustoffen, an Statik, an umbautem Raum, an Raumkontinuen – Räume, die miteinander in Verbindung stehen.
Ab 1983 hatte ich dann Industrieruinen und noch als Wohngebäude zu erkennende Häuser durch einfache Farbeingriffe, Interventionen, verändert und in ihrer Erscheinung neu geprägt. Das war so der Anfang. Dann war der nächste Schritt, darüber nachzudenken, was mit einem Raum passiert, den ich abstütze, der das Abstützen aber gar nicht nötig hat; welche Grundfaktoren des Bauens oder des gebauten Raums, der Statik, des Zusammenhaltes werden durch so einen Eingriff, so eine Innenraum-Abstützung und -Installation aktiviert, ferner: den Raum auch als Teil eines größeren Bezügegeflechtes zu begreifen, da die meisten Häuser ja nicht Einraumhäuser sind, sondern Mehrraumgebäude.

K: Diese Ruinen oder die verlassenen Häuser, wie Sie es ja auch nannten, war das alles hier in der Bundesrepublik oder haben Sie da auch zum Teil im Ausland gear-
beitet?

B: Das war nur, im Grunde nur im Ausland, ich habe bis auf zwei Arbeiten in Duisburg und eine Arbeit in Antwerpen alle „Bauzeichnungen und Reformierungen“- so heißen diese Interventionen - alle auf den Kanarischen Inseln bzw. im Umraum von Barcelona realisiert.

K: Wie sind Sie an diese Objekte herangekommen, mußten da Genehmigungen eingeholt werden?

B: Nee, das habe ich ganz anarchisch realisiert. Der Grundeinstieg war eigentlich mehr ganz subjektiver, privater Natur. Ich bin auf die Kanarischen Inseln geflogen, weil es mich mal interessiert hat, den Winter auszuklammern. Ich hatte mir vorgenommen, ein halbes Jahr von - ich weiß nicht mehr, Anfang Oktober bis April - auf den Kanarischen Inseln zu verbringen. Als ich ins Flugzeug stieg, hatte ich zwar meine zwei Sprachlernbücher dabei, aber ich hatte bis dahin noch nicht einmal gewußt was „Ja“ und „Nein“ auf spanisch hieß, und bin dann eben in Teneriffa-Süd gelandet. Ich hatte schon gewisse Vorinformationen – alle sprachen von La Gomera und daß man da hinfährt. Das war mir von vornherein suspekt, feststellen zu müssen, daß im Grunde nur die Jugendlichen und die Rucksack-Reisenden dorthin fahren und die Insel Teneriffa sozusagen als die „Neckermann-Insel“ verschrien war.
Das habe ich im Grunde genau umgekehrt empfunden, und mich entschieden, erst einmal auf der größeren Insel Teneriffa zu bleiben, wo nicht die sogenannten „Meinesgleichen“ sind – das war mir dann vom Grundgedanken her viel sympathischer.

K: Ja, ich frage deswegen auch, weil Sie ja offenbar nicht vorsätzlich als Künstler dort hinfuhren, also Sie hatten kein Malmaterial in Ihrem Gepäck. Sie hatten nichts.

B: Ich hatte keinerlei Kunstmaterial mitgenommen. Keine Konzepte oder Ideen oder Vorstellungen mitgenommen und auch eigentlich bewußt nach dem Studium gesagt, jetzt lasse ich mal alles - was ich weiß - unberücksichtigt und bringe auch gar keinen Produktionszwang mit. Denkt man so, könnte man so machen. In gewissem Rahmen funktioniert das auch, aber früher oder später fängt’s einen doch an zu treiben.

K: Wann hat’s bei Ihnen angefangen?

B: Nach ein, zwei Monaten war das dann doch da. Vor Reiseantritt hatte ich den Gedanken, mir möglicherweise ein Zweirad, also eine Geländemaschine kaufen zu wollen. Das war so der Vorsatz. Deswegen bin ich in der ersten Woche auf Teneriffa in die Hauptstadt gefahren und habe, ich weiß heute nicht mehr, wie ich das zustande gebracht habe, ohne Sprachkenntnisse, mich durchgefragt, wo denn so eine Möglichkeit ist, so etwas gebraucht zu kaufen. Da bin ich eben bei einem Zweirad-händler mit Reparaturwerkstätte gelandet, und die haben mir ziemlich schnell klargemacht, daß das, was ich finanziell dafür vorgesehen hatte - DM 1.000,-- - für
eine gebrauchte Cross-Maschine nicht reicht, und die mir eine ziemlich angeschrammte Vespa-Sprint anboten, verbeult, Tacho kaputt, kein Gepäckträger usw.
So hatte ich dann notgedrungen ja gesagt und irgendwelche Anmeldeformulare blanko unterschrieben. In einer Woche sei das Gerät fertig, um es abzuholen. Ich
bin nach einer Woche wiedergekommen, die Maschine war nicht repariert. In meiner

Anwesenheit hat er dann den Roller hergerichtet, wir fuhren zur Anmeldestelle und haben das halt über die Bühne gebracht, obwohl ich weder Resident war noch eine feste Adresse oder Anschrift hatte. Also es ging irgendwie alles.

K: Fabelhaft.

B: Mit dem Motorroller habe ich dann die ganze Insel befahren und bei diesen Touren festgestellt, daß in den Orten, wo der Tourismus keinen Einfluß genommen hatte, es noch sehr viele Häuser gibt, die in einstöckiger Bauweise ausgeführt waren und deren Fassaden - besonders farblich - einprägsam, auffallend gestaltet sind. Man konnte ablesen, daß die Farbgestaltung vom Hausbesitzer oder eben vom Malermeister bestimmt wurde und nicht, wie man es hier kennt, von Farbgestaltern und Architekten oder entsprechenden Vorschriften städtebaulicher Art . Das Besondere dieser Fassadengestaltung war , daß immer die Türwandung, die Fensterwandung, die Fassade und die Sockelpartien eine andere Farbigkeit hatten. Die waren sehr exotisch, südländisch, farbenfroh, farbenprächtig ausgelegt. Ich war immer mit meinem Motorroller unterwegs, und ich weiß nicht mehr genau, wie mir der Gedanke kam: Ein Motorroller, der ist nicht gebaut wie ein reguläres Zweirad, sondern ist eigentlich fast wie so ...

K: ... fahrender Hocker.

B: Ja, oder er hat Komponenten wie ein Auto, nämlich einzelne Karosserieteile. Diese Kotflügel, der Hauptkörper, der Kotflügel über dem Vorderrad, die Windschildpartien, also verschiedene Elemente, wie das Haus eben auch verschiedene Elemente hat – die Türen, die Türwandungen, die Fassade, den Sockel. Dann habe ich mir Dispersionsfarbe gekauft und die Farben der Häuser vor Ort exakt, nuancengenau nachgemischt . Die nötigen Farben hatte ich in einer Kiste vorne auf dem Gepäckträger immer mit dabei. Hat mir eines der Häuser gefallen, habe ich mich davor hingesetzt und - in der Sonne sitzend - exakt die einzelnen Farben nachgemischt und diese Farben dann auf die einzelnen Karosserieteile des Motorrollers übertragen. Diesen neu kolorierten Motorroller habe ich anschließend vor dem Haus fotografiert.

K: Gibt’s da noch Fotos?

B: Ja, natürlich gibt’s da Fotos, eine Fotoserie. Diese Reihe hieß dann „Mobilien und Immobilien“.

K: Das habe ich mal gelesen. Ich glaube, Sie haben da doch so eine Gesamtbiographie aufgestellt ...

B: In einem chronologischen Werkverzeichnis habe ich das kurz mit aufgelistet. Und dann fuhr ich eben immer wie ein Chamäleon, das die Farbe des Hauses übernommen hat, weiter, und wenn ich wieder ein Haus fand, was mir entsprechend gefiel, habe ich den Roller mit der fremden Farbigkeit vor dem neuen Haus erst fotografiert und dann wieder umgestrichen, also wieder die Farbigkeit des neuen Hauses auf den Roller übertragen und so weiter. Das habe ich häufig gemacht und so ist der dann mittlerweile bekannte „Typ mit dem Motorroller“ in seinen immer wieder anderen Farben unterwegs gewesen. Das war 1982.

K: Das war also ....

B: Das war schon 10 Jahre vor diesem Gabriel Orozco oder 15 Jahre, der mit seinen DDR-„Schwalben“-Mopeds, die er als Duo fotografiert hat, jetzt bekannt
wurde. Der hat sich 1995 so eine gelbe „Schwalbe“ gekauft und die immer dann fotografiert, wenn er irgendwo in der Stadt ein gleiches Moped mit seinem zu einem Rendezvous zusammenbringen konnte.

K: Es ist eigentliche ein Jammer, daß es Ihren Roller nicht mehr gibt. Er wäre heute ein wertvolles Kultobjekt.

B: Den gibt’s vielleicht noch irgendwo. Vielleicht steht er noch in irgendeinem Schuppen. Vielleicht steht er noch da. Ich glaube, der ist jetzt grau. Die letzte Farbe war grau.

K: Archäologie in eigener Sache.

B: Betongrau war der. Na ja.

K: Dann kommt die Übersprungshandlung, die berühmte. Sie waren wieder mit einem Roller unterwegs und beginnen mit einer Ruine.

B: Nein, wie war denn das? Das war - glaube ich - erst im Jahr darauf. Also es war ‘81/’82 mit dieser Rollerserie und das weitere im nächsten Jahr darauf, ‘82/‘83. Denn von diesem Zeitpunkt an war ich einmal jährlich zwischen drei Monaten und einem Monat auf den Kanarischen Inseln, weil ich Feuer gefangen hatte. Natürlich gab es diverse Beschaffungsprobleme entweder für die Materialien, die ich haben wollte, oder mit dem Roller gab es, der natürlich auch nicht ganz einwandfrei war, Probleme. So habe ich mir Spanisch angeeignet, und erst beim nächsten Aufenthalt 1983 war ich aufgrund der inneren Verarbeitung der ersten Erfahrungen motiviert, sozusagen die Schattenseiten der Insel stärker ins Blickfeld zu nehmen. Das heißt nicht die exotischen Fassaden und nicht die prachtvoll realisierten touristischen Anlagen, die es ja auch gibt, sondern das, was Teneriffa zusätzlich prägt. Das ist dieser Bauboom, der über die Geldmenge, die ins Land kommt, bis in die tiefsten Winkel der tourismusfremden Orte hineinreicht, so daß man überall Häuser sieht, die begonnen wurden, die nicht verputzt sind, wo das erste Stockwerk mal steht, das zweite Stockwerk halb unvollendet belassen ist, weil die Leute, wenn sie Geld haben, bauen, wenn sie keines mehr haben, dann lassen sie es halt solange stehen, bis wieder ein paar Peseten fürs Bauen übrig sind. Oder es sind teilweise rechtliche Probleme die zum Bauabbruch führen. Jedenfalls ist mir der sehr starke Aspekt des Bauens dort immer wichtiger oder eindringlicher geworden.

K: Gab es auch Bauruinen?

B: Ja, es gab große Urbanisationen, touristische Konzepte, die bis zum Rohbau fertiggestellt waren, deren zehnstöckige Kaskaden-Skelette - muß man fast sagen - da ‘rumstanden und wie Geisterstädte vor sich hin existierten und ihren unheimlichen Reiz hatten. Sehr bedauerlich ist es und eine Schande, daß es so etwas gibt, daß Bauprojekte aus irgendwelchen spekulativen Gründen Pleite gegangen sind. Andererseits konnte ich so sehr gut sehen, wie man in Spanien oder auf den Kanarischen Inseln erdbebensicher baut. Das Gebäude existiert in der Grundphase immer als Skelett, das heißt, es wird in der Abfolge Stützpfeiler, Etagendecke, Stützpfeiler, Etagendecke hochgezogen und erst hinterher wird das ausgefacht mit Mauerwerk und die Etage in Räume geteilt. Was mich aber besonders interessierte, waren all diese Komponenten von wilden, illegalen Schutt-Deponien, wo ich dann teilweise wieder diese schönen alten Häuser in ihren Bruchstücken wiedergefunden habe. Die abgerissenen größeren wie kleineren einstöckigen Häuser waren früher alle nicht erdbebensicher gebaut worden, sondern Stein auf Stein, eine Etage und fertig.

K: Konnte aber nicht viel passieren.

B: Genau, aber man konnte anhand des Schutts genau sehen, welche Kategorie von Haus das war, weil eben die Steine mindestens auf einer Seite verputzt und stark farbig waren. Daraus ergab sich eine ganze Reihe von Arbeiten, bei denen ich Auslesen und Selektieren durchgeführt habe. An diesen wilden Deponien hatte ich die Materialien vor Ort und wie Aschenputtel die guten herausgelöst und an Ort und Stelle die farbigen Brocken im Verhältnis zu dem Restschutthaufen in unterschiedlichen Formen gruppiert, die aber nie irgendeine narrative Bedeutung hatten – eben aus der Situation heraus entwickelt, in der die Form keinerlei Deutungsmöglichkeit hat.

K: So ein bißchen also ihre ganz persönliche Antwort, auf diese Fragmente mit anderen Fragmenten zu reagieren.

B: Genau, auf die Landschaft, deren illegale Zerstörung durch wilde Deponien und gleichzeitig den gesamten Entwicklungs- oder Zerstörungsprozeß dieser Landschaft mit thematisierend über diese Fragmente, Eingriffe, und dieses Wichtigtun. Es war mir dabei vollkommen egal, wer und wieviel Leute das gesehen haben, was ich mache – klar, es waren es immer abseitige Ecken, sonst hätte man da auch nicht einfach illegal den Schutt und Schrott hingeschüttet. Es gab auch gewisse Reaktionen. Es kam schon mal vor, daß ich ein, zwei Tage später eine bewußte Zerstörung feststellen konnte – entweder der Grundstücksbesitzer oder andere Leute hatten gemerkt , daß es da irgendwie eine gewisse Aufmerksamkeit für diese Schutthalde gab, daß da irgend jemand der Schutthalde Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Man muß sich vor Augen halten, das waren ja keine Schutthalden oder Deponien, wie wir sie kennen, sondern wirklich so kurz mal auf die Seite - ’ne halbe LKW-Ladung - abgekippt.

K: Gabs bei uns leider nach Krieg auch. In Wäldern fand man immer wieder Bauschutt. Ich habe im Harz von meinem Großvater ein Grundstück geerbt, da gab es nur eine Zufahrt, und als ich mir das mal anguckte, Jahrzehnte, nachdem mein Vater mir das überlassen hatte, war es mit Bauschutt vollgekippt, dann mußte ich die Gemeinde einschalten, den damaligen Bauherrn vom Nachbargrundstück noch zu zwingen, den Bauschutt wegzutun. Aber jetzt mal zu Ihrer Art der Zuwendung: Sie kennen vielleicht den Namen Charles Simonds, das ist ein Amerikaner, der hat was ganz Witziges gemacht, sondern der hat einmal irgendwo in der Nähe von New York

in einer Hochhaus-Bauruine - weil Sie vorhin von Skelettbauten sprachen - Ranken-pflanzen angesetzt, Weinranken, und hat dann Fotoserien gemacht, wie das langsam zugwachsen ist. Das ist dann zu einer riesigen Laube geworden.

B: Das kenn’ ich nicht. Man kann schon sagen, daß Erfahrungsgrundlage für mich natürlich die Arte povera und die ganzen Land-art-Geschichten sind. Aber im Gegensatz zu Tony Cragg, der Fundstücke zusammengesammelt und in den Kunstkontext hineingebracht hat, wobei die Dinge ganz hetrogener Herkunft waren, blieben meine „Auslesen“ mit ihren Konstellationen von Bruchstücken ja immer sachlogisch und ortsbezogen und hatten nie eine narrative Überbedeutung erhalten.

K: Und dann muß es aber irgendwann, als Sie herumgefahren sind, von dieser Reaktion auf die Schutthaufen rübergegangen sein zu Bauruinen direkt?

B: Ja, das war wahrscheinlich parallel, würde ich sagen, das habe ich parallel angefangen. Ich bin ja „gelernter, akademisch studierter Maler“, habe bei Raimund Girke Malerei studiert und dann erst in den letzten Semestern begonnen, einen Ort für die Farbe zu suchen, d.h. ich habe festgestellt, daß eigentlich die meisten Gegenstände nicht die Farbigkeit ihres eigentlichen Materials haben, sondern beschichtet sind und über diese Schutzschicht, die ja meistens Ursache oder Anlaß ist, eine andere Farbigkeit bekommen. Ausgehend von diesem Denken über flüssige Farbe und Pinsel in Kombination dann mit dem Komplex „Gebäude“ – Bruchstücke als Teile
eines zerstörten Gebäudes, vorgefundenen Ruinen, Betonruinen, deren Verwendungszweck spontan nicht sofort erkennbar und nachvollziehbar war – ergab sich dieses Interesse. Es waren immer - das konnte man an der Bauweise ablesen - wild gebaute Architekturen, das heißt ohne gezeichnetem Plan, vor Ort von den Bauarbeitern per Schalung erstellt, aber ohne große planerische Grundlage, also ohne Plan auf Papier, ohne konstruktive Vorleistung, und es waren dann doch klar erkennbare Bauwerke technischer Nutzanwendungen. Keine umbauten Räume, keine Behausungen oder Häuser im eigentlichen Sinne. Und erst nach einer Weile hab’ ich herausgekriegt, daß das alles Hilfskonstruktionen im Steinbruchbereich waren, auf denen früher mal Silos und andere Metallkonstruktionen standen, oder es waren Zufahrts- bzw. Anfahrtsmöglichkeiten für LKW’s .

K: Hilfskonstruktionen für Steinbrüche? Was für Steinbrüche?

B: Basaltschotter, den man zum Straßenbau, zum Autobahnbau brauchte. Diese Steinbruchanlagen waren auch nicht weit von der Verwendungsstelle , der Straße oder Autobahn entfernt. Diese Ruinen gab es fast auf jeder Insel zu sehen. Ich war dann auch später auf der Insel Hierro und auf Gomera. Im Süden Teneriffas, wo die Autobahn zuerst gebaut wurde, waren verstärkt diese sonderbaren Bauwerke vorhanden. Teilweise haben die ja Formen wie aztekische Pyramidenreste. Diese Konstrukte waren durch den Beton graufarbig und hatten sich farblich sehr dem Umfeld angeglichen. Es ist dürr, gering bewachsen, sehr stark durch die Farbigkeit der Felsen bestimmt. Es stand sozusagen der zivilisatorisch eingebrachte Beton-Stein auf dem gewachsene Natur-Stein. Diese vorgefundenen Bauwerke habe ich dann mit einfachen Mitteln, mit einem breiten Pinsel, mit weißer Farbe - oft auch mit Kalk - einfach an ihren Konturen und Materialgrenzen akzentuiert und somit wie ein Linienkorsett ein Geflecht über das gesamte Gebilde gezogen. Dadurch hat es gegenüber seiner vorhergehenden Existenz eine extreme Beachtlichkeit erhalten. Die Ruine wurde herausgeschält aus der Umgebung, wurde wichtig gemacht und markiert, hat sich abgesetzt von ihrem Umfeld und bekam Eigenwert und die Suggestion einer Bedeutung. Sie hatte natürlich keine Bedeutung, aber es wurde durch diese besondere Behandlung und Hinwendung und durch diese klare Vorgehensweise der Anschein erweckt, als wäre das jetzt für irgend einen bestimmten Zweck so verändert worden.

K: Das ist ja schon fast so eine Art übertragenen Trompe-l’œil-Effektes. Es gibt ja den Begriff der Augentäuschung durch raffinierte illusionistische Suggestion, aber hier heißt es, Sie haben den Betrachter oder den Spaziergänger oder den Vorbeifahrer reingelegt. Sie lockten die Aufmerksamkeit mit dieser Bemalung ja förmlich an.

B: Das würde ich nicht mit dieser illusionistischen Technik des überrealistischen Trompe-l’œils vergleichen.

K: Ich meine einfach nur den Vorgang. Sie haben etwas Unbeachtetes, Unscheinbares aus der Bedeutungslosigkeit herausgeholt.

B: Ja, einfach weil es visuell beachtbar und bedeutungsvoll wurde. Nicht mehr und nicht weniger. Es war visuell plötzlich sehr prächtig. Sehr mysteriös, auch ohne daß ich es daraufhin abgezielt hatte. Oder man hätte es auch in irgendeine kultische Richtung deuten können, wenn es jetzt in der Gegend gewesen wäre, wo man sowas vielleicht eher kultisch betreibt. Es ist aber in keiner Weise von mir so gedacht worden und auch nicht vordringlich so wahrnehmbar. Es war im Grunde ein weißes Linienkorsett über diese Struktur, über diese skurrilen Betonobjekte drübergestülpt.

K: Wie hat man sich dazu geäußert?

B: Wenig. Während ich es machte, kamen ja höchstens mal Ziegenhirten vorbei. Die sind sehr zurückhaltend, und es kam dann schon auch mal die Frage, was ich denn da mache. Ich äußerte mich mehr in dem Sinne, daß mir das Gebilde so gefiele, und ich es interessant fände , wie es sich visuell durch die Linien verändere. Ich hatte bewußt das Wort Kunst vermieden und es war auch ausreichend, es hat spontan gefallen.

K: War aber auch in hohem Maße eine Inszenierung ganz für sich allein?

B: Ja ja, das war abseits jeder Wahrscheinlichkeit einer größeren Frequenz von Leuten, außer an Stellen, wo man die Interventionen sehr gut von der Autobahn aus sehen konnte, und nachdem ich einige dieser Eingriffe vorgenommen hatte, konnte man - Freunde haben dann gesagt, das ist der Bosslet-Highway - dann alle paar Kilometer doch so was sehen . Es war aber nicht beabsichtigt, die Autobahn wie ein Filmvehikel zu benutzen, sondern die Häufung und Nähe dieser Konstrukte zur Autobahn ergab sich aus besagtem pragmatischen Grund durch den Autobahnbau.

K: Hat es dann mal eine Reaktion - sagen wir mal: einer offiziellen Stelle dort, irgendeiner Ortsverwaltung - gegeben, die gesagt hätte, eigentlich ganz toll, der kriegt jetzt den Auftrag, den Rest der Ruinen in gleicher Weise zu schönen?

B: Es blieb bei dieser ganz privaten Inszenierung. Ich meine, die Leute, die für die Hinterlassenschaften der Bautätigkeit verantwortlich waren, hatten in dem Zusammenhang sicherlich kein Schuldgefühl, diese Dinger stehen zulassen. Man kann so etwas ja auch wegreißen. Aber diese Haltung hat sich dort noch nicht durchgesetzt. Da steht etwas, und es bleibt stehen, und wenn es jetzt so exponiert wird durch einen Eingriff, dann ist es zwar für den, der das zu schätzen weiß, interessant, aber für den anderen kann es eher doch als unliebsame Komponente empfunden werden.
Es gab dann tatsächlich, bei einer zweiten Werkgruppe , bei der ich die Fassade verlassener Häuser mittels aufgemalter schwarzer, rechtwinkliger Flächen verändert hatte, eine Situation, daß nach Jahren das Haus wieder bewohnt wurde. Ich nehme an, daß das eine Hausbesetzung Minderbemittelter war. Es gibt dort eben auch Leu-te, die nicht wissen, wo sie bleiben sollen, und die dann so ein leerstehendes Haus wieder beleben, benutzen, legal auch, denn wenn ein Haus bewohnt ist, ist auch dort die Gesetzeslage so, daß der Hauseigentümer die Leute nicht rauswerfen kann.
Jedenfalls war aus irgendeinem Grund dann dieses Gebäude bewohnt und ein Teil meiner schwarzen Fläche war weiß überstrichen. Als ich nach ein, zwei Jahren feststellte, daß diese Okkupanten wieder draußen waren, dachte ich, ah, da restaurierst du deine eigene Arbeit, dann ist das auch wieder so, wie ich es eigentlich ganz gerne wollte.

K: Das Original ist sozusagen wieder hergerichtet.

B: Mein Original! Ich hatte daraufhin Farbe gekauft und wollte morgens hinfahren, um die Fassade wiederherzustellen. Da fahre ich mit meinem Roller entlang und konnte meinen Augen nicht trauen! Ich dachte schon, ich hätte mich in der Ausfahrt geirrt – es war weg. Das ganze Haus! Es war nichts mehr zu sehen, es war weg! Und nicht nur das, ein ganzer Gebäudekomplex in Sichtweite war auch weg. Das war alles platt gemacht. Offensichtlich waren am Abend zuvor noch riesige Bulldozer gekommen und haben diese ganzen Häuser platt gemacht! Der Grund dafür lag sicherlich in dem Bestreben, eine weitere Okkupation zu verhindern. Es waren teilweise auch große Verpackungshallen dabei, die so sehr demoliert waren, daß niemand mehr hätte reinziehen wollen. Danach hatte ich ein bißchen das Gefühl, daß die Exponierung der Gebäude durch meine Eingriffe den Komplettabriß mit motiviert hatte.

K: Man muß doch dann immerhin sagen, daß die Leute in der Gegend so sensibel sind, daß, solange das Grau in Grau ist, eine Einheit ist - optisch zumindest -, alles homogen ist, die Dinge bleiben wie sie sind ...

B: Ja, solange keine unverständliche Heraushebung erfolgt.

K: Vor Ihrer Intervention haben die Objekte keinen Aufmerksamskeitwert und den haben Sie ihnen verliehen und damit haben Sie sozusagen die Häuser ihrem Schicksal, ihrem beschleunigten Schicksal zugeführt.

B: Das war aber nie intendiert, sondern mir ging es eigentlich mehr darum, mich um ein zivilisatorisches Produkt zu kümmern, was Grundlage unserer wohnenden Existenz ist, nämlich das Haus, das gebaute; als eines der gleich nach der Höhle kommenden Produkte, in der Folge von Werkzeug – vielleicht sogar noch vorher: Das erste große Produkt des Menschen, sich eine Behausung zu schaffen.

K: Und auch die dauerhafteste Art der Behausung.

B: Na ja, die Höhle ist vielleicht noch dauerhafter. Das Haus ist aber in der Dimension plan- und kalkulierbarer. Die Höhle muß man eher nehmen, wie sie ist.

K: Das ist wahr, aber irgendwo kriegt das Haus die Aura des Persönlichen, und ich glaube, diese Aura hat es dann auch mit ausgelöst, es zu zerstören. Es gibt wahrscheinlich bestimmte Reglements, die auch auf Teneriffa gelten, mit dem Grundeigentum oder mit Häusern so und so umzugehen, und wenn dann plötzlich der Aufmerksamkeitswert für ein Haus wächst, was der Besitzer nicht wünscht, daß er dann einfach die Konsequenz zieht und sagt, O.K., dann muß ich jetzt das Ding
verschwinden lassen.

B: Ich glaube, der Eigentümer einer Sache, die keinen Nutzen, keine weitere Funktion mehr hat, fühlt sich in Spanien durch eine Veränderung an seiner Sache weniger provoziert als ein Eigner in Nordeuropa. In Deutschland wäre ja die Hölle los, egal was ein Fremder macht, es ist Eigentum, und jeder, der dazu einen Kommentar gibt, tut das auch emotional zu unrecht. Schwerlich konnte man meine Farbinterventionen als Graffito oder als politische Parole interpretieren, das hat diese Erscheinung natürlich auch nochmal so schwer einordenbar gemacht.

K: Zusätzlich mystfiziert, das wäre an sich ein ganz guter Ausdruck für den Außenstehenden.

B: Ja. Für den Uninformierten ist es sonderbar.

K: In einem guten Sinne. Da läuft irgendwo ein Eremit herum, der diese Objekte bemalt, aus seiner Vorstellung heraus mit weißer oder schwarzer Farbe faßt, und hier eventuell herumspukt und sein Unwesen treibt. Sie haben die Häuser auch besetzt, aber nur äußerlich. Und allein der Gedanke an Okkupation reicht ja dann aus - ob innerlich oder äußerlich, ist völlig wurscht -, handeln zu müssen. Also die Leute sind in Zugzwang geraten.

B: Ja. Es gibt übrigens noch eine kleine Werkgruppe von mir mit Arbeiten an Werbewänden, das war in der Phase Anfang ‘83. Also jeder kennt diese großen Werbeflächen in Spanien, von Osborne über Marlboro ...

K: ... Ja! Mit dem Stier, wenn man nach Spanien reinkommt.

B: Die sind ja in der modernen Version alle aus einer Stahlkonstruktion mit farbig gefaßten Blechen. Die älteren Versionen - zumindest auf Teneriffa - waren gemauerte Wände, die aber wohl nicht so lange standhalten, weil doch zeitweise der Wind sehr stark ist und die Mauern möglicherweise nicht so solide fundamentiert sind. Da und dort konnte man eine umgestürzte, mit dem „Gesicht“ nach unten liegende Werbewand den Hang hinunter verstreut liegen sehen. An diesen Orten habe ich die werbefarblich gefaßten Mauerbruchstücke mit der Farbseite nach oben gedreht, aber ohne das Motiv wiederherzustellen. Ich habe kein Puzzle daraus gemacht, ich habe nur an Ort und Stelle den Brocken umgedreht, so wie er da gerade lag. Die lagen ja nicht gut geordnet, sondern waren durch den Sturz durcheinander geraten. Der ganze Abhang war nun mit bunten Farbsplittern übersät. So ein von Weitem einsehbarer, grau gewordener Hang war nun markiert durch Farbeinsprengsel.

K: Wunderbar.

B: Aus dieser Zeit um 1983 stammen auch die Grundlagen zu meinen heutigen Arbeiten mit Fundamenten aus der Werkgruppe der „Barrieren“. Es gibt Skizzen aus der Zeit, wo ich mir Gedanken um Betonschüttkegel und Betonflatschen machte, die die Betonmischer am Ende ihres Arbeitsvorganges aus ihrer Maschine hatten laufen lassen. Diese Werkideen habe ich bisher nicht realisiert, weil es nie einen passenden Anlaß gab. Es sind sozusagen die ideellen Vorläufer der Fundamentarbeiten, von denen ich jetzt auch in der Kunsthalle Mannheim eine machen werde. Vom Typ her wird das die dritte Realisierung einer solchen Arbeit sein. Diese Arbeiten sind nicht nur das Nachvollziehen einer ursprünglichen Idee - da hat sich natürlich schon etwas weiterentwickelt -, wobei ich diese Basisideen von damals mit dem frei gegossenen Beton gerne mal irgendwo realisieren würde. Irgendwann wird es eine Gelegenheit geben.

K: Jetzt möchte ich sozusagen zurück an die Quelle der Inspiration. Eigentlich ist in Teneriffa ja einiges für Sie in Gang gekommen.

B: Viele meiner Impulse, die wirklich jeweils für bestimmte Werkphasen wichtig wurden, erhielt ich bei Auslandsaufenthalten. Die meisten davon in Spanien.

K: Und was war ein weiteres Ausland? Also ein weiteres Land, in dem Sie dann gerne waren oder wo ...

B: Ich erzähle erst einmal die Entwicklung meiner Arbeit in Spanien zu Ende. Es gibt noch ein paar Aspekte zu den „Interventionen“ mit den schwarzen Farbfeldern. Der Ausgangsachverhalt waren umbaute Räume, Häuser, die als Haus noch zu erkennen waren, deren Fensteröffnungen keine Verglasung mehr hatten und dadurch in der hellen Sonne schwarz wirkten. Ich bemalte die Fassade mit schwarzen, recht-winkligen Farbflächen, die im Dialog mit den schwarzen Fensterhöhlungen standen. Mit einfachen formalen Mitteln erzielte ich die Wirkung vergrößerter Fensteröffnungen.

K: Auf diesem Foto kann man das gar nicht richtig erkennen.

B: Ja, man konnte es auch realiter kaum unterscheiden.

K: Ist das Vertikale hier auf dem Foto ein Türdurchbruch?

B: Nein, bei dieser Arbeit „Begleiterscheinung II“ ist immer ein Fenster dabei. Bei jedem dieser Farbstreifen, bei jeder dieser dunklen Flächen ist immer ein Fenster integriert. Also eine schwarze Fensterhöhlung. Drei Stück, und nur das separate, das

kleine, ist ohne Farbzusatz geblieben. Also spontan gesehen - und das ist mir erst nach vielen Jahren bewußt geworden - habe ich den Betonruinen durch das weiße Liniengeflecht ein Korsett, eine Stabilisierung der Erscheinungsweise, der Form gegeben, und habe bei den Häusern durch die schwarzen geometrischen Formen eigentlich die Destabilisierung des noch statisch stabilen Gebäudes verursacht. Eine Stabilisierung der Erscheinung tritt hingegen bei den „Interventionen“ an den Betonruinen ein, wo die weißen Linien zwar eher amorpher Art sind, diese aber durch das Gebäude konstruktiv gebunden sind. Die Materialgrenzen, die Kanten zueinander waren konstruktiv, aber eben nicht konstruktiv-geometrisch.

K: Auf dem Foto, wenn man nicht genau hinguckt, ist wirklich nicht zu erkennen, wo die Fensteröffnung aufhört und wo die Farbe anfängt. Wissen Sie eigentlich, daß David Tremlett Ende der 80er Jahre begonnen hat, vergleichbare Arbeiten zu machen?

B: Ja. Soweit ich weiß, hat er - ausgehend von Wandmalereien in Institutionen - Ende der 80er Jahre angefangen, auch im Außenraum, in leerstehenden Häusern
so etwas zu machen. Somit hat er erst einige Jahre nach mir damit begonnen. Seine Malereien sind auch etwas verspielt, nicht so pur wie die meinen.

K: Sie haben sich dann - von der Malerei kommend - in den 80er Jahren zu etwas ganz Eigenem entwickelt, die Entwicklung zur Selbstentwicklung als Credo ernst nehmend.

B: Ich hatte dann ‘83/’84 über mein persönliches Interesse zu Spanien ein DAAD- Stipendium für Barcelona beantragt und bekommen – und war dann in Barcelona.
Während des Aufenthaltes dort habe ich in der Umgebung auch diese „Interventionen“ an Industrieruinen vorgenommen, und habe dann auch Leute kennengelernt, die sich dafür interessierten. Die haben dann eine Ausstellungsreihe organisiert, die ‘85 stattfand an drei Orten, nämlich der Fundación Joan Miró in Barcelona, dem Centro de Lectura in Reus - das ist ungefähr 150 km südlich von Barcelona bei Tarragona -, und der Produzentengalerie „Espacio P“ in Madrid. Ursprünglich sollte die Ausstellung noch nach Teneriffa gehen, das hatte aber leider nicht geklappt. Dies alles war 1985. Zu der Zeit war Madrid eigentlich der Brennpunkt der sich neu entwickelnden spanischen Kunstszene. Das Konzept für jeden Ausstellungsort war prinzipiell gleich, und zwar wollte ich in den Institutionen Großfotos der bis dahin gemachten „Interventionen“ zeigen und eine neue, in der Stadt realisierte Intervention. Entsprechendes Kartenmaterial und Informationen zum leichten Auffinden der „Intervention“ gabs dazu in der Institution. Das hatte ich so in Barcelona gemacht und auch in Reus. In Madrid, in der Großstadt, war bei mir die Puste aus, und ich hatte keine Lust, mich in dieses Großstadtgetümmel zu werfen, um da nochmal eine geeignete Ruine zu finden, zumal diese Ausstellungen dicht hintereinander liefen und es viel zu organisieren gab.
Im „Espacio P“ wollte ich was anderes machen. Ich hielt mich in den Ausstellungsräumen auf, um eine Arbeit mit raumlogischen Materialien zu entwickeln. Im Depot entdeckte ich dann einige Baukonstruktionsstützen. Ich kann das nicht mehr genau schildern, wie der Ideenprozeß ablief. Bis dahin hatte ich mich um Ruinen und leerstehende Häuser gekümmert. Die Überlegung war nun, was denn in der Wahrnehmung geschieht, wenn man etwas abstützt das diese abstützende Maßnahme gar nicht nötig hat. Ich probierte gleich diese fünf Teile aus und merkte sehr schnell, daß ich für eine tektonische Raumkonstruktion weit mehr dieser Stahlstützen brauchte.
Es war dann kein Problem, mir weitere Stützen auszuleihen. Diese Stahlrohr-Dek-kenstützen aus dem Baubereich kann man weltweit leihen. Das ist ganz interessant.

K: Das wußte ich auch nicht.

B: Doch, weltweit gibt es die. Selbst in New York kann man sie bekommen, obwohl man dort ganz anders baut, auch in Australien und Kanada habe ich sie ausgeliehen. In Europa sowieso. Die sehen immer etwas anders aus, aber im Prinzip sind sie identisch. Ja, und dann habe ich eben mit diesen Stützen und Mobilar oder sonstigen gesuchten, gefundenen Teilen zwei Innenraum-Konstrukte erstellt. Eines der beiden Werke expandierte sofort raumgreifend in alle 6 Richtungen des Raumes. Die andere war rein vertikal, wie ‘ne Säule. Ich weiß noch wie heute, die Tragweite dieser Findung war mir sofort so intensiv bewußt, daß ich eine ganze Nacht nicht schlafen konnte, bis ich am nächsten Tag dann wieder weitermachen konnte, diese Installation endlich fertigzustellen.

K: Jetzt aber nochmal zu den Richtungen. Also, vertikal O.K., und dann die vier horizontalen Richtungen ...

B: Nein, ein Raum hat ja sechs Flächen. Oben, unten, links, rechts, hinten, vorne.

K: Ja, ‘ne Innenseite von einem Würfel. Hatten Sie eigentlich auch Angst, die Idee könnte jemand klauen?

B: Nein, das nicht. Aber mir war die Tragweite bewußt, weil ich etwas gefunden hatte, was von der Kunstkategorie her eine Installation war, also raumbezogen.
Weil diese Installation aber faktisch mit dem Material arbeitet, das man benutzt, um eben die Räume der Häuser zu erstellen, weil es sich aber auch auf das konkrete Volumen bezog, auf die konkrete materielle und statische Grundlage des Raumes, der ja nicht - wie ein Schuhkarton - einfach nur kubisch ist, sondern unterschiedliche Raumprofile in sich birgt und den Begriff der Installation - Einbau und Anschluß technischer Anlagen - sozusagen auf den Punkt bringt. Also nicht nur Raum als Obdach einer Arbeit benutzt oder als Referenz von Inhalten, sondern von der urtechnischen Phase der Konstruktionen und der Raum-Volumen-Konstellationen herkommend, das heißt: Wenn ich etwas abstütze, ist der Boden, die Decke, und damit der Boden des nächst darüberliegenden Raumes ja gleich mitzudenken. Ebenso die Potentialität von Statik und Kollaps, die neue Gliederung des Raumes durch meine konstruktiven Einbauten. Und die Rückführung, daß das, was Hilfsmittel war, zum Erstellen des Baues, wieder zurückgebracht wird, um werkkonstituierend zu werden.

K: Aber in dieser Nacht ...

B: ...daß diese Arbeit auch kategorial etwas auf den Punkt gebracht hat. So schnell wie damals war mir das eigentlich bei einer neuen Arbeit nie klar gewesen.

K: Also ist die Fernwirkung Ihrer Spanienzeit sozusagen sehr wesentlich. Wie lange waren Sie in Barcelona, war das ein halbes Jahr? Ein ganzes Jahr?

B: Ein ganzes Jahr und dann anschließend Duisburg.

K: Von ‘84 bis ‘86 waren Sie Wilhelm-Lehmbruck-Stipendiat. 1986 hatten sie eine abschließende Ausstellung im Lehmbruck-Museum Duisburg ... Aber jetzt kommt eine ganz andere Frage, die aufs Inhaltliche geht: Fühlen Sie sich Lehmbruck - in seinem Todesjahr 1919 Mitbegründer der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland - verbunden?

B: Ach, das wußte ich gar nicht, daß er Mitbegründer ist.

K: Diese Frage hängt auch damit natürlich zusammen, wie Ihr Verhältnis zu anderen Künstlern ist, zum Beispiel zu dem Anthroposophen Beuys, dessen letzte Rede 1986 aus genau diesem Grunde Lehmbruck galt. Die fühlten sich der sozialen Plastik verpflichtet. Lehmbruck plötzlich in der Plastik des 20. Jahrhunderts mentale und soziale Aspekte sichtbar machen - und da beruft sich ja Beuys dann auch drauf -, also Plastik, die nicht mehr in der griechisch-römischen Tradition steht, sondern die Stimmungen, Emotionen, Trauer zum Ausdruck bringt. Und die ja Beuys letzten Endes soweit gebracht hat, daß er sagte, es gibt den Begriff der sozialen Plastik, der gesellschaftlichen Anbindung von Kunst und des Künstlers. Darum einfach nur mal diese Frage, so als Streiflicht.

B: Wenn man das so analysiert, bin ich sicherlich nicht ohne Lehmbruck denkbar, aber auch nicht ohne Picasso, der 1910/11 zusammen mit Braque die Collage erfunden hat. Da fängt es ja schon an, daß man Realfragmente nimmt und zu einem neuen Werk zusammenfügt. Das sind ja die eigentlichen die Urväter des 20. Jahrhunderts.

K: Jetzt kommt nochmal ein Fragenkomplex ...

B: Ja, ja, das ist vielleicht auch wichtiger, daß Sie mir noch Fragen stellen ...

K: Nee nee, ich bin immer ganz glücklich über Menschen, die erzählen. Es ist viel authentischer, als Selbstgeschriebenes. Doch soviel: Sie begannen Ihr Studium als Maler in Berlin und haben sich dann Ende der 70er Jahre verstärkt dem Dreidimensionalen zugewendet, seit Anfang der 80er Jahre - und das war nun sehr interessant - in Barcelona begehen Sie Eingriffe in den architektonischen Innen- und Außenraum. Sie nennen das „Intervention“, Sie haben überhaupt ein Faible für neue, aus Ihrer Sicht durchaus nicht widersprüchliche Begriffe. So sind konstruktiv-sperrige Einbauten in Innenräumen zum Beispiel „Unterstützende Maßnahmen“, das ist dann zwar in Ihrem Sinne eine Installation, aber die hat durchaus keinen freundlichen Charakter. Auf der documenta 8 gaben Sie Ihren beiden Arbeiten denn auch die Titel „Anmaßend I“ und „Anmaßend II“. Jetzt kommt eine ganz einfältige Frage: Neigen Sie zu Aggressionen? Dieses „Anmaßend“ fand ich sehr interessant. Und als ich das gesehen habe, dachte ich – Donnerwetter, der bringt es wirklich auch auf den Punkt. Aber warum „Anmaßend“?

B: Ich meine, meine Arbeiten kriegen einen Titel, wie ein Kind einen Namen erhält, das heißt, eigentlich im Nachhinein. Das Werk ist nicht die Interpretation, die Umsetzung eines Begriffs ins Dimensionale. Nein, das Ding braucht einen Namen, um darüber sprechen zu können, ich suche dann Bezeichnungen, die der Sachlage
irgendwie noch’n Kick geben. Die Titel sind quasi eine nachträgliche Teilinterpretation meines eigenen Produktes, das in einem ganzheitlichen Prozeß von Gewußtem und Erahntem erstellt wurde.

K: Das war in so einer Art Treppenhaus, im Fridericianum in Kassel.

B: Ja, genau. Ich meine, daß ist ja ein besonderer Ort, wie soll ich sagen: Maßnehmend und anmaßend hat ja was miteinander zu tun. Das eine ist eine Bezichtigung, daß man sich größer darstellt, als man ist, größer auch im übertragenen Sinne, man maßt sich etwas an, eine Kompetenz, eine Zuständigkeit, eine Qualifikation, eine Eigenschaft. Das ist ein aktiver Vorgang. Und maßnehmen ist eigentlich ein reaktiver Vorgang. Maßnehmen – es ist etwas da und man mißt es aus, man verhält sich eher passiv im Sinne von rücksichtsvoll. Man nimmt Sicht, man nimmt Maß, man beachtet die Dimension, notiert sie, so im weitesten Sinne . Jetzt muß man beachten, daß ich in den frühen Installationen, in der Art dieser „Un-terstützenden Maßnahmen“ immer diese Baustützen benutzt habe, in Barcelona und Kassel, und auch noch danach. Also Materialien aus dem konstruktiven Bereich des Baugewerbes einerseits - Stützen, Steine oder Schalbretter -, aber auch immer mal innenräumliche Gegenstände, Möbel, um es so zu nennen.

K: Aber bestimmte Möbel.

B: Genau, in Kassel waren es Möbel der verwaltenden Arbeit, die produktive Arbeit stand im Dialog mit der verwaltenden Arbeit, und da fand ich den Begriff der „Anmaßung“ anmaßend angemessen.

K: Und zwar war die produktive Arbeit die Stütze ...

B: ... war das Baugewerbe, und die Möbel waren einmal ein Schreibtisch und einmal ein Aktenschrank ...

K: ... die waren sozusagen der Wasserkopf der Verwaltung. Die waren oben.

B: Der Schreibtisch war tatsächlich oben. Aber an Wasser und Kopf habe ich dabei nicht gedacht.

K: Aber das ist ein sehr schönes Spiel, das ist keine Frage. Also auch ironisch jetzt.

B: Ja, ich habe das auch gemerkt. Der Witz, die Ironie oder die humoristische Seite meiner Arbeit ist mir nicht so bewußt. Ich glaube, das liegt auch in der Natur der Sache, daß einem die Dinge, die man selbst macht ... – ich bin ja kein Komiker und kein Kabarettist, und deswegen ist mir die tatsächliche Komik der Arbeit als Erlebnismöglichkeit, die die Arbeit auf mich ausüben kann, nicht mehr so erlebbar, aber ich höre immer wieder, daß sie doch so empfunden wird. Ja, daß diese Konstellationen der verwendeten Materialien oft eine gewisse Skurrilität mit sich bringen.

K: Ich hatte hier zum Beispiel auch die Frage: Es folgte unter anderem 1994 Ihre eindrucksvolle, flächendeckende Ausstellung „Öffentliche Ordnung“ in Speyer. Schon den Begriff fand ich damals bezeichnend: „Öffentliche Ordnung“. Da haben Sie - im wahrsten Sinne des Wortes - einiges auf den Kopf gestellt. Neigen Sie nicht doch zur Ironie? Denn in der Kontrastierung von solchen Mitteln, also nehmen wir jetzt die Stützen und die Verwaltungsmöbel, erreichen die das ja zwangsläufig.

B: Die Formensprache arbeitet aber dagegen, die Rauheit oder die pure Erscheinungsweise der von mir eingesetzten Materialien und die Anwendungsprinzipien, die ja eher konstruktiver Art sind, forcieren diesen ironisch-skurrilen Charakter nicht. Deswegen denke ich, ist die Komponente auch haltbar und dauerhaft, weil sie sich nicht im spontanen Erleben dieser Ironie erschöpft, sondern - weil sie sozusagen gezügelt und gezähmt ist - hat sie immer wieder die Kraft, aus dem Verdeckt sein hervor zu agieren, aus der Deckung der anderen Prinzipien, die ja auch visuell sehr kräftig sind.

K: Aber Sie hatten damals in Speyer - zum Beispiel waren wir auch in einer Bibliothek, kann ich mich erinnern -, Ihre Karteischrank-Skulpturen so arrangiert, daß auch da wieder auf der einen Seite die Verdeutlichung der Dinge auf den Ort ...

B: Es sind aber autonome Arbeiten, die habe ich dort nur assoziativ zugeordnet, die waren nicht gemacht, um sie dann in irgendeiner Bibliothek aufzustellen. Aber es
geht auch um die Verschränkung, daß ich ein Element, einen Gegenstand, der als Ordnungshilfe dient, zu einer neuen Ordnung verhelfe, in neue Zusammenhänge bringe, und sozusagen einer nicht rationalen und nützlichen Ordnung zuführe. Rationale Ordnung, was die Funktion des werkinteren Konstruktionsprinzips angeht, schon, aber keine nützliche Ordnung. Und gleichzeitig haben diese Arbeiten anfangs immer Titel von bekannten Computermarken gehabt - „Apple“, „Siemens“, „Nixdorf“, „Wang“ „IBM“ usw. -, sozusagen als noch existierende Dinosaurier im Zeitalter elektronischer Datenverarbeitung.

K: Weil das vorhin fast so belanglos klang: Kennung - weil man auch Kindern einen Namen gibt -, aber bei Ihnen ist sie nicht Programm, das wäre sicherlich verkehrt, aber sie ist immer irgendwo eine bestimmte Ebene dahinter, die eventuell - wie Sie es eben sagten, Dinosaurier im Zeitalter der PC’s - doch schon zum Nachdenken auffordert.

B: Ich hoffe und denke auch, daß die Arbeiten - ohne daß man den Titel kennt - für sich stehen können. Man muß nicht den Titel kennen, den gebückten Gang zum Werkschildchen gehen, um die Arbeit rezipieren zu können. Die Titel sind Einstiegsimpuls, falls jemand vielleicht ohne nicht klarkommt.

K: Die uralte Geschichte, wie Herr Kandinsky seine Sachen einfach „Komposition IX“ oder „X“ genannt hat, um auch keine weiteren Assoziationen in Gang zu setzen. Es gibt eben Titel, die sind reine Kennung, es gibt auch Künstler, die ja nur mit Zahlensystemen arbeiten, also „7/1997“ usw., und es gibt - wie bei Ihnen dann -durchaus Titel, die auch auf einen bestimmten - jetzt sagen wir mal - Aspekt im technischen oder im technoiden Sinne verweisen können.
Es springt jetzt ein bißchen, aber es kommen einfach nochmal Fragen, die mit Ihrer künstlerischen Entwicklung im Zusammenhang mit Teneriffa zu tun haben ...

B: Es gibt noch eine Werkphase, die ihren Impuls dort gefunden hat. Ich habe sozusagen ‘79 aufgehört zu malen. Jedenfalls habe ich aufgehört, in dem Sinne zu malen, wie ein Maler auf Leinwand oder zur Bilderzeugung auf an der Wand hängende Flächen malt. Ich habe vielmehr angefangen, Holztafeln lackierend zu beschichten, und diese Holztafeln lagen - gestapelt in variabler Zuordnung - geschichtet aufeinander. Man konnte diese Arbeiten von Ausstellung zu Ausstellung in eine anderen Ordnung bringen und vorführen.
Dann gibt es noch die ganz wichtige Werkgruppe GFF, 1981 angefangen, in der ich Glas - das einzige Material, das von sich aus die Eigenschaft hat, eigentlich unsichtbar sein zu wollen - als Bildträger benutzte, als Farbträger, den ich dann als Gegenstand begriffen habe, und nicht nur als flächiges Hinterglasbild, sondern als Gegenstand, dem ich die Farbe, das Farbmaterial von hinten über die Kante nach vorne überstrich. Das hatte dann den Vorteil oder die Wirkung, daß die Farbe hinterm Glas, also der Farbstoff hinterm Glas, nur die Farbe hergegeben hat, und sobald der Farbstoff über die Kante nach vorne kam, konnte man zur Farbe auch den Farbstoff noch erkennen. Im Englischen ist das so schön einfach zu unterscheiden, colour und paint, das haben wir leider im Deutschen nicht. Die Farbstoffe, die ich benutzt habe, waren immer gewöhnliche Lacke aus dem gewerblichen Bereich, die ich dann speziell für diese Glasscheiben - oft mit Metallic-Charakter - auswählte, um nochmal so eine gewisse Härte, visuelle Härte, zu erreichen, die im Dialog zur Härte des Glases stand.
Das war also auch wieder eine Stellungnahme, ein Schritt, wie gehe ich als „Maler“ mit Farbe, Farbstoff und Gegenständen sowie dem so tradierten, wenig reflektierten Bildkörper , Bildträger oder der Bildfläche um. Ich meine, die amerikanischen Maler der 60er Jahre haben das ja angefangen, indem sie die Farbe auf die nicht grundierte Baumwollleinwand aufgeschüttet haben, und die Farbsubstanz eingezogen ist und eigentlich nur Farbwirkung da war. Die haben ja auch nicht nur mit Farbe gearbeitet. Jackson Pollock hat durch das Rausschneiden im Grunde auch versucht, den Farbträger zu thematisieren. Oder dann die ganzen Shaped Canvas-Leute, die haben das auch irgendwie versucht, in den Griff zu kriegen, indem man sagt, also ein Bild ist nicht nur ein Rechteck, es ist sowieso nicht ein Ausschnitt von Wirklichkeit, wie es die Alltagsfotografie macht, weil ein Bild - wie jeder weiß - im Format gebaut ist. Sie haben es dann dadurch deutlich gemacht, indem sie das Rechteck vermieden haben und zwar durch Gefüge oder Konstruktion im Dialog zu den neuen Formen der Ereignisfläche. Die haben ja keine Rahmungen mehr. Höchstens eine Schutzlatte, die eigentlich nicht dahin gehört. Und in diesem Kontext habe auch ich dann sozusagen Malerei weiter betrieben.
Es blieben bei diesen Arbeiten ja immer Teile der Glasscheibe klar, das heißt, die Scheibe stand an der Wand oder war auch schon mal hingehängt. Wenn ich Acrylglasscheiben benutzt hatte, haben die dann einfach Löcher gekriegt, durchgebohrt, zack, an die Wand gehängt, und das Weiß der Wand wurde Bestandteil der Bildfläche, die sozusagen sich selbst ausgrenzt vom Weißkontinuum des Raumes, der Randfläche. Da sind im Grunde solche Stukturprinzipien schon angelegt, wie die dann später in den Ruinen und in den Installationen vorkommen.

K: Also sehr viele Dinge bei Ihnen sind durch eine unglaublich präzise Wahrnehmung dessen, was Sie gerade auch auf Teneriffa oder in Barcelona erlebt haben, allmählich in die Richtung gekommen, die für Sie heute maßgeblich ist. War es Zufall oder eine Addition von Zufällen, daß Sie dann den einen Schritt, den nächsten, den übernächsten getan haben, oder könnte man sagen, daß doch irgendwo das Suchen nach bestimmten Verwirklichungen stärker ausgeprägt war, als der Zufall.

B: Ich denke, es ist immer eine Verzahnung von bewußten und unbewußten Interessenslagen. Weshalb ich soweit ausgeholt habe: Ich hatte dann immer mehr das Bildermalen sein lassen und dafür die Farbe auf den mobilen Gegenstand gebracht und danach die Farbe auf die immobile Ruine. Erst 1985 habe ich wieder angefangen, sozusagen bildflächige Arbeiten zu machen auf der Grundlage des Interesses an Gebautem. Über das Nachdenken über Schutt und Ruine, umbauten Raum und Innenraumkonstruktionen der „Unterstützenden Maßnahmen“ war natürlich der Gedanke zum Fundament, zum Grundriß gegeben. In der Folge haben mich Grundrißkategorien interessiert, also z.B. der Einraumgrundriß, der Zweiraumgrundriß, Zugänge, Ausgänge, Verbindungsdurchgänge. Schauen Sie mal, hier haben wir das Skizzenbuch von 1985 – dazu muß ich ausholen: Ich hatte schon einmal in Mannheim ausgestellt, in einer speziellen Aktion von „Art Now“ von Fritz Stier. Zu diesem Anlaß habe ich mehrere Arbeiten im sogenannten Halberg-Gebäude am Hafen realisiert. Das war 1985. ‘85 hatte ich ja auch die „Unterstützenden Maßnahmen“ erfunden, erstmalig realisiert in der schon beschriebenen Spanien-Ausstellung . Es war direkt danach.

K: Da war ich gerade nach Mannheim gekommen.

B: Und das hier [er zeigt auf sein Skizzenbuch] ist jetzt gerade mal ein Grundriß einer dieser Mannheimer Arbeiten, die in einem verrauchten Raum mit Brandspuren realisiert wurde. Die nächste Zeichnung zeigt im Grunde ein Rechteck, ausschraffierte Linien, Grundrisse. Ein Raum mit einem Zugang.
Auf den Kanaren habe ich ein Grundrißding nach dem anderen durchentwickelt, basierend im Grunde auf so einer „Monocell“. In den meisten Fällen besteht ein Gebäude aber aus mehreren Räumen. Über die sogenannten Erschließungswege ergibt sich ein Raum-, ein Volumenkontinuum, in dem meistens weitere vergleichbare Systeme integriert sind – nämlich die Versorgungssysteme Wasser, Strom und Heizung. Die auch ein Raumkontinuum in ihrer Struktur darstellen und als Heizung sogar eine Zirkulation beinhalten.
Ich begann wieder mit den ersten Bildern auf Teneriffa, wo ich auf den bereits erwähnten wilden Deponien herausgerissene Teppichauslegeware fand, die ja nicht den Grundriß im Sinne der Außenmauern beschreiben, sondern die vielwinkelige Innenfläche dokumentieren, weil ja kaum ein Raum geometrisch klar ist, sondern es gibt ja immer Rücksichten auf Heizkörper, auf Einbauten, Vorsprünge, Nischen usw. Auf diesen Teppichbodenbelag mit seinen Shaped Canvas-Formen bin ich dann mit Farbe gegangen und habe darauf diesen Prototyp - oder wie soll ich sagen -, diese grundlegenden, piktogrammartigen Grundrisse gemalt .So bin ich wieder sozusagen zur Malerei, zu den Bildern zurückgekehrt. Hier [zeigt auf den Katalog des Heidelberger Kunstvereins von 1987], das sind sie. Das war 1985. Die habe ich auch im Wilhelm-Lehmbruck-Museum ausgestellt. Ich bin dann gewissermaßen ein wenig rückschrittlich geworden, habe noch einmal zwei oder drei Bilder auf Leinwand gemalt, basierend auf Grundrissen und geometrischen Konstellationen, aber immer so, daß je Farb-Form-Komplex ein anderes Farbmaterial verwendet wurde. Also nicht ein homogener Farbstoff übers ganze Bild, sondern jeder Formkomplex hat eine eigene Farb- und Materialqualität bekommen.

K: Hier die ist zum Beispiel sehr pastos.

B: Die ist ganz pastos, und ein anderer Farbstoff als hier, hier ist es ein glänzender Lack, hier ist es eine graue Dispersionsfarbe, hier ist es ein Beton-Beschichtungs-Lack in mattgrau usw. Und da ist es die Eigenfarbigkeit der Teppichauslegeware zu der Farbigkeit der gewerblichen Farbsubstanz, die ziemlich dick aufgetragen ist. Man sieht es ja auch hier. So, das war ‘85/’86.
Nach dem Aufenthalt in Duisburg hatte ich ein Stipendium für ein Jahr nach New York ins PS 1. Dort hatte ich Kunststofftafeln gefunden, die mit Stanzspuren als netzartige Linienstruktur übersät und gut zu sehen waren. Diese Platten, die teilweise auch angebrochen und an den Kanten ausgekerbt waren, habe ich als Grundlage, als Bildträger meiner geometrischen Formsysteme benutzt, habe darauf Grundrißformen und Formsysteme aufgelegt, was man als Versorgungsystem interpretieren kann. Also kann man das als Heizung oder als Wasserversorgung verstehen, in einem piktographischen Sinne, wie man es vielleicht für Systemerklärungen von Chemieanlagen oder von physikalischen Prozessen kennt – wie funktioniert ein Hochofen, dessen Kühlungssystem im Verhältnis zur Befeuerungseinheit, usw.

Ich hatte mehrere Arbeiten gemacht, wo beide Elemente auf einer Bildtafel vertreten waren, einerseits das zirkulierende und andererseits das Fundament-System. Danach bin ich dazu übergegangen, die beiden zu trennen, weil ich mir klar wurde, daß es ein aktiverer Rezeptionsvorgang sein wird, wenn man die beiden Systeme - die faktisch in dem Haus zusammliegen - formal in so einem Bild auseinandernimmt, um es in der Betrachtung wieder zu vereinen. Die werkbestimmenden Bildelemente machte ich dann also immer auf zwei getrennte Bildträger, Platten die eine eigene Farbmaterialität hatten und sich oftmals auch durch ihre Außenform und Größe unterschieden.

K: Sind denn solche Sachen auch mittlerweile in irgendeiner Sammlung gelandet, Privatsammlung?

B: Ja, ja, die sind alle verkauft.

K: Auch in öffentliche Sammlungen?

B: Auch in öffentliche. Ja, die Kunsthalle Bremen, das Wilhelm-Lehmbruck-Museum in Duisburg, die Pfalzgalerie in Kaiserslautern und einige wichtige Sammler in den USA haben bei John Gibson diese Arbeiten erworben.

K: Mich interessiert noch ein bißchen Ihre Amerikazeit, wie lange waren Sie denn in New York?

B: Ein Jahr, ‘86/’87. In dieser Zeit fiel auch die Entscheidung zur Teilnahme an der documenta 8. Interessant wäre durchaus mal ein analytischer Vergleich meiner Arbeiten mit denen Peter Halleys, die - soweit ich weiß - ungefähr zeitgleich von ihm entwickelt wurden.

K: Den kenn’ ich nicht, den Künstler.

B: Kennen Sie nicht? Der war mal sehr popular mit seinen sehr schönen großformatigen Bildern. Der hat also auch unterschiedliche Farbtexturen genommen, aber immer den gleichen Farbstoff, also da war keine Qualifizierung, Differenzierung in den Farbstoffen vorhanden, und man sagt, daß sich die Formen auf „Haus“ beziehen. Die Farbigkeit ist eher populär. Also aus der Pop-Art, aus so einer frischen dynamischen Farbwelt kommend. Die großen Arbeiten von ihm sind meistens ziemlich gut, also die weiß ich auch zu schätzen, aber die neueren, die ich gesehen habe, die machen dann zu sehr Konzessionen. Vielleicht wäre es mal interessant, zu recherchieren, wer da der Bekanntere und wer eigentlich der Urheber ist. Letztlich ist das ja auch nicht das Entscheidendste. Jeder entwickelt Dinge, vergleichbare oder anscheinend vergleichbare Dinge, aus unterschiedlichen Depots heraus ...

K: Oder entwickelt es sich nacheinander? Wir haben doch in der Kunsthalle - Sie haben es selbst gesehen - von Max Ernst dieses Dripping-Bild „Junger Mann, gereizt durch den Flug einer nichteuklidischen Fliege“ von 1942/47. Das hat er in New York gemacht. Es ist eine Leihgabe aus Privatbesitz. Und Pollock hat ihn damals bei solchen Aktionen gesehen.

B: Ach ja, das ist sehr interessant!

K: Der Zusammenhang ist authentisch ...

B: Das ist auch nicht schlimm, weil es eine ganz andere formale Umsetzung aus einer anderen geistigen Position heraus gegeben hat.

K: Genau. Und dann wurde Max Ernst mal gefragt, sag’ mal, was hältst du davon, der Jackson Pollock hat das übernommen. Ja, sagt er, ich hab’ zwar die Idee gehabt, aber er hat wirklich etwas daraus gemacht. Und zwar was ganz Eigenes. Und ich glaube, das ist auch das Entscheidende.

B: Ja, das ist das Entscheidendste. Das finde ich auch vollkommen legitim, daß es solche Dinge gibt. Jetzt im Vergleich mit Peter Halley und mir wäre das ein ganz anderer Vorgang, weil ja keiner vom anderen etwas Peripheres genutzt hat, um es dann zu einer Hauptsache auszubauen, weil meine Bildsprache und seine Bildsprache eher gleichartig ist in der Art, wie es ausformuliert wird. Es ist nur vollkommen unterschiedlich wahrscheinlich vom Ursprung her, und in der Erscheinungsweise und in der Gesamtstruktur ist es unterschiedlich. Jetzt noch einmal bezugnehmend auf die Malerei, die ich ‘85 wieder begonnen hatte, die dann von Teppichauslegeware zu Kunststofftafeln, dann auf Blechtafeln über- gegangen ist. 1989 war, wieder mal auf Teneriffa, für mich der Punkt gekommen, wo ich – anknüpfend an die Grundideen mit diesen Glastafeln oder, überhaupt weiterführend, den Bildträger als eine wichtige, bedenkenswerte Komponente zu bearbeiten – darauf gekommen bin, daß man einen Farbträger, also einen Bildträger, ganz vermeiden kann, wenn man die angestrebten Farb-Form-Systeme miteinander auf einer Ebene verbindet, in diesem Fall: vernäht.
Als Wandbehang in der Verwendung plastifizierter Segelstoffe habe ich dann diese Bilder gemacht. Dieses Segeltuch kann man auch als Surfsegel-Material bezeichnen. Es war mir auf Teneriffa in unmittelbarer Nähe ständig vor Augen. Ich selbst bin nie gesurft, aber das Material gab es in allen möglichen Farben mit einer Binnenstruktur aus Verstärkungsfäden, die im Rechteck- oder Quadratraster verliefen. Das kam meinen Skizzen in meinen Skizzenbüchern, in denen ich auch auf Rechenpapier meine Graphiken entwickelt hatte, entgegen. So gab es eine leichte Übersetzungsmöglichkeit der Entwürfe in ein schon bestehendes Raster, in ein schon bestehendes Material. Andererseits hat mich eben die Möglichkeit fasziniert, den Bildträger wegzulassen, auszulassen, und die Farbsyteme eben nur knapp überlappend auszulegen, so daß man gerade mal noch eine Naht setzen konnte. Den Sachverhalt, daß in einem Surfsegel sich immer Fensterflächen befinden, habe ich in Anlehnung an meine Malerei auf Glas übernommen, indem ich manche Formsysteme als transparentes Material ausgelegt hatte. Durch das wieder das Weiß der Wand, auf der der Wandbehang hängt, Bildbestandteil wird. Im Grunde der gleiche Aspekt wie Anfang ‘81 in den Glasarbeiten. Diese Werkgruppe, die ich seit 1989 bis heute weiter entwickelt habe, läuft parallel zu den skulpturalen und installativen Werken. Ich arbeite immer zyklisch und parallel.

K: Zyklisch heißt ...

B: Ich arbeite phasenweise nacheinander im Wechsel an unterschiedlichen Werkgruppen. So kann die eine pausieren und sich im Unterbewußten weiterentwickeln, wärend ich an einer anderen Werkgruppe weiterarbeite.
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K: Und dieses Teneriffa hat offensichtlich eine immense Bedeutung als Impulsgeber für Sie...

B: Ja, ich würde es gar nicht so hoch interpretieren wollen, aber es war einfach so gewesen. Allerdings muß ich auch dazu sagen, daß ich die „Bilateralen Beziehungen“ dann in Duisburg entwickelt habe. Es ist nicht so, daß jetzt jede neue Werkgruppe auf Teneriffa ihren Ursprung hätte.