Interview JOCHEN KRONJÄGER mit EBERHARD BOSSLET in Dresden am 18. Und 19. Nov. 1997

Teil II

K: Hier würde ich gerne nochmal auf ihre Ausstellungen im öffentlichen Raum eingehen. Die sind ja im Grunde genommen kritische Überzeichnungen lokaler, ja sogar lokalpolitischer Gegebenheiten. So haben Sie 1996 einen „Gärturm-Rotations-Reaktor“ zur Ausstellung „Mysterium Wein“ in Speyer gebaut. „Gärturm“ ist klar, aber „Rotations-Reaktor“: Ich habe hier die ironische Frage stehen, ist Biblis zu nahe?

B: Da muß man wieder betonen, daß das Projekt nicht für diese Ausstellung entwickelt wurde, obwohl es den Anschein hat ...

K: ... hat es mit Heilbronn was zu tun?

B: Ich hatte - unabhängig von diesem Anlaß und diesem Projekt - einen ersten Turm in Heilbronn realisiert, und das ging wiederum eigentlich auf den Impuls zurück, daß ich für Lindinger + Schmidt einen Stand für die Frankfurter Messe konzipiert hatte, der dann aber von der Messeleitung aus angeblich technischen Gründen nicht akzeptiert wurde. Also das wäre wirklich ein Knaller gewesen. Ich konnte dann doch sehr schnell und überraschend den Turm in Heilbronn realisieren. Basierend auf dieser Turmkonzeption und unabhängig von einem Anlaß habe ich Werner Klotz und Otmar Sattel - mit denen ich seit 1981 die „Gruppe Material & Wirkung“ betreibe - animiert, ein gemeinsames Konzept zu entwickeln...

K: Bis heute?

B: Ja. Es gab mal so eine eher müde oder autonomere, Jeder-für-sich-Phase zwischen 1985 und ‘95, nach der wir aber feststellten, daß die Positionen, die wir ‘81 in der Form einer Vereinssatzung formuliert hatten - quasi als Manifest -, daß die heute für jeden einzelnen von uns in der Form immer noch gültig sind. Und als wir das so jeder für sich festgestellt hatten, haben wir gemerkt, wir könnten auch wieder im direkten Sinne miteinander arbeiten und auch eine gemeinsame Arbeit entwickeln.
Otmar Sattel - kommend von seiner Arbeit mit Gärungsprozessen - hat ein System von Depots für den Turm entworfen, und Werner Klotz - kommend von seinem Arbeitsfeld der Wahrnehmung, der Orientierung, der Illusion, der Desorientierung - hat ein rotierendes Aggregat für diesen Turm entwickelt. In einem zufälligen Gespräch mit Meinrad Maria Grewenig vom Historischen Museum der Pfalz in Speyer über dieses Projekt - ich wußte gar nicht, daß er eine Ausstellung zum Thema „Wein“ plante -, hat er gemerkt, daß diese Grundstruktur des Turms, dieses Gärungsprozesses, und dieses Deliriums, was dieses mit „Anemone“ betitelte, rotierende Aggregat repräsentiert hat, daß das eigentlich total zu dem Themenzusammenhang paßt. Dann hat er gesagt, ja, laßt uns mal gucken, ob wir das realisieren können, und das hat dann auch geklappt. Also keine lokalen und schon gar keine lokalpolitischen Bezüge.

K: Dann hätte ich noch eine Frage zum Thema Lokales, das ist ja alles noch Ihre nähere Heimat gewesen, Sie haben 1996 an einer Bunkeraktion in Ober-Olm bei Mainz teilgenommen, und zwar mit Mic Enneper und Ulrike Rosenbach. Sie haben früher schon einmal - 1994 - mit Lawrence Gipe zusammengearbeitet, das kommt ja offenbar häufiger vor. Das war die eine Frage: Wäre es nicht wünschenswert, heute wieder mit anderen Künstlern zusammenzuarbeiten, zumal Sie offenbar die Fähigkeit dazu haben? Und die andere: Was war eigentlich Ihr Anteil hier bei der Bunkeraktion? Hatte das ein bißchen was mit dem zu tun, nur jetzt auf anderer Ebene, wie früher zum Beispiel Ihre Aktionen auf Teneriffa?

B: Die Zusammenarbeit mit anderen Künstlern habe ich bis 1995 nie praktiziert und angestrebt. Erstmalig kam es zu einer Kollaboration mit Werner Klotz und Eve Andrée Laramée bei „A Scientific observation of a private Obsession“ in der Moltkereiwerkstatt Köln 1995. Das Bunker-Ausstellungsprojekt war keine Zusammenarbeit zwischen Künstlern. Jeder hatte seinen Bunker, mit dem er machen konnte, was er wollte, bzw. was er als machbar umsetzen konnte. Es waren halt 10 oder 12 Bunker in einer großen, im Wald befindlichen Anlage. Munitionsbunker der Amerikaner. Überirdische Bunker, die mit Erde überdeckt, getarnt waren. Es ist eigentlich eine politisch motivierte Ausstellungskonzeption gewesen. Man hat gesagt, dieses Bunkerareal will man konvertieren, also wieder rückführen in Wald und Kulturland. Das läßt sich ja medienmäßig nicht sehr gut verkaufen. So hat man diese Konzeption entwickelt. Man hat mich angesprochen und ich war sehr skeptisch bezüglich meiner Fähigkeit oder meines Willens, damit was zu tun haben zu wollen. Jede Hinwendung zu einer Sache ist auch eine positive Hinwendung, also man kann sich nicht nur negativ über eine Sache äußern. Ich selbst habe nie Wehrdienst geleistet und bin grundsätzlich militärischen Anlagen gegenüber nicht nur skeptisch, sondern ablehnend. Mir war bewußt, daß jedes Einlassen auf eine solche Sache hin auch letzlich eine Bestätigung oder eine positive Annäherung an diesen Sachverhalt ist.

K: Wirklich ist? Höchstens sein kann.

B: Ja, aber irgendwie ist da auch immer eine Akzeptanz impliziert.

K: Das glaube ich eigentlich nicht. Ich hätte mir wahrscheinlich was ganz zerstörisches ausgedacht. Irgend etwas mit sprengen oder so was.

B: Nein, nein das wäre ja, mit den gleichen Mitteln zu arbeiten, wie das, was man eigentlich ablehnt, also das ging nicht. Und ich hatte auch andere zerstörende Ideen ...

K: ... Säure ...

B: ... die auch nicht gingen aus dem speziellen Grund. Ich kann nicht zerstören, was dazu dient, etwas zu beschützen, nämlich Munition, die zur Zerstörung bereit gehalten wird. Also das ging alles nicht. Mir war auch ziemlich klar, daß die meisten eingeladenen Künstler diesen Raum – nachdem ich den Ort besichtigt hatte, und genau sah, welche Form das hatte, es war nämlich eine Reihung einzelner Großräume, die mit Erde abgedeckt waren, im Abstand von 50 m zueinander, jeweils so ein „Schuh-karton“, der mit Erde abgedeckt und mit Gras bewachsen war –, mir war also ziemlich klar, daß die meisten diesen Raum irgendwie als Obdach, als Ausstellungsraum benutzen würden und eventuell, in demn - was sie darin machen - Bezug auf diese spezielle Situation nehmen, inhaltlichen Bezug nehmen würden.
Ich hatte den Gedanken entwickelt, daß es interessant wäre, den Schutz, die Tarnung, wegzuräumen und den betonierten Bunkerkörper offenzulegen. Ich ließ also das Erdreich und die grüne „Tarnkappe“ der Bewachsung abräumen und diesen Abraum vor dem Bunkertor und die Zufahrt versperrend aufschütten. Die Benutzbarkeit des Bunkerraumes und seine Funktion wurde dadurch genommen, gleichzeitig die schützende Tarnung beseitigt. Und der Betonkörper der Sicht preisgegeben. Mein Kalkül war, die Erde, die ich wegräumen ließ, vor dem Eingang wieder so anhäufen zu lassen, daß sie in der Außenform dem Bunker vor meinem Eingriff glich. Nur spiegelbildlich vor den Eingang und ohne Bewachsung. Ich wußte, theoretisch könnte ja das Erdreich nicht ausreichen, weil schließlich der Hohlraum des Bunkers als Masse nicht da war. Es hätte höchstens ca. die Hälfte der gesamten Volumengröße des eigentlichen bisherigen Bunkers in der Form einer Miete ergeben können.
Dem war aber nicht so. Es hatte sich herausgestellt, daß durch das Abbaggern, dieses Loslösen, das Lockermachen das Erdreich soviel Substanz, soviel Volumen bekommen hatte, daß das, was ich anhäufen konnte, genauso viel und üppig war, wie das, was es vorher inklusive des Hohlraumes des Bunkers beinhaltete. Und dieses Anhäufen hat gleichzeitig nicht nur den Zugang versperrt, sondern auch die Zufahrt zum gesamten dahinter liegende Gelände blockiert.

K: Ich hätte nur gerne mal gewußt, wie die anderen Künstler das eigentlich gelöst haben, haben die dann wirklich nur den Innenraum genutzt, durch die Bank weg?

B: Ja, alle.

K: Alle außer Ihnen?

B: Ja. Also mehr oder weniger bezogen auf den Raum.

K: Doch nun endlich möchte ich im Weiteren ausführlicher auf die Situation in Mannheim eingehen.

B: Die Hauptarbeiten in Mannheim werden sein die Arbeit FUNDAMENTAL und die MONOCELL mit BILATERAL, wobei diese MONOCELL zwar ein Raum ist, der sich beziehen kann auf diese archetypischen Grundraumsituationen, wie ich sie Anfang oder Mitte der 80er Jahre für meine Bildwerke entwickelt hatte, gleichzeitig ist dieser Einraum mit seinen Wänden Träger der Arbeiten, die ich mit „Bilateraler Beziehung“ bezeichne, die sich dann beidseitig der Wand befinden und die Wand wie einen Belag im Sandwich zwischen sich nehmen.

K: Das kommt dann auch gleich, aber ich habe vorher noch ein Zitat: Bosslet verwendet laut unserer gemeinsamen Pressemitteilung in seinen Arbeiten - das wollte ich nochmal betonen und vielleicht sagen sie auch was dazu - Zitat: „... ausschließlich Produkte und Technologien aus der industriellen und gewerblichen Wirklichkeit. Sie sind immer wesentlicher, sichtbarer und funktionsästhetischer Bestandteil seiner Werke. Er arbeitet mit unedlen, gewöhnlichen Werkstoffen, die in seinen Objekten zu ungewöhnlichen Konstellation zusammengebracht werden und ihre innovative Kraft aus der metaphorischen Berücksichtigung mechanischer Grundphänomene schöpft. Klassisch anmutende Mittel werden somit auf eine zeitimmanente Ebene gebracht.“ -Zitatende-. Jetzt kommt von mir die Frage: Im Grunde genommen kamen Sie aber dabei aus der Situation, objets trouvés zu verwenden, wie etwa Bergungskissen, Karteischränke, Silos, zu einer situation de construer. Nun werden Beton und Armierungseisen Ihre neuen Elemente der Intervention, eine selbst konstruierte Gegenarchitektur. Da gehen Sie doch eigentlich weiter. Es ist ja auch - ich meine, jetzt, nachdem wir uns so lange unterhalten haben - kein Sinneswandel, sondern es ist die konsequente Aufnahme früherer Impulse, aber diese beiden Elemente haben Sie ja nebeneinander, also die gewöhnlichen Objekte aus der vorgefundenen Wirklichkeit und jetzt richtige Gegenarchitekturen.

B: Das kann man so sagen, weil sowohl der Beton als auch der Ytong im Grunde mehr Material und mehr Stoff sind und ich sie in der Weise, wie ich sie einsetze, forme. Weil ich das bisher nie gemacht habe, höchstens in den Bildarbeiten. Da habe ich ja auch die Stoffe geformt. Ob es jetzt flüssige, vermalbare Stoffe waren oder geschnittene, planflächige Plastiktextilien, die ja Stoffcharakter im Sinne von einer gewissen Unendlichkeit haben, die man erst in Form bringt, so ist der Beton ja auch

ein Stoff, den man erst in Form bringen muß, obwohl er als Beton ja auch schon ein Halbfabrikat ist. Es ist ja kein naturgewachsenes Material wie Stein oder Holz.

K: Also, mir ist eben gerade aufgefallen, daß Sie für Mannheim mit einer selbst kon-struierten Gegenarchitektur eine gute Lösung gefunden haben, weil dieser Ausstellungsraum ja sowas von schwierig und brutal ist - das ist ein unmögliches Ding -, daß es eigentlich bisher kaum einen Bildhauer gab, der mit diesem Raum glücklich gewesen wäre. Stephan Huber war erst dann glücklich, als er sah, daß sein „Bau-platz“ da drin funktionierte.

B: Wobei er die neue Arbeit - die hängende Ziegelmauerwand - im kleinen Raum gemacht hat. Er hat die anderen, die schon existierten, in der Halle aufgebaut – das hätte in der Deichtorhalle oder in einer anderen Großraum-Umhallung auch sein können.

K: Ja, so ist es. Also die eine Arbeit - den Container - kannte ich aus Wuppertal. Da hatte er ihn im Foyer integriert.

B: Ja, es hatte auch funktioniert.

K: Aber weil diese zweite Arbeit mit dem schwingenden Kronleuchter noch dazu kam, wußte man nicht, ob das so hinkommt, von den Proportionen her, von der Eigenwertigkeit her, daß die Arbeit autonom bleibt und trotzdem irgendwo in diesem Raum - proportional gesehen - angebunden ist. Und das sah man eigentlich erst nach dem Aufbau. Es war das Gefühl der Erleichterung, es geht. Es hätte auch nicht gehen können. Und darum finde ich Ihre Lösung - es ist fast eine Art Gegenschlag - gut, sich mit diesem Raum auf Ihre Weise auseinanderzusetzen.

B: Ja, und es ist wirklich etwas Gebautes wie der Museumsraum auch – und zwar nicht in Trocken-Leichtbauweise, sondern in solider Basisbauweise, wobei die Beton-Armierungseisen-Konstruktion sich ja wirklich auf Fundamentales im grundsätzlichen und im wörtlichen Sinne bezieht, und das andere, raumbildende Element eher auf die Vertikale, auf die Wände ausgerichtet ist. .

K: Wobei der Begriff MONOCELL ja diesen Einfachsttypus eines Baukubus besonders gut zum Ausdruck bringt.

B: Natürlich. BI-LATERAL - zweiseitig - und MONO-CELL – soweit bin ich fast gedanklich noch nicht, was das eigentlich noch beinhaltet. Und diese BILATERALEN BEZIEHUNGEN sind zwei unterschiedliche Elemente, die nichts voneinander wissen bzw. die man auch nie gleichzeitig sehen kann. Aber man kann in der Tür der MO-NOCELL stehend die eine oder andere Seite der Arbeit scharf im Profil sehen. Profil und Aufsicht sind in der Arbeit so extrem anders in der Wahrnehmung, daß man erst in der Summe der Einzelwahrnehmungen eigentlich das gesamte Gefüge begreifen kann.

K: Sie sagen, man kann es dann eigentlich nur über das Gedächtnis abrufen, die Zusammensetzung funktioniert über das Gedächtnis.

B: Genau. Das ist eine grundlegende Erkenntnis bildende Erfahrung. Eine Summe von Einzelerfahrungen, die sich erst in der Kette, in der Erinnerung, in der Kombination zu einem irgendwie gearteten, mehr oder weniger stabilen Gesamtbild oder Ver-stehenskomplex zusammenfügen.

K: Wie sind Sie eigentlich auf diese BILATERALEN BEZIEHUNGEN gekommen, wo war da eigentlich der Kick zu einer solchen Idee?

B: Ich konnte bisher erst eine „Unterstützenden Maßnahme“ realisieren, bei der zwei übereinander liegende Etagen miteinbezogen waren: Das war die documenta-Arbeit von ‘87. Sonst waren die die tektonischen Raumstrukturen, die ich mittels Stützen und Schaltafeln erstellte, immer nur in einem Raum installiert. Diese haben natürlich in der Vorstellung dann potentiell auf den nächsten darüber oder daneben liegenden Raum bzw. das Stockwerk eingewirkt. Leider bieten Ausstellungshäuser zu selten die Möglichkeit, sich mit diesen Werken auf weitere Etagen auszubreiten. Um ein Gebäude oder eine Architektur als Reihe verschiedener Räume und Stockwerke zu verstehen und somit die Wand als sowohl statisches wie auch als sichtnehmendes Element zu erleben, entwickelte ich die Werkgruppe der „Bilateralen Beziehungen“, die beidseitig einer Wand in Erscheinung treten. Über die Art der Montage mittels Ankerstab und Schrauben-Druckfeder sind die verwendeten Alugrußreliefe faktisch sowie spür- und verstehbar zweiseitig. In anderen Arbeiten habe ich ja Schalungssysteme aus dem Betonbau benutzt, die als Module und Gußform für Wände immer zweiseitigen Einsatz finden. Die runde Form der existierenden Alugußreliefe interpretierte ich teilweise mit Lackfarben neu. Da spielt meine Erfahrung mit Farbe, Farbstoffen und Beschichtung von Gegenständen als Malerei hinein. Es fasziniert mich der flächig bildhafte Gegenstand, der über seine Materialität sehr präsent ist, und in Konkurrenz mit einer Farbwirkung gerät.

K: Ich muß noch einmal einen kleinen Sprung zurück machen. Sie äußerten oben in dem zitierten Satz, gewöhnliche Materialien zu ungewöhnlichen Konstellationen zu kombinieren, die wunderbare Bemerkung, an der ich auch bei der Formulierung der Pressemitteilung lange geknackt habe: „Klassisch anmutende Mittel werden somit auf eine zeitimmanente Ebene gebracht.“ Was meinen Sie mit dieser „zeitimmanenten Ebene“, das Jetzt?

B: Ja, die heutige Zeit, die Gesellschaft in der ich lebe.

K: „Klassisch anmutende Mittel“, die jetzt der Kombination ...

B: ... mit Mittel ist nicht das Material gemeint, sondern es sind grundlegende Prinzipien wie stehen, pressen, zusammenfügen, lasten und deren Konstellationen. Die Arbeiten innerhalb der Werkgruppe der „Bilateralen Beziehungen“ tragen noch Untertitel wie Aureole, Aura, Nimbus, Glorie ...

K: ... es hat alles mit runden Dingen zu tun, Erhabenem, die aus dem religiös-mystischen Bereich kommen.

B: Ja, mit der Aura oder dem Renommee, dem Prestige einer Sache – auch eine Referenz zu spirituell Erhabenem. Den Titeln ist eine gewisse ironische Tendenz nicht abzusprechen. Aber andererseits ist es durchaus eine Hochschätzung technicher Entwicklung, ohne deren Einflußnahme auf das Leben außer acht zu lassen.
Im Grunde bin ich jemand, der Tinguely nicht schätzt, weil er auf eine blöde bürgerliche Art die Technik verballhornt und von dieser Seite beklatscht wird, obwohl gerade der bürgerlicher Reichtum auf der Anwendung von Technik basiert . Selbst ein Panamarenko, der ja viel positiver seinen technischen Dingen, seinen Flugobjekten gegenübersteht, hat doch diesen Lilienthal-Effekt. Also dieses Scheitern als kokettes Sich-lustig-Machen über den Versuch von Technik, Leben zu bewältigen. Und ich sage, die Natur des Menschen ist die Technik. Das ist das, was den Menschen von allem anderen unterscheidet, daß er Technik entwickelt hat, als ihn ...

K: ... letzten Endes selbst beherrschendes Element.

B: Es gibt ja Prognosen, die sagen, man wird in gar nicht allzu ferner Zukunft neuronale Systeme entwickeln, die in der Lage sind, sich selbst weiterzuentwickeln und herzustellen. Also etwas zu bewerkstelligen, wofür ja immer der Mensch nötig war. Und das wäre eine grandiose Erfindung, weil sie die Fähigkeit hätte, den Menschen, in dem was er im höchstem Maße künstlich - also technisch - entwickelt, zur Seite zu stehen oder zu ersetzen und ...

K: ... in die Schranken verweist. Also es kann kippen. Denken Sie an den Film „2001 - Odyssee im Weltraum“ von Kubrick, wo dieser Computer „Hal“ anfängt beleidigt zu sein, weil die Mannschaft nicht mehr so auf ihn eingeht, wie er das eigentlich gerne hätte, und dann dieses Raumschiff Punkt für Punkt außer Kontrolle setzt. Er wehrt sich gegen die Astronauten. Da ist diese Situation vor 25, 30 Jahren schon mal sehr gekonnt beschworen worden. Ansonsten gibt es ja schon die einfachsten Dinge, die wir nicht mehr im Griff haben. Also zum Beispiel 99% der Atomreaktor-Unfälle in den letzten 30 Jahren waren durch menschliches Versagen ausgelöst worden.

B: Versagen im Betrieb oder im System? Also ich bin nicht technologiegläubig, ich glaube nicht, daß die Technik alles bewerkstelligen kann. Aber es ist doch erstaunlich, daß oftmals die Technologie rationaler ablaufen würde und fehlerfreier wäre als der Mensch, der wirklich doch mit seinen Genen sowas von vorsinflutlichen animalischen Affekten unterliegt ...

K: ... überlegen Sie mal, wie wenige Zentimeter unter der Schädeldecke das Kleinhirn liegt, Totschlag, Mord, Eifersucht, Haß, Neid, mühsam übertüncht durch ein nicht gar so zivilisatorich kultiviertes Großhirn, das ja - wie man in diesem Jahrhundert gesehen hat - auch nicht die schlimmsten Sachen vermeiden konnte. Es ist einfach so, daß diese hochkomplizierten technischen Systeme zunehmend sich der Kontrolle des Menschen entziehen, weil der Mensch permanent präsent sein müßte, um sie zu beherrschen. Also auch Flugkörper. Auch da passieren immer wieder Sachen, die in hohem Maße durch menschliches Versagen ausgelöst werden. Und jetzt kommt eben der Punkt, den Sie genannt haben, daß wir irgendwann soweit sind, daß wir Computer entwickeln können oder Rechner, die weitere Generationen von Rechnern produzieren können. So wie ja auch schon Roboter eingesetzt werden, um Roboter zu produzieren. Also Werkzeugmaschinen.

B: Wobei ich wirklich nicht glaube, daß letztlich sozusagen ein Paradies, ein Heil zu finden wäre, indem man etwas produziert, was besser ist als der Mensch. Da hat der Mensch vielleicht doch auch noch unerschöpfliche Qualitäten.

K: Der Mensch hebt sich eigentlich nur vom Tier ab, weil er lacht und weil er vor allem Musik machen kann ...

B: ... und Kunst! [Heftiges Gelächter.]

K: Ja, vielleicht sollte man dabei bleiben.

B: Ein Affe kann bestimmt auch Rhythmen trommeln. Also soviel, wie er malerische Dinge oder skulpturale Dinge - also dreidimensionale Dinge - kreieren kann, kann er bestimmt auch akustische Dinge kreieren, also das dürfte auf ähnlicher Ebene geschehen.

K: Gut, dann beschränken wir es aufs Lachen. [Gelächter.]

B: Also, es gilt der Faktor, daß die Technik die Natur des Menschen ist, und nicht die bioorganische Grundlage – sie ist es nicht, was den Menschen ausmacht. Aber was ihn - glaube ich - immer noch als anerkannte evolutionäre Spitze ausmacht, ist eben, etwas zu entwickeln, was nicht gewachsen ist. Das ist doch der Punkt: Was nicht gewachsen ist! Was wir hier sehen, ist nicht gewachsen. Nicht mal die Holzplatte hier ist so gewachsen, wie sie jetzt ist. Selbst bei den Pflanzen wissen wir nicht, wieviele da schon ‘rummanipuliert haben. Das führt mich nochmal ganz an den Anfang unseres Gesprächs – um noch einmal den Kreis nach Dresden zu schließen. Zumindest in der Anfangszeit wurde ich den Verdacht nicht loß, daß hier noch ein festes Menschenbild existiert: nackt, idealisiert, oder vom Leben geschlagen, schmerzgetragen und zermürbt, losgelöst aus
irgendwelchen gesellschaftlichen, zivilisatorischen, produktiven Zusammenhängen, das vom Weltschmerz getragene Individuum ...

K: Also irgendwo ein Homo literaricus des 19. Jahrhunderts eigentlich. Irgendwie ist es so die ebene Fortführung des Menschenbildes, das ja in der Renaissance entworfen und im 19. Jahrhundert noch einmal feste aufgegriffen wurde. Wenn wir an Goe-the zum Beispiel denken. Aber wir sehen das ja auch in der Bildhauerei. Wir hatten mal eine Ausstellung über DDR-Plastik in der Kunsthalle, da haben sich sehr viele an so Leuten wie Gustav Seitz orientiert. Seitz war eine der Vaterfiguren der DDR-Plastik. Der war auch wichtig für den Westen, aber er war vor allem wichtig für den Osten. Und da haben Sie diese so ganz konservative Auffassung sehen können.

B: Als mein jugendliches Interesse für Kunst entstanden ist, war Mannheim, die Kunsthalle Mannheim, das nächst gelegene Museum von Bedeutung. Die Pfalzgalerie in Kaiserslautern war wirklich eine „kleine Klitsche“, Mannheim war ein richtig gestandenes Museum, vom Gebäude her schon, und auch von der Sammlung her irgendwie richtig toll. Und auch als Erlebnisraum, als Gebäude – so was von beeindruckend! Die Exponate mit dem Gebäude und den klaren Räumen usw. Und es ist heute wirklich äußerst erbärmlich, daß der nicht gelungene Erweiterungsbau volumenmäßig mindestens zwei Drittel des gesamten Gebäudes ausmacht. Die insgesamt schlechte Raumorganisation mit der noch viel schlechteren ästhetischen Umsetzung der verwendeten Materialien schlägt sowas von nachhaltig negativ auf die gesamte Institution zurück, daß man im Grunde genommen eigentlich in den alten Räumen bleiben sollte. Diese Erweiterung ist wie eine Mensa an einer Uni. Es ist wirklich traurig.

K: Ja, da haben Sie recht. Also ich hatte dann noch eine Frage, die mich also wirklich beschäftigt hat, zu Ihren Fähigkeiten, muß ich ehrlich sagen, Sponsoren aufzutun. Weil ich das durchaus für einen ganz wichtigen Aspekt halte, aber das brauchen wir vielleicht jetzt nicht zu besprechen, sondern später. Noch eins: Nach der Ausstellung in der Kunsthalle werden ja die jetzigen Objekte - also MONOCELL und FUNDAMENTAL - via Container entsorgt.

B: Ja.

K: Da sträuben sich dem Kustos bzw. Kurator, also dem Bewahrer, sämtliche Haare. Bleiben denn von Ihren Arbeiten - außer Fotos - überhaupt memorable, museale Sammlungsstücke übrig? Was haben Sie für ein Gefühl, wenn Sie diese Teile, die
in diesem Museum ausgestellt werden, anschließend entsorgen müssen?

B: Ich muß sie ja nicht grundsätzlich entsorgen. Diese Entsorgungsnotwendigkeit entspringt ja nicht aus der Arbeit selbst, sondern aus der Verwendung der Räume, aus der angestrebten Weiternutzung der Räume. Früher war ja Kunst auch nicht mobil eingestuft – mal davon abgesehen, daß ich viele mobile Werke habe, die man bewegen kann und die in anderen Räumen auch ihre Richtigkeit haben. Aber ich toleriere, daß man zu einem temporären Anlaß etwas realisieren läßt, was dann nicht bleiben darf. Von der Sache her könnte es ja bleiben.

K: Vielleicht können wir das der Kunsthalle vorschlagen bei der momentanen finanziellen Situation.

B: Da brauchen Sie keine Wechselausstellungen mehr zu machen. Dann hat sich das mal erledigt. Es ist ja, wie Sie sagten, eh kein Geld mehr da. Also was bleibt, ist meine Erinnerung. Und die Erinnerung jedes Einzelnen, der es gesehen hat und dem es etwas bedeutete, oder dem es ein Erlebnis war. Es bleiben Fotos und das
- ich denke mal -, was einmal in die Welt gesetzt wurde, hört nicht auf, weiter Wirkung zu haben.

K: Die Juden haben ja diesen wunderschönen Spruch: Was vom Leben bleibt
- das war auch der Titel der Liebermann-Ausstellung in Berlin -, sind Bilder und Geschichten.

B: Das sind sowieso die meist beachteten Ausstellungen, die keiner gesehen hat.

K: Ja, ja. Selbst die berühmte Ausstellung „Neue Sachlichkeit“ 1925 in der Kunsthalle Mannheim hat nur 4.100 Besucher gehabt, mehr nicht. Sie ist dann allerdings gewandert ein Jahr später und dann hat doch noch einiges an Interessierten angezogen.

B: Wichtig sind für mich ja auch Ausstellungen deswegen, weil sie Anlässe sind,
etwas zu realisieren, was keinen Sinn machen würde, es zuhause im Atelier zu realisieren.

K: Und dann ist es ja auch so, daß eine Installation - und das wird in dieser Ausstellung „FUNDAMENTAL wie BILATERAL“ auch konsequent durchgeführt - an einen Ort gebunden ist. Mit den beiden großen Arbeiten gehen Sie wirklich ganz dezidiert auf die vorhandene Situation ein.

B: Würde ich nicht sagen. Wie ich vorhin schon gesagt habe, ist dieser Bereich der Kunsthalle ja mehr ein überdachter Raum, also eine Halle, ein Obdach. Und diese Arbeiten beziehen sich nicht wirklich auf die Architektur. Oder auf deren materielle Existenz.

K: Sondern es ist die Autonomie der Konzeption ...

B: Genau, weil der Raum so seltsam ist, sind die eingebrachten Werke nur proportional zur Architektur gesetzt und in der Größe bestimmt.

K: Ja, und es ist ja auch ein Konzept da. Es ist dieser Grundrißraster bei FUNDA-MENTAL und es ist das Gebäude bei MONOCELL. Also das eine mit der Hermetik und dann mit den „Bilateralten Beziehungen“, die das ja dann auch noch verstärken ...

B: Hermetik und Bilateral sind so die zwei Begriffe, die sich ja ergänzen oder fast zusammengehören.

K: Richtig, auf der anderen Seite die völlig offene, übersichtliche Struktur ...

B: ... die man aber nicht begehen kann. Ich hatte ja schon ‘81 Bilder für den Boden gemacht, also riesige Keilrahmenflächen, die ich wie einen großen Tümpel flach,
5-10 cm hoch, auf den Boden ausgelegt habe, wo man also drum herum gehen mußte, die ein Territorium okkupiert haben, was man nur überschauen, aber nicht betreten konnte. Und was ich damals mit Farbe betrieben habe, ist hier konkreter auf das Gebaute bezogen. Denn ich bin ja im Gebäude. Also ich würde das selbe Ding nicht auf eine weite grüne Wiese stellen.

K: Ist es das erste Mal, daß Sie so etwas in dieser Form machen?

B: Diese Arbeit FUNDAMEMENTAL ist die dritte vergleichbarer Arbeiten. Zuvor gab es die SPERRE im Sprengel Museum Hannover 1995 und UNIVERSAL im Podewill Berlin 1995. Man könnte aber sagen, daß diese Arbeiten auf einer Werkgruppe der Basements von 1986 gründen. MONOCELL - einen einzelnen eigenen Raum - habe ich bisher noch nicht realisiert. Motiviert wurde ich durch den Museumsraum, der eine 6m hohe Halle ist. Meine bisherige Arbeit brauchte eigentlich eher einen klein dimensionierten Raum. Darin liegt auch ein großes Mißverständnis vieler Kunsthistoriker und Ausstellungsmacher, die zwar meine Arbeit oft als „monumental“ erleben, aber nicht kapieren, daß ich eigentlich einen kleinen Raum brauche. So hat mich die Einladung des Sprengel Museums, etwas zu realisieren, fast gezwungen, von der Dimension her noch mal was dazu zu legen, um dieses riesige Volumen in einer überzeugenden Art und Weise zu bewältigen, aber zugleich in einer bisher genutzten Grundstruktur, die für meine Arbeit eben typisch ist.

K: Ja, das stimmt. Wenn man gerade von der documenta her diese Arbeiten sieht ...

B: In Kassel konnte ich sehr früh meinen Ort auswählen und mich gerade bewußt für die ausstellungsfremde Treppenhaussituation entschieden, weil dadurch die Verspannung zwischen den Wänden und der Decke und dem Boden physisch erlebbar war. Es war ja keine Halle mit neben dran nochmal einer Arbeit eines anderen Künstlers. Es war kein Ausstellungsraum mit mehreren Exponaten anderer Künstler, also kein Obdach, sondern es war ein Architekturraum.

K: Es war der Architekturraum nur mit dieser Arbeit. Ja, das fand ich damals besonders gelungen, daß da eine Arbeit mal wirklich für sich richtig alleine war.

B: Ich könnte mir eine fundamentartige Bodenarbeit wie FUNDAMENTAL auch durchaus in ganz engen Räumen vorstellen, also so, daß man kaum noch drumherum kommt. Daß die so sehr den Binnenraum belegt, daß man sich sozusagen mit dem Rücken zur Wand drumherum bewegt.

K: Wenn man also nach vorne fällt, tut man sich die Hände weh.

B: So ungefähr. Also das fände ich durchaus eine angemessene Situation.

K: Ja, ein bißchen kommt das auch ‘rüber, muß ich gestehen.

B: Trotzdem, meinen Sie? Sie haben es ja noch nicht gesehen.

K: Nee, ich habe es noch nicht gesehen, und ich habe auch versucht, mir die Maße vorzustellen. Sie haben den Raum ja sicher ausgemessen, wie breit ist er eigentlich? Unser Raum?

B: Ich glaube, links und rechts sind es noch 4 m. Da ist durchaus noch Platz. Man kann schon ungestört drumherum gehen. Für Mannheim ist die Arbeit nicht dahin konzipiert, daß es den Raum füllt. Das bestimmt nicht.

K: Herr Bosslet, ich war jetzt mit Ihnen in der Akademie und habe gesehen, wie sehr Sie dort auch als Organisator tätig sein müssen, was den Ablauf des Betriebes anbetrifft – das war der eine Punkt. Und dann kamen wir schon unterwegs darauf zu sprechen, wie sehr heute Studenten, also Ihre Schüler, nicht nur - ich will es mal verknappt formulieren - mit handwerklichem Rüstzeug ausgestattet werden, sondern zusätzlich lernen müssen, ihre eigene Sache nach außen zu vertreten, zu erkunden, wie eine Außenwirkung ist, also eventuell auch parallel zum Studium schon Ausstellungen in Gang zu setzen und darüber hinaus Werbung in eigener Sache zu machen bis hin zur Besorgung auch des Materials. Das ist ja heute auch ein Punkt, der nicht unerheblich ist, vor allem bei Ihren Arbeiten. Sie brauchen zum Teil diese vielen vorfabrizierten Elemente aus der Industrie, aber in einem Ausmaß, daß Sie das gar nicht finanzieren können, es ist völlig ausgeschlossen, sondern daß Sie Hilfe von draußen brauchen über die Schiene „Sponsoring“?

B: Genau, und wenn man davon ausgeht, daß doch eine Vielzahl der Studenten heute keinen Sinn und keinen Spaß daran hat, für 50 Mark mehrere hundert Kilo Gips in Kunst zu formen, sondern daß sie durchaus alle gängigen Materialien als kunstfähig einschätzen, dann geht eigentlich automatisch einher, daß das Besorgen dieser Materialien, die sie für ihre Realisierungen brauchen, mehr kosten, als sie in der Lage sind zu bezahlen, oder Geld dafür aufzubringen. Damit entwickelt sich auch die Notwendigkeit, die Werkideen auch sprachlich anderen so einsichtig zu machen, daß man Leute findet, die dann wohlwollend sagen, O.K., ich gebe es zum halben Preis ab oder es soll Sie jetzt mal nichts kosten. Das kann man nur, wenn man versteht, seine Ideenwelt ein bißchen zu formulieren und eine Begeisterung in sich selbst aufzubauen, um die dann überspringen zu lassen auf mögliche Mitwirkende.

K: Sie haben ja sehr viel Erfahrung in eigener Sache im Laufe der ganzen Jahre sammeln können. Wie waren die denn? Sie sind an Baufirmen herangetreten, Sie sind an Unternehmen herangetreten, die Rohre machen, die mit Kunststoffen, die mit Planen arbeiten – es ist ja auch eine ordentliche Energie notwendig, um diesen Schritt überhaupt zu tun, dahin zu gehen und - ich sage es jetzt mal ganz kraß - zu betteln. Das ist am Anfang eines Studiums sicher besonders schwierig, weil man ein Nobody ist. Jetzt in Ihrer Funktion als Professor, der einen Namen hat und dann auch renommierte Institutionen nennen kann, in denen er ausstellt, fällt das sicher inzwischen etwas leichter. Aber Sie wollen diese Situation im Grunde genommen von vornherein mit vermitteln?

B: Ja. Es hat sich für mich noch nicht klar herausgestellt, ob der Professorentitel die Sache jetzt erleichtert. Das muß ich erst mal ausloten, weil man ja automatisch damit gleichsetzt, daß jemand gut situiert ist, ein gewisses Geld hat, einen Apparat hat, in dem er hauptsächlich tätig ist und man eventuell mich weniger als Künstler, sondern mehr als Lehrer sieht. Und deswegen weiß ich noch nicht, ob das immer so funktioniert. Manchmal - habe ich schon gemerkt - provoziert der Titel fast eine devote Hilfsbereitschaft. Es kann aber auch anders herum gehen, daß man sagt, na ja, was solls, der hat es doch, der soll das doch selbst bezahlen.
Sie nahmen das Wort „betteln“ in den Mund. Da muß ich widersprechen. Das hat nichts mit betteln zu tun, da ich, wenn ich etwas nehme, auch als Künstler etwas zu geben habe. Nicht, daß etwa jeder Förderer direkt etwas meßbares zurückbekäme. Das nicht. Es geht mir auch über die Dimension der reinen Finanzierbarkeit hinaus. Wenn ich Material brauche, das kein traditionell kunstspezifisches Material ist - und das ist bei mir immer der Fall -, dann ist ja sozusagen die Substanz dieser Produkte als Ergebnis unserer technologisch, zivilisatorisch, kulturellen Entwicklung in dem Produkt als Energiepotenz enthalten und auch für jedermann ablesbar. Daraus entwickle ich die Grundeinstellung, daß ich sage, der, der das produziert, und es sonst immer zu ganz pragmatischen Zwecken einsetzt oder verkauft, der sollte eigentlich bereit sein, innerlich bereit sein und auch stolz sein können, daß genau diese seine Produkte und seine Materialien in den Kultur-, Kunstkontext eingebunden werden, und auch in Bereichen plötzlich gesellschaftliche Bedeutung gewinnen, in die er sonst nie Zugang hätte. Weder er als Person noch seine Materialien. Der Unternehmer, der Fabrikant der sicherlich die meisten Kontakte und Freunde unter seinesgleichen hat , der kaum unterhaltsame, gesellschaftliche Anlässe findet, über seine Arbeit, seine Produkte zu sprechen, erhält über die Integration seines Produktes in einen kulturell geachteten Zusammenhang wieder die interessante Möglichkeit, sein Sponsoring und sein Produkt im Werk als Gesprächsanlaß zurückzugewinnen.

K: Und vor allem kann man dann sogar mit solchen Leuten diesen neuen Bereich direkt besuchen. Man kann ja, was sehr schön eigentlich wäre, den Freunden zeigen, dieses Produkt aus meinem Bereich ...

B: Ist theoretisch möglich, wird aber ...

K: ... kaum genutzt. Wie ist das Feedback rein verbal? Ist das schon so formuliert worden, daß sie einfach Interesse daran haben, weil jetzt ein Teil Ihrer Produktpalette in eben völlig anderem Zusammenhang präsentiert wird, sprich Kunstmuseum?

B: Es ist ein persönlicher Reiz für die Leute da. Es wird nie gesehen, daß das ihrem Marketing dienlich wäre. Das ist vielleicht bei Sony so möglich oder bei ganz bestimmten Firmen, die sowieso ein sehr verbreitetes populäres Produkt haben, die über diese Publizität einfach noch mal ihr Image unterstreichen, was dann letztlich sicherlich auch marktfestigend ist. Aber die Produkte, die ich benutze, die werden ja nur benutzt aus ganz strengen, zwingenden, praktischen, gewerblichen Nutzanwendungen heraus. Selten wird so ein Produkt eher gekauft, weil es ein besseres Image hat als das andere.

K: Und so ein Sony-Gerät, das dann über Nam June Paik innerhalb der Kunst etabliert wurde als eine Art Dauermonitor, hat ja parallel dazu noch einen eigenen
- sagen wir mal - Unterhaltungswert. Den haben ja die Produkte, die Sie verwenden, nicht ...

B: ... per se sowieso nicht. Die sind ja sozusagen wirtschaftliche Grundlage vieler Wirtschaftsbereiche, aber sie sind nicht im kulturellen Blickfeld.

K: Eigentlich also im Grunde genommen kein Feedback. Es läuft in eine bestimmte Richtung, die Sie jetzt für sich nutzbar machen. Wie ist denn so die Reaktion jetzt? Einfach mal der Gesamteindruck der vielen Kontakte, die Sie inzwischen hatten – in der Grundtendenz eher positiv, oder gibt es auch schon mal eine schroffere Ablehnung beispielsweise?

B: Nein, schroffe Ablehnungen gibt es nie. Soweit mein Aktionsradius bisher reichte, waren die Leute sehr wohlwollend und hilfsbereit. Ich kenne Künstler aus dem Ausland, die das fast bewundern, daß in Deutschland und Mitteleuropa doch eine so hohe Bereitschaft ist, zu helfen. Spitze Zungen haben schon gesagt, weil die Deutschen so wenig Lebenskultur haben, versuchen sie das zu sublimieren, indem sie die Kultur auf dem Wege unterstützen. Da ist was dran. Also einerseits ein Bewußtsein, daß alle beteiligt sein sollten, Kultur zu tragen, andererseits ist die alltägliche Sinneskultur, Lebenskultur, Eß- und Trinkkultur nicht so ausgelebt wie in Italien, Frankreich usw. Vielleicht wirkt da auch ein allgemeines Schuldbewußtsein, aber auch dieser Innovationsimpuls. Man erkennt und weiß, man kann hier - gesamtgesellschaftlich gesehen - innovativ mitwirken, indem man solche künstlerischen Impulse und Erfindungen durch so eine materielle Mitwirkung unterstützt. Trotz teilweise größerer Summen sind das im Verhältnis zu dem, was solche Firmen umsetzen, oder was als Schwund oft auch abgerechnet werden muß, im Grunde keine unkompensionierbaren Beträge. Die Zweck-Nutzen-Abrechnung steht bei den Entscheidungen in den Firmen wohl nicht an erster Stelle. In den USA wird ja auch viel gesponsert, aber da heißt es dann „Tue Gutes und sprich darüber“, und nur wenn man das tun kann, gut darüber zu sprechen und das in einer großen Öffentlichkeit, wird es sponsorenwürdig. Es wird Geld gegeben. Ich frage nie nach Geld, sondern immer nach Materialien und Arbeitsleistungen. Aber sobald es unter eine gewisse Öffentlichkeitsebene fällt, weiß der potentielle Geber, es hat keine große Wirkung auf sein Jahresgeschäft. Und dann würde er das vielleicht in den USA lieber sein lassen.

K: Das Monitäre spielt ja auch bei uns, bei den großen Sponsoren eine Rolle. Also wenn Sie Mercedes nehmen, zum Beispiel im Reitsport, wählen die sich auch lieber die spektakulären Ereignisse ...

B: ... die geben aber auch Geld, und nicht ihr Produkt.

K: So ist es. Wir haben oft auch die Erfahrung gemacht, daß wir als kleinere Kultureinrichtung dann durchaus an die Grenzen der Bereitschaft von monetären Spenden stoßen, weil das Event nicht so ist, daß es als Event nach außen vermittelbar oder verkaufbar wäre. Und das andere - da haben wir auch gute Erfahrungen gemacht - ist, daß wir jederzeit Spendenbescheinigungen anbieten, ja auch für Sachspenden, die dann absetzbar sind. Das wird auch gerne in Anspruch genommen.

B: Ich habe festgestellt, daß es gut ist, wenn ich das anbieten kann. Wenn eine Ausstellung anliegt in einem Museum oder in einer anderen Institution, kann ich das anbieten, es untermauert sozusagen die Seriosität meines Anliegens, in Kombination mit dem Ausstellungsanlaß sowieso. Aber oftmals nehmen die Firmen das Angebot garnicht in Anspruch.

K: Heute morgen nun - um auf die Situation unmittelbar vor Ort zurückzukommen -fand ich es sehr eindrucksvoll, daß Sie sehr bald nach Ihrem Start hier als Professor an der Akademie zwei kleine Räume vorgesehen haben zur Präsentation von Werken Ihrer Klasse.

B: Ja, es ist eimal ein Projektausstellungsraum, der speziell für die Realisierung raumrelevanter Konzepte gedacht ist, der allen Studierenden - nicht nur meiner Klasse - zur Verfügung steht. In diesem kleinen Raum mit 75 Kubikmetern Rauminhalt können Werke entwickelt und gezeigt werden. Pressearbeit, Einladungen gestalten etc. gehören mit zum Training.

K: Wer entscheidet die Auswahl?

B: Es gibt keine Auswahl. Nur die Einschränkung, daß es sich nicht um unreflektiertes Hinstellen und Hinhängen überall sonst auch zeigbarer Arbeiten handeln soll. Aber auch das eher Traditionelle zu zeigen wäre möglich, wenn eine entsprechend bewußte Haltung und plausible Begründung dahinter stünde. Der zweite Raum ist das Ressource-Büro, in dem es eine kleine Bibliothek mit ausgewählten Katalogen und allgemeinen Nachschlagewerken gibt. Darüber hinaus habe ich die Zeitschriften „Geo“, „Bild der Wissenschaft“ und „Spektrum der Wissenschaft“ abonnieren lassen. Es steht auch ein Rechner mit Drucker zur Verfügung. Leider haben wir noch keine praktikable Lösung für Telefon und Fax gefunden.

K: Und dieses Aufmerksammachen auf die gesamten Bedingungen eines Marktes danach – es hat ja heute in diesem Video über die Akademie eine junge Dame sehr schön gesagt, nach den 5 Jahren, die ich jetzt hier in Dresden sein werde, nach der Geborgenheit findet dann der Schritt in die rauhe Wirklichkeit statt und sie wüßte noch garnicht, wie das ausgeht –, also diesen Zusammenprall zwischen Schulabschluß und dann - wie es immer so schön heißt - dem Hinaustreten ins Leben, den wollen Sie mit vorbereiten helfen, das heißt, diesen Schritt rechtzeitig im Bewußtstein, in der Handlung, in der Auseinandersetzung mit vorbereiten?

B: Genau, es soll im Grunde ein kleiner Schritt sein bzw. keiner mehr. Nicht so sehr auf den Kunstmarkt hin, dort die richtigen Strategien und Kniffe zur Knackung dieser schwierigen markttechnischen Nuß zu finden, sondern ein ausreichendes Wissen und genügend Erfahrung für den Realisierungsprozeß schwieriger oder aufwendiger Werke und Ausstellungsvorhaben bis hin zu den notwendige kleinen Managementqualitäten für den möglichst reibungslosen organisatorischen und publizistischen Ablauf.

K: Wir sprachen vorhin darüber, daß die Kunst im Kopf beginnt, heute vielleicht mehr denn je. Also die intensive Beschäftigung mit dem Angebot von Materialien, und dann vor allem auch die eigenen Wünsche, mit bestimmten Materialien bestimmte Dinge zu erreichen oder umzusetzen. Also nicht einfach irgendwie drauflos zu studieren, sondern schon sehr bald zu versuchen, eine Linie oder eine Konzeption zu entwickeln. Kann man das so krass sagen?

B: Nein, das würde ja bedeuten, daß ich darauf setze, daß jeder möglichst schnell seinen roten Faden findet. Eigentlich das gar nicht, im Gegenteil, das Studium sollte dann doch diesen Freiraum haben, so viel wie möglich unterschiedliche Aspekte auszutesten, um wirklich die für ihn temperamentsgemäße, inhaltlich richtige Spur zu finden. Das kann man nicht, indem man möglichst früh versucht, ein Markenzeichen zu entwickeln. Das würde eher diese Entwicklung hemmen. Ich selbst kann von meiner eigenen Entwicklung sagen, daß man natürlich in jeder Phase des Studiums denkt, genau das was ich gerade mache, das bin ich und genau das wird es sein, mit dem man in die Kunstwelt eintritt, mit der man sich identifiziert. Im Nachhinein - kann ich aber sagen - hat eigentlich für mich der rote Faden so ein, zwei Jahre nach dem Studium angefangen, der bis heute dann durchgegangen ist. Auf meiner Studienerfahrung basierend - würde ich auch sagen - sollte eigentlich die Studienzeit eher noch heterogener genutzt werden, als ich sie damals selbst für mich genutzt hatte. Daß ich selbst diesbezüglich nicht so motiviert wurde. Also ich hätte mir gewünscht, daß mein Lehrer nach dem dritten relativ ähnlichen Bild gesagt hätte, jetzt laß mal gut sein, guck mal, ob Du nicht von einer anderen Ecke den Dich interessierenden Sachverhalt anpacken kannst.
Nun noch zu einem anderen Aspekt Ihrer Frage: Material, unter Material verstehe ich alle Dinge, Stoffe, Zusammenhänge, Systeme und Strukturen im natürlichen, künstlichen und kulturellen Raum, also auch die sogenannten Inhalte, denen man z.B. im Ressource-Büro nachstellen kann.

K: Das wurde auch in diesem Video von einem Schüler gesagt, der aus Österreich kam, und der schon an der Berliner Akademie studiert hatte und sagte, er wäre dort eigentlich sich selbst überlassen gewesen, die Lehrer hätten die Schüler im wesentlichen machen lassen. Und nun habe er aber doch das Bedürfnis, daß einer mal sagt, das würde ich nicht so machen, das würde ich überprüfen, Anregung von außen durch die Akademie. Er sagt, er fühle sich jetzt hier in Dresden sehr wohl, weil diese Anregungen geboten würden und weil er damit durchaus seine inzwischen auch entwickelten Formfindungen modifiziere oder überdenke. Kann man sagen, daß so eine Art Rückkehr auch an anderen Akademien stattfindet – es gibt ja schreckliche Beispiele, Hrdlicka hat in Stuttgart Tonbänder laufen lassen, weil er nicht selbst kommen konnte –, daß Akademielehrer auch wieder anwesend sein, sich um ihre Schüler kümmern sollten? Denn das ist ja ein ganz wichtiger Punkt ...


B: Es macht nicht die tägliche Anwesenheit aus. Auch ein studierender Künstler kann ein Werk in den seltensten Fälle von heute auf morgen realisieren. Das braucht seine Zeit. Das heißt, Grundlage einer Auseinandersetzung ist idealerweise doch ein in Materie umgesetzter innerer Bedarf. Das heißt, über etwas Produziertes lassen sich leichter weiterführende Inhalte, aber auch ganz formal mit Inhalten gekoppelte Qualitäten besprechen und eruieren.

K: Man braucht dann also wirklich Anhaltspunkte. Es müssen sozusagen die Dinge geschaffen werden, über die man dann kommunizieren kann.

B: Genau. Man kann zwar vorab bestimmte Interessen zu Themenbereichen rein sprachlich erörtern, aber das große Problem der Kunst ist ja letztlich doch die Wirklichkeit im Material. Es ist ja nicht nur eine Übersetzung, es ist ja nicht nur, etwas Gedachtes Material werden zu lassen, sondern ein Entwickeln der Idee beim Machen. Weil oft das Gedachte schon glorreich und gut ist, aber wenn man es versucht, in einem Material erlebbar zu machen, dann stellt sich eben heraus, daß dann Eigengesetztlichkeiten oder Zwangsläufigkeiten entstehen, die sich nicht mehr mit der rein gedachten Idee in Übereinstimmung bringen lassen.

K: Die Verfertigung des Gedankens beim Sprechen.

B: Das ist Kleist. Die Verfertigung der Kunst beim Realisieren. Die Idee entwickelt sich im Machvorgang mit. Das kann man aber nicht grundsätzlich sagen, es gibt auch Werke, die man sehr stark gedanklich vorstrukturieren und planen muß. Und dann macht man die Sache, die dann auch stimmt. Aber das ist nur möglich, wenn man ausreichende Erfahrung hat.

K: Früher gab es ja durchaus Akademieklassen, die sehr viele Schüler hatten. Gibt es bei Ihnen, sagen wir mal, eine Vorstellung einer idealen Zahl? Daß Sie also eine
bestimmte Anzahl Schüler nicht überschreiten wollen, um sich dann auch um den Einzelnen eventuell etwas ausführlicher kümmern zu können?

B: Dazu habe ich noch keine Vorstellung. Da ist meine Erfahrung noch zu jung, zu gering. Wenn es gut läuft, können die Studierenden sich ja auch untereinander sehr gut motivieren, und wenn die Reibung eine produktive ist, dann ist eigentlich die Auseinandersetzung der Studenten untereinander mindestens so wichtig wie sozusagen mein Ideenmanagement oder meine Funktion als Animateur und Trainer.

K: Wie ist es mit den Räumlichkeiten? Sie richten gerade ein großes Atelier für Ihre Klasse ein. Gibt es dann für jeden einzelnen Schüler noch irgendwo eine Ecke, in der er sozusagen für sich sein kann?

B: Ja, ja. Die machen sich dann so gewisse eigene Arbeitsplätze in dem großen Raum. Es gibt auch welche, die arbeiten zuhause. Die kommen dann nur zu den zur Zeit einmal wöchentlich angesetzten Klassenbesprechungen. Es kann aber jeder sich zwischendurch melden, um eine Beratung zu erhalten, ein Gespräch zu führen.

K: Und dann planen Sie auch moderne Außenkommunikation. Ich habe gehört, Sie möchten einen Internetanschluß haben?

B: Das ist von mir ganz stark angestrebt, daß eben so eine Art Grundausstattung wie Telefon, Fax, Internetmöglichkeiten in so einem Ressource-Büro vorhanden sind. Und das Büro ist aus meiner Sicht nicht ein Büro zur studentischen Selbstverwaltung und auch nicht ein Büro nur zum Promoten der Veranstaltungen im Raum nebenan, sondern es sollte wirklich so eine Art Entwicklungslabor, Theoriebude sein, wo dann zeitrelevante Ideenressourcen in den Regalen stehen. Also außer Katalogen von anderen Künstlern, die sonst in der Bibliothek ein paar Kilometer weiter weg stehen, sollen hier auch bestimmte Sachen gesammelt werden. Aber eben, wie ich es schon gesagt habe, interessante wissenschaftliche Bücher, die jeder einzelne Student vielleicht gelesen hat und sagt, das ist eine für unsere Zeit wichtige Position. Wie das dann in der Praxis funktioniert, ob das im Laufe der Zeit in alle Winde verteilt, gestohlen wird, das muß man halt mal sehen. Es muß sich zeigen, ob das machbar ist. Einerseits die jederzeitige Verfügbarkeit, und andererseits eine gewisse Kontrolle, daß also das vorhandene Material und die vorhandene Ausrüstung nicht unsinnig beschädigt wird oder unauffindbar bleibt.

K: Ja, vielleicht geht das sogar soweit, daß man eventuell im Internet was mit jemand anderem - also vielleicht mit einer anderen Akademie - zusammen machen kann. Sie haben ja jetzt auch diesen Austausch „Schüler aus Dresden werden in Bremen präsentiert, Schüler aus Bremen dann in Dresden“. Das sind ja wohl auch Aktivitäten, die zunehmen. Also wünschenswert ist das natürlich auf alle Fälle.

B: Ja, es ist wünschenswert, aber letztlich bringt es den Studenten nichts. Es ist einerseits eine hochschulpolitische Veranstaltung, andererseits wird es aber nicht mit entsprechenden Service- oder Finanzmitteln ausgestattet, so daß es dann wenigstens leicht fallen würde. Sondern es wird ein großes Engagement der Künstler erwartet, und es bringt keinem der Künstler, der Studenten etwas. Wen schert denn eine durch die Hochschulen veranstaltete Ausstellung in der Kunsthochschule! Das ist null. Und wenn dann noch ein Katalog gemacht wird, ist es nur für das Ministerium interessant, aber nicht für den Künstler. Anders verhält es sich da bei den Ausstellungen im Projektausstellungsraum der HFBK auf der Pfotenhauerstraße. Die sind getragen durch das vitale Eigeninteresse und Engagement der Studierenden, weshalb die Projekte meist eine besondere Intensität haben und deshalb sehr gut beachtet werden.

K: Wenn man jetzt aber mit so einer studentischen Gruppenausstellung in den Kunstverein gehen könnte oder in eine andere vergleichbare Institution, dann erschlösse es sich ja der Öffentlichkeit.

B: Schon, aber dann muß die Künstlerliste aus normalen Gesichtspunkten heraus selektiert werden, das heißt, der Institutionsleiter muß wissen, warum er die Leute ausstellt, und nicht, weil das jetzt die Ausstellung eines Absolventenjahrgangs ist.
Es muß ja sachlich und inhaltlich begründet sein und nicht nur aus so einer formalen Ebene heraus.

K: Gut, lassen wir es dabei. Jetzt noch einmal zur Beschaffung Ihrer eigenen Materialien ...

B: ... Materialien und Ausrüstungsgüter. Also bei der Beschaffung der Materialien spielt die Erfahrung, die man mit der vorher realisierten Arbeit gemacht hat, für die Neuentwicklung einer weiteren Arbeit eine große Rolle. Eben auch vom Ideengebilde her. Ich recherchiere in entsprechenden Branchenbüchern und lasse mir Prospekte schicken, um eben das Material auch von dieser Seite noch präziser kennenzulernen. Manches kennt man aus der eigenen Erfahrung , aber in solchen Prospekten stehen ja dann Zahlen, Größen, Maße, Gewichte, sonstige Eigenschaften usw. Auch Variationen, die man vielleicht noch nicht kennt. Sobald die Werkidee konkret steht und ich weiß, was ich brauche und - im besten Fall - halt auch weiß, wo ich diese Arbeit zeigen werde, dann schreibe ich diese Firmen an und sage, daß ich das haben möchte.

K: Bleibt es dann bei diesem anonymen Kontakt? Wollen die Firmen auch wissen, wozu Sie das haben wollen?

B: Ja, die ein oder andere Firma möchte nach Fertigstellung ein Foto oder einen Katalog der Ausstellung haben, in denen sind sie ja dann auch genannt. Aber meistens bleibt es dabei. Es gibt ein paar Kontakte, bei denen ich die Geschäftsführer auch persönlich kennengelernt habe, weil sie sich dafür interessierten und zur Eröffnung der Ausstellung kamen. Es gab auch schon mal jemand, der dann eine Kleinigkeit, also eine Zeichnung, eine Vorstudie oder so etwas erworben hat. Aber das ist die Ausnahme, und es gibt meinerseits auch keine Spekulation diesbezüglich.

K: Es ist dann wirklich das Interesse. Auch gerade dieser Leute, zu sehen, was aus den Dingen geworden ist.

B: Genau. Ich biete den Leuten in meinen Anschreiben auch immer an, daß ich Ihnen Materialien - also Kataloge oder Fotomaterialien vergleichbarer Arbeiten - schicke. Es hat sich aber erwiesen, daß genau diese Geschäftsführer, die das Angebot annahmen, die Leute waren, die dann nichts gegeben haben. Weil deren Kunstverständnis natürlich eine andere Verwendung ihrer Materialien implizierte, als ich sie dann einsetze, und deswegen sind sie dann enttäuscht. Anders die Unternehmer, die diese konkrete Bildinformation vorab nicht haben wollen, die wollen auch garnicht selbst bewerten, ob sie das gut oder schlecht finden und Ihre Entscheidung davon abhänig machen.

K: Ist es dann so, weil deren Vorstellung von Kunst in Ihrer Umsetzung nicht der eigenen entspricht, bei einer zweiten oder dritten Anfrage dazu gekommen, daß die dann gesagt haben, nee, um Gottes Willen, das nicht. Also dann ablehnend reagiert haben, weil ...

B: Nein. Wenn jemand einmal bereit war, dann ist er auch wieder bereit gewesen.

K: Jetzt noch einmal etwas anderes. Ihre Kunst ist sehr dominant. Kunst kann Druck ausüben auf die Beteiligten, wie der Jugendstil, wo dann zum Schluß die stilisierenden Elemente bis in die Kleidung und in die Frisur gingen. Der Rezipient wurde Teil der Inszenierung, er mußte es sogar werden, damit er diese formale Einheit nicht störte. Und damit ist dann ein erheblicher Teil von Unfreiheit bereits erreicht.

B: Ja, eben das Gesamtkunstwerk schließt andere Formen aus. Und in dem Sinn ist das Ansinnen eines Gesamtkunstwerkes totalitär und verneint die Berechtigung anderer Existenzformen. Es setzt sich nicht in Bezug, sondern es setzt sich absolut. Das ist der Punkt. Mein Werk ist da grundsätzlich anders angelegt. Meine Arbeit setzt sich in Bezug, ist relational. Neben meinen Interventionen und Installationen integrieren auch meine Bildwerke das Umfeld, die Farbe der Wand, auf der sie
hängen, ohne das Gebäude bzw. Umfeld zu vereinnahmen.

K: Und sie können auch wieder weggenommen werden.

B: Die Installationen sind fest mit dem Raum verbunden, aber reversibel, thematisieren ihre Bedingung. Sie sind in sich selbst scheinbar autonom wahrnehmbar, aber sie haben keine autonome Existenz. Sie brauchen den faktischen, physischen und inhaltlichen Umraum als Partner und Relationat.

K: Und wenn sie rausgenommen werden, zerfällt das alles wieder in seine Einzel-
teile.

B: Genau. Und als Betrachter hat man trotzdem die Möglichkeit, diese Arbeiten, die Installationen doch auch als Bild fast autonom wahrzunehmen. Ich schaffe kein Environment, sondern eine Konstellation zum tektonischen Partner.

K: Das ist aber bei Ihnen auch ganz unterschiedlich. Es gibt Installationen, die sind sehr dominant, da ist das installierte Objekt nicht nur auf den Raum eingehend, den Raum betonend, den Raum gliedernd, sondern ihn auch wirklich dominierend. Gerade bei den „Unterstützenden Maßnahmen“, oder bei den Arbeiten jetzt in Rotterdam, wo Sie diesen schmalen Raum mit einem Werk unter Verwendung von Pressluftkissen markant strukturierten. Daneben - die sehe ich eigentlich eher als autonome Kunstwerke - transportable, in sich geschlossene, abgeschlossene Werke, die sie wirklich von Ort zu Ort tragen können.

B: Ja, im faktischen Sinne sind die Installationen natürlich nicht autonom. Die installierten Konstruktionen verhalten sich aber in ihrer Bedingung zum gebauten Raum in einer prekären Abhängigkeit, weshalb man sehr gut beide Systeme unvermischt in ihrer Abhänigkeit erleben sollte. Die einzelnen verwendeten und in Anspruch genommenen Elemente müssen sich aufeinander verlassen können.

K: Ja, durch eine Anbindung, durch eine Koppelung.

B: Durch das Spektrum ihrer Referenzen und ihrer physischen Koppelung sind sie miteinander in Balance. Die von mir eingesetzte Kraft ist eigentlich nur eine Metapher dafür, daß überall Kräfte herrschen. Eine starre Statik gibt es nicht. Es gibt im-

mer nur das Pendel, der Versuch der Stille und des Bleibenden, der Ruhe ist eigentlich immer mit Bewegung verbunden. Und selbst so ein anscheinend statisches Kunstwerk hat wirkende Kräfte ideeller und - in meinem Fall - eben auch physischer Art, die das Werk in Bezug auf sein Umfeld und dessen Teile zueinander hat.

K: Verankern, in sich verankern, im Raum verankern. Und dann gibt es bei den Rauminstallationen die Möglichkeit, die Einzelteile wieder auszubauen. Die bleiben autonom und können meist in ihren ursprunglichen Nutzzusammenhang wieder verwendet werden.

B: Und es findet eben diese klassische Interaktion statt. So, wie es in einer guten Farbmalerei die Interaktion der benachbarten Farben gibt, so ist es bei mir die Interaktion der benachbarten Gegenstände oder Ausrüstungsgüter, die - wie schon gesagt - materiell, ideell und konstruktiv interaktiv sind. Also, eine stille Aktivität. Eine Potenzialität.

K: Eine spürbare, energetische Potenz, kann man wirklich sagen, eine energetische Abhängigkeit und Relationalität. Denn das Gefühl der Kraftströme, das hat man bei Ihren Arbeiten in jedem Falle. Daß Kraft eingesetzt ist, daß Kraft sichtbar wird, und daß auch bei den autonomen Objekten, die physisch miteinander verbunden sind, solche Kraftströme tatsächlich stattfinden. Wir sprachen übrigens, ohne Band, ein paarmal - Sie nannten Arte Povera und Minimal Art - über Impulse von außen, auch andere Dinge, die Sie besonders geschätzt oder die Sie auch inspiriert haben.

B: Minimale und konstruktive Prinzipien spielen eine große Rolle in meiner Arbeit, wobei ich eben diese bewußt werkexternen Inhalte, die die Minimal Art der 60er und 70 er Jahre ausgrenzt, in meinem Werk absolut zulasse und als eine wichtige Komponente sehe. Deswegen benutze ich ja auch nicht so sehr Stoffe, die dimensionierbar sind, also kein Brett, das ich kürzer oder länger haben kann, kein Stück Eisen, das kürzer oder länger sein kann, sondern ich benutze Halbfabrikate, Equipments, schon in sich existierende Kleinsysteme, die ich zu neuen Konstellationen in meinen Skulpturen und Installationen zusammenbringe.

K: Und dann gibt es bei Minimal auch, wenn man so an Donald Judd zum Beispiel denkt, die - aus einer bestimmten Position - spontane Überschaubarkeit eines Werkes, es erschließt sich vom Betrachterstandpunkt her. Und ich glaube, schon bald danach ändert sich das. Nahum Tevet hat sich selbst dazu geäußert, der kommt erklärtermaßen aus der Minimal Art, daß er dann irgendwann eine Umgehbarkeit seiner Arbeiten herausprovoziert hat. Er wollte, daß seine Arbeiten nicht mehr nur auf einen Blick überschaubar sind. Das ist bei Ihren „Bilateralen Beziehungen“ ja ganz genau so. Man ist gezwungen, eine Arbeit zu umgehen oder einen Raum zu verlassen, um das gesamte Kunstwerk vor seinem geistigen Auge entstehen zu lassen. Also insofern ist das doch eine sehr viel anspruchsvollere Enwicklung zu einer anspruchsvolleren Art der Rezeption.

B: Das würde ich nicht so mit diesem Qualitätswort - das ehrt mich zwar - qualifizieren wollen. Aber wenn man sich jetzt diese Schrankskulptur [Bosslet zeigt auf die Skulptur „Apparat II“, 1988] mal anguckt, da sind Piet Mondrians Streifen-Boogie-Woogie-Sachen drin, da ist Kasimir Malewitschs Balkenbündelung der 20er Jahre

enthalten, aber es ist mittlerweile auch eine zur Gewohnheit gewordene Kasten-raumerfahrung von Donald Judd mit drin. Aber keines, denke ich, der Mittel ist so eingesetzt, daß man sagt ...

K: ... da hat der abgeguckt. Das ist völlig richtig.

K: Jetzt ganz zum Schluß eine allerletzte Frage zum Hochschulkomplex. Sie haben ja sehr viel in Gang gesetzt. Sie haben sehr klare Vorstellungen. Die Frage nun: Wo möchten Sie etwa in einem Jahr stehen für sich selbst hier in Dresden in Ihrer persönlichen Arbeit? Sie haben ja die ganz schwierige Aufgabe, Lehrer, Organisator, aber auch Ausstellungsmacher zu sein. Das weiter im Griff zu behalten und zusätzlich zu portionieren, denn Familie haben Sie auch noch. Da ist wirklich eine Menge zu tun.

B: Da kann man eigentlich nur knapp sagen: Das muß man auf die Reihe kriegen. Mal sehen was sich machen läßt! finito !!!