Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.4.1998, von RALF CHRISTOFORI

Das Werk verrätselt die Lösung
Reformierung der Bauzeichnung: Eberhard Bosslet in der Kunsthalle Mannheim

Die Art seiner künstlerischen Arbeit nennt er Intervention, die Arbeiten tragen paradigmatische Titel wie „Begleiterscheinung“, „Bauzeichnung“ oder „Reformierung“. Eberhard Bosslets Kunst will beim Wort genommen werden. Auf der documenta 8 war der gebürtige Pfälzer mit einer „Unterstützenden Maßnahme“ vertreten, einer Arbeit im rückwärtigen Treppenhaus des Fridericianum. „Anmaßung I und II“ fungierten als raumhohe Schraubstöcke, darin eingespannt die Decke zwischen erstem und zweitem Obergeschoß. Der Eingriff in das Kasseler Museum gehört aus heutiger Sicht sicher zu den bemerkenswerteren Interventionen Bosslets.
Die jüngste Arbeit des vierundvierzigährigen Künstlers in der Städtischen Kunsthalle Mannheim ist ebenfalls eine Intervention im Innenraum. Diesmal wird jedoch nicht in Bestehendes eingegriffen, sondern ein Aufbau, eine Raumsituation errichtet, die den Eingriff gleich mitliefert. Angekündigt ist die Arbeit unter dem wieder einmal allzu bedeutungsschwangeren Titel „Fundamental wie Bilateral“. Das klingt so spannend wie das Gipfeltreffen zweier Staatsmänner zur Frage der urbanen Zersiedelung im fernen Tasmanien.
Zugegeben, die Legitimation des Titels ist angesichts der Arbeit nicht ganz von der Hand zu weisen. Zwei Raumkompartimente derselben Grundfläche von vier mal sechs Metern beherrschen die Ausstellungssituation. Beide markieren einen Innenraum, beide evozieren den Sprung von innen nach außen und umgekehrt. Während die „Monocell“, ein aus Ytong-Steinen gemauerter Raum, tatsächlich Zugang gewährt, muß besagter Sprung bei der Bodenarbeit „Universal“ reiner Gedankensprung bleiben. Ein Netz von Armierungseisen bildet den nicht begehbaren Boden eines Raumtorsos, der durch ein gegossenes Fundament und aufragende Eckpfeiler markiert wird. „Bilaterale Beziehungen“ nennt Bosslet schließlich die Gußreliefs an den Wänden der Monocell. Als Gegenüber verspannen sie das Gemäuer der Zelle, üben einen funktionslosen Druck und Gegendruck aus, schaffen visuelle Fixpunkte im Innen und Außen.
Womit eigentlich alles gesagt ist, was der Titel nicht sowieso schon längst präjudiziert hatte. „Fundamental“ ist klar, „bilateral“ sowieso. In den seltensten Fällen ist diese Form der Titelei der Kunst zuträglich, am wenigsten aber dort, wo die Kunst nicht über den Begriffsfetisch hinauszugehen vermag, wo das Werk nur noch der Lösung Rätsel ist. Man möchte Analphabet sein, um wenigstens ein bißchen vom Zauber des Begreifens verspüren zu können.
Im benachbarten Graphischen Kabinett findet daher der spannendere Teil der Ausstellung statt. Dort zeigt die Kunsthalle erstmals eine umfassende Dokumentation der Arbeiten, die Bosslet im Außenraum realisiert und fotografiert hat. Großformatige Schwarzweißaufnahmen zeigen landschaftliche und städtische Unorte. Entstanden in den achtziger Jahren, dürften die dort realisierten Projekte längst schon verwittert, wenn nicht gar gänzlich zerstört sein. Einziger Augenzeuge bleibt hier die Fotografie. Ähnlich der Land Art erhält sie auch im Werk Eberhard Bosslets den Status eines Originals zweiter Ordnung. Sie ist Dokument und Kunstwerk zugleich. Sie hält fest, was nicht mehr existiert, sie bildet ab, was einst als räumlicher Eingriff den jeweiligen Ort prägnant veränderte.
Bosslets Seelenverwandtschaft mit der Land Art ist unverkennbar. Die Orte des Geschehens spürt er - wie die Protagonisten der Land Art- im Entlegenen auf. Im Gegensatz zu den Projekten eines Richard Long oder Walter De Maria allerdings greift Bosslet nicht etwa in weitgehend unberührte Natur ein, sondern in Orte, die bereits von der Zivilisation gezeichnet sind. Mit vergleichsweise sparsamen Mitteln setzt Bosslet dort seine Markierungen. In schwarzer oder weißer Farbe werden Strukturen von Ruinen akzentuiert, wird der Eindruck des Konstruktiven verstärkt oder erst ins Werk gesetzt.
Die Aufnahmen, die der Künstler selbst vor Ort machte, halten diese gekonnten Inszenierungen im spröden Hinterland der Inseln Hierro und Teneriffa oder im Duisburger Binnenhafen fest. Es sind Fotografien irrealer Orte, die durch gezielte Gesten zu einem neuen übertünchten Leben erwachen, einem Leben freilich, das eher vom Skelett lebt als vom üppigen Körper. Selbst darin wirken die Orte im doppelten Sinne des Wortes gezeichnet. Aber, wie gesagt, allzu wörtlich tut nicht gut. So sollte man sich denn auch bei den Fotografien hüten deren Titel nachzulesen.
RALF CHRISTOFORI
Städtische Kunsthalle Mannheim, bis 14. Juni