CL III STORAGE AREA GE 62E OBEROLMERWALD, Mai 1996, Katalog,
Text von URSULA BERTRAM

Das Unsichtbare

Es könnte nicht schöner sein. Sonnenstrahlen, Blumen, sattes helles Grün, Vogelgezwitscher- es ist Frühling. Zwischen den verlassenen 12 Bunkern im Hochsicherheitstrakt der "CL III STORAGE AREA GE 62E OBEROLMERWALD", wie die Amerikaner das Militärgelände bezeichnet haben, wachsen Tännchen, Anemonen und Brombeerhecken. Die Natur hat nicht registriert, daß ihre militärische Aufgabe seit dem Abzug der Truppen 1993 hinfällig ist. Sie tarnt weiterhin im Überfluß, bewuchert das Gelände und macht keinen Unterschied zwischen militärischer und ziviler Funktion. Konversion - die Umwandlung von militärischem Gelände in zivile Nutzung - bedeutet hier im kleinen nichts. Der dritte Bunker in der ersten Reihe steht entblößt da. Das Erdreich wurde entfernt, der Baukörper seiner Tarnung beraubt und in Verlängerung seiner kargen Architektur vor der Bunkertüre angeschüttet. Der Erdwall versperrt den Eingang und den militärischen Verkehrsweg. Der Mißbrauch der Natur als Tarnung ist aufgedeckt, abgeräumt und umgekehrt: Eberhard Bosslets Antwort auf Schutzräume für Waffen.

Die 12 Bunker auf dem Gelände schützten Munition, nicht Menschen, im Gegenteil. Ökologischer Lebensraum und Menschen sind in jedem Fall die Verlierer. Heide Paweiziks Arbeit wendet sich gegen eine Zeit, in der die Barbarei allein die Maßstäbe setzt. Ihre Materialien, die sie gegeneinander ausspielt wie im Schachbrettmuster von unaufhaltsamen Abläufen, stellen erneut die Frage nach Geschütztem und Schützenswertem: Stahl und Haare, Material und Mensch. Das Feuer verwandelt das eine in widerständige Platten, das andere zu klebrigen Spuren menschlicher Substanz und menschlicher Existenz.

Auf dem militärischem Gelände im Ober-Olmer Wald ist nicht mehr ganz klar, wer hier was schützt und gegen wen. Der doppelte Stacheldrahtzaun wird nicht mehr von den inneren Wachtürmen beobachtet, sondern heute von außen. Das Forstamt schließt immer wieder die aufgeschnittenen Zäune, um die Menschen zu schützen vor Verletzungen durch militärische Ruinen. Auf der Raketenabschußbasis nebenan ist längst der Vandalismus eingekehrt: eingeschlagene Fenster, herausgerissene Leitungen, aus den Angeln gehobene Türen, zerborstene Betondecken, die nur noch an ihren Armierungen hängen.
Im ersten Bunker in der Storage Area triumphieren indes zwei Krieger im bunten Neonlicht. Über ihre Bestimmung am Fries des griechischen Tempels Aphaia ist die Zeit vergangen, die Widersprüche sind geblieben. Beate Passow läßt ihre Waffen mutieren zur Absurdität des schönen Scheins. Tretet ein, der Krieg wartet nicht!

Es ist Frühling. Zwölf Künstler entlarven ein Gelände. Der real sichtbare Zusammenschluß von Landschaft, Wald und Bunker spiegelt in keiner Weise die dem Ort innewohnende Funktion wieder, augenscheinlich ist es das Gegenteil. Die von militärischen Geländen ausgehende Bedrohung ist wenn überhaupt - nur gedanklich und in der Vorsteilung erfaßbar, sie ist unsichtbar.
Mic Enneper verzichtet daher auf die optische Präsenz von Form. Der Besucher wird beim Betreten des Bunkerraumes - infolge eines ihn erkennenden und kontrollierenden Bewegungsmelders - registriert und darauf mit einer als aggressiv empfundenen Tonfrequenz konfrontiert. Bleibt er stehen, erlischt das Signal nach einiger Zeit; jede Bewegung erneuert die Beschallung. Nicht nur der Rezipient sieht auf das Kunstwerk, sondern jenes beobachtet ihn währenddessen gleich einem Eindringling.

Die Tatsache, daß wir etwas nicht realisieren, schließt nicht aus, daß es ist. Die nicht sichtbaren Prozesse beeinflußen unser Leben und unser ökologisches System mehr als uns lieb ist. Wir realisieren Bewegungen erst, wenn die Abläufe in der Summe der Zeit schon Folgen zeigen. Wir sind nicht in der Lage lebensbedrohende Veränderungen adäquat wahrzunehmen, schon garnicht, wenn sie uns bewußt vorenthalten werden. Andreas M. Kaufmanns Videoaufnahme einer offenen Hand läßt zu keinem Zeitpunkt eine Bewegung erkennen. Wenn das Gehirn realisiert, daß sich die Hand zu einer Faust formiert hat, ist der Prozess schon abgelaufen in einer absoluten Verlangsamung, die unser Bewußtsein nicht registriert und nicht alarmiert.

Konversion heißt die langsame Umwandlung als Prozess. Die Umnutzung eines Konversionsgeländes ist nicht nur eine landschaftliche und städtebauliche Veränderung. Sie geht einher mit der Konversion im Kopf: der Prozess des Umdenkens und Umwandelns lange zementierter Gesinnung, die Hoffnung auf eine veränderte Geisteshaltung. Auch im ökologischem Sinn. Wie steht es mit der ursprünglich vorhandenen und dann auseinandergefallenen Einheit Mensch und Natur? Kann der Versuch Konversion mit Kunst und Ökologie in Einklang zu bringen ein Schritt in diese Richtung sein?

Die verlangsamten Aufnahmen von Bäumen, das flirrende rote Herz und die eindringlichen Herzfrequenztöne der Arbeit von Ulrike Rosenbach stellen die Frage der Korrespondenz zwischen Mensch und Natur. Es scheint, als ob die Zeichen für Leben und Reinheit im Raum den Bunker entwaffnen. Video - ursprünglich eine Erfindung zur Kontrolle für Rüstung, Raketen und für die Weltraumfahrt - kommt als Kunstform und Antipode auf ein Militärgelände zurück.

Noch immer ist das Munitionslager durch vier Wachtürme gezeichnet. Nach nunmehr drei Jahren Stillstand zeigt sich der Verfall. Das Material verwandelt sich langsam. Lukas Derow nimmt diesen Prozess in seiner Arbeit auf. Alle Materialien könnten Fundstücke aus dem Gelände sein, Verworfenes löst sich in Licht auf, formiert sich zu neuen Visionen.

Vierzig Jahre mußten sich die Menschen mit dem ungewöhnlichen Status quo amerikanischer Präsenz auseinandersetzen. Der Abbau der Stacheldrahtzäune - hier für 1997 geplant - ist Zeichen für das Ende des Kalten Krieges. Die große Ost-West Spannung ist in fraktale Kriege zerfallen, die Friedensbemühungen kommen auf schwankendem Boden voran. Die Bühnen für Weltsicherheit werden zögerlich bespielt. Dörthe Bäumer reflektiert die Frage des Gleichgewichts. Ihre Rauminstallation läßt uns körperlich spüren wer wir sind und wo wir uns befinden.

Es war Krieg in Europa, als Veronika Dreier die Arbeit am "Teppich" aufnahm. Die Ohnmächtigkeit des Einzelnen - ihrer selbst- an der Grenze zu Jugoslawien, die Auflösung des Individuums in der Masse, der Gedanke an ein Kriegerdenkmal ohne Pathos erzeugte den Teppich der Kriege. Betritt man ihn, wird man zum Mittäter eines grausamen Spiels. Der Teppichflor entpuppt sich als Fläche aus schwerbewaffneten Kriegseinheiten in einem kollektiven Rollenspiel. Er liegt feierlich im großen Bunker mit den vier Säulen, fast wie der rote Teppich, der bedeutende Staatsgäste willkommen heißt. Wie war das mit der Behaglichkeit?

Kinder lieben Spieluhren. Die gleiche Melodie zum Eintritt in die Traumwelt beruhigt. Zwei Spieluhren gleichzeitig sind ein Problem. Melodien ohne Ende in ständiger Repetition sind eine Qual. Neun Spieluhren gleichzeitig ohne Ende erzeugen Irrsinn. Während die Natur sich draußen entfaltet, drehen sich im Bunker rote Figuren im Kreis um ihre eigene Achse. Silvia Schreibers Arbeit trägt dem Bunker seinen eigenen Wahnsinn an.

Die bewußte Sichtung und Auseinandersetzung mit Aggressionspotential ist die Möglichkeit seiner Bekämpfung. Bald wird der Bunker mit der temporären Arbeit von Thomas Klegin zertrümmert sein. Das Gefühl der Falle wird an dem Ort nachwirken, die Notbeleuchtung, die Ausweglosigkeit, das Nichts, wenn die Türe ins Schloß fällt, und vor allem das Nachklingen eines endlos scheinenden Tones. Ein Echo kommt genauso zurück, wie wir es aussenden. Vergangenheit währt lange nach.
Es wird bald Sommer. Im Bunker von Marlene Seubert trocknen Häute. Inneres ist nach Außen gekehrt, die lebenserhaltenden Organe sind uns gemeinhin unsichtbar. Hier mutieren sie nach ihrem sichtbaren Tod, Eingeweide - auch Eingeweihte - verwandeln sich. Die Präsenz des Todes ist genauso spürbar wie die Präsenz des Lebens. Die Gefühle springen zwischen ästhetischer Verzauberung und Ekel. Das hat wenig mit dem Material zu tun, vielmehr mit unseren zwiespältigen Vorstellungen von Leben und Tod.

Beruhigt uns die Idee eines ewigen Kreislaufes? Energien - so lehrt uns die Physik - gehen nicht verloren, sondern werden umgewandelt. Dabei entstehen Reibungsverluste. Die Energien des Ortes der Storage Area müssen umgewandelt werden, nicht nur der Boden ist kontaminiert. Es ist spürbar, wie der Ort sich verwandelt in diesen Wochen. Kunst bündelt Energien. Der Abraum wandelt Gedanken um. Vielleicht heilen die Bunker von innen.

Ursula Bertram