Martin Bochynek Neue Möbel für die Villa

EBERHARD BOSSLET
Das Möbel als allgemeiner Einrichtungsgegenstand hat für Eberhard Bosslets Arbeit eigentlich keine Bedeutung. Seine Skulpturen stehen in einem Kontext, dessen Komplexität nur in Ansätzen durch die Begriffe Einrichtung, Design, Wohnung und Privatleben angedeutet ist. Daß von ihm dennoch eine umfangreiche Werkgruppe existiert, bei der Möbel als Material verwendet wurden, erklärt sich aus seinem Interesse für die Strukturen des öffentlichen bis halböffentlichen Lebens von Industrie, Verwaltung und Bürokratie. Dieser Bereich repräsentiert sich durch und organisiert sich innerhalb vor Architektur. Um von dieser Binnenstruktur ein Bild zu liefern, hat Bosslet Karteischränke zu Skulpturen transformiert. Diese Blech-Monolithen, meist in dezenter bis zur Camouflage neigenden Tönung lackiert, gehören bis heute zu jeder Büroeinrichtung, wenn auch die elektronische Datenverwaltung diese Kapazitäten zunehmend überflüssig macht. Diese überaus funktional gestalteten Möbel gehen also einen für den Kulturkreislauf typischen Weg. Der ehemals aufwendige Behälter für komplexe Datensammlungen hat durch den technischen Wandel seine Bedeutung für die Informationsverwaltung von Betrieben und Behörden eingebüßt, sein produktiver Wert vermindert sich. Auf der globalen Datenautobahn ist für sie kein Platz, massenhaft ausrangiert landen sie bei Zweit- und Drittverwertern. Aber erst als abgeschriebenes Modell kann der ausgediente Karteischrank eine positive Neubewertung erfahren. Bestenfalls kehrt er als transformiertes Objekt mit neuem Wert in den Kulturkreislauf zurück. Im Prinzip ist das Recycling, aber für Bosslet ist nicht dieses ökologische Verfahren maßgeblich, sondern es ist ein willkommener Nebeneffekt. In der Hauptsache wird durch den verwendeten, verwandelten und sogar verfremdeten Gegenstand das Wesen von Betrieben, Verwaltungen und Behörden auf einer symbolischen Ebene reflektiert. Diese künstlerische Verwandlung eines alltäglichen Objekts geschieht bei Bosslet allerdings nie ausschließlich durch die simple Verlagerung des Kontextes. Das heißt, er deklariert nicht den Karteischrank zur Skulptur, sondern er organisiert seine Bestandteile neu, nach einfachen aber
grundlegend bildhauerischen Prinzipien, sodaß daraus eine Skulptur entsteht. Dieser gravierende Unterschied läßt an einer Arbeit wie »Zahlen & Befehle II« oder » »Verwaltungstrakt II« die konstruktiven Prinzipien und physikalischen Verhältnisse einer Skulptur ablesbar werden. Formale Aspekte wie das Zusammenwirken von Masse, Volumen und Kraft, werden in gleichem Maße ansichtig, wie das Innere solcher Schränke (die Schubfächer) freigelegt wird. Durch die Befreiung der Schubfächer aus ihrem blechernen Gehäuse und neuerliche Verspannung in anderer Systematik ist aber auch erreicht, daß aus der hermetischen, nicht unmittelbar ansichtigen Struktur dieser Informationsspeicher ein Gebäude entstanden ist, das etwas von der verborgenen Komplexität einer solchen Datenbank offenlegt. Die Ansicht eines solchen Objektes, wo die Schubfächer mit dem Schrank wie zu einem Paket geschnürt erscheinen, verleitet wegen seiner Rechtwinkligkeit gern zu Vergleichen mit Bildwerken Mondrians oder van Doesburgs. Das erklärt allerdings nicht mehr, als daß ein rechter Winkel überall ein rechter Winkel ist, aber die Konstruktion von Bosslets Werkgruppe der „ Zahlen & Befehle« ist nicht komponiert, sondern die vorgefundenen Konstruktionsmerkmale des Büromöbels machen ein bestimmtes Erscheinungsbild erforderlich. Die unterlegten Holzklötze geben den Schubfächern die notwendige Stabilität, um der Verschnürung durch Stahl-Packbänder standhalten zu können. Die wiederum sind nicht schräg verspannt, weil die stabilste und einfachste Verbindung zwischen zwei Punkten nur in der kürzesten Linie besteht. Kreuzen sich stabile Linien, so entstehen zwangsläufig rechte Winkel. Die Konstruktion einer solchen Skulptur ergibt sich also aus der Beschaffenheit der Karteischränke. Konstruktivistische Kunst ist für Bosslet wohl eine Grundlage, Transparenz ein Prinzip, und der eigentliche Kern der Sache aber das Wissen von der gegenseitigem Bedingtheit vermeintlich disparater oder solitärer Phänomene.