Eberhard Bosslet INTERVENTIONEN II , Sprengel-Museum-Hannover 1995, Katalog, von SUSANNE MEYER-BÜSER

Das Material der Werke Bosslets sind industriell vorgeformte Stoffe und Ausrüstungsgegenstände aus der Bauindustrie, Büroinventar und sonstige Teile aus anderen Bereichen der Arbeitswelt. In seinen Skulpturen und Installationen verwendet er z.B. Stahlrohr-Deckenstützen, Betonschaltafeln, Hubkissen oder auch Aktenschränke. Ob Bilder, Boden- und Wandskulpturen oder Installationen, die Arbeiten beziehen sich meist auf den umgebenden Raum. Sie reagieren auf die Architektur und Funktion der Gebäude und greifen offensiv in das Vorgegebene ein.
Den Ausgangspunkt aller späteren raumbezogenen Arbeiten bilden die "Interventionen/Eingriffe in Außenräume". Sie entstanden von 1983 - 1990 als Bosslet zeitweise in Spanien und auf den Kanarischen Inseln lebte. Die Eingriffe bestanden darin, die kantigen Fassaden verlassener Häuser, Ruinen, Autowracks und Teile der Landschaft mit weißer oder schwarzer Farbe zu umrahmen bzw. zu strukturieren. Die breiten Umriß- und Binnenlinien stachen gegen den blauen Himmel und die karge Landschaft deutlich ab. Die so bezeichneten Gegenstände wurden aus ihrer Umgebung, in die sie bislang bis zur Unsichtbarkeit eintauchten, herausgelöst. Wie Mahnmale waren sie nun von weit her sichtbar.
Diese Interventionen in die Landschaft thematisierten das Verhältnis von Raum, Umfeld und Zeit. Sie ließen das, was durch den Verfall miteinander verschmelzen wollte, wieder hervortreten. Doch nur ein Moment im Prozeß der Verwitterung wird gebannt. Die Konturzeichnungen sind nur eine begrenzte Zeit zu sehen, solange, bis sie selbst der Vergänglichkeit zum Opfer fallen.
Temporäre Eingriffe in Außen- und Innenräume bestimmen seitdem die weiteren Werkreihen von Eberhard Bosslet. 1985 entstand eine seiner umfassendsten Reihen, die "Unterstützenden Maßnahmen". In diesen Installationen werden Stahlrohr-Deckenstützen senkrecht und waagerecht zwischen Decke und Boden eingespannt. Meist werden Materialien wie Tische, Paletten und Gasbetonsteine zusätzlich in die Verspannung integriert. Der durch die Stützen markierte Widerstreit der physikalischen Kräfte lenkt die Wahrnehmung auf die Materialbeschaffenheit und die Dimensionen des Raumes. Die Deckenstützen erscheinen dem Besucher bisweilen wie Prothesen, die auf Schwachstellen verweisen. Die "Unterstützenden Maßnahmen" wollen wörtlich genommen werden. Bosslet nimmt in jedem Raum, den er mit seinen Werken ,besetzt', genau Maß. Die Installationen sind exakt auf den jeweiligen Ort abgestimmt und daher trotz ihrer Einfachheit nicht wiederholbar. Das Vermessen des Raumes ist der erste Arbeitsschritt. Erst jetzt gewinnt das Programm Kontur. Die Betrachter dieser Installationen erkennen die, Paßform der jeweiligen Räume deutlich, sehen aber auch, wie sie durch eingreifende Gerätschaften in Frage gestellt werden.
Die Faszination der "Unterstützenden Maßnahmen" liegt in der augenscheinlichen Kraft, die von den Deckenstützen ausgeht und auf Boden, Decke oder auch die eingespannten Tische, Steine etc. einwirkt. Nur auf den ersten Blick scheinen die Stahlstützen die Decke zu tragen. Tatsächlich zeigt sich ein ausgesprochen sensibles, auf Druck und Gegendruck ausgerichtetes Gleichgewicht. Zuviel Druck würde die Wände und die eingespannten Gegenstände bersten, zuwenig die Installation zusammenbrechen lassen. Auf diese Balance der Kräfte' verweisend, trug eine Arbeit, die
1987 im Eingangsbereich der Kunsthalle in Bremen eingepaßt war, den Titel "Atlas". Der Titan der griechischen Mythologie war dazu verdammt worden, das Himmelsgewölbe auf seine Schultern zu nehmen. Die Last seines Schicksals konnte er nur mit stoischem Gleichmut ertragen. Auch die Deckenstützen Bosslets wirken absolut eindimensional und üben ihre Funktion unerschütterlich aus, obwohl es im Grunde nichts zu halten gibt. In der Arbeit "Supporting measures at MCA', die Eberhard Bosslet 1992 im Museum of Contemporary Art in Sydney baute, wurde die abgehängte, als Sichtblende dienende Plattendecke herausgeschnitten, um so die Stützen mit der soliden Betondecke in Berührung zu bringen. Auch wenn - wie in dieser Arbeit - Funktionalität noch zusätzlich betont wird, halten die Stützen nur sich selbst. Die eigentliche Funktion der Geräte wird ad absurdum geführt. Insofern sind die Arbeiten Bosslets selbstreferentielle Systeme. Zwar zitieren die eingesetzten Geräte und Baustoffe ihre ursprünglichen Funktionen, doch verweisen sie damit nur auf die Analyse des Raumes durch den Künstler und auf das Konzept seines Eingriffs.
Die Orte der "Unterstützenden Maßnahmen" sind Flure, Foyers und Fabriketagen. Auf der documenta 8, Kassel 1987, setzte Bosslet die Arbeit "Anmassend" in das Treppenhaus des Fridericianums. In diesem Durchgangsraum konnte eine weitere Absicht des künstlerischen Programms deutlich werden: Die Werke, vor allem die Installationen, dienen immer auch als Sicht- und Gehbarrieren. Sie versagen den normalen Gebrauch des Raumes, stehen im Weg und zwingen so den Besucher, um sie herum zu gehen. Dabei nötigen sie ihn, die räumlichen Veränderungen und den Raum selbst neu wahrzunehmen.
In einer weiteren Werkreihe von 1984 - 1991 mit dem Titel "Barrieren" hat Bosslet das Prinzip der Versperrung zum Programm erhoben. "Barrieren" sind meist aus Beton und Armierungseisen konstruierte Bodeninstallationen. Sie sind für Innen- und Außenräume gedacht und orientieren sich in ihrer Ausdehnung an den architektonischen Vorgaben. Ihre Aufgabe ist es "im Weg zu stehen'. Unbequem sperrig, mit Eisenverstrebungen, die dem Besucher wie spitze Lanzen entgegenstreben, nötigen sie jeden, einen weiten Bogen um sie herum zu gehen. Wieder ist es der Raum, auf den der Künstler aufmerksam macht. Die ,Innereien' der glatten Wände und Böden scheinen nach außen gekehrt, sind auf dem Boden ausgebreitet und beanspruchen Aufmerksamkeit. Der Raum zitiert die Baustelle, die er einmal war, und beginnt einen stillen Dialog über das Entstehen und Vergehen der eigenen Substanz.
Eine weitere große Gruppe stellen im Werk Eberhard Bosslets die "Hubräurne" dar. In dieser 1989 entstandenen Reihe werden Gegenstände wie Teppichrollen, Kanaldeckel oder Reifen mit Hilfe von Hochdruck-Hebekissen oder Scheren-Hubtischen in ungewöhnliche Positionen gehoben oder gedrückt. Hochdruck-Hebekissen werden bei Unfällen oder Katastrophen zur Bergung verschütteter Menschen eingesetzt. Innen aus Stahldraht und außen aus Gummi bestehend, können sie auch schwerste Gewichte bewegen. Bei den Hebekissen-Objekten werden einzelne Gegenstände mit Hilfe von Druck und Gegendruck zusammengehalten. So wird in der Arbeit "Feyerabend" von 1993, die im Kunstverein Düsseldorf installiert war, ein Aluminiumrohr mit einer Metallrollade von zwei prallen Kissen zwischen gegenüberliegenden Wänden in luftiger Höhe eingeklemmt. Als stetes Druckluftdepot für die Hebekissen dient eine Preßluftflasche. Die kleinste Veränderung der Druckverhältnisse würde das labile Gleichgewicht der Kräfte in sich zusammenfallen lassen. Die Gegenstände würden zu Boden stürzen und womöglich großen Schaden anrichten.
Räume, in denen sich eine solche Installation oder ähnliche auf Druck und Gegendruck basierende Objekte befinden, werden von der bedrohlichen Situation beherrscht. Das beunruhigend labil-stabile System zieht die Besucher in Bann, beansprucht deren gesamte Konzentration.
Vor allem bei den kleineren Objekten der Reihe "Hubräume" und bei den Skulpturen läßt Bosslet eine spärliche, aber klare Farbigkeit zum Tragen kommen. Rot, Blau, Gelb und Grün kombiniert er mit Grau und Schwarz und den ungenauen Farben der Gegenstände. Glatte farbige Flächen treffen dabei auf Gummi oder Metall. Die Farben sind übrigens von vornherein Bestandteil der industriell gefertigten Gegenstände, Bosslet verwendet niemals selbst Pinsel und Farbe. Er wählt die Gegenstände jedoch nach ihrer Farbe aus und kombiniert sie miteinander. Die spröde Ästhetik der Objekte erinnert bisweilen an die Form- und Farbensprache der Konstruktivisten.
Die Orte, in denen die "Hubraum"-Objekte präsentiert werden, sind vielfältig. So ,besetzte' Eberhard Bosslet 1994 in Speyer das Straßenbauamt, das Amtsgericht, die Stadtwerke und zahlreiche andere öffentliche Gebäude. Dort zeigte er auch zu Wand- und Bodenskulpturen umfunktionierte Karteischränke - eine Werkgruppe, die zwischen 1987 und 1989 entstand. Bosslet hat die Schränke auseinandergenommen und mit Hilfe von Stahlbändern und Holzklötzen neu zusammengesetzt. Sensible Spannungsverhältnisse bestimmen auch diese Skulpturen, die wie die "Hubräume" bei der kleinsten Verschiebung eines Elements auseinanderbrechen würden. Bei diesen wie auch bei allen anderen Skulpturen und Installationen prägen Präzision, Effektivität und Technik den Umgang mit dem Material. Der rationale Charakter des Programms wird hier jedoch durch die Titel am besten verdeutlicht: „Nixdorf'“, "Apparat", "Zahlen & Befehle" heißen diese Boden- und Wandskulpturen.
Der Titel der Ausstellung auf dem "Museumsplatz " des Sprengel Museum Hannover lautet "Verbau". Eberhard Bosslet reagiert auf die komplizierte architektonische Situation dieses offenen Raumes. Durch das Einpassen und Verspannen von Baumaterialien werden die vorgefundenen Dimensionen und Maße überprüft und zur Diskussion gestellt. Zu sehen sind die Installationen "Sperre SMH" und "Hubwerk“ sowie die Bodenplastik "Offen II".
Die Arbeit "Sperre SMH" ist der Werkreihe der "Barrieren" zuzuordnen. Sie wurde aus Transportbeton vor Ort hergestellt und ist unverrückbar auf die architektonischen Dimensionen des Platzes ausgerichtet. Sie besteht aus vier länglichen, 50 cm hohen und 50 cm breiten Betonblöcken. Diese sind auf dem Pflaster-Steinboden zu einem großen Rechteck angeordnet und durch 57 gitterartig angebrachte Armierungseisen miteinander ,vergossen'. Die Installation schließt die eckige Säule, eine der architektonischen Unwägbarkeiten des Platzes, ein. Die Säule, die selbst aus Beton besteht, aber eine geglättete Oberfläche aufweist, wird durch die grob belassenen Materialien um sie herum mit ihrem ursprünglichen Bauzustand in Verbindung gebracht. Das eigentlich Abgeschlossene wird erneut in Frage gestellt.
Hoch über der "Sperre SMH" ist eine Rechtecksäulenschalung eingebracht. Diese Arbeit, betitelt "Atlas SMH", kann als Erweiterung der Bodeninstallation, aber auch als selbständiges Objekt betrachtet werden. Sie interveniert weit über Kopfhöhe, genau dort, wo eine Bündelung baulicher Notwendigkeiten, wie Pfeiler, Säule, Querverbindungen und ein gläserner Steg die Schlucht zweier Baukörper überbrückt.
Der Museumsplatz, das Zentrum der Museumsstraße, ist für die Besucher eine Passage, ein Verkehrsweg zur Kunst. Die "Sperre SMH" stellt sich als ein ganz, unkünstlerisches Monstrum aus Stahl und Beton in den Weg, verweigert den Durchgang zu ungestörtem Kunstgenuß. Der Besuchermuß auf diese unbequeme Situationreagieren. Wenn er den Platz überquert, nötigt ihm die Installation Aufmerksamkeit ab und zwingt ihn, einen anderen als den direkten Weg einzuschlagen.
Während "Sperre SMH" auf dem Boden liegt, strebt die zweite Installation mit dem Titel "Hubwerk" in die Höhe. Diese Arbeit ist der Werkreihe "Hubräume" zuzuordnen. Verwendet wurden ein Scheren-Hubtisch und eine breite Säulenschalung, die die Säule des Museumsplatzes umschließt. Anders als bei den bereits erwähnten "Hubräumen" stemmt kein Kissen, sondern ein Hubtisch das Objekt in die Höhe. Ein solcher Tisch besitzt im Inneren eine scherenartige Stahlkonstruktion, die mit einer Hydraulik auseinandergezogen werden kann. Der Scheren-Hubtisch hebt die Säulenschalung von unten an, bis sie an die Decke des Raumes stößt. Druck und Gegendruck spannen die schwere Schalung ein und ordnen ihr einen disfunktionalen Platz zwischen "Himmel und Erde" zu. Der vergrößerte Durchmesser der Säule verschiebt zugleich die Proportionen des gesamten Raumes, in dem Abschlüsse und Kanten, Fluchten und Blicke neu definiert werden. Vom oberen Geschoß aus kann der Besucher zudem Einblick in das glatte Innere der Schalung werfen, die einen Kontrast zur groben Außenhaut bildet.
Die Bodenplastik "Offen II" von 1993 ist die dritte Arbeit. Sie besteht aus zwei aufgepumpten Bypass-Kanaldichtkissen, die in den Enden eines Kunststoffrohres stecken. Das Rohr wurde zur Hälfte mit einem Schlauch umwickelt, dessen beide Enden zu den Ballons führen. Industrielle Einzelteile aus verschiedenen Berufsbereichen wurden hier in eine ungewöhnliche Beziehung zueinander gesetzt. Solche Rohre werden in der Landwirtschaft und auf Mülldeponien zum Drainagieren, die Dichtkissen im Baugewerbe zum schnellen Verschließen von Kanalrohren verwendet. Bosslet stellt die Geräte nicht nur als ,Ready-mades' aus, sondern konstruiert gleichzeitig eine völlig neue Apparatur, die sich der gewohnten Nützlichkeit entzieht. Die Skulptur, die einer Maschine gleicht, täuscht Funktionalität lediglich vor. Die Präzision, mit der die einzelnen Teile montiert sind, imitiert den Betrachter. Die Gerätschaft kann weder pumpen noch pressen, es gibt noch nicht einmal einen geschlossenen Druckkreislauf: Das Plastikrohr ist mit Schlitzen versehen, die Ballons sind dicht - selbst der Kreislauf ist nur simuliert. "Offen II" ist nichts als ein aus industriellen Fertigteilen montiertes Kunstobjekt.

Susanne Meyer-Büser