DE - Bosslet, Eberhard: Bosslet auf den Kanarischen Inseln, Buch Bosslet – Werke in Spanien, Extraverlag, Berlin, 2014


Bosslet auf den Kanarischen Inseln

1981 buchte ich eine Flugreise ohne Unterkunft um im Oktober nach Teneriffa zu gelangen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich das Hauptstudium im Fachgebiet der Malerei an der Hochschule der Künste Berlin (heute UdK Universität der Künste Berlin) bereits abgeschlossen und befand mich im postgraduierten Meisterschülerstudium.

Motiviert durch Berichte von Kommilitonen, die ein Jahr zuvor als Gäste Ihres Berliner Professors auf Gran Canaria weilten, beabsichtigte ich, mehrere Monate auf den mir bis dahin völlig unbekannten Kanarischen Inseln zu verbringen. Ich wollte den kalten deutschen Winter aussparen und eine Pause von der Kunst einlegen und hatte vor, mein Verhältnis zur Kunst und insbesondere zur Malerei vom Typ „colorfield painting“ grundsätzlich durch Abstandgewinnung zu überprüfen. Im selben Jahr war ich initiatives Gründungsmitglied der sich in Berlin formierenden Künstlergruppe „Material und Wirkung e.V.“. Mit der von mir formulierten Niederschrift zur inhaltlichen bzw. methodischen Ausrichtung, war bereits ein grundsätzlicher Zweifel an traditionellen Kunstmotiven und Verfahrensweisen etabliert:

“Materialien und deren Wirkung werden nach emotionalen, funktionalen, intuitiven, diskursiven, zufälligen und kulturellen Gesichtspunkten und Handlungsweisen untersucht. Ergebnisse, Untersuchungs- und Zustandsformen, Prozesse, Produkte und Situationen werden zur Anschauung gebracht und diese Tatsachen dokumentiert.
Unter Materialien sind alle Dinge, Stoffe, Lebewesen, Zusammenhänge, Systeme und Strukturen im natürlichen, künstlichen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen, sozialen, und kulturellen Raum zu verstehen.
Unter Wirkung werden alle Verstandes-, Wahrnehmungs- und Erlebnisqualitäten verstanden, die von den Materialien ausgehen oder auf diese hinführen.”

Diese Parameter im Hinterkopf, die Absicht vor Augen auf den Kanaren nicht in Sachen Kunst tätig werden zu wollen, begab ich mich nach Teneriffa, völlig der spanischen Sprache unkundig, auf Erkundungstour. Ich hatte aus Berlin den festen Willen und auch das nötige Geld mitgebracht, mir vor Ort einen fahrbaren Untersatz anzuschaffen. Gedacht hatte ich an ein Motocross Motorrad. Solch eines zu mieten war 1981 noch nicht möglich. Eines gebraucht zu kaufen scheiterte an den für mich zu hohen Preisvorstellungen der Händler.
In einem dezentral gelegenen Stadtteil der Inselhauptstadt Santa Cruz konnte ich dann aber einen ziemlich ramponierten, preiswerten aber fahrtüchtigen Motorroller der Marke Vespa Sprint erwerben. Ich ließ mir vorne und hinten an der Vespa einen Gepäckträger montieren um bestens für den Transport meines Reisegepäck ausgerüstet zu sein.
Ich hatte keinen festen Wohnsitz. Der Ausgangspunkt meiner tägliche Fahrten war aber in den ersten Wochen meines Aufenthaltes Los Christianos im Süden der Insel. Obwohl gerade im Süden der Insel, der stetig wachsende Tourismus zum Bau immer neuer Hotel- und Apartmentanlagen führte, gab es erstaunlicherweise nur sehr vereinzelt Pensionen. Sie waren meist preiswert und für mich bezahlbar.
Der ein bis drei Wochen Pauschaltourismus und die Nachfrage an möblierten Wohnungen für überwinternde Senioren führte leider nicht zusätzlich zum Angebot preiswerter, kurzzeitig verfügbarer Gästezimmer.
Mein Durst, immer mehr von der Insel kennen zu lernen, führte bei der eben beschriebenen Situation, unweigerlich dazu, dass ich mir täglich Gedanken zu machen hatte wo ich denn die nächste Nacht verbringen könnte. Stimuliert durch die allgegenwärtigen Bautätigkeiten, die da reichten vom privaten Anbau am alten Haus im dörflichen Umfeld, Totalabriss alter einstöckiger Häuser aus verputztem Naturstein oder den moderneren Zementblöcken, bis hin zu Apartmentneubauten im kleinen und großen Stil, ist
bis heute überall das Thema Bauen und Wohnen auf den Kanaren sehr präsent. Präsenter als ich es je vorher erlebt hatte und dies obwohl ich aus einer Architektenfamilie stamme und Berlin in den 70er Jahren wie auch heute durch vielseitiges Sanieren und Neubauen mir hätte das „Thema“ nahebringen können. Schleichend aber Stück für Stück, wurde mir bei all meinen Fahrten und Unternehmungen bewußt, dass Haus und Wohnen, Unterwegssein und Zuhause ankommen, fundamentale Sachverhalte sind.
Fundamental im wahrsten Sinne des Wortes sind die gestaltgebenden Überlegungen zum Raum und Flächenbedarf eines Hauses. Der gewerblichen Expansion der Bauwirtschaft folgte der wachsende Bedarf auch im heimischen Umfeld der Teneriffenios. Wohn- und Geschosswohnungsbau, Strassen- und Hafenbau spielten vielerorts in die zuvor landwirtschaftlich genutzten Flächen und Regionen hinein. Bewirtschaftete Terrassenfelder liegen brach und neue Straßenführungen kreuzen diese ohne Rücksicht auf die Gegebenheiten um neu geplanten Urbanisationen Zugang zu verschaffen. Leerstand alter landwirtschaftlicher Gebäudekomplexe, aber auch Neubauruinen von Investitionspleiten, begonnene, platzhaltende Pfeiler-Decken-Betonskelette waren über Jahrzehnte hin zu sehen.

Mit einem ausgeprägten Interesse, von Zuneigungen bis Abneigung, begegnete ich all diesen Entwicklungen, die mich wenige Monate nach meiner ersten Ankunft auf Teneriffa für viele Jahre mit künstlerischen Impulsen, Fragestellungen und interventionistischen Untersuchungen beschäftigten.

Vespacolor (1982)
Auf meiner ersten Fahrt mit besagtem Roller, von Santa Cruz im Norden bis Los Cristianos im Süden, brauchte ich auf der kurvenreichen Höhenstraße TF 28 circa viereinhalb Stunden.
Entlang dieser Straße liegen viele der alten Dörfer, die bis heute von den Neubaumaßnahmen kaum negativ verändert wurden. Die Dörfer und deren Häuser hatten für mich eine bemerkenswerte Dimension und Farbigkeit, die mich wenig später zu meiner ersten künstlerischen Handlung motivierte. Die Fassaden der eingeschossigen Häuser waren straßenseitig stark farbig, ganz individuell gefasst. Es war abzulesen, dass die Bewohner bzw. Eigentümer wegen der geringen Größe der Häuser leicht technisch in der Lage waren die farbige Fassadengestaltung selbst vorzunehmen. So hatte jedes Haus sein individuelles „Gesicht“. Die einzelnen die Fassade bestimmenden Elemente, wie Sockel, Fenster- und Türlaibungen, Simse und Fensterrahmen, mit immer geschlossenen Fensterläden und nicht zuletzt die eigentliche Hauswand, waren meist in 3-4 Farben gefasst.

Da der Vespa-Roller, eher einer Autokarroserie gleicht, aus verschiedenen Karosseriekomponenten besteht und sich eine Analogie zu den Fassadenelementen herstellen ließ, beschloss ich, die Kotflügel, die Sitzbank, das Windschild und den Hauptkörper der Vespa in unterschiedlichen Farben anzustreichen. Ich besorgte weiße Dispersionsfarbe (pintura plastica blanca) und Abtönfarben in Tuben (Colorantes) um vor einem besonders schönen Haus damit zu beginnen, die einzelnen Fassadenfarben identisch nach zumischen.
Mit diesen Farben fasste ich die Vesparoller-Karosserie-Elemente farblich neu, positionierte den Roller stets längsseits, parallel zur Hauswand und machte von dieser inszenierten Situation ausreichend viele Fotos, um später ein geeignetes Foto zur Auswahl zu haben.
Mit dieser Fassung des vielfarbigen Rollers fuhr ich weiter, bis ein anderes, besonders attraktives, Haus mich motivierte den Vespa-Roller längsseits zur Fassade abzustellen und Fotos dieser dialogischen Situation der ungleich farbigen und ungleichen Objekte zu machen, bevor ich damit begann die Farben dieses Hauses nachzumichen und diese auf den Roller zu übertragen, um ebenfalls die nun farbgleichen Objekte miteinander zu fotografieren. Nachdem ich so mehrmals verfuhr, kam eine weitere Überlegung mit entsprechenden Folgen hinzu. Da ich mich nicht nur in dörflich, städtischen Bereichen aufhielt, sondern auch sehr oft mitten in der Landschaft, drängte sich mir der Gedanke auf, das mobil gemachte Colorit, welches ich an der Vespa mit mir herumfuhr wieder ortsfest zu machen.
Ich übertrug nicht, was nahe liegen würde, die Farben auf ein Haus, sondern ich übertrug die Farben auf „Ausschnitte“ und Bestandteile der Landschaft: Kleine und größere Felsbrocken, eine Natursteinmauer und Kakteen, um diese zusammen mit meinem Roller für weitere fotografische Bilder festzuhalten. Die Fotoserie „Mobilien und Immobilen“ war gestartet, die dann in weitere, abgewandelte Versionen mündete. Ich habe 4 Fotoreihen dieses Typs-- realisiert. (Seite 22 - 29)

Von der farbigen Hausfassade zum farbigen Schutt (1982-1986)
Der Anfang war gemacht und ließ sich nicht mehr stoppen. Nachdem ich die ersten drei Monate mich bewusst nach den touristisch, folkloristisch schönen Aspekten der Insel orientiert hatte und die unschönen Begleiterscheinungen des Baubooms von mir unterschwellig registriert wurden, fielen mir mehr und mehr die Folgen und Nebenwirkungen auf. Wenn bei gewerblichen Bautätigkeiten, sowohl der Abrissschutt als auch der Bauschutt meist professionell entsorgt wurde, so wurde der anfallende Schutt der „kleinen Baumaßnahmen“ der Einheimischen des öfteren in der steinigen Landschaft „entsorgt“.
So fand ich die von mir schon in der Vespacolor-Serie bedachten farbigen Fassaden als Schutt an ungewohnten Stellen wieder. In einer Mischung aus moralisch-ökologischer Entrüstung und Faszination, diesem unverhofften Ortswechsel der bekannten Dinge intervenierend kommentieren zu können, machte ich mich daran, die „schönen“ weil farbigen Bruchstücke mit der Farbseite an Ort und Stelle nach oben zu kehren. Die erzeugten, mosaikartigen Formationen, sollten sich aus dem Sortierprozess ergeben, ohne gestaltend motiviert zu sein. Ich habe 15 Interventionen dieses Typs „Abraum“ realisiert.
(Seite 76 - 107)

Von der Absicht, zum Plan, zum Fundament (1983-2011)
Längst war ich vom kanarischen Virus erfasst, der Einheimische gleichermaßen wie Urlaub machende Ausländer befallen kann: Ich machte mir Gedanken wie ich zu einem eigenen Haus
auf dem Sonne verwöhnten Archipel kommen könnte.

Jede Absicht dieser Art führt bei einem Neubau über den Plan zum Fundament zum fertigen Gebäude. Oder man begibt sich auf die Suche nach geeignetem Altgebäudebestand. Ständig mit meinem Vespa-Roller unterwegs, bin ich selbst in entlegene Ecken und Regionen vorgedrungen. Besondere Faszination lösten in mir verlassene Gehöfte und verlassene Bauanlagen aus. Ganz besonders interessierten mich Bauwerke, deren ursprüngliche Funktion erst einmal unerklärlich erschien. Es waren meist Betongebäude, die keinen Raum umschlossen, spontan und mit zum Teil unprofessionellen Hilfsmitteln errichtet schienen und eher gewerblich/industriellen Zwecken dienten. Es waren Ruinen, die in ihrer Form, Farbe und Materialität von der steinernen, felsigen, vegetationsarmen Umgebung, trotz ihrer artifiziellen Herkunft, integriert wurden. Da diese Ruinen genau genommen eine Altlast darstellten, neigte man dazu sie gleichermaßen aus verallgemeinerbaren Schuldgefühlen heraus, aus der Wahrnehmung auszublenden. Dieser Umstand und Zustand weckte Hinwendung. Ich hatte die Absicht mit möglichst einfachen Mitteln diese missachteten Gebilde mit einem positiven Potenzial der Aufmerksamkeit zu versehen. Dies gelang mir mit einem 12-15 cm breiten Pinsel, unter Verwendung von weißer Dispersionsfarbe bzw. Kalk und der selbst gestellten Vorgabe, ohne Gestaltungswillen, entlang der Gebäude und Materialkanten, allseitig eine weiße Linie zu ziehen. Durch diese Maßnahme schälte sich das Bauwerk aus seiner Umgebung heraus und wurde auffällig. Die jeweils spezifische Baugestalt wurde verdeutlicht und wahrnehmbar, bei gleichzeitiger Verklärung der Gesamterscheinung. Ich dokumentierte fotografisch das Ergebnis, immer bestrebt ein maximal repräsentatives Foto zu erhalten.
Anfänglich betitelte ich die Gruppe dieser Interventionen mit „Bauzeichnungen,“ später mit „Reformationen“. Ich habe bis heute 25 Interventionen dieses Typs realisiert. (Seite 110 - 117)

Die andere Gruppe der Interventionen, der sog. „Begleiterscheinungen“ basierte auf dem Phänomen, dass die offen stehenden bzw. zerstörten Fenster von verlassenen Gebäuden, weil Licht schluckend, wie schwarze Löcher wirken. Der statische Zusammenhalt solcher Gebäude ist trotz desolatem Zustand unbestritten. Ich setzte mit der Überlegung an die vorhandenen Öffnungen soweit zu vergrößern bis die Statik der Gebäude augenscheinlich nicht mehr halten konnte. Dies wollte ich aber nicht mit abrisshandwerklichem Einsatz erreichen, sondern durch den großflächigen Auftrag schwarzer, geometrischer Flächen auf die Fassade. Ich stellte diese aufgemalten schwarzen Flächen in Beziehung zu den vorhandenen, schwarz wirkenden Fenstern und Türöffnungen. Die angestrebte Wirkung wird begleitet von Assoziationsmöglichkeiten zu Werken Kasimir Malewitsch oder zensierenden
Bildbalken. Ich habe bis heute ca. 12 Interventionen dieses Typs realisiert. (Seite 110 - 2017)

Schrott & Sonne (1982-2013)
Etwa zeitgleich begann ich 1982 eine Fotoreihe die bis heute weit über 100 Fotografien umfasst. Ich nahm als Leitmotiv hinterlassene, ausgebrannte, zerlegte Automobile in teilweise bizarren Landschaften unter dem gemeinsamen Titel „Schrott & Sonne“ auf. Das imaginierte Tempo, leistungsstarker Fortbewegungsmittel, Transport- und Statussymbole der Fahrzeuge wird in diesen Fotografien, auf Stillstand gebracht und in ein Zeitmaß abgebremst, das der Veränderlichkeit von Landschafts- und Kulturraum nahe kommt. Wie in den anderen Fotoreihen und Werkdokumentationen legte ich immer Wert auf ein ausgewogenes Verhältnis von scheinbar Gemeintem und nicht Gemeintem. Einer Gleichwertigkeit der vorhandenen, bzw. eingesetzten Mittel, bzw. Bild- bzw. Werkbestandteile. In ein paar wenigen Arbeiten wandte ich auch bei diesen Automobilruinen die Methode eines aufgemalten, linearen Strukturgeflechts an. Zugunsten einer klaren Differenzierung zwischen den Werken mit Gebäuderuinen und den Autowracks entschloss ich mich diese Werkreihe als reine fotografische Fotoserie weiterzuführen. (Seite 40 - 51)

City comfort und vacation comfort (1983-1984)
Parallel zu der Farbfotoreihe „Schrott & Sonne“ mit Autowracks in der Landschaft und den inszenierten Farbfotografien „Mobilien und Immobilien“ mit bemaltem Vespa-Roller und Hausfassaden, entstanden die beiden SW Fotoreihen „city comfort“ 1983-84 und „vacation comfort“. Die Motive von „city comfort“ fand ich in den hektisch, belebten Straßen von Barcelona. Meine analoge Kleinbildkamera mit Datenrückwand belichtete in die SW-Negative jeweils die Worte „ TRANQUILIDAD y SATISFACCION“ (Ruhe und Zufriedenheit) bzw . Worte die ich in Bussen fand: „36 ASIENTOS - 98 VIAJEROS DE PIE“ (36 Sitzplätze - 98 stehend Reisende). Die Bildanlässe der zweiten SW Serie „Vacation comfort“ fand ich im touristischen Zentrum Teneriffas, in Playas las Americas. – Dort belichtete ich in das Negativ der Menschen überfüllten oder Menschen leeren Strand, Geschäfts-und Bauszenen die Worte BLEIBEN SIE KALKULIERBAR.
Diese beiden Fotoserien umfassen 48 Aufnahmen. (Seite 32 - 37)

Von der Intervention zur Installation ( seit 1985 )
1985 entwickelte ich aus dem Erfahrungs- und Realisierungshintergrund der Interventionen heraus, die installative Werkgruppe der „Unterstützenden Maßnahmen“. Anlässlich einer Ausstellung im „Espacio P“ in Madrid, ( Seite 17) fügte ich mittels Stahlrohr-Deckenstützen, die im Bauhandwerk zum Abstützen der Betonschalung temporär als Hilfsmitte eingesetzt werden, in den zweifelsfrei statisch ungefährdeten Innenraum des Ausstellungsinstituts, eine raumgreifende und Binnen-Räume bildende Konstruktion ein. Daraus entwickelte ich die bis heute stets weitergeführte Werkgruppe der „Unterstützenden Maßnahmen“. Diese Konstruktionen können ohne den Gegenpart von Decke, Wänden und Boden nicht halten. Es bedarf immer eines Weniger-als-Zuviel und eines Mehr-als-Zuwenig um alle, an sich losen Teile, über den mittels der Stützen erzeugten Druck und der daraus resultierenden Reibung an Ort und Stelle zu halten. Diese Installationen sind zwangsläufig in der Dimension ortsspezifisch, strukturell aber oft auch in unterschiedlichen Räumen wieder aufführbar.
Wie bei der aus diesen Installationen heraus entwickelten Ableger-Werkgruppe die als freistehende autonome Skulpturen hergestellt und mit “Modulare Strukturen“ betitelt sind wird die benötigte Ausrüstung an Schaltafeln und Deckenstützen für jeden Ausstellungsanlass ausgeliehen, bzw. gemietet. Die Werke werden quasi aufgeführt und unterscheiden sich von Fall zu Fall in einer Interpretatiosvariabilität.

Grundriss, Fundament und Leitungssysteme ( 1985-1988)
Eine weitere Entwicklungslinie meiner Beschäftigung mit Konstruktion, Bauen und Haus, nimmt ihren Ausgangspunkt bei der Planung jeglichen Bauwerks: Dem Grundriss.
Anfänglich fertigte ich kleine Skizzen auf kariertem Papier A5-formatig und Blatt füllend.
Ich entwickelte schier unzählige Varianten eines Grundrisses mit einem oder zwei Räumen.
Danach ebenso unzählige Skizzen-Varianten einer Struktur, die man assoziativ mit Leitungssystemen und Kühlrippen in Verbindung bringen könnte. Auf meinen Touren durchs Abseits der Insel Teneriffa entdeckte ich für mich Stücke herausgerissenen Teppichbodenbelags. 1985, nach mehrjähriger Abstinenz vom flächigen Malgrund entdeckte ich, dass diese nicht rechteckigen Flächen gute geeignete „Bildträger“ meiner bis dahin nur auf Papier entwickelten Grundrisse und Leitungszirkulationen sein könnten. Diese Findung brachte mich zurück zur Malerei auf beweglichem Untergrund. Von da an war der Bildträger immer wesentlicher und sichtbarer Bestandteil des Bildereignisses. Jeder Formkomplex erhielt eine eigene Farbigkeit in Verbindung mit einer dieser Farbe spezifischen Materialität. Meist nutze ich besonders pastose, dick auftragende gewerblich-industrielle Farbstoffe.
Circa 60, zum großen Teil großformatige Malereien stellte ich bis 1988 her, die in der Werkgruppe „Grundriss & Versorgungssystem Bilder“ betitelt zusammengefasst sind.
Die Anfänge dazu begann ich auf Teneriffa, wo ich dann auch 1989, angeregt durch die in El Medano allpräsenten Surfsportler, begann Surfsegelmaterial für besonders großformatige, planenartige „Wandbehänge“ zu nutzen. Zu keiner Zeit hatte ich ein Atelier auf Teneriffa. Das hielt mich aber eben auch im Fall der neu entwickelten Serie der „Wandbehänge und Schürzen“ (1989-2008) nicht davon ab eine neue Entwicklung einzuleiten. Mir scheint eher, dass die jeweils besonderen Umstände mich zu neuen Vorgehensweisen motivierten. Bei den Wandbehängen bezog ich mich weiterhin auf die 1985/86er Skizzen, jedoch losgelöst von der ablesbaren Herkunft der Grundrisse oder Leitungssysteme. Alle werkbestimmenden Bestandteile sollten gleichermaßen wichtig und sichtbar sein. Einen Bildträger gibt es nicht, bzw. der Bildträger ist die Wand. Jeder Farb-Formkomplex des genutzten, plastifizierten Surf- Segelmaterial war gerade mal ausreichend knapp überlappt um die Teile miteinander vernähen zu können. Integriertes glasklares Folienmaterial lässt den Blick auf die Bild tragende Wand zu. Das vernähen führte ein vor Ort ansässiger Surfsegel-Spezialist aus. Schrauben oder Nägel halten mittels Ösen die Bildflächen an der Wand, die meist größer als 3x4,50m sind.

Basements und Barrieren ( seit 1986)
Aus den Beobachtungen allseitiger Bautätigkeiten und der Beschäftigung mit den grundlegenden, konstruktiven Elementen der erdbebensicheren Bauweise auf den Kanaren leitete ich daraus die Skulpturengruppe der „Basements“ und „Barrieren“ ab. Bei den „Basements“ handelt es ich um 1986 erfundenen streifenfundamentartige Grundrissskulpturen unter Verwendung von Ziegel und Betonsteinen als modulare Elemente, plus mit diesen durch Stecken verbundenen Rohrsystemen. Die „Barrieren“ basieren auf Skizzen und Überlegungen von 1984 zu Beton-Stahl-Körpern und Beton-Stahl-Feldern, die erstmals seit 1995 im Ausstellungsraum vor Ort erstellt wurden und überwiegend kniehoch sich sperrend in den Ausstellungsraum einbringen. Es sind fundamentartige Konstruktionen aus Beton- und Stahl-Armierung. Sie können nach der Ausstellung nur durch Abbruch beseitigt werden.

Bilaterale Beziehungen (1993-1998)
Die zwischen 1993-1998 realisierten „Bilateralen Beziehungen“ sind ohne die vorausgegangenen Überlegungen und die hergestellten Werk zu Haus/Raum/Ordnung/Konstruktion nicht denkbar. Die mit "Screens" betitelten Arbeiten sind mittels Ankerstäben und Federn beidseitig einer Wand montierte Gitterflächen aus Gummi oder Polyurethan. Die Ankerstäbe sind dabei in Wanddurchbohrungen eingeführt,
Schraubendruckfedern und Ankermuttern haben eine visuelle Funktion und halten die Gitterflächen mit Abstand zur Wand.
Die "Gloriolen" sind beidseitig einer Wand montierte, runde, manchmal farbig lackierte Aluminiumgussfertigteile aus dem Maschinenbau, die mittels Ankerstab, Ankermuttern, und großen, konischen Schraubenfedern und einer Wanddurchbohrung beidseitig der Wand zueinander gehalten werden. Es ist immer nur eine Seite, somit eine Hälfte der Wandskulptur für den Betrachter zu sehen.

Bio- und Geomorphe Skulpturen (seit 2001)
Ohne direkten Bezug zu den mich bis dahin meist interessierenden Phänomenen um Haus und Bauen, entstehen aus der Assoziation des kartografischen Erscheinungsbildes der Kanarischen Inseln erstmals 2001 eine biomorphe Skulpturengruppe. "Hockerarchipel" und „Inselwachstum“ generieren ihre Formation aus dem Bild eines Archipels. Die 2008 hergestellten „stump stools“ sind ohne ein auf Teneriffa erfahrenes Erlebnis undenkbar: Nahe am Meer, weitab von relevanter Vegetation, sah ich 2 mächtige Baumstumpfabschnitte herumliegen. Diese befremdliche Situation bewegte mich die Skulpturengruppe „Stump stools“ aus Glasfaserkunststoff auf der Basis bekannter organischer Formen zu realisieren. Sie besteht aus abstrahiert nachgebildeten Baumstümpfen. Die einzelnen Objekte der zehnteiligen Gruppe können wie auch bei der Skulpturengruppe „Inselwachstum“ als Sitzelemente genutzt und je nach Bedarf umgruppiert werden.

Falsches Wasser (seit 2003)
2003 begann ich die mit "Falsches Wasser" betitelte Farbfotoreihe an Land befindlicher Schiffe und Boote im Stadt- und Landschaftsraum der Kanarischen Inseln. Anders als bei der Fotoreihe „Schrott und Sonne“ handelt es sich bei den Booten an Land nicht um Wracks.
Merkwürdigkeit bekommen sie durch den Umstand, dass Ihr auftreten an Land mit dem Umstand ihrer wachsenden Bedeutungslosigkeit in der professionellen, täglichen Nutzung durch Fischer wächst. Diese Boote liegen nicht in Wassernähe, darauf wartend, dass sie wieder am nächsten Tag zum Einsatz kommen. Sie liegen an Land wie der Fisch auf dem Trockenen. Würden sie im Wasser liegen, könnte man sie nur zur Hälfte sehen. An Land zeigen die still gelegten Boote, nun nutz- und zwecklos ihre wahre Gestalt und stehen im Dialog mit ihrem Umfeld, welches nicht ihr Zugedachtes ist. ( Seite 54 - 63)

EinRaumHaus (seit 2006)
Die seit 2006 begonnene und mit "EinRaumHaus" betitelte Farbfotoreihe von kleinen Bauwerken im Landschaftsraum der Kanarischen Inseln, hat kleinste Häuser zum Motiv, die einzeln und scheinbar ungenutzt in der Landschaft stehen. Ganz anders als die großen Häuser und multifunktionalen Gebäudekomplexe sind sie Prototypen des umbauten Raums. Diese Habitaculos stehen in den Fotografien alleine und in einem suggestiven Dialog mit Ihrer rein landschaftlichen Umgebung. (Seite 66 – 73)

Eras – Regensammelflächen auf Lanzarote (seit 2008)
1982 besuchte ich erstmals Lanzarote. Ich war beeindruckt von der eigenwilligen Schönheit der Insel, die geprägt ist vom Wassermangel und die sich auch in zweckmäßigen, Regenwasser sammelnden, Bauformen widerspiegelt. So war es in der Vergangenheit üblich, dass jede befestigte Fläche am Haus (Dach und Hof) ein Neigung hatte um das Regenwasser in einen unterirdischen Tank zu leiten. Darüber hinaus legte man große und sehr große zementierte Flächen an Berghängen an, um zusätzliches Regenwasser einfangen zu können. 1982 schienen diese Einrichtungen noch genutzt zu werden. Bei meinem zweiten Aufenthalt auf Lanzarote 2006 vielen mir diese Regensammelflächen erneut auf. Die meisten von ihnen werden zwischenzeitlich nicht mehr unterhalten und gepflegt. Das Wasser kommt nun, wie überall, aus der Leitung.
Fasziniert von den nutzlos gewordenen Flächenbauwerken realisierte ich, anknüpfend an die Interventionen „Bauzeichnungen“, „Reformierungen“ und „Begleiterscheinungen“ der 80er und 90er Jahre zwei Eingriffe, die sowohl die Eigenwilligkeit jeder Fläche betonte als auch zu einem markanten Hingucker werden ließ. Erstmalig berücksichtigte ich bei meinen Überlegungen, dass diese Interventionen, früher oder später über das Internet in Google Earth zu sehen sein würden. Was schon nach einem Jahr der Fall war.
(Seite 186 – 193 und 204 – 217)

Eberhard Bosslet 2009

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