Tagespost, 4.7.1994, nib

Bild unseres Jahrhunderts

Purrmann-Preisträger Eberhard Bosslets eigenwillige Objekte

-nib- Hat man eines von ihnen gesehen, kennt man eben nicht alle, denn jedes der Kunstwerke Eberhard Bosslets führt den Betrachter in einen anderen Teil unserer heutigen Zeit. In ein jeweils anderes Speyerer Gebäude muß der Kunstbegeisterte gehen, wenn er sie in Augenschein nehmen will. Dies dürfte jedoch nicht schwerfallen, denn jedes der 22 futuristisch anmutenden und doch realen Gebilde steht in einer von 13 Behörden oder öffentlichen Einrichtungen.
Zum ersten Mal verbindet so für Jedermann eine Ausstellung in der Domstadt, die Wirklichkeit des Alltags mit ansonsten abgegrenzter Kunst. Doch nicht etwa wahllos führt Bosslet Behörde und Plastik zusammen. Bestimmte Merkmale dienen als Signale, daß sich hier das Grazile der Kunst zu den Aufgaben der Verwaltung gefügt hat. Gebilde aus alltäglichen, sorgfältig ausgesuchten und aufeinander abgestimmten Materialien vom Bau, aus dem Büro, aus dem Haushalt oder von Kraftfahrzeugen versuchen sich ihrem Betrachter mitzuteilen.
Da steht das „Verteilen I“,‘ein sauberes Polythelenrohr, dessen Enden durch einen Schlauch verbunden sind, im Innenhof des Rathauses. Sowohl der Titel als auch die äußere Erscheinungsform des Werkes sollen zum Nachdenken über die Richtigkeit der Strukturformen der heutigen Gesellschaft anregen. Wie Natalie Püttmann, die Verfasserin der Katalogerläuterungen, schreibt, stellten sich, wenn vom Verteilen die Rede sei, Gedanken auf sozialer und politscher Ebene ein.
Den Durchgang zum Alten Stadtsaal zieren zwei mit Stahlbändern zusammengehaltene Gebilde aus Holztransportkisten und Europaletten: „Welthandel II und Welthandel III“ des in Duisburg lebenden Speyerer Künstlers Licht und Schatten sowie das Zusammenspiel der lastenden und tragende Teile kommt hier zum Tragen.
Bei einer derartigen Gewalt der Eigenständigkeit jedes Kunstwerkes ist mehr als nur Phantasie des Betrachter gefragt. Überall, in der Landesbibliothek, im Stadthaus, im Amtsgericht, au dem Straßenbauamt oder im Gebäude der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft, kann der Besucher Stücke einer großen Maschinerie entdecken, die zusammengefügt wieder das Bild eines einheitlichen Ganzen, nämlich unseres Jahrhunderts ergeben.
Mit der Skulptur „Zeugung I“ und ihrem Ausstellungsort, einer Bushaltestelle, gegenüber der Polizeistation prallten öffentliches und privates Leben aufeinander, so Natalie Püttmann bei ihrer Einführungsansprache zur Ausstellungseröffnung im Historischen Ratssaal. „Kunst ist kein Fast food, hinter jedem Bild des Künstlers steht das Bild eines Menschen.“
Kulturdezernent Hanspeter Brohn und Eckard Schulz vom Kunstverein der die Ausstellung des Purrmann-Preisträgers 1993 ausrichtet, begrüßten die „Kraftpakete“ Bosslets, die den Anschein erweckten, als würden sie jeden Moment auseinanderfliegen, da manche mit Luftdruck gefüllt sind. nib