Tagesspiegel 28.11.1995, von RONALD BERG

Balance verborgener Kräfte
Ausstellung Eberhard Bosslet im Podewil

Ganz Berlin ist eine Baustelle. Da wurde es Zeit, daß auch die Kunst auf dieses permanente Environment im öffentlichen Raum reagiert. Angelika Stepken hat sich dafür Eberhard Bosslet ausgesucht. Er gehört zu einer- „Basics“ betitelten - fünfteiligen Reihe mit bildenden Künstlern im Podewil.
Bosslets Elemente für seine Skulpturen oder Installationen lassen sich in jedem Materiallager einer größeren Baustelle finden. Eigentlich von der Malerei kommend, macht er mit Stahlrohr-Deckenstützen oder Betonschaltafeln elementare Prinzipien des Skulpturalen deutlich. Sein „Sperrbeton“ in der Durchgangshalle des Podewil wird im wahrsten Sinne des Wortes zum Stein des Anstoßes und blockiert die direkte Passage durch das Foyer. Vier auf dem Boden aufliegende Betonkuben von je einem halben Meter Kantenlänge sind durch Armiereisen zu einem großen Karree verspannt. In der leeren Mitte bilden die den Beton durchziehenden Eisenstäbe ein Geflecht. In seinen Ausmaßen ist das schwere Geviert mit den stacheligen, an den Seiten herausragenden Eisen genau zwischen die Säulen des Foyers eingepaßt. Was sonst nur im Verborgenen trägt, wird hier zur Schwere. Bosslet macht damit erst die konstruktiven Spannungen des Raums bewußt, der gemäß dem physikalischen Ausgleich der Kräfte stabil bleibt.
Um Materialität und Statik als Grundlage jeder plastisch-bildnerischen Arbeit geht es auch in Bosslets dritter Arbeit, die sinnigerweise „Grundlager“ heißt. Bosslet hat hier eine hochkant gestellte Teppichrolle mittels eines Transportgurtes und eines mit Druckluft betriebenen Bergungskissens, wie es die Feuerwehr benutzt, um Verschüttete zu retten, an eine der Säulen des Foyers gefesselt. Die Teppichrolle bekommt so zwar eine Taille eingedrückt, aber sie hält sich aufrecht bis zur Decke, ohne den Boden zu berühren. Druck und Gegendruck bezwingen die Schwerkraft. Die Säule trägt das Ganze, wie es ihre Aufgabe ist. Das Leichte der Luft zeigt seine harte Kraft, die weiche Schwere des Teppichs wird stabil, das Ganze hält dank der Massivität der Säule. In ihr kreuzen sich vertikale und horizontale Kräfte, Verdrängungsdruck und Schwerkraft. Worauf jedes Haus gegründet ist, der Ausgleich der Kräfte zum Gleichgewicht, woraus aber auch jede Skulptur besteht, die Gleichung zwischen lastender Schwere, konstruktiver Form und den tragenden Eigenschaften des eigentümlichen Materials - Bosslet macht es sichtbar und anschaulich. Indem er in die vorhandene Architektur des Raumes eingreift, wird das Selbstverständliche wahrnehmbar: der umbaute Raum als konstruktive Balance verborgener Kräfte. Nur im Bau, wenn das Tragwerk offen zutage tritt oder wenn eine Deckenstütze, die Prothese, die noch nicht fertige Decke in ihrer Funktion darstellt, kann man sonst die Konstruktion erfahren. Bosslet hat das erkannt und diese Instrumente des Bauhandwerks aus ihrem profanen Kontext isoliert und in den ästhetischen überführt.
RONALD BERG
Podewil, Klosterstraße 68-70, bis 10. Dezember, Montag bis Freitag 10-22 Uhr.