DE - Dautermann, Karl-Heinz, Backnanger Kreiszeitung, 05.12.2006

Backnang Im altehrwürdigen Chor des ehemaligen Backnanger Turmschulhauses lagert ein Haufen
Stahlpfosten mit Betonsockeln. Abrissmaterial, kalkuliert hingeworfen vor ausgedienten Gartengittern.
Ihrer Absperrfunktion entrissen, steuern diese nun von einem Zentralpunkt aus fächerförmig dem
Chorabschluss zu. Insgesamt vier Tonnen Abriss- und Baumaterialien breitet Eberhard Bosslet neben
seinen Fotoserien auf den Galeriestockwerken aus. Und hinterlässt dabei ebensoviele Fragen. Vor allem
dort, wo dafür verzweifelt ein periodisches Merkmal für eine Stilschublade gesucht wird.
Eine Entlehnung aus der Musik mag Aufschluss geben. Die Fuge: Die Verfolgung einer Leitstimme durch
eine zweite, die die erste wiederholt, ihr antwortet oder sie variiert, während die erste gleichzeitig dazu
übergeht, ihr eigenes Thema zu variieren oder auszuführen, was von der zweiten dann wieder
aufgegriffen wird. Denn die Module für die Ausbildung neuer Module sind begrenzt, aber schier endlos
variierbar. Wer jetzt die Schublade vom Readymade ziehen wollte, sollte vorsichtig sein. Bosslet brachte
hier kein zufällig gefundenes Material zusammen. Er suchte es gezielt. Mit hohem logistischem Aufwand
wurde es zusammengebracht. Denn der gebürtige Pfälzer stimmte seine Werke auf die räumlichen
Verhältnisse der Galerie ab. Kalkulierte vorgegebenes Architekturvokabular mit ein. "Mir ist wichtig zu
erkennen, dass die Dinge relational sind, das heißt, in Relation zu Bedingungen stehen, nicht absolut
gesehen werden", so der Künstler. So kommt es in dieser Ausstellung zu etwas Verblüffendem: Die
hingeworfenen Stahlpfosten muten an wie eine zwischengelagerte Lichterkette, die auf ihren Einsatz
anderswo wartet. Die tonnenschweren Skulpturen zaubern Leichtigkeit herbei. Was dem massiven
Material so nicht zuzutrauen wäre. Selbst die Konstrukte in sich sind fragil. "Nicht anlehnen", sagte
Bosslet. Der Versuch, sich hier gemütlich' anzulehnen und aufzustützen, war groß. Manch
Ausstellungsbesucher stand schmunzelnd und versonnen davor und strich mit dem Finger sanft über
hochglänzende oder stählerne Oberfläche. Besser kann man sich einem Werk kaum nähern. Das macht
Stilschubladen gänzlich überflüssig. Das so entstandene Modul der Erinnerung dieses Moments garantiert
die Fortsetzung des materiellen Werkes. Begriffe wie feinnervig und hochsensibel sind hier durchaus
angebracht. Manchen mag das auch abschrecken. "Fast alle Werke von Eberhard Bosslet, auch dort, wo
man es nicht gleich merkt, kreisen letztlich um die Themen Bauen, Wohnen, Urbanität, öffentlicher und
privater Raum, zirkulierende Systeme, temporäre Systeme, Neues und Gebrauchtes", erklärte
Galerieleiter Martin Schick in seiner Einführung. Wobei die hier als fertig postulierten Werke es gar nicht
sind. Nach der Ausstellung werden die geliehenen Teile ihrer ursprünglichen Funktion wieder
zurückgegeben.
Eine Finesse dieser Ausstellung von Eberhard Bosslet ist der Griff nach dem Rapport. Der stammt aus
dem Textildesign. Ein entworfenes "Modul", das so gefasst ist, dass es sich nahtlos fortsetzen und in der
Farb- und Formgebung variieren lässt, ohne dabei seine Struktur aufzugeben. Wobei auch berücksichtigt
wird, wofür der Stoff verwandt werden soll.
Ein Blick in die Vita von Professor Eberhard Bosslet mag Aufschluss geben über die Vielschichtigkeit von
Künstler und Ausstellung. Bosslet wurde im Jahr 1953 in Speyer geboren. Dem Eingangstor zur
pfälzischen Toskana. Studium an der Hochschule Reutlingen, Fakultät Textil & Design, und Studium der
Malerei an der Hochschule der Bildenden Künste Berlin markierten den Weg. Seit 1997 hat er den
Lehrstuhl für Skulptur und Raumkonzeption an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden, auch
Elbflorenz genannt, inne.
Grenzübergreifend zu dieser Ausstellung ist die Zusammenarbeit von Städtischer Galerie Backnang und der Saarbrücker Stadtgalerie. Dort läuft eine parallele Schau mit Bosslets Arbeiten. Es erscheint ein gemeinsamer Katalog.