BIENNALE AN DER RUHR, 1988, Städt.Galerie Schloß Oberhausen, Katalog, von GABRIELE HORN


Analogien zur Wirklichkeit - zu den Arbeiten von Eberhard Bosslet

Wie kommt es, daß ein Künstler wie Eberhard Bosslet mit seinen merkwürdig anmutenden, in Einzelteile zerlegte und wieder zusammengepreßte, Akten- oder Karteikastenschränke, seinen Rauminstallationen aus Stahlrohr-Deckenstützen, Schreibtisch oder Aktenschrank, seinen großformatigen Bildern mit geometrischen Formen bei der diesjährigen Biennale an der Ruhr vertreten ist, einer Biennale, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die jeweiligen Künstler nach ihrer Haltung zur Wirklichkeit zu befragen, das Problem der realistischen Haltung in der aktuellen Kunstszene des Ruhrgebietes zu diskutieren? Hieße das nicht vor allem Künstler auszustellen, die die Wirklichkeit figurativ, konkret darstellen, die sie vergegenständlichen? Was haben die Arbeiten von Eberhard Bosslet überhaupt mit Wirklichkeit zu tun?

Eberhard Bosslet studierte in Berlin und trat dort 1980/81 erstmals mit Einzelausstellungen an die Offentlichkeit. 1980 schuf er eine Art Erlebnisraum, in dem der Besucher umgeben war von akustischen und elektronischen Signalen, von Musik, Wortfetzen, kurz aufflammendem Licht und Dunkelheit, Neonteilen, phosphorizierenden Kabeln. Alle menschlichen Sinnesorgane wurden angesprochen, überreizt- Reizüberflutung, wie sie sich alltäglich um uns herum abspielt sinnlich verstärkt wahrnehmbar hinterfragt.

1981, im Jahr der Hausbesetzerbewegung in Berlin, zeigte Eberhard Bosslet in einer Kreuzberger Galerie eine Installation aus auf dem Linoleumfußboden sich verteilenden Glasscherben, deren Kanten mit Lackfarben angestrichen, mitunter verklebt waren.

Seit 1981 hielt sich der Künstler mehrere Male über längere Zeiträume in Spanien auf, wo zahlreiche seiner „Interventionen“ - Eingriffe - in ein vorgefundenes Landschaftsbild oder vorgefundene architektonische Reste - Ruinen - entstanden. Eberhard Bosslet sortierte z. B. farbige Mauerreste aus „wilden Schuttdeponien“ und verarbeitete diese, meist in den südländischen Pastellfarben kolorierten Reste, zu neuen Formationen, die er in das Gelände einpaßte. Er konturierte mit weißen Linien liegengebliebene und damit gleichzeitig weggeworfene Autowracks oder die Mauerreste ehemaliger Häuser. Fenster und Türen wurden von ihm neben real existierenden Fenster- und Türöffnungen als schwarze Flächen auf Fassaden leerstehender Häuser aufgetragen. Niemandslandähnliches Gelände, eingefallene, längst verlassene Häuser, noch vor kurzem Stätten menschlicher Zivilisation und Kommunikation werden durch die „Interventionen“ des Künstlers neu, anders betrachtet. Sie werden zu kümmerlichen Zeichen einer auf Industrialisierung und Urbanität ausgerichteten Gesellschaft, die den Blick für die menschlichen Bedürfnisse des Alltags verloren hat und diesen Verlust selbst nach wie vor forciert.

Seit 1985 lebt Eberhard Bosslet auch in Duisburg, wo er in die hier vorgefundene Architektur, wie die ehemaligen Verladerampen des Duisburger Innenhafens oder die Fassaden von Obdachlosenhäusern „eingreift“. Die Auseinandersetzung, die in Spanien begonnen hatte führte Eberhard Bosslet in der vorgefundenen Situation im Ruhrgebiet fort. Eberhard Bosslet interessiert darüber hinaus, das wird besonders anhand der auf den Fassaden zusätzlich aufgetragenen Fenstern und Türen deutlich, die architektonische Struktur des Hauses, das Außen und korrespondierende Innenleben der Architektur. Dieses Thema greift Eberhard Bosslet ansatzweise auch in seiner Malerei, die einen großen und eigenständigen Bereich seiner künstlerischen Arbeit verkörpert, auf. Seine Bilder sind aus zwei, sich in der Größe nur minimal unterscheidenden Teilen zusammengesetzt. Die Abweichungen in der Größe der Teile sind bewußt; es handelt sich um zwei verschiedene Teile eines Gesamt­zusammen­hanges. Die neueren Arbeiten, wie sie hier abgebildet sind, sind auf feuerverzinkten Blechen angefertigt. Abgebildet sind geometrische Formen, die reliefartig mit Hilfe von Bitumen auf den Untergrund aufgetragen sind. Der obere und der untere Bildteil korrespondieren miteinander. Der untere Bildteil vermittelt den Eindruck, daß es sich um den Grundriß eines Gebäudes handeln könnte, um räumliche Strukturen. Der obere Bildteil scheint demgegenüber eine Art Schalttafel oder das System kommunizierender Röhren darzustellen, er wirkt gegenüber den räumlichen Strukturen des unteren Bildteils eher flächig. Beide Bildteile bewahren sirische Formen, die reliefartig mit Hilfe von Bitumen auf den Untergrund aufgetragen sind. Der obere flächige Bildteil könnte eines von mehreren existierenden Systemen sein, das sich in den unteren räumlicheren Bildteil einfindet. Der letzte Bildteil scheint dabei Fundament, Voraussetzung für den oberen zu sein. Das Thema Eberhard Bosslets Malerei ist die Spaltung einerseits und die Annäherung, bzw. das notwendige Miteinander andererseits von Fläche und Raum. Seine Malerei wirkt bewußt räumlich, ist verräumlicht, wodurch gleichzeitig der Dualismus von Raum und Fläche, von räumlich-körperlichen Darstellungsgegenständen und ihrer flächigen Abbildung in der Malerei in Frage gestellt wird.

Seit 1985 entstehen in Eberhard Bosslets Werk sogenannte „Unterstützende Maßnahmen“ in Innenräumen. Zwischen Decke und Boden eines Raumes werden mit Hilfe von Druck, der von Stahlrohr-Deckenstützen, wie man sie zum Abstützen im Bauwesen kennt, erzeugbar ist, andere Materialien, wie ein Aktenschrank, ein Schreibtisch, Holzkisten, Drehstühle, sozusagen vor Ort gefundene Alltagsgegenstände, eingepreßt. Die Werkmontage kann nur in Verbindung mit den Raumgrenzen Decke und Boden existieren, da die einzelnen Werkelemente lediglich durch sie gehalten werden bzw. gegen sie gepreßt werden, nicht anderweitig miteinander verbunden sind. Decke und Boden werden somit selbst zu notwendigen Werkelementen. Erst durch ihre Belastbarkeit erhalten die Stützen ihre Funktion, sind die Gegenstände einpreßbar, läßt sich ein derartiges Werk konstruieren. Raum, Stützen und Gegenstände sind eigenständige Elemente, die jedoch eine Verbindung miteinander eingehen müssen, aufeinander angewiesen sind, um in dieser Konstellation, in diesem über Druck und Spannung erzeugten Gesamtgefüge zu existieren. Ein Zuviel an Druck bewirkte die Selbstzerstörung des Werkes, indem die Stützen den Raum durchstießen; ein Zuwenig verhinderte das Werk schon im Vorfeld, da die werkkonstituierenden Verbindungen erst gar nicht zustande kämen. Existent ist demzufolge das Werk nur in einer Phase zwischen einem „Meh r-als-zuwenig“ und einem „Weniger-als-zuviel“ an erzeugtem Druck.

Das bisher größte derartige Werk hat Eberhard Bosslet in diesem Jahr in Toronto geschaffen. Die „Unterstützende Maßnahme“ nimmt einen Raum von 11,5 x 7 x 3,20 m ein. Eberhard Bosslet hat hier nicht nur mit Boden und Decke, also vertikal, sondern auch mit Teilen der Wände, also horizontal, gearbeitet. Entstanden ist ein abschreibbares Beziehungsgeflecht von Stahlrohr-Deckenstützen, Verschaltafeln und Raum, von miteinander- und gegeneinander arbeitenden Kräften, das gewaltig wirkt. Der Werkkomplex der „Unterstützenden Maßnahmen“ legt über die rein werkimmanente Faszination, die von ihm ausgeht hinaus auch den Gedankensprung zu Phänomenen im Beziehungsgeflecht der Menschen in der heutigen Zeit nahe. Druck und Gegendruck, in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, korrelativ wirkende Kräfte in der Natur, die von Zuspitzungen auf den verschiedensten Ebenen geprägte Gegenwartswelt sind Assoziationen, die naheliegen.

Nur über äußeren und inneren Druck funktioniert die Stabilität dieses Zustandes, bei gleichzeitiger Erkenntnis, daß Stabilität mitunter ein gefährlicher Zustand sein kann, der bei dem leichtesten unkontrollierbaren Eingriff, bei dem minimalen Zuviel an Druck sich selbst zerstört, in sich zusammenbricht. Eberhard Bosslet scheint es nicht nur, wie der Betrachter auf den ersten Blick vermuten könnte, auf die Vermittlung allgemeiner ästhetischer oder formaler Vorstellungen anzukommen. Seine mit dem Raum arbeitenden Installationen irritieren erst einmal durch das Funktionieren der Konstruktion. Der scheinbare Widersinn der Arbeiten ist aber gleichzeitig der Moment, der die Phantasie des Betrachters in Bewegung setzt, das Weiterdenken mobilisiert.

Auch in den neueren Arbeiten von Eberhard Bosslet kommen derartige Analogien zur Wirklichkeit zum tragen. Gebrauchsgegenstände aus dem bürokratischen Apparat, wie Karteikastenschränke, Registraturen oder Aktenschränke, alltägliche Hilfsmittel der Verwaltung hat Eberhard Bosslet in ihre einzelnen Elemente zerlegt, neu zusammengesetzt und mit Drahtband fest zusammengepreßt. Mitunter dienen ihm andere Materialien, wie kleine Holzquader als Stützen in diesem System, um die notwendige Spannung, den erzwungenen Zusammenhalt zu gewährleisten.

Analogien zu Werkbänken, wo Rohmaterial, wie Holz, bearbeitet wird lassen sich herstellen. Und scheint nicht so auch die Situation des Menschen, des verwalteten Menschen, der gleichermaßen wie die Natur eingespannt ist in einen bedrohenden bürokratischen und maschinellen Apparat. Der Druck der in den neueren Arbeiten Eberhard Bosslets über das Einschnüren der Elemente erzeugt wird ist offensichtlicher, scheint brutaler als in den „Unterstützenden Maßnahmen“. Gleichzeitig wird die Sprengkraft, die in diesem erzwungenen Zustand, in diesem so zusammengehaltenen, künstlich aufgebauten System liegt, offensichtlicher. Es liegt auf der Hand, daß das Kappen eines Stranges diesen erdrückenden Kasten zum Einstürzen bringen wurde.

Eberhard Bosslet verarbeitet Realität, auch die Realität des Ruhrgebietes, in dem er seit 1985 unter anderem lebt. Seine künstlerischen Arbeiten sind nicht leicht konsumierbar, seine Intentionen sind nicht auf den ersten Blick einfangbar, aber Kunst, auch realistische Kunst, hat immer etwas mit Phantasie, mit Vorstellungskraft und der Stimulierung von Seherfahrungen, von rationaler Verarbeitung des sinnlich Wahrnehmbaren zu tun.