Ketchup Magazin, 11/1987, von BARBARA KARPF

HEIDELBERGER KUNSTVEREIN

EBERHARD BOSSLET

Als dritte und vorläufig letzte Ausstellung der Reihe „Angebote zur Wahrnehmung“ präsentiert der Heidelberger Kunstverein Arbeiten von Eberhard Bosslet. Wie schon die beiden vorangegangenen Künstler, läßt sich auch Bosslet nur schwerlich mit einem einzigen Begriff, „Maler“ oder „Bildhauer“ treffend bezeichnen.
Der Architektur im weitesten Sinne gilt sein Interesse, das heißt, ihren grundlegenden Strukturen ebenso wie den Materialien, die in Konstruktion und Bau Verwendung finden. Wuchtige Bodenplastiken, deren Einzelelemente durchweg dem Baustoffhandel zu entstammen scheinen, bilden eine Werkgruppe, die noch mit den herkömmlichen Kriterien der Plastik zu fassen ist. So sind Arbeiten wie „Basement“ von 1986, eine Art Miniaturfundament aus Betonsteinen um zwei ausgesparte Räume herumgebaut und ihrerseits wieder von Kupferrohr aus dem Heizungsbau umgeben, von Ausstellung zu Ausstellung transportabel. Sie bleiben unabhängig von dem sie umgebenden Raum und sind in dieser Eigenständigkeit ebenso von allen Seiten zu betrachten wie etwa eine Plastik Rodins.
Ganz anders verhält es sich mit den „Unterstützenden Maßnahmen“, bei denen Bosslet seit 1985 den jeweiligen Ausstellungsraum in das Werk miteinbezieht. Der Titel dieser Werkgruppe mag zunächst irreführen, denn tatsächlich wird nicht die Architektur, keine sich absenkende Decke und keine sich neigenden Wände mittels eines improvisierten Gerüstes abgestützt und so vor dem Zusammenbruch bewahrt, Vielmehr erweist sich das Funktionsverhältnis von Raum und Stütze als umgekehrt. Bosslet nützt die vorgefundenen Raumgegebenheiten, um darin eingepaßte, komplizierte Gebilde aus Stahlrohrstützen, Betonelementen und zuweilen auch Fund- oder Möbelstücken zu verkeilen. Nichts an diesen Plastiken ist verschweißt, geklebt oder verschraubt, einzig die verstellbaren Deckenstützen erlauben es, sie durch Verspannung zu fixieren und derart in einen Dialog mit dem Raum zu zwingen.
Für die diesjährige documenta 8 hat Bosslet seinen beiden gewaltigen Unterstützungen mit dem doppeldeutigen Titel „Anmaßung I und II“ neben ihrer fiktiven Tragefunktion den Aspekt des ironischen Architekturzitats beigegeben: Die Säule des Klassizismus war mit einem ausgedienten Schreibtisch als Kapitell und engstehenden Stahlrohren als kanneliertem Schaft zeitgemäß nachgestellt.
Diesen innenraumbezogenen Arbeiten gingen seit 1981 Eingriffe in Außenräume, in Landschaftsabschnitte, Abbruchhäuser oder auch stillgelegte Hafenanlagen voraus. Die Heidelberger Ausstellung dokumentiert solche „Interventionen“ Bosslets naturgemäß nur in Serien großformatiger Fotografien, zumal sie vornehmlich in Spanien und auf den Kanarischen Inseln stattgefunden haben. Weiße und ultramarinblaue breite Linien, die Bosslet entlang der Bruchkanten des noch stehenden Mauerwerkes zieht, verleihen den bislang architektonisch unbedeutenden, mittelmäßigen Gebäuden eine neue Würde. Eine Industrieruine wirkt nun beinahe wie ein antiker Tempelbezirk, eine eingestürzte Brücke wird zum Monument gesteigert. Indem die erhaltenen Strukturen der Architektur durch Bemalung und Umrahmung offengelegt werden, wird gleichsam die Zeit an einem Punkt angehalten, an dem sie eine ganz eigene Ästhetik offenbaren, die sonst unter Funktionen verborgen bleibt.
Auch die Malerei Eberhard Bosslets zeigt sich sowohl in der Wahl der Materialien als auch der der Motive deutlich als der Architektur verhaftet. Auf ungewöhnlichen Malgründen wie Bodenbelag und feuerverzinktem Blech sind in Haftputz, Dispersions- oder Aluminiumfarbe geometrische Formen aufgebracht. die sich zu labyrinthhaften Grundrissen ordnen. Die Wahrnehmung von Raumstrukturen scheint hier ins Zweidimensionale übertragen.

Barbara Karpf